Probleme der Linken  (TEIL III)
Die "Interim" & Israel
Eine Text-Auswahl aus der Interim 554

7-8/02
 

trend
onlinezeitung

Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin
Nachdem es in der Nr. 550 & 551 der  INTERIM, dem Verlautbarungsorgans der (west)berliner Autonomen, zu Kontroversen über die Parteinahme gegen Antisemitismus und die Behandlung der Nahostfrage gekommen war, dokumentierte der trend 6/02 die wichtigsten Artikel. Dann schien erstmal Schluss mit dem Austausch von Standpunkten. In der am 18.7.2002 erschienenen INTERIM Nr. 554 wurde die Debatte nun sogar als "Schwerpunkt" der Ausgabe wieder aufgenommen. Dazu hieß es im Vorwort:
 

Hallo !

In den letzten Wochen erreichten uns diverse Texte zur deutschen innerlinken Diskussion um den Palästina-Israel Konflikt. Indymedia Germany hat in einer Stellungnahme vom 6.Juni begründet, warum sie für die derzeitige Diskussion der „innerlinken Szene-Pseudodebatte über Antisemitismus" kein Forum bieten wird. Auch wir finden die Art und Weise wie diese Diskussion von Bahamas-Deutscher Seite und ihrem Umfeld gepusht wird und wie der Antisemitismus zum alleinigen Widerspruch erkoren wird alles andere als geeignet dem Antisemitismus in der BRD etwas entgegenzusetzen. Aber darum geht es einigen offensichtlich nicht, sondern es geht mal wieder um Recht und Haben. Moshe Zuckermann hat bei einer Diskussionsveranstaltung des IZ3W folgende unserer Meinung nach sehr treffende Einschätzung zur innerlinken deutschen Diskussion um Antisemitismus abgegeben:

„ Aber ich bin jedes mal erstaunt wenn ich zu Vorträgen eingeladen werde, dass dort Diadochen-Kämpfe zwischen irgendwelchen Strömungen ausgetragen werden und ich dann immer versuchen muss, darauf zu pochen, dass wir auch über den Nahen Osten reden könnten ... An zwei polaren Punkten würde ich also Kritik äussern: Auf der einen Seite ist es Idiotie, wenn man abstrakt das Existenzrecht Israels wegdiskutiert. Begriffe wie Imperialismus, Zionismus und Rassismus werden da häufig sehr schnell vermengt und dann stellt sich heraus, dass Israel eigentlich kein Existenzrecht habe. Auf der anderen Seite tut man Israel auch mit einer unbedingten und fast schon mechanischen Solidarität um Jeden Preis keinen Gefallen. Ich habe das Gefühl, dass beides eher mit deutschen Befindlichkeiten zu tun hat als mit der nahöstlichen Realität. Also: Ihr Problem hier ist ein Problem, dass wir als ihr Problem hier debattieren können. Aber die Realität im Nahen Osten verlangt, dass sie Maßstab der Betrachtung ist und nicht projizierte Befindlichkeiten."

Den 50 Seifigen Dokumentationsreader zu der Veranstaltung könnt ihr für 4 Euro (inkl. Porto) beim IZ3W, Postfach 5328, 79020 Freiburg bestellen.

Aus unserem Selbstverständnis heraus werden wir der Debatte auch weiterhin einen Platz in der Interim einräumen, in dieser Ausgabe sogar mit einem eigenen Schwerpunkt und einem innerhalb des Interim Projektes erarbeiteten Textes. Für die Veröffentlichung der eingeschickten Texte haben wir einige Ansprüche: Vorwürfe auch der des Antisemitismus müssen genauestens belegt werden, die eigene Position darf nicht als die einzig akzeptable betrachtet werden und der Grundton der Kritik an anderen soll solidarisch bleiben. Das wir keine antisemitischen oder rassistischen Texte abdrucken werden oder solche die das Existenzrechts Israels in irgendeiner Form in Frage stellen finden wir dabei selbstverständlich.

Wenn Ihr uns Texte schickt dann müssen die bis spätestens Montag 17.00 Uhr bei uns im Briefkasten sein die nächste Ausgabe Nr. 555 erscheint aber erst nach unserer Sommerpause am 29.August. Texte auf Disketten bitte nicht im Microsoft Word „doc"- Format, da in diesem Format nicht nur hässliche Viren sondern auch umfangreiche Informationen über die Autorinnen in der Textdatei mit abgespeichert werden. Also am liebsten im .txt Format und auf jeden Fall auch als Ausdruck, da nicht alle Redaktionen die Möglichkeit haben mit einem Computer zu arbeiten.

Einen widerständigen Sommer, ob in Berlin, den politischen Zeltplätzen oder wo ihr euch auch tummelt wünscht euch eure Interim Redaktion 554

Die trend-(Ferien-)Redaktion hat sich daraufhin spontan entschieden, folgende Artikel per OCR-Scan ins Internet zu bringen:

  • Plattform-Papier der Interim-Mehrheit
  • Das Problem ist Antisemitismus Il (Red. der Nr. 550)
  • Solidarität mit allen Nationalstaaten auf der Welt?

    Der Artikel "Solidarität mit Israel!", der ebenfalls zu Schwerpunkt der Nr. 554 gehört, stammt bereits aus dem Internet.

Surf-Hinweis!  http://www.antisemitismusstreit.tk/  

Plattform-Papier der Interim-Mehrheit
(mit Minderheits-Votum im Anhang)

In der Nummer 551 war bereits nachzulesen, daß der Israel-Titel aus der Vornummer im Projekt alles andere als Konsens ist und war. Ein Nationalstaatensymbol auf einer Titelseite lehnen die meisten ab. Eine einseitige Positionsbeziehung zugunsten Israels im Konflikt zwischen Israel und Palästina ist nicht unsere durchgängige Haltung. Die gemeinsame Position dieses Projekts war das sicher nicht. Auch wenn wir klargestellt haben, daß das Ausfalten einer Ausgabe rein technischen Problemen geschuldet war. Wir hoffen, an diesem Konflikt nicht auseinanderzubrechen. Es sieht nicht so aus, als ob dies geschehen würde. Aber es kostet uns einige Mühe, unsere konträren Positionen gemeinsam auszuhalten. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine Plattform als Grundlage gegen Antisemitismus aber auch in der Positionierung zum Nahost-Konflikt zu formulieren, die unsere gemeinsame Position im Konflikt um den antisemitischen Aufwind darstellt. Eine Grundlage eines Projekts, das zu seiner Forums-idee steht: Wir bilden Diskussionen ab, wir ergreifen auch Partei, bleiben aber im Rahmen linksradikaler anti-diskriminierender Positionen offen. Linksradikal heißt für uns auch weiterhin das gemeinsame Suchen von Konfliktlinien in der Gesellschaft und der Versuch, unsere Kritik an den Herrschaftsverhältnissen auch praktisch umzusetzen.

Wir haben uns nicht nur aus internen Gründen gemüht, die Plattform zu formulieren. Wir haben zu der Frage, inwieweit linke Positionen und aktuelle linke Praxis antisemitisch sind, insbesondere auch deshalb Diskussionsbedarf, weit wir den Eindruck haben die Diskussion wird derzeit eher behindert als geführt. Wir sehen das als relevante Gefahr für die Verständigung der Unken an. Deshalb wollen wir hier einige Worte dazu sagen, vor welchem Hintergrund unseres Erachtens die Debatte angesehen werden sollte. Wir nehmen für uns nicht in Anspruch, eine theoretisch umfassende Debatte über Antisemitismus führen zu wollen. Wir versuchen angesichts der tätlichen Auseinandersetzungen die aktuellen Rahmenbedingungen der Debatte zu skizzieren. In der Hoffnung, damit die Debatte zwar vielleicht nicht inhaltlich zu bereichern, aber vielleicht sie dafür doch zu befördern.

Nach dem 11. September sehen wir uns als Linke verstärkt mit Legitimierungszwängen konfrontiert - sich selbst angesichts der objektiven Veränderungen und angesichts der der Linken zugeschriebenen Position zu behaupten. Diese Krise erfaßt natürlich nicht nur die deutsche Linke. Die in der Öffentlichkeit dargestellte Verbindung des 11. September mit dem Nahostkonflikt wurde verstärkt auch von antisemitischen Argumentationen genutzt. Die deutsche Linke - in Verantwortung für die deutsche Geschichte - darf sich dem nicht entziehen und muß sich auch weiterhin konsequent gegen Antisemitismus in der BRD stellen. Daß der Krieg in Israel/Palästina und damit die Auseinandersetzung um den Antisemitismus von den Auswirkungen des 11. September durch die öffentliche Diskussion nicht zu trennen sind, erfahren wir täglich in der praktischen politischen Auseinandersetzung.

Der Ost-West-Dualismus und seine tendenzielle Auflösung hat schon Anfang der 90er Jahre die Linke geschwächt. Die Ablösung dieses Dualismus durch einen neuen: die westliche Welt unter Führung der USA gegen die islamische Welt, versetzt die Linke in eine noch viel schwierigere Position. Im Kampf gegen die kapitalistische Vorherrschaftwerden wir diesmal nicht mehr als fünfte Kolonne Moskaus dargestellt, sondern als der verlängerte Arm des mörderischen und unterdrückerischen Islamismus.

Selbstverständlich gibt es einen Weg zwischen eurozentristischer Weltmachthörigkeit und fundamentalistischen Mordkommandos. Der auf vielen verschiedenen Ebenen, an vielen verschiedenen inhaltlichen Punkten und gegen die unterschiedlichsten Unterdrückungsformen geführte Kampf gegen die kapitalistische Globalisierung zeigt, daß wir einen ganz anderen Weg gehen und gehen können. In dieser von vielen Ländern ausgeführten Form des Widerstands können wir emanzipatorische Formen entwickeln, die sich dem Kampf zwischen den scheinbaren Polen Gut und Böse entziehen - weil linksradikale Kriterien entscheiden, wofür oder wogegen wir uns entscheiden.

Kaum relevante Kreise der Linken stellen also heute einen positiven Bezug zu den Islamisten her. Dennoch wird der Linken dieser Bezug unterstellt. Wer nicht für uns ist, steht gegen uns, heißt die Devise im Kreuzzug gegen das Böse, das die westliche Welt heute in islamischen Ländern wie Afghanistan und im Iran, aber auch im Irak oder in Nordkorea wähnt. Wer den Krieg nicht unterstützt - so heißt die schlichte Wahrheit - steht auf der Seite der Mörder vom 11. September.
Dazu kommt der vielleicht auch nur scheinbare Zusammenhang im Kampf gegen das kapitalistische System. Dieser Kampf wird auch den Fundamentalisten unterstellt - und der fundamentalistische Kampf speist sich ja tatsächlich aus einem antimodemen und damit antikapitalistischen Reflex. Die Parallelen werden sogleich als Beleg für die Gemeinsamkeit herangezogen. Es gibt keine Gemeinsamkeit - und doch wird der Unken immer wieder die herrschende Feindbild-Logik aufgezwungen und viele von uns geraten in eine permanente Distanzierungsfalle.

Das kommt altes seht theoretisch daher, hat aber eine sehr praktische Auswirkung. Da der 11. September im herrschenden Diskurs mit dem Krieg in Israel/Palästina verknüpft wird und dabei zum Teil antisemitische Stereotypen einfließen, ist auch in Teilen der Linken der Kurzschluß entstanden, die Distanzierung gegen Antisemitismus auf eine Distanzierung von Kritik an der israelischen Politik auszuweiten. In diesen Positionen wurde die Feindbildlogik, das Gut-Böse-Schema auf die linksradikale Politik übertragen und führte zu absurden Parteinahmen für den US-Krieg in Afghanistan, die Antiterrorallianzen und die Militärpolitik Israels. Solche Verkürzungen verhindern nicht nur eine notwendige Auseinandersetzung mit Antisemitismus, sondern blockieren auch in anderen Bereichen eine linksradikale Politik. Wir werden uns auch weiterhin gegen die Weltordnungspolitik und deutsches Großmachtstreben stellen. Eine Demonstration gegen die amerikanische Kriegspolitik ist nicht antisemitisch, selbst wenn Antisemiten auch gegen diese Kriegspolitik protestieren.

Distanzierung von antisemitischen Mustern und Handlungen sehen wir als eine der Grundlagen linksradikater Politik in der Bundesrepublik. Kritik an israelischer Kriegspolitik jedoch - unter Reflexion der mißbräuchlichen Verwendung durch Antisemitinnen - gehört ebenfalls in die Politik der deutschen radikalen Linken. Gleichzusetzen mit Antisemitismus ist das nicht. Auch wenn der positive Bezug auf einen palästinensischen Befreiungskampf angesichts des Erstarkens von Gruppen wie Hamas oder islamischer Dschihad und dem schwindenden Einfluß fortschrittlicher Kräfte bei den Palästinenserinnen sehr viel schwieriger geworden ist.

Das bringt die deutsche Linke notwendigerweise in einen nicht lösbaren Konflikt. Distanzierung von jedwedem Antisemitismus muß eine Grundhaltung jeder Linken sein. Trotz der öffentlichen Debatte, ist es übrigens so, daß für die überwältigende Mehrheit der radikalen Linken diese Grundhaltung nach wie vor gilt. Nur ist es eben so, daß die meisten sich in den Streit nicht einmischen.

Die aktuelle Auseinandersetzung in der Linken wird geführt um einen nicht lösbaren Konflikt - der interne Konflikt bleibt aber nur unlösbar, wenn er entlang einer rein moralischen (auch noch nationalstaatlich sortierten) Frage ausgetragen wird. Das zu betonen, ist unser Hauptanliegen.
Wir verstehend uns als Linksradikale und halten wir an bestimmten Positionen fest:
Antisemitismus ist für uns nicht diskutabel, ebenso wenig wie Rassismus, Faschismus, Sexismus, kapitalistische Ausbeutung, Krieg oder deutsches Großmachtstreben. Hinter diese Grundaufassung werden wir nicht zurückgehen.

Was aber ein sich wiederholendes Übel bei solchen Debatten ist, ist die absolute Hierarchisierung der Widersprüche. Es gibt auch andere Konfliktlinien als die des Antisemitismus. Hinter diesem als Hauptwiderspruch proklamierten Widerspruch können wir nicht alle anderen Widersprüche negieren. Nach wie vor sollte für uns entscheidend sein, welches Unterdrückungsverhältnis real herrscht - das dürfte bei der Frage der palästinensischen Gebiete nicht schwer zu entziffern sein. Wir lehnen den mörderischen Rassismus auf beiden Seiten der israelisch-palästinensischen Grenzen ab, und denken nicht daran die ethnische Sortierung - also Rassismus pur - in unserer Solidarität nachzuvolIziehen.

Uri Avnery, der israelische Friedensaktivist hat vergangene Woche in aller Banalität formuliert: "Kein Mensch in der Welt braucht zwischen Israel und Palästina zu wählen. Man kann - man muß für beide sein." Wir sind sehr wohl der Meinung, im Gegensatz zu einer Einzelredaktion, daß wir uns positiv auf israelische Friedensaktivisten beziehen können. Vielmehr: wir müssen. Die Linke bezieht sich nicht auf Nationalstaaten oder deren Symbole. Die Unke bezieht sich auf die fortschrittlichen Kräfte bei Israelis und Palästinensern. Unsere Aufgabe ist es nicht, Realpolitik zu betreiben, sondern fortschrittliche Kräfte in irgendeiner Form zu unterstützen; Und sowohl reaktionäre Kräfte der Fundamentalisten als auch das Machtsystem des israelischen Militärs zählen sicher nicht zu dem Teil der Welt, der für Emanzipation und Gerechtigkeit kämpft. Das Avnery-Zitat wischt noch nicht den Konflikt um den Antisemitismus beiseite. Aber es unterstützt unseren Appell, Widersprüche im Denken zuzulassen, gerade wenn sie nicht auflösbar sind.
Wir wollen hier weder einen Standpunkt zum Islamismus, noch zum palästinensischen Kampf entwickeln. Wir lehnen den Krieg gegen Afghanistan ab - hinter diese Position werden wir nicht zurücktreten. Und bei aller Kritik an der Regierung Scharon wollen wir uns kein Urteil darüber anmaßen, in wie weit der Krieg Israels gegen die Palästinenser auch ein präventiver Verteidigungskrieg ist.

Die Wahrnehmung, ja die Situation der Juden und Jüdinnen »n dieser Welt ist eine andere, muß sie historisch sein. Wir können diese Ängste nicht vom Tisch wischen. Deshalb wollen wir die Debatte, die Juden, Jüdinnen und viele Anti-Antisemiten (entschuldigt das Wort) führen - ob die Existenz Israels tatsächlich gefährdet ist - ebenso wenig vom Tisch wischen. Einige in der Unken tun dies etwas zu leichtfertig.

Wie aber die reale Situation in Israel/Palästina aussieht, können wir nicht abschließend beurteilen. Zensur und Propaganda auf beiden Seiten verunmöglichen eine unverzerrte Wahrnehmung. Israels Militär zerstört jegliche Infrastruktur, auf Grundlage derer friedliche Palästinenser ihre Gesellschaft aufbauen könnten. Das Militär führt Selektionen durch und übt so die absolute Herrschaft aus. Die israelische Siedlungspolitik ist eine klassische Machtpolitik, mit dem Ziel, jegliche Fähigkeit zur Koexistenz zu zerstören. Palästinensische Selbstmordattentäterinnen dagegen gefährden fast die gesamte Bevölkerung, sie verbreiten Angst und Schrecken und tragen so zur politischen Lähmung und militärische Aufrüstung Israels nciht unwesentlich bei. Allein dieser Terror erschwert ebenfalls jegliche Koexistenz. Die korrupte und durch die Zerstörungen kaum handlungsfähige Autonomie-Behörde verfolgt eine Politik des Machterhalts und steht sowohl den Sicherheitsbedürfnissen der Menschen in Israel als auch einer Befreiung der Palästinenserinnen selbst im Wege. Die schwer einschätzbare Haltung der umgebenden arabischen Staaten gefährdet zumindest potenziell die Existenz des Staates Israel - auch wenn Israels militärische Stärke und der Schutz der westlichen Welt die Existenz wiederum garantieren.

Wir haben gleich zu Beginn formuliert, daß wir uns weder an einzelnen Positionen detailliert abarbeiten wollen, noch eine umfassende Antwort auf den Krieg in Israel/Palästina geben können. Feststellen aber wollen wir vor allem eines: Mit dem Feldzug gegen die Achse des Bösen droht das, was nicht schwarz oder weiß sein will, aus dem politischen Diskurs weltweit zu verschwinden. Differenzierte Haltung ist nicht mehr gefragt. Offenbar nicht einmal mehr in dem Teil der Linken, der lautstark debattiert. Der Streit um den Antisemitismus belegt das unseres Erachtens. Es kann nicht sein, daß man sich für Palästina oder für Israel entscheiden muß. Es kann nicht sein, daß ich wegen meiner Ablehnung des Antisemitismus auch für den Feldzug der USA sein muß.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir wollen hier keinem postmodemem Allerlei das Wort reden. Wir wollen nicht als pseudoneutrale Menschenfreunde im ehemals grünen Sinne für Differenzierung kämpfen. Wir wollen uns auch nicht vor einer Positionierung drücken und ein klassisches Sowohl-als-auch in die Welt setzen. Die Linke muß sich aus dem dualistischen Schema lösen und nach eigenen politischen Kriterien den Konflikt bewerten. Gegen Antisemtisch sicher, aber auch anti-rassistisch, gegen Militärische Machtpolitik, gegen geostrategische Imperialismuspolitik der alten wie der neuen Schule, gegen reaktionäre Bewegungen. Für eine Politik, die auf die Emanzipation und die Rechte der Menschen, nicht der Staaten, gerichtet ist.

Dazu die Interim-Redaktion der Nr. 550

Wir teilen die hier vertretenen Meinungen nicht. Dies wird in unseren Texten "Das Problem ist Antisemitismus l" (Nr. 550) und "Das Problem ist Antisemitismus II" deutlich.

Im letztgenannten Text legen wir auch dar, daß wir das Erarbeiten eines inhaltlichen Kompromisses nicht als Voraussetzung für ein gemeinsames Agieren betrachten, da wir nicht immer mit allen bei allen Themen einer Meinung sein müssen, um mit ihnen Politik machen zu können. Unser Wille an einer Zusammenarbeit ist unverändert

Vorbemerkungen:

Die Interim-Ausgabe Nr.550 hat (in der Nr.551 erkennbar) einige Aufregung ausgelöst. Sowohl die Titelseite (Israelfahne) als auch der längere Text zur Erklärung dieser Titelseite stieß, wie zu erwarten, auf Widerspruch. Was wir nicht erwartet hatten und was uns erschreckt hat war, dass die Redaktion der Nr.551 die Möglichkeit einer Trennung in Erwägung gezogen hat. Das war und ist keinstenfalls in unserem Interesse. Deshalb wollen wir dieses Papier auch als Ausdruck unseres unveränderten Willens zu einer weiteren Zusammenarbeit verstanden wissen. Wir finden es sehr unglücklich, dass die Probleme bei der internen Vermittlung im Vorfeld den Eindruck einer Diskussionsverweigerung hervorgerufen haben.

Ebenso wie die "Minderheit der Redaktion Nr.551" sind wir erfreut, dass die bisher in der Interim geführte Debatte bislang kaum platte Statements in nennenswerter Zahl aufweist. Im folgenden Text haben wir versucht, möglichst viele der in der Interim Nr.551 geäußerten Kritikpunkte an unserer Nr.550 zu berücksichtigen.

Zuvor wollen wir aber noch einige Worte an "Einige von Indymedia Germany" richten. In eurer Stellungnahme1 heißt es: "Mit erstaunlicher Energie versuchen einzelne Teile der 'Antideutschen' - insgesamt sehr wenige Personen - alles ihnen nicht Genehme anzugreifen und zu zerstören." Ihr behauptet, dass die Interim Nr.550 von einer "antideutschen Gruppe" gestaltet worden sei und betrachtet jene Ausgabe und den "Versuch, Teile davon bei Indymedia zu posten" als Teil "einer
antideutschen' Kampagne, linke politische Strukturen - inklusive unseres eigenen Projektes - zu zerstören", der ihr keine "Aktionsmöglichkeiten" bieten wollt. Dazu möchten wir euch folgendes sagen: Wir haben euch nicht den Gefallen getan, uns für euch in die Schublade "antideutsch" zu legen und werden uns auch in Zukunft hüten, es euch so einfach zu machen. Eine entsprechende Selbstbezeichnung war bei uns nie Thema, wir haben versucht, den Schwerpunkt auf die inhaltliche Argumentation zu legen und den festen Mustern, in denen sich dieser innerlinke Konflikt bewegt, ein Stück weit zu entkommen Eine entsprechende Selbstbezeichnung bzw. ein entsprechendes Selbstverständnis von uns würde eure Zensur und eure wilden Verschwörungstheorien aber selbstverständlich auch nicht rechtfertigen. Nun aber zu unserem Text.

Das Problem ist Antisemitismus II

zum Vorgehen:
Wir werden nacheinander auf die Texte "Es geht um mehr!", "Badesaison" und "Lasst euren ideologisch linkischen Diskurs nicht an dem Thema Palästina aus!" aus der Ausgabe Nr.551 eingehen, jeweils an passenden Stellen werden wir Verknüpfungen zu weiteren Texten herstellen.

"Es geht um mehr" von einigen aus verschiedenen Gruppen, die an der Interim beteiligt sind

Ihr schreibt, dass wir angekündigt hätten, "den Nahost-Konflikt außen vor zu lassen", dass unsere Argumentation aber dennoch "ganz wesentlich auf Behauptungen über Palästina/Israel" aufbaue.

Das tut sie nur in dem Maße. in dem die "Situation im Nahen Osten" für den Diskurs in Deutschland eine Rolle spielt. Da aber unserer Meinung nach "Kritik-an-lsrael-üben zur Zeit die Art ist, mit der sich Antisemitismus in Deutschland äußert und verbreitet" , ist eine umfangreichere Bezugnahme auf die Hintergründe des "Konflikts" für uns unumgehbar. Wenn in Deutschland "Solidarität mit Palästina" geübt wird, ist auch eine Einschätzung der (momentanen) Verfasstheit der palästinensischen Gesellschaft und der politischen Ausrichtung der "Objekte" dieser Solidarität nötig. Dabei stoßen wir auf den in der palästinensischen und den arabischen Gesellschaften massiv vorhandenen Antisemitismus Ihr setzt in eurem Text dagegen, dass dieser Antisemitismus lediglich eine Art Kriegsrassismus sei, der nur vorübergehend Bedeutung haben werde und zudem nur ein Import aus Europa sei. Ähnliches äußern Einige Berliner Palästinenserinnen. Antisemitismus lässt sich aber nicht nur als Rassismus erklären, sondern muss zumindest immer auch ökonomisch betrachtet werden Anschaulich dargestellt wird dieser Aspekt von einer antideutschen Gruppe (diesmal tatsächlich), die wir hier zitieren wollen:

"Der Kapitalismus, die totale Wertvergesellschaftung, ist eine 'Gesellschaftsformation, worin der Produktionsprozeß. die Menschen bemeistert' (Marx), ohne dass es diesen bewußt ist, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse also nicht dem subjektiven Willen und bewussten Handeln der Menschen entspringen. Vielmehr können diese nur versuchen, sich den von den blind wirkenden Gesetzen der Wertverwertung gesetzten Anforderungen anzupassen, was aber keineswegs die Garantie auch nur für das nackte Überleben des Individuums, des Unternehmens oder des Staates zur Folge hat Weil für das Subjekt die Allgemeinheit der Warenförmigkeit und der Konkurrenz nicht sinnlich erkennbar ist, sondern immer nur ihre zumeist negativen Ergebnisse gespürt werden, in Form von Zwang, Angst. Gewalt und Entfremdung, spinnt der an der undurchschauten Realität verzweifelnde Verstand sich wahnhafte Grunde für die ständigen Zumutungen zusammen. Für das immer wieder erlebte Gefühl, ferngesteuert zu werden, ständig zu Handlungen gezwungen zu werden. die man freiwillig nicht tun würde, muß dann einer erfunden werden, der die Fernsteuerung bedient. Das falsche Bewußtsein, die bürgerliche Ideologie, kann die Folgen der kapitalistischen Gesellschaft stets nur als Ergebnis bewußter Handlungen von Menschen wahrnehmen. Nicht die Verhältnisse, sondern ihr phantasierter Mißbrauch durch habgierige Individuen oder unheimliche Mächte sind dem paranoiden Bürger Ursache all der negativen Folgen seiner eigenen Gesellschaft. All die zumeist verheerenden Auswirkungen dieser Gesellschaftsform liegen dann logischerweise nicht in der kapitalistischen Produktionsweise, der Zwangsgemeinschaft des nationalen Kollektivs, der Herrschaft von Staat und Recht über den Einzelnen, sondern in dem Fehlverhalten einzelner, die dem rechtschaffenden Bürger, dem arbeitendem Volk und der Ordnung im Allgemeinen nur Böses wollen. All das, womit er sich identifiziert der Staat, das Volk, die Arbeit, die angestammte Kultur - erscheinen als Opfer einer hemmungslos einflußreichen Machtclique: Die Herrschaft wird gegen halluzinierte Volksfeinde verteidigt.

Dieser Machtclique werden nicht zufällig all die Eigenschaften zugeschrieben, die den Wert auszeichnen: sie ist anonym, allmächtig und räuoerisch und hat nichts im Sinn, als Mensch und Natur auszubeuten."

Auch wenn damit Antisemitismus nicht hinreichend erklärt ist und noch Aspekte fehlen, wird klar, dass er nicht einfach irgendein x-beliebiger Kriegs-Rassismus ist, der bald wieder mehr oder weniger automatisch weggeht. Ob der Antisemitismus in den arabischen Gesellschaften lediglich ein Import aus Europa ist. der erst ungefähr innerhalb der letzten hundert Jahren stattgefunden hat und mit der Entwicklung des Kapitalismus einherging, oder ob er schon zuvor vorhanden war und maßgeblich religiösen Ursprungs ist, lässt sich sicher kontrovers diskutieren5, eine solche Diskussion stellt sein Vorhandensein aber nicht in Frage, ebenso wenig wie seine breite gesellschaftliche Verankerung. Und nichts anderes haben wir behauptet. Den palästinensischen Antisemitismus aus dem "anhaltenden Krieg mit Israel" herzuleiten wird. wie gezeigt, dem Wesen des Antisemitismus nicht gerecht und kann auch die Pogrome der 20er Jahre (Motto: "Palästina ist unser Land! Die Juden sind unsere Hunde! Tod den Juden!") nicht erklären, die immerhin gute 20 Jahre vor der Staatsgründung Israels stattfanden. Dasselbe gilt für das Auftreten Amin El-Husseinis, dem damaligem Mufti von Jerusalem, der im Winter 1943 bei Adolf Hitler in Berlin zu Gast war und dort folgendes erklärte: "Araber und Mohammedaner!... Das, was die Deutschen uns annähert, ist die Tatsache, dass Deutschland in kein arabisches oder islamisches Land eingefallen ist und seine Politik seit altersher durch seine Freundschaft den Mohammedanern gegenüber bekannt ist. Deutschland kämpft auch gegen den gemeinsamen Feind. der die Araber und Mohammedaner in ihren verschiedenen Ländern unterdrückte. Es hat die Juden genau erkannt und sich entschlossen, für die jüdische Gefahr eine endgültige Lösung zu finden, die ihr Unheil in der Welt beilegen wird." Passenderweise baute el-Husseini, der damalige geistige und weltliche Führer der Palästinenserinnen, auf dem Balkan eine muslimische SS-Division auf. ebenfalls vor der Staatsgründung Israels.

Ihr fragt uns in eurem Text. wo es die Forderung nach dem Rückkehrrecht für Flüchtlinge gibt. Sie steht z.B. im Aufruf der Palästina-Demo vom 16.32002.

Im Weiteren behauptet ihr, dass eine "tatsächlich militärtechnische Gefahr" für Israel nicht bestehe. Wir stimmen mit euch darin überein. dass seine Existenz momentan nicht in 1. Linie militärisch bedroht ist. Eine dauerhaft zu unsichere Lage in Israel kann aber zur Auswanderung der dort lebenden jüdischen Menschen und damit zur Auflösung des Staates führen.

Dann schreibt ihr: "Das Gerücht des Schulbuchantisemitismus der Autonomiebehörde hält sich seit etwa 2 Jahren in der öffentlichen Diskussion - einen Beleg gab es bisher nicht."
Ob euer Hinweis, nach welchem die Schulbücher mit den "historisch korrekt(en)" geographischen Darstellungen Palästinas aus Syrien und Jordanien stammen, nicht eher gegen die (aktuelle) Verfasstheit der Gesellschaften dieser beiden Länder als für die der palästinensischen Gesellschaft spricht, fassen wir mal als Frage und Denkanregung im Raum stehen. Dieselbe "historisch korrekte" Darstellung findet sich im übrigen auch auf direkt von der EU geförderten palästinensischen Websites.

Kommen wir aber zu den Belegen für Antisemitismus in palästinensischen Schulbüchern. Wir werden drei Textstellen anführen, die charakteristisch sind und empfehlen Interessierten, sich selbsttätig um ein Quellenstudium zu bemühen. "Hinterlist und Unloyalität sind jüdische Charakterzüge, und deshalb soll man sich vor Juden in Acht nehmen" heißt es da im Religionsbuch für die 9.Klasse, im Rellgionsbuch für die S.Klasse steht, dass "in allen Zeiten (...) die Menschheit unter dem Joch des Rassismus gelitten (hat), weil Satan die Taten der Juden verschönert hat... So ein Volk sind die Juden..." und der Leitfaden für Geschichtslehrer beinhaltet folgende Aufgabenstellung: "Aus dem Blickwinkel der Zionisten waren die Verfolgungen der Juden
nützlich' und wünschenswert und sind es auch heute. Erkläre. Begründe deine Antwort mit historischen Fakten und Argumenten."

Die Schulbücher waren aber nur ein Beleg für den Antisemitismus in der palästinensischen Gesellschaft, andere Belege sind die Umfrageergebnisse palästinensischer (!) Behörden bzw. Institutionen und das Programm des palästinensischen Staatsfernsehens. Dort verkündete z.B. ein Vertreter des von der Autonomiebehörde ernannten "Fatwa-Rates" im Oktober 2000: "Kein Jude schreckt vor irgendeinem vorstellbaren Bösen zurück... Sie sind alle Lügner! ...Oh Brüder im Glauben, die Kriminellen, die Terroristen sind die Juden, die unsere Kinder geschlachtet haben, sie zu Waisen, unsere Frauen zu Witwen gemacht haben und unsere heiligen Plätze und geweihten Stätten entweiht haben. ...Sie sind diejenigen, die geschlachtet werden müssen ...Habt kein Mitleid mit den Juden, egal, wo ihr seid, in welchem Land auch immer. Wo immer ihr sie trefft, tötet sie' Wo immer ihr seid. tötet Juden und Amerikaner!" "

Solche Äußerungen sind nicht seltene Ausnahmen, sondern finden sich abgesehen von den Massenmedien auch in den Freitagsgebeten wieder.

Zuletzt bezweifelt ihr, dass in "Deutschland eine anti-israelische Stimmung hegemonial" ist. wie wir es in unserem Text schrieben oder stellt zumindest in Frage, dass diese Stimmung Israel schaden könnte.

Ihr sagt, ihr wisst nicht, welche Zeitungen wir lesen; dies ist unseres Erachtens nach aber auch egal, kommen doch (fast) alle in Frage. Von der FAZ ("Das Problem ist Israel") haben wir die Anregung für den Titel unseres Textes, die Süddeutsche brilliert besonders durch antisemitische Karikaturen; der Tagesspiegel, die Taz und andere runden das Gesamtbild ab'1. Gestaunt haben wir über eure Feststellung nach der die "deutsche Regierung (...) zur Zeit der einzig fest zu Israel haltende europäische Verbündete der Sharonregierung" ist. Schröder brachte die Überlegung in den Diskurs ein. deutsche Soldaten in Israel einzusetzen, und zwar wissend, dass die israelische Seite niemals damit einverstanden wäre. Diese Überlegung stellt  - von allem anderen mal abgesehen - einen Angriff auf die israelische Position dar und entspricht Arafats Strategie der "Internationalisierung des Konflikts". Unseres Wissens nach gibt es auch eine Art Teilboykott Deutschlands für Waffenlieferungen an Israel, Wenn mensch sich vor Augen fuhrt, dass das irakische Giftgas mit dem u.a. auch Israel bedroht wird mit Hilfe deutscher Firmen produziert wurde und Deutschland sich ansonsten kaum durch Zurückhaltung und moralische Bedenken bei Waffenexporten auszeichnet, wird die Bedeutung dieser symbolischen Handlung klar. Angesichts solcher "Verbündele'" von einer bedrohlichen Situation für Israel zu sprechen, noch dazu. wenn es euch zufolge nur wenige so "fest(e) Verbündete" Israels gibt. scheint doch sehr berechtigt zu sein.

Die antiisraelisch-antisemitische Stimmung tut Israel auch tatsächlich "weh", wenn es international in eine isolierte Position gerat, oder wenn seinen Gegnerinnen der Rücken gestärkt wird Die antiisraelisch-antisemitische Stimmung in Deutschland richtet sich gegen hier lebende jüdische Menschen, da sie mit dreister Selbstverständlichkeit immer mit Israel in Verbindung gebracht werden. In Frankreich zündete die antiisraelisch-antisemitische Stimmung sogar Synagogen an.

Um es abschließend noch mal klar zu sagen: Uns erscheint die Forderung nach einer "Friedenslösung", die ja immer mit der Forderung nach israelischen Zugeständnissen verknüpft ist, nicht vertretbar für die deutsche Linke'. Das bedeutet nicht, dass der Umkehrschluss, die deutsche Linke sollte für militärisches Vorgehen plädieren, richtig ist. Sie sollte sich schlichtweg jeglicher "Lösungsvorschläge" für diesen Konflikt enthalten. Richtig ist aber, die Solidarität mit Israel nicht von der Politik der jeweiligen Regierung Israels abhängig zu machen.

Zur Kritik an unserem Vorgehen:

Nein. es ist nicht unser "neue(s) Politikverständnis". Rückzüge und Inaktivität gut zu finden8.
Die Tätigkeitsfelder für Linke sind auch schon allein auf dem Gebiet des anti-antisemitischen Engagements zu groß, um die Beine hochlegen zu können (FDP, ZwangsarbeiterInnen-Entschädigung, !G Farben, etc.)9. Wir hätten es auch wirklich gerne gesehen, wenn beim Schroder-Walser-Treffen (8.5.) beachtliche Mobilisierungserfolge und Proteste zu verzeichnen gewesen wären, was z.Zt. eine offensichtlich utopische Vorstellung ist. Nur, warum ist das eigentlich so?

Die Frage danach, warum wir mit "plattem Symbolismus" eine "plumpe Provokation" auf das Titelblatt gesetzt haben, ist letztlich die Frage danach, warum wir Politik machen. Außerdem lassen die Formulierungen außer Acht. dass wir immerhin zwei Seiten erklärenden Text beigefügt haben.

Unsere Frage an der Stelle wäre, warum Israel-Fahnen oder gar die Parole "Lang lebe Israel!" überhaupt zur Provokation deutscher Linker geeignet sein können.

Beruhigen können wir euch in der Frage der "innerlinken Gewalt", ihr sollt definitiv keine "Soligruppen verprügeln. Libertad!Büros in die Luft jagen (...) (oder) das Gegeninformationsbüro besetzen." Wenn ihr euch unseren Text an der Stelle noch einmal vornehmt, werdet ihr merken, dass im folgenden Satz von Bündnispolitik mit an den Demos beteiligten Gruppen die Rede ist. dies lässt sich doch wohl kaum mit einem militanten Vorgehen gegen diese Gruppen vereinbaren, oder"? Wir hoffen. eure Bedenken bezüglich unseres Willens, uns auf andere einzulassen, gemindert zu haben und hoffen auf einen inhaltlichen Streit, der ein weiteres gemeinsames Agieren in Zukunft Im Auge hat, ohne dass das Erarbeiten eines inhaltlichen Kompromisses dafür als unbedingte Voraussetzung angesehen wird und erreicht werden muss. Wir müssen nämlich nicht immer mit allen komplett bei allen Themen einer Meinung sein, um mit ihnen Politik machen zu können.

BADESAISON von einer anderen Red.

Ihr kritisiert, genau wie Einige Berliner Palästinenserinnen völlig zu recht unser Wortspiel, in dem wir die Mitglieder antisemitischer Mordkommandos - aber nicht die Palästinenserinnen - als "Schweine" bezeichnen. Die Unterscheidung ist, trotz unseres Einschubs "(viel zu oft) auch" und trotz des Kontextes, in dem die Äußerung steht, offensichtlich nicht deutlich genug geworden. Unsere mangelnde Genauigkeit an dem Punkt ist unverzeihlich und unentschuldbar. Außerdem ist die Verwendung des Begriffs "Schweine", auch wenn dieser auf die Mitglieder antisemitischer Mordkommandos gemünzt war, biologistisch und ist ebenfalls nicht zu rechtfertigen.

"Laßt euren ideologisch linkischen Diskurs nicht am Thema Palästina aus!" von Einigen Berliner Palästinenserinnen

Wenn sich euer Vorwurf, nach dem sich "einige" der Artikel in der letzten Ausgabe (gemeint ist die Nr.550) durch ihren "unverhohlenen Rassismus" auszeichnen, auf weitere Textstellen als die eben angeführte erstreckt, können wir damit ohne Konkretisierung vorerst nicht umgehen.
Das heißt keinesfalls, dass wir den Vorwurf als unbegründet zurückweisen wollen, uns einer Kritik nicht stellen wollen oder nicht bereit sind, unsere Positionen und Formulierungen entsprechend zu reflektieren, das Gegenteil ist der Fall.

Außerdem fragt ihr:
"Wie wäre es. ein Stück von Deutschland an die Opfer des Faschismus zu vergeben?" Es wäre gut, aber warum nur ein Stück?

Deutschland verrecke! Lang lebe Israel!

Interim-Redaktion der Nr.550
Mitte Juni 02

Solidarität mit allen Nationalstaaten auf der Welt?

Von der Redaktion der Interim-Ausgabe Nr. 550 wurde im Mai des Jahres 2002 ausgerechnet auf dem Titelblatt mit dem demonstrativen der Nationalstaatsflagge Israel ein publizistischer Coup gelandet. Dieser fand sogar in der keineswegs linksradikal gesinnten Frankfurter Allgemeinen Zeitung Beachtung. Und obgrund eben dieser Handlung möglicherweise noch „vor Kühnheit zitternd" (Walser in der Paulskirchenrede) versahen jene Redaktionäre auf der vorletzten Seite noch einen mit Lineal gezogenen Davidstem mit einer von unbeholfener Kinderhand gemalten „Lang lebe Israel" -Parole. Ein bei derartigen Bekenntnissen sonst übliches Ausrufezeichen fehlte allerdings. Zentrale Begründung für diese ungewöhnliche Operation war die Befürchtung einer „existentiellen Bedrohung Israels', die man wiederum glaubte irgendwie mit dem „Problem Antisemitismus" verquicken zu müssen. Von letzterem hörte man in dem donnernd vorgetragenen Pro-Israel-Plädoyer kaum substantielles. Und zu der eminent bedeutsamen Frage wie denn dem hiesigen Antisemitismus mit welchen politischen Strategien bei zu kommen sei, vernahm man in dieser Stellungnahme nur ein tiefes Schweigen. Aber warum hätten sich auch jene Interim Nr. 550 Redakteure mit so wenig publicityträchtigen aufhalten sollen, scheint es doch um das Entwerfen des Designs einer neuen grand foreign policy strategy gegangen zu sein. Und wer vermag mit Sicherheit auszuschliessen, dass es sich bei einigen dieser Redaktionäre um profilierte außenpolitische Nah-Ost-Experten gehandelt haben könnte, die darüber hinaus über die notwendigen Kontakte in die einschlägigen außenpolitischen Think Tanks und Militärstäbe verfügen. Solche Nah-Ost-Experten wissen da natürlich immer um einiges mehr als einfache Autonome, die sich über die außenpolitischen Gegebenheiten in Sachen Israel-Palästina zumeist nur aus der Bild-Zeitung oder durch die Talkshow von Sabine Christiansen informieren.

Lang lebt politischer Unfug'.

Mit der Inanspruchnahme einer Parole, mit der geglaubt wird „Solidarität" ausgerechnet für einen Nationalstaat auszudrücken, bewegt sich ein Teil des linksradikalistisch-aktivistischen Milieus in einem aktuellen Sinne gedankenlogisch an die Seite unserer lieben Bundesregierung. Und da wussten Ex-Linke als Reaktion auf den geheimnisvollen 11. September auch nur die Parole „uneingeschränkte Solidarität mit den USA" heraus zu lallen. Dabei ist die USA bloß der leiste einer ganzen Reihe von Nationalstaaten mit dem hiesige Linke in den letzten Jahrzehnten glaubten „solidarisch" sein zu müssen. Und die Liste ist da länger als man es heute noch zu glauben vermag, sogar die - uns zwischenzeitlich aus anderen Gründen sympathische Parole - „Solidarität mit der DDR" findet sich darunter. Vor eineinhalb Jahrzehnten standen wir noch selbst vor der Hafenstraßenwand und durften dort in diesem Fall mit der anderen Nationalstaatsflagge unterlegt - u.a. die sinnige Parole „Palästina, dein Volk wird dich befreien" lesen. Gut, das dieser Unfug in der Folge in die - übrigens auch früh antideutsch motivierte - Kritik geriet und sich so auch nicht mehr wiederholte. Ob uns aber nun die Interim-Redaktion Nr. 550 mit ihrem Nationalstaatsflaggen-Coup nun einmal anders herum beweisen wollte, das Einfalt m der autonomen Szenerie leider noch lange nicht ausgestorben ist? Und die lässt sich ganz präzise damit beschreiben, das Genossinnen - ganz ähnlich wie der 1991 m gleichen Zusammenhang mit Atombomben herum jonglierende Wolfgang Pohrt - in Sachen Israel / Palästina schon beim auftreten geringer Gefahr und leichter Not anfangen die Nerven zu verlieren. um darob umsichtig den eigenen Verstand und jegliches Relexionsvermögen abgeben. Hauptsache man realisiert instinktiv, wie man sich um raffiniertesten in den jeweilig hegemonialen Gezeitenstrom einzuordnen vermag. Aber warum muss in diesem Zusammenhang der nicht zufällig kaum entfaltete Kampf gegen Antisemitismus auch noch für die Rettung des eigenen Seelenheils instrumentalisiert wurden, die in eigentümlicher Weise auch noch mit der Rettung discher Menschen im besonderen Hand in Hand gehen soll" Das ist ja widerlich. Was mag jene Interim Nr. 550 Redakteure nur geritten haben, mit der ungefragten Solidaritätsadresse an irgend einen von über 150 Nationalstaaten auf der Welt - wie viele es genau gibt, weiß ohnehin kein Mensch - dem Programm einer antiautonomen intellektuellen Selbstabdankung zu frönen?

Die Problematik der „Einzigartigkeit"

Wenn sich das Delirium der antideutschen Politik derzeit durch cm Motiv auszeichnet, dann besteht es in der Wiederholung einer nur leicht veränderten, gar zu bekannten Kurzformel aus der deutschen Romantik des 19. Jahrhunderts: Und die besagt, dass auch heute noch die ganze Well am nun negativen deutschen Wesen genesen soll. So findet dann auch hier der im Historikerstreit prominent angesiedelte zwielichtige Topos der „Einzigartigkeit" seine Anknüpfung. Der bedeutet aktuell auf den Judenmord angewendet, das wenn die Deutschen ihre Nachbarn abschlachten, es nicht einfach nur schlimm und barbarisch ist, sondern ganz im Unterschied zu ähnlichen genozidalen Schlachtfesten anderer Nationen, allemal „einzigartig" sein soll. Darunter ist es nun mal nicht zu haben für die Erschlagenen auf der Welt, die das Glück genießen durften, von eben „diesen Deutschen" und niemanden anders umgelegt worden zu sein. Sich selbst ausgerechnet beim Massenmord an den Juden auch noch die ,.Einzigartigkeit" zu bescheinigen, ist eine nur irrwitzig zu nennende Imagination eines nationalstaatlich hergestellten Kollektivs. Von dort ist dann . der Schritt nicht weit, das Verhältnis zu Menschen jüdischen Glaubens oder Personalausweisbesitzem des Staates Israels von den Formen der früher wenig schönen „Sonderbehandlungen" nun auf Formen einer Sonderbeziehung umzustellen. Und die galten in den Projektionen der „deutschen Einzigartigen" schon immer „dem auserwählten Volk Israel". Klar, dass dabei allein nur die Erinnerung an den ordinären Massenmord an den rund zwei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, der dem Judenmord unmittelbar voraus ging, immer so nach nirgendwohin durchrutscht. Der Philosemitismus hier war schon immer der Zwillingsbruder des Antisemitismus. Er ist natürlich in der Praxis bei weitem nicht so mörderisch wie sein Pendant, allein in Dummheit steht er diesem ganz sicher in nichts nach. Die führenden Antideutschen betreiben damit ihr billiges Geschäft und den Interim-Redakteuren Nr. 550 kann man zu ihren eigenen Gunsten nur unterstellen, das sie auf diese obwaltende Diskursmacht herein gefallen sind. Dabei stellt das Ausrollen einer Nationalstaatsflagge, wie besonders, einzigartig oder als was man einen derartigen Fetzen Stoff sonst noch zu halluzinieren vermag, nichts anderes dar, als eine freiwillig betriebene Einübung darin, sich m der Eindimensionalität der Welt dumm zu machen.

Keine Außenpolitik im Kampf gegen Antisemitismus hier

Es gibt für diejenigen Autonomen, die nicht in nächster Zeit vorhaben aus diesem Land in die Region zu exilieren, die man wahlweise Israel oder Palästina nennen kann, sowohl aus historischen wie ganz aktuell politischen Gründen auch nicht die aller geringste Notwendigkeit zu der dort stattfindenden Tragödie mehr als den Wunsch zu äußern, das die beiden Konfliktparteien sich doch dazu entschließen mögen, diese doch bitte einfach zu beenden. So diese das nicht tun, wollen oder können, können Autonome daran aktuell auch deshalb nichts ändern, weil sie in eben jener Region machtpolitisch völlig bedeutungslos sind. Diese Tatsache ist erstens zur Kenntnis zu nehmen und angesichts der gerade für jüdische Menschen, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts gerade mit deutschen Staatsbürgern nun wahrlich keine ausschließlich glücklichen Erfahrungen machen konnten, im Grunde genommen auch gar nicht einmal so schlecht. Es ist doch mehr als gewiss, das alle in der Region Israel-Palästina lebenden Leute bereits jetzt schon wenigstens ein bisschen besser leben können, wenn sie nicht auch noch mit gar zu deutschen Einzigartigkeilsprojektionen belästigt werden. Und um als Konsequenz aus der Shoah hier gegen Antisemitismus kompromisslos in Stellung zu gehen, braucht es mitnichten eine Pro- noch eine Contra-Positionierung zu. dem von der UNO anerkannten Nationalstaat Israel. Durch philosemitisch aufgeladene antideutsche Stereotypen in der Frage einer sowieso immer gewalttätig wie ungerecht hergestellten Nationalstaatsbildung, üben sich Personalausweisbesitzer dieses Staates nicht nur als zukünftige Außenpolitiker, sondern das auch noch auf den unheilvollen Spuren ihrer Großväter ausgerechnet am Objekt des Nationalstaates Israel ein. Ganz folgerichtig muss ihnen auch der Kampf gegen Antisemitismus hier zu einem bloßen Nebenwiderspruch im dreckigen Geschäft der ganz großen Staatspolitik werden. Für die hier, die ihren Traum von Glück, Gerechtigkeit, Frieden und Befreiung noch nicht an die Dummheit und der Barbarei der national- } staatlich verfassten Verhältnisse in der Welt verraten, verkauft oder verloren haben, ist aber genau das kategorisch ausgeschlossen.

Timur und sein Trupp