"Der Hauptpunkt der 68er war die antiautoritäre Bewegung"
Interview mit Gretchen Dutschke
geführt von Sascha Kimpel für die Sozialistische Zeitung

7-8/03
 
 
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Obwohl viel über Rudi Dutschke (RD) gesagt und geschrieben wurde, scheint es, als ob er ähnlich wie Rosa Luxemburg von verschiedenen Seiten instrumentalisiert wird. Was kennzeichnete deiner Ansicht nach das Denken und Handeln von RD aus? 

In erster Linie, seine Methode die Gesellschaft zu analysieren. Er versuchte die gesellschaftlichen Tendenzen, aber auch die Widersprüche herauszuarbeiten, und wahrte dabei immer einen internationalistischen Blick. Die eigene politische Strategie wiederum leitete er aus den Widersprüchen ab. Eine politische Strategie machte für Ihn nur Sinn, wenn sie das Ziel hatte, die Mehrheit der Bevölkerung für die eigenen politischen Vorstellungen zu gewinnen. Das bedeutete aber auch, dass man selbst die Widersprüche erfahren muss in der Auseinandersetzung mit der Bevölkerung, um von dort aus dann weiterzugehen. Viele behaupten RD hätte eine Utopie von dem gehabt, was am Ende stehen müsse, doch das stimmt nicht. Der Prozess war für Ihn entscheidend.

Was hat Rudi Dutschke von anderen führenden Repräsentanten der 68er unterschieden?

Damals dachten fast alle, dass die Befreiungsbewegungen in der „Dritten Welt “ den Weg weisen könnten. Viele dachten, dass man vielleicht direkt in die „Dritte Welt“ gehen solle, um die Befreiungsbewegungen zu unterstützen. Als jedoch die APO in der BRD entstand, war die Frage, wie man den Widerstand international verbinden kann. Dutschke und Krahl beispielsweise waren sich hinsichtlich dieser Überlegungen sehr nahe. Da Krahl aber bereits 1971 bei einem Autounfall starb, weiß ich nicht, was dieser angesichts der Niederlagen der Befreiungsbewegung in den 70er Jahren gedacht hätte. 

Waren andere neidisch auf RD? Gab es Konkurrenz?

Personen, die am stärksten hervorgetreten sind, wie Christian Semler oder Rabehl waren durchaus neidisch. Krahl eher nicht, aber er war ja in Frankfurt. Dieter Kunzelmann und Rabehl wiederum machten auch Stimmung gegen mich, sie meinten, ich würde RD von der revolutionären Arbeit abhalten. 

Rudi Dutschke gilt vielen nicht als Theoretiker, sondern als Aktivisten, Charismatiker. Stimmst du damit überein?

Damals wurde viel theoretisch gearbeitet, z.B. im Hinblick auf die Frankfurter Schule. Das mit der ökonomischen Theorie war schwierig. Es gab ja Versuche, die aber alle nicht gelungen sind. Ich bin mir jedoch nicht so sicher, ob in den 60er Jahren überhaupt die Theorie weiterentwickelt wurde. Eher schon wurde die Theorie der Frankfurter Schule aus den 30er Jahren an die Verhältnisse der 60er Jahre angepasst. Etwas grundlegend Neues gab es nicht.

RD Leistung war es sicherlich, die Theorien der 30er Jahren benutzbar, relevant zu machen.

Das Problem neuer theoretischer Grundlagen stellt sich auch wieder heute.

Ist das Bild von RD in Deutschland gerecht? 

RD Rolle hinsichtlich der Entwicklung von Nachkriegsdeutschland wird mittlerweile als positiv dargestellt. Die Zeit in der behauptet wurde, das der Terrorismus das direkte Produkt von 68er ist, gehört glaube ich der Vergangenheit an. 

Ist diese Darstellung nicht aber auch ein Problem? Als Rot-Grün 1998 die Regierung übernahm, wurde behauptet, jetzt seien die 68er an die Macht gelangt. 

Zu behaupten, die 68er hätten nichts bewirkt, wäre absoluter Unsinn. Die Forderung nach Demokratisierung und die antiautoritäre Idee waren ein wichtiger Teil der antiautoritären 68er-Bewegung. Ich denke, dass hatte eine große Wirkung. Denn warum soll man denn überhaupt was tun, wenn es sowie nichts bringt. Deutschland ist wirklich anders geworden. Sicherlich sind die augenblicklichen Entwicklungen beunruhigend. Jedoch, man kann Gesellschaften immer ändern, auch zum negativen. 

Als gebürtige US-Amerikanerin, die in den USA lebt - wie siehst du die politische Entwicklung in den USA? Wie könnte Widerstand aussehen? 

In der heutigen weltpolitische Situation, geht es doch nur um Gewalt und Militär. Ich setze auf gewaltlosen Widerstand. Die Gesellschaft in den USA ist schon so kontrolliert, so dass Gruppen, die sich in erster Linie auf Gewalt stützen, sehr schnell zerschlagen werden können. In den Diskussionen in den USA über die Frage, wie man eine Opposition gegen die Einschränkung der Bürgerrechte aufbauen kann, weiß ich von keinem pro-Gewalt Standpunkt. Die Politik der US-Regierung muss auch von Außen bekämpft werden. Der Protest sollte sich jedoch auch gegen die eigene Regierung wenden, in dem Sinne, dass gesagt wird, geht nicht diesen Weg der USA. Die Bewegung von Seattle wurde bis zum 11.9 immer stärker, wir bekamen immer mehr Aufmerksamkeit. Nach dem 11.9 war dann plötzlich alles weg. Die Bewegung hat sich zwar erholt, doch hat sie noch lange nicht die alte Stärke wieder erlangt.  Es sieht so aus, als ob Bush trotz der Irak-Lügen fest im Sattel sitzt. Ich denke, dass die Regierungspropaganda-Maschine gut läuft. Ich befürchte das wenig passiert in den USA, bevor nicht massiver Druck von außen entsteht. 

Die Tagebücher von RD wurden im April veröffentlich. Was ist neues zu erfahren? 

Es gibt einiges Negatives über bestimmte Leute von damals nachzulesen, was man so noch nicht weis. Leider mussten wir einiges rausmachen, wofür wir keinen Beweis hatten, um juristische Probleme zu vermeiden.  Ich denke, man wird durch die Tagebücher  einen besseren Blick auf RD als Person bekommen, insbesondere was er gefühlt hat. Natürlich steht auch viel über seine politischen Überlegungen drin. Wenn man seine Texte gelesen hat, dann wird es zwar keine Überraschungen geben, in den Tagebüchern sind seine politischen Überlegungen jedoch meist einfacher nachzuvollziehen, als das zum Beispiel in seiner Schrift über Lenin möglich ist. Man sollte mit dem Tagebüchern anfangen, um dann mit den theoretischen Texten weiterzumachen. 

Vor kurzem hat Bernd Rabehl ein kleines Büchlein über RD geschrieben. Darin wird behauptet, RD wäre so etwas wie ein nationaler Revolutionäre gewesen. Was hälst du davon?  

Das ist absoluter Unsinn. Der Hauptpunkt der 68er war die antiautoritäre Bewegung. RD war immer Internationalist, Deutschland daher immer nur ein Teil des ganzen. Es ging ihm sehr stark um die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, und nicht um die Idee, Deutschland von den Besatzungsmächten zu befreien. Er war nicht gegen die USA, weil sie die BRD besetzt hielten, sondern weil sie gegen Vietnam Krieg führten. RD hat natürlich über die Frage der Besatzung nachgedacht, dies war jedoch nicht Ausgangspunkt für seine Politik. Sein Ausgangspunkt war eine Politik für die Befreiung der Menschen, die Entfremdung der Menschen aufzulösen. Die Erniedrigten und Beleidigten sollten ihr Leben selbst bestimmen können. Es ging aus von einem humanistischen Gesichtspunkt, und nicht von einem nationalistischen. 

Die Vereinigung von BRD und DDR, wie hätte sich deiner Ansicht nach RD dieser Frage konkret gestellt 1989? 

RD wollte die Vereinigung in einer sozialistischen Gesellschaft. Nun waren 1989 dafür die Bedingungen nicht vorhanden. Er hätte sich sicherlich gefragt, ob unter diesen Umständen, eine Vereinigung für die Menschen vielleicht besser wäre, dann wäre er sicherlich dafür gewesen. Er wäre jedoch ganz sicher dagegen gewesen, dass die ehemalige DDR ausgeplündert wird. Er hätte in einem vereinigten Deutschland für eine eigenständige sozialistische Perspektive gekämpft.

Editorische Anmerkungen:

Das Interview mit Gretchen Dutschke erscheint in der September-Ausgabe der Sozialistischen Zeitung www.soz-plus.de . Es wurde uns zum Vorabdruck von Sascha Kimpel zur Verfügung gestellt.

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