Moralische Rituale und schlechte Krämer
Helge Meves 
zu „Wie kann die PDS Glaubwürdigkeit bewahren?“ (ND vom 31.5.) 

7-8/02
 

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Vor dem Rostocker Parteitag der PDS machte noch der Satz vom „Glaubwürdigkeitsvorsprung der PDS“ die Runde. Wer sich jetzt darauf beruft, kann nicht einmal mehr beanspruchen, gute Laune verbreiten zu wollen. In der von der PDS in Auftrag gegebenen Umfrage des Berliner Info-Institut wird konstatiert, dass nur 3 % der Wähler die PDS für glaubwürdig halten. [Im Vergleich mit den anderen Bundestagsparteien ist das der schlechteste aller Werte („Tagesspiegel“ vom 17.05.02)]. Die PDS wird dieser Momentaufnahme etwas entgegensetzen müssen: weder wird freudig gewählt, wer unglaubwürdig ist; noch erleichtert Unglaubwürdigkeit die Vernetzung mit den sozialen Bewegungen, weil diese weitgehend moralische Koalitionen sind. 

Die Glaubwürdigkeit von Parteien misst man an deren Programmatik, der politischen Praxis, den Personen und schließlich der Art der Inszenierung in der Medienlandschaft. [Genau genommen müsste man sogar alle Aspekte gemeinsam und bei der PDS extra ihre ostdeutsche Geschichte als SED berücksichtigen.] Zum Brauch ist es aber geworden, dass Glaubwürdigkeit an Personen festgemacht wird. Wer sich für theoretische Diskussionen weniger interessiert, wem die politische Praxis zu undurchsichtig ist oder wer sich mit der Medienlandschaft nicht beschäftigt, hat doch meist eine Meinung zu Personen. Diese Meinungen sind direkter und persönlicher – aber eben auch nur ein Teil der Ganzen. Wenn über Personen die Politik vergessen wird, wird nicht mehr um politische Glaubwürdigkeit gestritten, sondern ein moralisches Ritual zelebriert. 

Glaubwürdig ist, wem man Vertrauen kann. Man vertraut darauf, dass sie oder er das macht, was versprochen wurde. Oder man vertraut darauf, dass das getan wird, was man selbst erwartet. Diese Erwartungen an die PDS sind so verschieden, wie die Sozialismusvorstellungen, die sie vereint. Aus der Programmdebatte sind die Differenzen in den Sozialismusvorstellungen bekannt. In der Tagespolitik wirken sie nach. Auch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit wird um das gestritten, was in der Strategie offen ist. 

Glaubwürdigkeit, heißt es zuweilen, kann man nur in der Regierung, nicht aber in der Opposition verlieren. Sahra Wagenknecht etwa [(„Junge Welt“ vom 07.01.02) ] kritisiert, dass der Berliner Koalitionsvertrag nicht das Parteiprogramm der PDS umsetzt, so als ob beides dasselbe sei. [Nicht inkonsequent schlussfolgert sie: „Wenn die schlimmsten Sauereien anstehen, nimmt man gern die Linke mit ins Boot und schlägt so zwei Fliegen mit einer Klappe: Gegenbewegungen werden geschwächt und bleiben alleingelassen; außerdem ruiniert die Linke ihre Glaubwürdigkeit und fällt so auch für die Zukunft als Störfaktor aus.“] Gegenüber stehen sich damit bei Ihr ein „Druck durch eine parlamentarische und außerparlamentarische Opposition“ und „ministerielle Kungelrunden“. So reduziert sie politische Handlungsmöglichkeiten auf eine zweifelhafte Alternative: Glaubwürdigkeit gewinnt man durch Verweigerung und verliert man durch Anpassung. Dabei entspricht die Unbedingtheit dieser Forderung der Naivität der Voraussetzung: als ob man Glaubwürdigkeit nicht auch als Opposition verlieren könnte und in den vielstimmigen Bündnissen außerhalb der Parlamente weniger verhandelt würde, wenn es z. B. um die Durchsetzung der verschiedenen Interessen der Beteiligten geht. Bündnisunfähigkeit, egal ob innerhalb oder außerhalb der Parlamente, ist in einer pluralistischen Gesellschaft Politikunfähigkeit. 
Von der PDS ist in den Bündnissen zu verlangen, was sie versprochen hat. Gemessen werden soll sie auch daran, wie sie sich ergebende Chancen nutzt. Zu berücksichtigen ist aber, dass die PDS erst in den Bundesländern mehrheitsfähig geworden ist, wo alle anderen bereits versagt haben. Maßstab ist, ob die Problemlösungen der PDS besser sind, als die der anderen politischen Parteien und Bewegungen. Besser meint hier, ob sie ein Mehr an Frieden, Freiheiten und sozialen Gerechtigkeiten erreichen. Ist dieses Mehr nicht möglich, ist die Oppositionsrolle der angemessene Platz. Opportunismus beginnt, wenn koaliert wird, ohne die besseren Problemlösungen durchzusetzen. Infiziert sich Realpolitik mit Opportunismus, ist die schwindende Glaubwürdigkeit noch der geringste Verlust.

Glaubwürdigkeit kann auch verloren werden, wenn nicht mit- sondern übereinander hinweg kommuniziert wird. Auf dem Rostocker Parteitag etwa wurde ein breitester Konsens darüber bestätigt, dass die PDS in Opposition zur gegenwärtigen Regierungspolitik steht, weil die Differenzen auf den zentralen Politikfeldern unüberbrückbar sind. Helmut Holter dagegen meinte am selben Wochenende, dass man sich für eine Koalition auf Bundesebene vorbereiten müsse, wenn es die rechnerische Möglichkeit gäbe und weil „Kompromissmöglichkeiten mit SPD und Grünen auch in der Außenpolitik“ vorhanden wären. Aber nicht etwa auf dem Parteitag konnte dieser offensichtliche Dissens diskutiert werden, sondern zum Frühstück am nächsten Morgen durfte man das lesen [(„Berliner Zeitung“ vom 18.03.02) ] . Eine derartige Kommunikationspolitik brüskiert [nur]. Und überhaupt: man ist für alle Wähler unglaubwürdig, wenn man sich im Wahlkampf als „Oppositionspartei“ präsentiert [(„Die Welt“ vom 30.04.02) ] , aber gleichzeitig für den Tag danach auf „alle Optionen“ einer Mitte-Links-Regierung vorbereitet [(„Die Welt“ vom 18.06.02) ]. Fraglos repräsentieren Repräsentanten nicht nur und sollen sie eigene Positionen vertreten können. Und sicher werden die Stimmen in der Wahlurne nur gezählt und nicht gewogen. Rechnet Politik aber, schlechten Krämern gleich, statt mit besseren Problemlösungen nur mit einem parlamentarischen Mehr oder Weniger, wird sie allemal eine politische Rechnung präsentiert bekommt. 

[nach „Neues Deutschland“ vom 27.06.2002, Seite 16. Die Stellen in eckigen Klammern [...] wurden redaktionell gekürzt und wurden wie die Links für die Trend-Online-Veröffentlichung ergänzt]


Editorische Anmerkungen:

Der Autor schickte uns am 31.7.2002 diesen Artikel mit der Bitte um Veröffentlichung.