Sonder(bare) Wege
Rezension von Jürgen Elsässers Der deutsche Sonderweg

Von Gerhard Hanloser

7-8/03
 
 
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Wenn etwas klar ist in der politischen Begriffslandschaft, dann ist es der normative Gehalt des Begriffs „Sonderweg“. Es ist unbestritten: deutsche Sonderwege dürfen nicht beschritten werden. Schwieriger ist es jedoch festzustellen, zu welchem Zweck und mit welcher Perspektive vor dem Sonderweg gewarnt wird. So wurde das kriegerische Engagement Deutschlands gegen Restjugoslawien mit „Nie wieder Sonderweg“ durch Rot-Grün legitimiert und führte 1999 zu dem von den USA angeführten Nato-Krieg. Aber auch der Schrödersche Anti-Kriegskurs vor dem Irak-Krieg 2003 wurde beispielsweise von Wolfgang Schäuble in die Tradition eines antiamerikanischen deutschen Sonderwegs gestellt.  

Besonders im Licht dieser jüngsten Verwirrungen, bei denen sich die CDU/CSU als Erben des Antifaschismus darstellt, kommt der Publizist Jürgen Elsässer zu dem Ergebnis, dass der Begriff politisch sinnentleert ist und nur noch rhetorisches Totschlagargument ist. Vor einem deutschen Sonderweg wurde nämlich jedes Mal gewarnt, wenn sich die deutsche Politik zu weit von der US-Politik wegbewegte. „Wer sich heute Amerika verweigert, zündet morgen Synagogen an und marschiert übermorgen in Polen ein“, fasst der ehemalige konkret-Redakteur polemisch die Sonderwegs-Warnung zusammen. 

In besonderem Maße, so Elsässer, zeigt der Sonderwegs-Vorwurf zur Zeit des letzten Golfkrieges wie sinnentleert der Vorwurf ist. Zum einen  hat es kein politisches Ereignis der neueren Geschichte gegeben, bei dem sich Deutschland so sehr im Einklang mit der übrigen Welt befand wie in der Irak-Krise, zum anderen gab es eine schiefe historische Parallele: Hatte Hitler den Völkerbund verlassen, um andere Länder anzugreifen, so pochten nun die Deutschen auf die UN-Entscheidung und die USA probten sich im Alleingang. Des weiteren stand das Bündnis mit Russland und Frankreich, das sich kurze Zeit während der Kriegsvorbereitungen der USA abzeichnete, für eine Absage an den deutschen Sonderweg, der sich historisch immer gegen diese beiden Länder richtete. Ohnehin wäre es eine Premiere, wenn ein deutscher Sonderweg in der Absage an kriegerisches Vorgehen bestehen würde. 

Jürgen Elsässer ist deshalb angetreten, um nachzuzeichnen, dass sich der historische Weg Deutschlands mit seinen Griffen zur Weltmacht in der Vergangenheit gegen Russland und Frankreich richtete – durchaus im Interesse des deutschen Kapitals -  und nicht gegen „den Westen“, wie liberale Sonderwegs-Theoretiker behaupten. Die liberale Sonderwegsthese entlastet das Bürgertum von der Verantwortung für die deutsche Misere, indem sie behauptet, der Mangel an bürgerlicher Kultur und das Fehlen einer „normalen“ Entwicklung zum Kapitalismus sei der Grund für die Kumulation des deutschen Romantizismus im Nationalsozialismus. Elsässer hält prägnant dagegen: „Deutschland ist nicht auf Abwege geraten, weil es zu wenig Kaufleute, Unternehmer und Bankiers gab, sondern zu wenig Revolutionäre“. 

In einer aktuelleren Analyse stellt der freie Publizist dann heraus, dass die deutsche Militarisierung seit Mitte der 90er Jahre und besonders in Form der  Jugoslawien-Kriege in einer deutsch-amerikanischen Liaison vonstatten ging. Von 1989 bis 1991 hat die deutsche Anerkennungspolitik unter Genscher durchaus an die Mitteleuropa-Politik des Deutschen Reiches angeknüpft und ist hierin von den USA toleriert worden. Unter Clinton haben dann die Vereinigten Staaten sich die deutsche Politik zu eigen gemacht, um die Dominanz über die europäischen Prozesse zurückzugewinnen. Trotz zunehmender Differenzen und Spannungen haben Deutsche und Amerikaner in ihrem Krieg gegen Serbien gemeinsam einen Sonderweg gegen die UN, aber auch gegen ihre Verbündeten Frankreich und Großbritannien verfolgt. Für eine friedliche zukünftige Entwicklung steht für Elsässer demnach ein Bruch mit den USA an. Elsässer träumt von einer Achse Paris-Berlin-Moskau als Knoten in einem eurasischen Friedensnetz, das jedoch nur in einer anderen herrschenden Wirtschaftsordnung möglich sei. 

Die Ursachen für die kurzzeitige Disharmonie wegen des US-amerikanischen Irak-Krieges sieht Elsässer im aggressiven Unilateralismus der krisengebeutelten USA, die auf einen Rüstungskeynesianismus setzen, und in unterschiedlichen ökonomischen Interessen am Golf, wo Deutschland nach Handelspartnern sucht und sich die USA in einem Containment gegen den Irak und den Iran versuchen. Die Disharmonie sei jedoch wieder am verklingen, schon allein wegen der steigenden Exportabhängigkeit Deutschlands von den USA, so Elsässers Diagnose – und tatsächlich zeigte sich rasch nach dem scheinbar schnell gewonnenen Sieg der USA im Irak ein Aufeinander-Zugehen der politischen Klasse in den Vereinigten Staaten und Deutschland. 

Während antideutsch inspirierte Publizisten aufgrund ihrer ideengeschichtlichen Fixierung einen „Antagonismus“ zwischen Deutschland und Amerika auszumachen meinen, kommt Elsässer aufgrund einer realhistorischen und ökonomischen Analyse zu einem weit treffenderen Ergebnis: es gibt ein Konkurrenzverhältnis, aber mehr noch ein Zwang zur Kooperation der führenden westlichen Industrienationen. 

Das Buch bietet keine neuen Erkenntnisse, aber einen guten Überblick über den historischen Hintergrund des deutschen Militarismus und Interventionismus. Doch die Schrift hat auch einen deutlichen Subtext: es ist eine Abrechnung mit der antideutschen Linken, deren Wortführer Elsässer in den 90er Jahren war: Verteidigung eines wie auch immer gearteten „westlichen Prinzips“, Zerhackstücken linker Essentials, alarmistische Warnungen vor einem neuen „4.Reich“ – das war damals auch Elsässers Sache. Die antideutsche Linke hat sich nun jedoch in aller Deutlichkeit durch ihre Apologetik des Irak-Krieges als ununterscheidbar zu den rechten USA-Freunden der Union gezeigt. Elsässer verfolgt diese Verwirrung zurück bis zum Golfkrieg 1991, für den er feststellt: „Dass die Renaissance des Militarismus nicht preußisch-deutsch daherkam, sondern sich als Schulterschluss mit den USA verkleidete, überforderte die Linke im neuvereinigten Deutschland“ – damit dürfte Elsässers ehemalige Geldgeberin, die antideutsch orientierte Monatszeitschrift konkret, gemeint sein. 

So ist das Buch zugleich Dokument eines Lernprozesses, der jedoch in neuen Beschränkungen stecken bleibt. Der frühere antideutsche Propagandist, der sich in zynischem Tabubruch gefiel, präsentiert sich heute als ideeller Gesamt-Linker mit populistischem Einschlag: Mit Kritik an der bürgerlichen und zu großen Teilen Europa-seeligen Friedensbewegung wird nun gespart und manche Sätze könnten aus einer friedensbewegten Ansprache stammen, wie die rhetorische Frage: „Aber müssen wir, die Bürgerinnen und Bürger“ als Preis für die grenzenlose Exportorientierung „in ständiger Kriegsangst leben?“.

Realpolitiker ist Elsässer geblieben. Definiert er sich nun als Staatsbürger, so ist dies ein Indiz dafür, dass der Publizist die Ebene des Staates nicht verlassen kann. Nur so lässt sich der reichlich idealistische Vorschlag einer entmilitarisierten Achse Frankreich-Russland-Deutschland erklären, ausgerechnet in Zeiten der EU-Militarisierung und einem verschärften Angriff auf das Einkommen der unteren Klassen. Nationalgrenzen und Kriegsdrohung lassen sich eben nicht zugunsten von „Achsen“ auflösen, sondern über das Aufkündigen des mal repressiv mal integrativ wirkenden Herrschaft des Staates, der das „Unten“ und das „Oben“ der Gesellschaft zusammenhält. 

Jürgen Elsässer, Der deutsche Sonderweg. Historische Last und politische Herausforderung, Kreuzlingen/München 2003

 Eine gekürzte Fassung dieser Rezension erscheint in der iz3w Nr.271

Editorische Anmerkungen:

Der Autor  stellte uns diesen Artikel zur Veröffentlichung zur Verfügung. Im trend wurden bisher von Gerhard Hanloser folgende Artikel veröffentlicht: