Der politische Bankrott der PLO
und die Wurzeln der Hamas

von Jean Shaoul

7-8/02
 

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Im September 1993 wurde das Abkommen von Oslo begeistert gefeiert. Es sollte die Grundlage zur Beendigung des Jahrzehnte alten israelisch-palästinensischen Konfliktes bilden und innerhalb von fünf Jahren zur Errichtung eines palästinensischen Staates neben Israel führen.
Diese Vision liegt nun in Trümmern. Israels Regierungskoalition aus Likud und Arbeitspartei hat mit der Unterstützung ihrer Hintermänner in den USA Panzer in die 1967 eroberten Gebiete geschickt, um sie erneut zu besetzen und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) zu zerschlagen. Die Scharon-Regierung hat die Welle von Selbstmordanschlägen der islamistischen Gruppe Hamas genutzt, um das Abkommen von Oslo zu verwerfen und die Palästinensische Autonomiebehörde als terroristisches Gebilde zu bezeichnen.

Bei diesen Selbstmordanschlägen, die sich gegen unschuldige Zivilisten richten, handelt es sich um grauenhafte Verzweiflungstaten junger Menschen, die von politischen Tendenzen beeinflusst werden, die keinerlei fortschrittliche Perspektive im Kampf gegen die israelische Unterdrückung vertreten. Durch Massaker an unschuldigen Zivilisten werden die Interessen und Hoffnungen der palästinensischen Bevölkerung um keinen Deut vorangebracht.

Eine der bekanntesten Gruppen, die für solche Terrorakte die Verantwortung übernehmen, ist Hamas. Sie ist zudem der bekannteste Gegner von Jassir Arafats Fatah-Führung und lehnt deren Perspektive eines säkularen palästinensischen Staates ab. Bisher hat Hamas am meisten vom Scheitern der Bemühungen Arafats profitiert, eine dauerhafte politische Übereinkunft mit Israel und dem US-Imperialismus zu schließen. Tatsächlich tragen Arafats ständige Anbiederungsversuche an Präsident Bush, die er selbst dann noch fortsetzte, als Washington ihn zum Paria erklärte, dazu bei, verzweifelte junge palästinensische Arbeiter in die Arme der islamischen Fundamentalisten zu treiben, die als scheinbar militante Alternative zur Führung der PA auftreten können.

Die reaktionäre Ideologie der Hamas, die religiösen Fanatismus mit extremem Antisemitismus verknüpft, bietet jedoch keinen Ausweg aus der gegenwärtigen Sackgasse. Sie strebt die Errichtung eines islamischen Staats in Palästina an, in dem Juden und andere nicht-muslimische Minderheiten ausgeschlossen wären. Erreichen will sie dies, indem sie ihren jugendlichen Anhängern selbstmörderische Terroraufträge erteilt. Dass eine solche Bewegung Einfluss gewinnen konnte und gegenwärtig die Unterstützung von schätzungsweise 25 Prozent der Palästinenser genießt, kann nur verstanden und politisch bekämpft werden, wenn man das historische Scheitern des säkularen arabischen bürgerlichen Nationalismus untersucht. Darüber hinaus muss der Frage nachgegangen werden, wie der Stalinismus und seine ideologischen Ableger jede wahrhaft sozialistische politische Alternative in der Arbeiterklasse unterdrückten.

Die Moslembruderschaft in Ägypten und Palästina

Kurz nach dem Ausbruch der letzten Intifada 1988 im Gazastreifen gegründet, verband sich Hamas - "Islamische Widerstandsbewegung" - mit der Moslembruderschaft von Gaza, der politischen islamistischen Bewegung.

Die Moslembrüder von Gaza sind eine von einer ganzen Reihe islamistischer Gruppen in der arabischen Welt, deren Wurzeln auf die Renaissance des Islam und das Anwachsen der Moslembruderschaft beziehungsweise deren Umwandlung in eine politische Partei im benachbarten Ägypten im Jahre 1928 zurückgehen. Die Bruderschaft versuchte dem Islam wieder seine ehemals beherrschende Rolle in der Gesellschaft zu verschaffen und Ägypten zu einem islamischen Staat zu machen, der sich auf die Scharia (islamisches Recht) stützt. Daraus folgte, dass die Bruderschaft nur diejenigen als legitime Herrscher anerkennen würde, die in Übereinstimmung mit der Scharia handeln und sich den imperialistischen Mächten widersetzen würden, die Ägypten beherrschten.

Damit verband sie die Propagierung von Korporatismus und Paternalismus von Seiten der Unternehmer und Grundbesitzer als Gegengewicht zum Klassenkampf. Ihr soziales Programm bezog sich notwendigerweise auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Während Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit zugestanden wurde, sollten sie getrennt von Männern leben. Die Religion sollte den Kern der Bildung ausmachen und die Wirtschaft sich auf die Prinzipien des Koran stützen. Zu diesem Zweck baute die Bruderschaft ein Netzwerk von Schulen, Krankenhäusern, Fabriken und Moscheen auf. Außerdem wurde ein Netzwerk paramilitärischer Gruppen aufgebaut, und nach dem Zweiten Weltkrieg ein Terrorkommando, das 1948 den ägyptischen Premierminister ermordete.

Vor allem jedoch benutzte sie religiöse Intoleranz und Antisemitismus in der bewussten Absicht, den Säkularismus und den wachsenden Einfluss der sozialistischen und kommunistischen Linken - unter denen sich viele Juden befanden - in der nationalen Bewegung zu bekämpfen und die Arbeiterklasse zu spalten. Das zeigte sich besonders deutlich in der Industriestadt Alexandria, die ethnisch sehr gemischt war. Die gegen die Arbeiterklasse gerichtete Achse der Moslembrüder vermischte Nationalismus und Religion auf diese Weise mit einem reaktionären sozialen Programm.

Nachdem sie die Machtübernahme der "Freien Offiziere", die 1952 Gamal Abdul Nasser in Ägypten an die Macht brachten, zunächst unterstützt hatte, wurde die Bruderschaft 1954 nach einem gescheiterten Attentat auf Nasser verboten und einige ihrer Führer flüchteten nach Saudi-Arabien und in andere Golfstaaten.

Während zweifellos die Illegalität den Einfluss der Bruderschaft verringerte, hing ihr politischer Niedergang doch größtenteils mit der wachsenden Popularität und dem Ansehen der säkularen nationalistischen Bewegungen im Nahen und Mittleren Osten zusammen, vor allem mit der Politik Nassers und später der PLO. In den darauffolgenden 30 Jahren war der Einfluss der Moslembrüder in Ägypten und Gaza minimal.

Der Kampf Ägyptens gegen die früheren Kolonialmächte der Region, Großbritannien und Frankreich, brachte Nasser 1956 in Konflikt mit Israel, als dieses deren gemeinsames Vorgehen gegen Ägypten wegen dessen Verstaatlichung des Suez-Kanals unterstützte. Als sich die Briten und Franzosen aus Suez zurückzogen, wurde Nasser zum Helden. Von diesem Zeitpunkt an übernahm er die Führungsrolle im Kampf für Palästina gegen Israel und erhielt wirtschaftliche und militärische Unterstützung von den Moskauer Stalinisten.

Die fortschrittlichen sozialen, ökonomischen und politischen Reformen seines autoritären Regimes - die begrenzte Säkularisierung des Staates und Aufteilung des Großgrundbesitzes, Nationalisierung der Schlüsselindustrien und Aufbau eines Bildungs- und Gesundheitswesens - verschafften ihm politische Unterstützung. Er schürte politische Illusionen in den säkularen arabischen Nationalismus als Alternative zum Kommunismus im ganzen Mittleren Osten. Nassers wenig durchdachte und äußerst riskante Politik gegenüber Israel, bei der die Sowjetunion eine zynische Rolle spielte, führte 1967 zur katastrophalen Niederlage der arabischen Streitkräfte im Sechstagekrieg.

Der Krieg schuf noch mehr Flüchtlinge, da viele Palästinenser von der Westbank nach Jordanien flüchteten, und führte zur Besetzung der Westbank und des Gazastreifens sowie der Annexion von Ostjerusalem. Statt der Befreiung der Palästinenser fand ein regelrechtes Desaster statt. Der Krieg zeigte die Unmöglichkeit jeder effektiven gemeinsamen Aktion unter der Führung verschiedener konkurrierender bürgerlicher Cliquen in der Region.

Die arabische Niederlage und die Diskreditierung der Politik Nassers ebneten den Weg für zwei unterschiedliche politische Entwicklungen: der Entstehung verschiedener Guerillaorganisationen, die auf unabhängige militärische Kampagnen der Palästinenser zur Befreiung Palästinas setzten, und der politischen Wiedergeburt des Islam.

Al Fatah und die PLO

Die PLO war 1964 gegründet worden, wurde jedoch bald von jenen palästinensischen Würdenträgern dominiert, die Nasser für seine eigenen Zwecke eingesetzt hatte. Jassir Arafats Fatah-Gruppe wurde bald zur wichtigsten Guerillaorganisation. Sie änderte die PLO-Charta zugunsten des bewaffneten Kampfes und übernahm im Februar 1969 unter der Führung von Arafat die Kontrolle über das Exekutivkomitee.

Außer ihrer Verpflichtung auf den bewaffneten Kampf mit dem Ziel eines demokratischen und säkularen Nationalstaats bot die PLO den palästinensischen Arbeitern und Bauern kein politisches oder soziales Programm. Sie agierte als Volksfront, innerhalb derer gemäß Artikel 8 ihrer Charta "die geschichtliche Phase, welche das palästinensische Volk jetzt durchlebt, die des nationalen (watani) Kampfes zur Befreiung Palästinas ist. Deshalb sind Konflikte zwischen den palästinensischen Kräften jetzt sekundär und sollten im Interesse des Grundkonfliktes zwischen den Kräften des Zionismus und Imperialismus auf der einen und dem palästinensischen arabischen Volk auf der anderen Seite beendet werden". Auf dieser Grundlage erklärte sich die PLO zum "einzig legitimen Vertreter" des palästinensischen Volkes und stellte die politische Herrschaft der Bourgeoisie durch ihre Partei Al Fatah sicher.

In Bezug auf die herrschende arabische Elite als ganze erklärte die Charta, dass die PLO "mit allen arabischen Staaten zusammenarbeitet, mit jedem nach dessen Möglichkeiten; und dass sie zwischen ihnen eine neutrale Position entsprechend den Erfordernisse des Befreiungskrieges einnehmen und sich auf dieser Grundlage nicht in die inneren Angelegenheiten irgend eines Staates einmischen wird".

Die PLO konnte niemals aus der politischen Sackgasse herauskommen, in welche die palästinensischen Massen von den arabischen Regimes geführt worden waren. Denn obwohl sie eine wirkliche Volksbewegung darstellte und sich in ihren Reihen unterschiedliche soziale Tendenzen befanden, diente ihr Programm dazu, die Klassenfragen zu überdecken und der nationalen Frage unterzuordnen. Trotz ihrer heroischen und oft verzweifelten Kämpfe vertrat sie die Interessen der palästinensischen Bourgeoisie, die nach einem nationalen Rahmen strebte, in dem sie ihre eigene Arbeiterklasse ausbeuten konnte.

Letztlich erhob sich die PLO einem Phönix gleich aus den sterbenden Überresten des säkularen Nationalismus und als beschränkter Ausdruck einer Bewegung, die im größeren Rahmen des Mittleren Ostens bereits gescheitert war.

Die nächsten 20 Jahre wurde Al Fatah zum Synonym der PLO und die PLO in den Augen der Welt zum Synonym der Revolution und des Kampfes für einen demokratischen und säkularen Staat Palästina. Arafat wurde als Vorsitzender der Fatah und der PLO-Koalition zum Symbol für die PLO und als Mr. Palästina bekannt. Immer wieder wurde sie jedoch von denselben arabischen Regimes verraten, auf die sie angewiesen war und die politisch herauszufordern sie sich weigerte.
Die Niederlage der arabischen Streitkräfte im Krieg vom Oktober 1973 trotz der Wiederaufrüstung Syriens und Ägyptens durch die Sowjetunion führte Ägypten dazu, als Gegenleistung für amerikanische Hilfe eine Vereinbarung mit Israel zu treffen und damit die PLO zu isolieren.
Die PLO stieß bald auf Opposition von Seiten der Regimes jener Länder, von deren Territorium aus sie ihre Operationen gegen Israel durchführte. Sowohl in Jordanien 1970-71 wie auch später im Libanon war die PLO unfähig, ein soziales und politisches Programm zu vertreten, auf dessen Grundlage die palästinensischen und arabischen Massen die israelischen Truppen hätten aufhalten können. Ihre militärischen Kampagnen und Paraden führten nur dazu, die libanesischen Nationalisten abzustoßen, und deren anfängliche Unterstützung verwandelte sich in Hass. So wurde der Weg geebnet, der in die Niederlage der PLO gegen Israel 1982 und das darauffolgende erzwungene Exil führte.

Innerhalb weniger Jahre, nachdem er die PLO unter seine Kontrolle gebracht hatte, war Arafat nun selbst bereit, den Staat Israel anzuerkennen und eine "Zwei-Staaten-Lösung" zu akzeptieren, d.h. einen winzigen und nicht zusammenhängenden palästinensischen Staat auf der Westbank und in Gaza neben Israel anzuerkennen. Diverse Vorschläge in dieser Richtung wurden jedoch stets von Israel und dessen Schirmherren, den USA, abgelehnt.

Es war die Intifada, die spontane Erhebung von palästinensischen Arbeitern und Jugendlichen im Dezember 1987 in den besetzten Gebieten, welche die PLO in die Arme des US-Imperialismus trieb. Diese Aufstandsbewegung erschreckte nicht nur die israelische, sondern auch die palästinensische Bourgeoisie und den US-Imperialismus. Sie fürchteten, dass die revolutionäre Bewegung der Massen außer Kontrolle geraten könnte, nicht nur in Palästina, sondern in der ganzen ölreichen Region.

Im Dezember 1988 garantierte Arafat in einer Wort für Wort vom amerikanischen Außenministerium diktierten Erklärung die Sicherheit Israels, akzeptierte, dass ein Friedensvertrag mit Israel eine "Strategie und keine vorübergehende Taktik" sei, und verurteilte alle Arten des Terrorismus "einschließlich individuellen, Gruppen- und Staatsterrorismus". In Anerkennung seiner Erniedrigung antwortete Arafat bei einer Pressekonferenz auf die Forderung, seine Anerkennung Israels zu bekräftigen: "Was wollen Sie noch? Soll ich hier einen Striptease machen? Das wäre unziemlich."

Der moderne politische Islam

Israels Vernichtung der arabischen Armeen im Sechstagekrieg von 1967 diskreditierte die säkularen nationalistischen Regimes von Ägypten und Syrien ebenso wie die sie unterstützende Sowjetunion. Sie hatten sich als unfähig erwiesen, ihre Differenzen zu überwinden und Maßnahmen zum Schutz ihrer Ausrüstung und militärischen Einrichtungen vor einem Überraschungsangriff Israels zu treffen, von einem Sieg über Israel ganz zu schweigen.
Der Krieg von 1967 führte nicht nur zum Aufstieg der PLO, sondern auch zur Wiederbelebung der Moslembruderschaft und ähnlicher Kräfte im ganzen Mittleren Osten und in Nordafrika. Die Islamisten profitierten von der Krise des säkularen Nationalismus und waren zu einem gewissen Grad in der Lage, das politische Vakuum zu füllen, welches vor allem dadurch entstanden war, dass die Stalinisten sich jeder politisch unabhängigen Rolle für die Arbeiterklasse widersetzten.
Während die PLO sich für einen demokratischen und säkularen Nationalstaat einsetzte, lehnte die Moslembruderschaft beides ab - sie wollte einen islamischen Staat in jedem Land unter Ausschluss anderer Religionen als Vorbedingung einer umfassenderen islamischen Identität.
In Ägypten machte Nassers Nachfolger Anwar Sadat die Säkularisierung des Staates rückgängig, um sich mehr Unterstützung zu verschaffen. Er änderte die Verfassung und erkannte die Scharia als hauptsächliche Rechtsgrundlage an. Er rekrutierte Moslembrüder und islamistische Studenten für seine Kampagne gegen die Nasseranhänger und Linken. Schließlich machte er 1980 die Scharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung. Damit spielte er selbst eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer islamischen politischen Opposition. Neben der wieder gestärkten Moslembruderschaft kamen andere militante Islamistengruppen wie die Gamaat Islamiya auf, aus der die Splittergruppe Islamischer Jihad in Gaza hervorging.

Die zweite Niederlage der Araber gegen Israel im Jahr 1973 während des Jom-Kippur-Krieges ging mit einem Ölboykott einher, der sich gegen alle Nationen richtete, die Israel unterstützten und eine Vervierfachung der Ölpreise zur Folge hatte. Den reaktionären Feudalregimes der arabischen Halbinsel, von denen viele ihre eigenen Konflikte mit Nassers Ägypten hatten, diente das der Bereicherung und Stärkung ihres Einflusses. Vom neuen Reichtum der Ölscheichtümer profitierten auch militante islamische Gruppen und zwar direkt und indirekt.

Saudi-Arabien und die Golfstaaten pumpten Geld in die Moslembruderschaft und ähnliche Gruppen, um das Anwachsen fortschrittlicher politischer Tendenzen in der Arbeiterklasse, die ihre Herrschaft hätten bedrohen können, zu unterbinden. Die ägyptischen und jordanischen Bewegungen profitierten darüber hinaus von den Überweisungen der Arbeiter, die auf der Suche nach Arbeit an den Golf gegangen waren.

Im Iran, in Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien, dem Sudan und Gaza begann die Unterstützung für islamische Gruppen insbesondere unter den ärmsten Schichten und der verarmten Landbevölkerung zu wachsen. Der Erfolg der religiösen Opposition gegen das tyrannische Regime des Schah im Iran und die Revolution von 1979 wurden als Beweis gewertet, dass es möglich sei, einen islamischen Staat zu errichten. Iran inspirierte und förderte den Aufbau eines Netzwerks schiitischer Gruppen, zu denen Amal und Hisbollah im Libanon, schiitische Oppositionsgruppen gegen das irakische Regime und schiitische Minderheiten in den Golfstaaten gehörten. Der Erfolg der iranischen Revolution förderte auch das Anwachsen anderer islamischer Tendenzen, einschließlich sunnitischer Gruppen.

Es gab noch einen anderen wichtigen Förderer militanter Islamistengruppen. Washington spielte eine wichtige Rolle bei ihrem Aufbau, mit der Absicht, ein Gegengewicht zum Einfluss Moskaus im Mittleren Osten und international zu schaffen. Die Islamisten sollten als politische Waffe gegen radikale Nationalisten wie die Baath-Partei in Syrien dienen, gleichzeitig aber auch Stütze für die reaktionären Monarchen von Jordanien und Saudi-Arabien sein und als ausdrücklich antikommunistische Kraft wirken, die die unterdrückten Massen mit radikaler Rhetorik ablenken und zurückhalten sollte.

Von 1980 bis 1989 organisierte die CIA für Afghanistan das größte verdeckte Hilfsprogramm der US-Geschichte, um die Sowjetunion zu destabilisieren. Sie finanzierte und bewaffnete die extremsten Mudschaheddin-Gruppen, darunter auch die von Osama bin Laden, die gegen das von der Sowjetunion unterstützte afghanische Regime in Kabul kämpften. Solche von den USA unterstützten Gruppen spielten wiederum eine entscheidende Rolle bei der militärischen Ausbildung islamistischer Kräfte in Ägypten, Saudi-Arabien, Algerien, den besetzten Gebieten in Palästina und anderswo.

Die Haltung der USA gegenüber dem islamischen Fundamentalismus begann sich nach der iranischen Revolution zu ändern, durch die der wichtigste Verbündete Amerikas und Garant ihrer Interessen am Golf gestürzt worden war. Von Anfang an nahm die iranische Revolution einen explizit anti-amerikanischen und anti-zionistischen Charakter an.

Der islamische Fundamentalismus begann nun die Interessen der USA und ihrer Verbündeten im Mittleren Osten in größerem Umfang zu beeinträchtigen. Im November 1979 besetzte eine militante Gruppe islamistischer Gegner des saudischen Regimes die große Moschee in Mekka. Die Saudis konnten den Aufstand nur unter großen Verlusten niederschlagen und mussten trotz der Hilfe jordanischer und französischer Militärberater Hunderte von Toten in Kauf nehmen.
Nur wenig später, im Jahre 1981, riefen die gleichen islamischen oppositionellen Tendenzen, die Ägyptens Präsident Sadat jahrelang gefördert hatten, zum bewaffneten Aufstand gegen ihn auf. Kurz danach wurde er von islamistischen Armeeoffizieren, die seinen Friedensvertrag mit Israel ablehnten, ermordet.

Im Libanon, wo Einheiten der USA offen den von Israel eingesetzten und von den Maroniten gestützten Präsidenten Amin Gemayel unterstützten, zerstörte der Islamische Jihad im April 1983 die amerikanische Botschaft. Im Oktober verwüstete ein weiterer Selbstmordanschlag die Kaserne der US-Marines. In den Jahren darauf nahmen schiitische Milizen Amerikaner und andere westliche Staatsangehörige als Geiseln, während die Hisbollah die israelischen Besatzungstruppen im Südlibanon angriff. Schließlich musste Reagan 1984 zugeben, dass die Position der USA nicht mehr haltbar sei, und zog die US-Truppen aus dem Libanon ab.

Der Aufstieg des politischen Islam in den besetzten Gebieten

Nachdem die PLO seit September 1982 auf Tunis beschränkt war und ohne Unterstützung der Sowjetbürokratie und der arabischen bürgerlichen Staaten auskommen musste, nahm Arafats Anteil am Kampf der Massen in den besetzten Gebieten immer mehr ab. Zunehmend wurde er in der Bevölkerung mit Passivität und Korruption identifiziert. Unter Bedingungen, wo die Palästinenser aus dem Blickfeld der arabischen Regimes verschwunden waren, hatte er den bewaffneten Kampf zugunsten diplomatischer Manöver so gut wie aufgegeben.
Die arabische Gipfelkonferenz in Amman im November 1987, die hauptsächlich wegen des iranisch-irakischen Krieges einberufen worden war, schenkte der palästinensischen Frage keine sonderliche Beachtung und verabschiedete keine größere Resolution in Bezug auf Palästina. Die PLO wurde zunehmend von mörderischen Konflikten zerrissen, die in den Straßen von Paris und London ausgetragen wurden.

Die Bruderschaft war wieder einmal in der Lage, das politische Vakuum auszufüllen, das der säkulare Nationalismus hinterlassen hatte. Mit großzügigen Geldmitteln half ihr dabei die arabische Bourgeoisie, die die palästinensische Frage als gefährliche Quelle radikaler antiimperialistischer Stimmungen und Bedrohung ihrer eigenen privilegierten Stellung betrachtete. Sie alle versuchten die Bruderschaft als Gegengewicht zur PLO und Instrument zur Spaltung der palästinensischen Arbeiterklasse aufzubauen.

Von Jordanien unterstützt schlossen sich die Moslembrüder in Gaza mit denen der Westbank zusammen und wurden Teil der Moslembruderschaft Jordaniens. Die Bruderschaft setzte das Geld von Saudi-Arabien und der jordanischen Monarchie dazu ein, ihr Netzwerk von Moscheen, Kulturorganisationen und sozialen Einrichtungen aufzubauen, die den ärmsten Palästinensern das Leben erleichterten.

Der Führer der Brüder in Gaza war Scheich Ahmad Yasin, ein 1936 im Mandat Palästina geborener Lehrer. Er kam aus einer wohlhabenden Landbesitzerfamilie, die 1948 geflohen war und sich in einem Flüchtlingslager in Gaza niedergelassen hatte. 1973 gründete er den Islamischen Kongress als Frontorganisation für die Bruderschaft, die alle religiösen, bildungsmäßigen und sozialen Aktivitäten kontrollierte.

Das Hauptziel der Bruderschaft war die "Entwicklung der islamischen Persönlichkeit". Trotz ihres Aufrufs zur Vernichtung des Staates Israel - wenn der richtige Zeitpunkt gekommen sei - hielt sie sich von allen Aktivitäten gegen die Besatzung fern. Vorrang räumte sie dem Kulturkampf gegen den "atheistischen" säkularen Nationalismus der PLO ein.

Scheich Yasin machte aus seiner Abneigung gegen Jassir Arafat niemals einen Hehl.

"Schweinefleischfresser und Weinsäufer" war seine verächtliche Bezeichnung der säkularen PLO-Führung. Noch feindseliger war er gegen den Kommunismus und linksnationalistische Fraktionen wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP).

Aus diesem Grund erhielten die Moslembrüder zusätzliche Unterstützung von unerwarteter Seite: Israel. Der zionistische Staat und seine Sicherheitskräfte förderten die Bruderschaft nach Kräften als Alternative zur PLO. Die Ablehnung des Terrorismus und Betonung sozialer und Bildungsarbeit der Brüder führte dazu, dass sie trotz ihrer Aufrufe zur Vernichtung Israels als gegenüber der PLO bevorzugt eingestuft wurde. Die israelischen Besatzungsbehörden sahen die islamischen Gruppen als nützliches Instrument an, Zwietracht unter den Palästinensern zu sähen.

Der frühere Militärgouverneur von Gaza, General Itzhak Segev, erklärte, wie er die islamische Bewegung als Gegengewicht zur PLO und den Stalinisten finanziert hatte. Dem Journalisten Graham Usher zufolge sagte er: "Die israelische Regierung stellt mir ein Budget zur Verfügung und wir verteilen finanzielle Hilfe an islamische Gruppen über Moscheen und religiöse Schulen, um ein Instrument zu schaffen, das gegen die linken Kräfte, die die PLO unterstützen, bestehen kann."

David Shipler, ein früherer Korrespondent der New York Times, schrieb: "1980, als islamische Extremisten das Büro des Roten Halbmonds in Gaza anzündeten, dem der Kommunist und PLO-Unterstützer Dr. Haidar Abdel-Schafi vorstand, tat die israelische Armee nichts. Sie griff erst ein, als der Mob zu seinem Haus marschierte und ihn persönlich bedrohte."

Bereits 1978 warnte der Bevollmächtigte der Moslemischen waqf, des religiösen Glaubens, Israel davor, den Islamischen Kongress zu registrieren und somit anzuerkennen und ihm damit die Kontrolle über die waqf zu verschaffen. Die waqf umfasste Ländereien, Unternehmen und Geschäfte, die insgesamt etwa 10 Prozent der Wirtschaft des Gazastreifens ausgemacht haben sollen. Israel ignorierte diesen Rat und erteilte der Frontorganisation der Moslembrüder 1979 eine Lizenz.

Innerhalb eines Jahrzehnts baute Yasin den Islamischen Kongress zu einer mächtigen religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Institution im Gazastreifen auf. Er entwickelte ein Netzwerk von Wohlfahrtseinrichtungen um die Moscheen herum, von denen viele als Zentren des gesellschaftlichen Lebens fungierten. Die Anzahl der Moscheen im Gazastreifen verdreifachte sich zwischen 1967 und 1987 von 200 auf 600, während sich die Anzahl der Gläubigen verdoppelte. In der Westbank stieg die Zahl der Moscheen im selben Zeitraum von 400 auf 750. Die Frauen wurden angehalten Kopftücher und Mäntel zu tragen und junge Männer zum Tragen von Bärten aufgefordert. Mit Sportvereinen wurden Jugendliche geködert und an den Islamischen Kongress gebunden.

Die Bruderschaft bemühte sich um Jugendliche in den Dörfern und Flüchtlingslagern, um Schüler, Lehrer, Beamte und insbesondere die Armen. Von Arbeitern und Frauen in Gewerkschaften und Berufsverbänden hielt sie sich eher fern. Während sie Gewalt gegen Israel ablehnte, "bis die Zeit reif ist", demolierten ihre jugendlichen Anhänger Läden, Cafés und Geschäfte, in denen Alkohol verkauft wurde. Sie bedrohten die Bevölkerung und schüchterten sie ein, um sie zur Rückkehr zu angeblich traditionell islamischen Lebensweisen zu zwingen und sie von westlicher Musik, Gewohnheiten und Lebensweise abzubringen.

Sie unternahm organisierte Angriffe auf die PLO und ihre Organisationen und lieferte sich Schlägereien mit Unterstützern der PLO und linken Gruppen in den Universitäten. Nach einer Reihe besonders gewalttätiger Zusammenstöße zwischen 1982 und 1986 übernahm sie Al Azhar, die Islamische Universität von Gaza, die sie in einem Mini-Bürgerkrieg gegen die PFLP und deren stalinistischen Anhänger von Unterstützern der PLO säuberte. Den Lehrkörper und die Studentenschaft machte sie so zu einer Reserve von 700 "Soldaten". Erst als die Fatah deutlich machte, dass sie nicht länger abseits stehen und zusehen würde, wie ihre Unterstützer solcherart dezimiert wurden, griff Israel ein und stoppte die Kämpfe.

Die Moslembrüder und die Intifada

Im Dezember 1987 brach zur völligen Überraschung der Brüder eine spontane Rebellion palästinensischer Jugendlicher und Arbeiter aus. Die Intifada war das Ergebnis der harten Bedingungen der israelischen Besatzung und der immer schlechteren wirtschaftlichen Situation. In Gaza waren die Lebensbedingungen unerträglich. Im Jahr 1986 lebten dort 634.000 Palästinenser, zusammengedrängt auf einem schmalen Sandstreifen von 45 km Länge und zwischen 5,5 und 13 km Breite. Die Bevölkerung wuchs mit einer Rate von 4,3 Prozent jedes Jahr. Im Jahr 1988 waren 59 Prozent der Bevölkerung unter 19 Jahre alt und 76,9 Prozent unter 29. Heute wird die Bevölkerung um 50 Prozent auf etwa eine Million Menschen angewachsen sein.

Dabei fehlte es im Gazastreifen an der elementaren Infrastruktur, um schon die bereits existierende Bevölkerung versorgen zu können. Es gab eine mangelhafte Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Sanitäre Einrichtungen existierten nicht und es gab wenig Land, ob für Wohnungen, Landwirtschaft, Schulen oder Krankenhäuser. Damit nicht genug, behielt sich Israel "Staatsland" für die wenigen jüdischen Siedler in dem Gebiet vor, etwa 2.500 Menschen. Während die Siedler lediglich 0,4 Prozent der Bevölkerung ausmachten, waren ihnen bereits 28 Prozent des Staatslandes zugesprochen worden, die ihnen jedoch nicht ausreichen.

Die palästinensische Wirtschaft wurde vollständig den Bestrebungen Israels untergeordnet, die eigene Industrie zu schützen und den Binnenmarkt frei von Wettbewerb aus den besetzten Gebieten zu halten. Palästinensische Bauern wurden aus dem Markt gedrängt und ihre Kredit beschränkt, womit ihre Ertrag pro Hektar und dem folgend auch die bebaubare Landfläche zurückgingen. Soweit Industrie vorhanden war, konnte sie weder in Israel noch in Jordanien einen Markt finden, nachdem Jordanien ein Embargo über die Einfuhr von in den besetzten Gebieten hergestellten Gütern verhängt hatte.

Dadurch waren die Palästinenser fast vollständig darauf angewiesen, Arbeit in Israel zu finden. Aber selbst dabei wurden sie von der Zivilverwaltung behindert, bei der sie Dokumente für Einreise und Arbeit beantragen mussten. Die israelischen Verteidigungskorrespondenten Zeev Schiff und Ehud Yaari gaben in ihrem Buch "Die Intifada" zu: "Das Ergebnis war, dass auf verschiedene Arten, so schmerzhaft es auch einzugestehen ist, eine Art,Sklavenmarkt' in den besetzten Gebieten entstand."

Als die Intifada im Dezember 1987 ausbrach, wurde die Hauptlast des Widerstands gegen die zionistische Herrschaft von den palästinensischen Arbeitern und Jugendlichen getragen, nicht von den Guerillas der PLO. Die Bruderschaft stand nun vor einem Dilemma: Behielt sie ihre Anpassung an Israel und damit auch dessen Schutz bei, würde sie die Kontrolle über die Palästinenser an die Vereinte Union der Nationalen Führung (UNLU) verlieren, die von der PLO zur Koordinierung und Kontrolle des Aufstands organisiert worden war.

Die Brüder entschieden sich dafür, die Islamische Widerstandsbewegung, bekannt unter ihrer arabischen Abkürzung Hamas, zu gründen. Sie sollte eine islamische politische Organisation sein, mit der die Energien der palästinensischen Arbeiterklasse abgelenkt und in religiöse Kanäle geleitet werden sollten.

Ihre im August 1988 veröffentlichte Konvention, die im Wesentlichen ihre Gründungscharta darstellte, vermischte Nationalismus mit Religion und nacktem Antisemitismus. Sie forderte einen rein islamischen palästinensischen Staat und wies die Forderung der PLO nach einem demokratischen und säkularen Staat als antiislamisch zurück. Territorialer Nationalismus, der früher als Götzendienst gegolten hatte, wurde zur religiösen Pflicht bzw. als Jihad erklärt. Sie rief zur Vernichtung Israels auf und setzte den politischen Zionismus fälschlich mit dem jüdischen Volk gleich, in Israel wie anderswo. Die Juden wurden als geheime Drahtzieher sowohl für die Französische Revolution als auch für die kommunistische Revolution beschuldigt, für zwei Weltkriege, für den Aufbau des Völkerbunds und der UNO als geheime Organe der Weltherrschaft und vor allem als Zerstörer des islamischen Kalifats.

Die Charta schloss explizit eine direkte Konfrontation mit der PLO aus und positionierte sich stattdessen als alternative Führung des palästinensischen Volkes. Zu diesem Zweck organisierte sich die Hamas unabhängig von der UNLU, verteilte eigene Flugblätter und rief eigene Streiks aus, oft an religiösen Feiertagen. Sie schüchterte Geschäftsleute und Händler ein und steckte deren Geschäfte in Brand oder demolierte sie, wenn sie sich ihren Streiks nicht anschlossen. Sie weigerte sich, die PLO als "einzig legitime Führung" zu akzeptieren.

Hamas tat wenig gegen die israelischen Besatzungsbehörden, weshalb Israel sich auch nicht in die von der Hamas organisierten Streiks einmischte. Tatsächlich traf sich der israelische Verteidigungsminister Itzhak Rabin im Sommer 1988 sogar zu Gesprächen mit führenden Islamisten.

Aus Angst, die revolutionäre Massenbewegung würde außer Kontrolle geraten, trafen Jassir Arafat und die PLO im Dezember 1988 die Entscheidung, den Staat Israel formell anzuerkennen und dem bewaffneten Kampf abzuschwören.

Diese Ankündigung setzte einen langwierigen Verhandlungsprozess zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts in Gang, der schließlich im September 1993 zum Abkommen von Oslo führte, das als erster Schritt zu einem unabhängigen Palästinenserstaat betrachtet wurde. Ein solcher Staat würde es der palästinensischen Bourgeoisie, die im Exil beträchtliche Reichtümer angehäuft hatte, ermöglichen, ihr Vermögen abzusichern und durch die Ausbeutung von Lohnarbeit zu vermehren.

Vom Standpunkt des US-Imperialismus und des zionistischen Staates aus, bestand die Aufgabe der palästinensischen Kapitalisten darin, vermittels der PLO die palästinensischen Arbeiter zu unterdrücken und so für die Sicherheit Israels Sorge zu tragen.

Das führte dazu, dass nach dem Dezember 1988 die Hamas offen mit der PLO darüber in Konflikt geriet, wer den politischen Prozess dominieren sollte. Gezielt griff sie zu terroristischen Aktionen gegen militärische und zivile Ziele in Israel, um sich unter den Massen Respekt zu verschaffen. Im Mai 1989 verhafteten die israelischen Behörden einige hundert Hamas-Anhänger, darunter auch Yasin, wegen Verwicklung in terroristische Aktivitäten. Fast zwei Jahre nach dem Beginn des Aufstands und ein Jahr nachdem Israel die Komitees der PLO/UNLU verboten hatte, wurde auch die Hamas für illegal erklärt.

Zu diesem Zeitpunkt war die Hamas die wichtigste Oppositionspartei geworden, die in Wahlen zu studentischen Gremien und Berufsverbänden regelmäßig zweitstärkste Kraft nach der Fatah wurde. Als die PLO sich im Oktober1991 bereit erklärte, an den Madrider Gesprächen unter Vermittlung der USA teilzunehmen, bei denen es um die Errichtung eines palästinensischen Staates neben Israel gehen sollte, rief Hamas zur "vollen Rückkehr zur militärischen Option" auf und verlangte eine 50prozentige Beteiligung an allen PLO-Gremien. Unter heftigen Beschuldigungen, die Hamas sei ein Werkzeug Israels und der USA und wolle die PLO als Führung der palästinensischen Bewegung ersetzen, wurde dies abgelehnt.

Mit terroristischen Angriffen gegen israelische Ziele versuchte Hamas nun ständig, die Verhandlungen zu unterminieren. Nichts zeigt deutlicher, wie abscheulich und letztlich bankrott ihre Perspektive ist, als die Tatsache, dass sie ihre jugendlichen Kader mit Bombengürteln um die Hüften losschickte, um zivile Ziele und sich selbst in die Luft zu sprengen und als Märtyrer für die Sache zu sterben. Mit Geldzahlungen an ihre Familien von angeblich 30.000 Dollar sind diese jungen Männer tot mehr wert als lebendig.

Trotz ihrer Ablehnung des Staates Israel war das Ziel von Hamas weniger, die Verhandlungen und eine Zwei-Staaten-Lösung zum Scheitern zu bringen als diese zu verzögern. Sie kalkulierte, je länger die Verzögerung dauert, desto mehr würde die PLO an Unterstützung verlieren.
1991 organisierte die Hamas eine Reihe von Streiks und Demonstrationen, mit denen Fatah und die PLO unterminiert werden sollten. Die Intifada verwandelte sich von einem Kampf gegen den zionistischen Staat zunehmend in einen Kampf zwischen rivalisierenden Banden maskierter Männer. Im Juli 1992 war sie zu Schlachten zwischen Hamas und Fatah auf den Straßen Gazas degeneriert, die 300 Tote und 100 Verletzte forderten.

Die Terrorkampagne der Hamas gegen Israel zielte darauf ab, einen Gegenschlag der zionistischen Rechten zu provozieren und die Pläne der künftigen Regierung der Arbeitspartei zu torpedieren, ein Abkommen mit der PLO zu schließen. Tatsächlich war sie ein Spiegelbild der Ideologie und Methoden der zionistischen Rechten. Während die rechten Zionisten ganz Palästina als jüdischen Staat ohne Platz für andere Religionsgruppen ansehen, verkündet Hamas die Notwendigkeit eines islamischen Staates, aus dem Juden und Christen ausgeschlossen wären. Beide zeigen immer wieder ihre Bereitschaft, ihre Ziele mittels Terror durchzusetzen.

Nach dem Abkommen von Oslo

Das Abkommen von Oslo beinhaltete Übergangsregelungen bis zu voller Staatlichkeit: eine gewählte Palästinensische Autonomiebehörde, durch die das israelische Militär ersetzt werden und die gegen Hamas und andere Oppositionsgruppen vorgehen sollte, um die israelischen Sicherheitsforderungen zu garantieren. Dementsprechend hing der Erfolg von Oslo davon ab, inwieweit Hamas und andere Oppositionsgruppen die Palästinensische Autonomiebehörde unterstützen würden. Sollte dies nicht der Fall sein, drohte Bürgerkrieg zwischen der von der Fatah dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde und jedweder Opposition.

Fortgesetzte Unterstützung für Arafat hing davon ab, in welchem Maße die Palästinensische Autonomiebehörde als Vorläufer eines palästinensischen Staates akzeptiert werden und in der Lage sein würde, Frieden und eine gewisse Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für die Palästinenser zu bringen. Da Oslo der PLO eine gewisse Glaubwürdigkeit und ihrem Verwaltungs- und Sicherheitsapparat internationale Gelder verschafft hatte, die zum Aufbau einer PLO-abhängigen Klientel verwandt werden konnten, verengte sich für Hamas der politische Spielraum.
Dementsprechend kam die Moslembruderschaft trotz ihrer ständig wiederholten Ablehnung von Oslo bald zu einer Übereinkunft mit der PLO. Gefangene von Hamas und PLO in einem Gefängnis von Gaza unterzeichneten ein Abkommen, welches Gewalt als Mittel zur Austragung politischer Differenzen ausschloss. Solange die PLO zusicherte, keinen zionistischen Kollaborateuren im Austausch für palästinensische Gefangene in Israel Amnestie zu gewähren, würde sich Hamas zurückhalten. Später erklärte sich Hamas in ihrem Bestreben nach einem Übereinkommen mit Fatah bereit, "Diffamierungskampagnen" zu beenden, ebenso wie die Ausrufung von Streiks "um die wirtschaftliche Belastung unseres Volkes zu verringern" an festgelegten Tagen zu unterbinden.
Gleichzeitig schloss sich Hamas öffentlich mit 10 linken Gruppierungen zusammen und wurde Teil einer in der syrischen Hauptstadt Damaskus ansässige Koalition, zu der auch die PFLP und die DFLP gehörten, welche beide das Osloer Abkommen und die Zwei-Staaten-Lösung ablehnten. Die Vereinbarung verpflichtete Hamas zu gar nichts. Bedeutender war, dass die linken Fraktionen der PLO durch einen Pakt mit ihren Erzfeinden dazu beitrugen, den antiimperialistischen Anstrich der Hamas aufzupolieren.

Die Moslembrüder verstießen ihrerseits gegen die Vereinbarung von Damaskus, wann immer es ihnen gerade passte. Während die Hamas sich weigerte, an den Parlamentswahlen der Palästinensischen Autonomiebehörde teilzunehmen, nahm sie trotzdem an den Gemeindewahlen teil, "weil", wie Scheich Yasin angeblich gesagt haben soll, "sie das tägliche Leben der Palästinenser in den besetzten Gebieten beeinflussen wollte". Mit anderen Worten, sie wollte solange als loyale Opposition fungieren, bis sie die Zeit für reif erachtete, zuzuschlagen.
Dass die Hamas immer noch bereit war, die Prinzipien von Oslo unter der Voraussetzung zu akzeptieren, dass ihr politische Mitsprache gewährt würde, wird durch die Tatsache bewiesen, dass sie sich mit dem Kommandeur der israelischen Streitkräfte traf, um den Pakt zu diskutieren. Schimon Peres von der Arbeitspartei, der damalige Außenminister, erwog sogar die Idee, dass Israel Gefangene der Hamas freilassen würde, falls sie dem Terror abschwöre. Ihre Haltung zu der 10.000 Mann starken Polizeitruppe der Palästinensischen Autonomiebehörde, die jede politische Opposition niederhalten sollte, war die: "Wir begrüßen die palästinensischen Sicherheitskräfte als unsere Brüder."

Die PA ging gegen die Hamas vor, nachdem diese drei Angriffe durchgeführt hatte, bei denen 25 Israelis getötet und 50 verletzt wurden. Damit sollte ihrer Forderung Nachdruck verliehen werden, Scheich Yasin und andere Gefangene freizulassen. Gleichzeitig forderte sie, dass die PLO aufhören sollte, Israel mit Informationen über Islamisten zu versorgen. Später im Jahr 1994 verhaftete die Palästinensische Autonomiebehörde mehr als 300 Aktivisten der Hamas, nachdem sie einen israelischen Soldaten entführt und ermordet hatte. Die nächsten zwei Jahre verlor Hamas an Unterstützung, da der Glaube an die Lebensfähigkeit von Oslo weit verbreitet war.
In wenigen Jahren wurde jedoch deutlich, dass die Friedensverhandlungen keine greifbaren Ergebnisse bringen würden. Die unerträglichen Lebensbedingungen für die Mehrheit der Palästinenser in der Westbank und Gaza verschlechterten sich noch weiter, als Israel seinen Landraub fortsetzte, der nach Oslo angeblich verboten sein sollte, und den Würgegriff über die palästinensische Wirtschaft verstärkte.

Unter dem ständigen Druck von Jerusalem und Washington war die von der PLO dominierte Palästinensische Autonomiebehörde gezwungen, gegen Hamas und andere Oppositionsgruppen vorzugehen. Die PA wurde zunehmend als korrupte und undemokratische Institution angesehen, nicht mehr als ein Werkzeug Israels und nur zum Nutzen einer dünnen Schicht von Funktionären und Geschäftsleuten. Darüber hinaus behielten die israelischen Behörden die volle Kontrolle über die sogenannten autonomen Gebiete.

Hamas profitierte nicht nur von der Unfähigkeit der PLO, die nationale Unterdrückung der Palästinenser zu überwinden, sondern auch von der Unfähigkeit der PA, die drängendsten sozialen Probleme zu lösen. Soweit es überhaupt soziale Einrichtungen gab, waren sie größtenteils von der Hamas zur Verfügung gestellt und von deren Hintermännern in den arabischen Scheichtümern finanziert. Dementsprechend wurde sie in ihrer Opposition zur PLO immer aggressiver und verstärkte ihre militärischen Aktionen gegen Israel.

Im Frühjahr 1996, nachdem Premierminister Itzhak Rabin von rechtsextremen Zionisten ermordet worden war, die jede Vereinbarung mit den Palästinensern ablehnten, und kurz vor den Wahlen in Israel, führte Hamas eine ganze Serie von Bombenanschlägen durch, bei denen 60 Israelis getötet und Hunderte verletzt wurden.

Ziel war es, den rechten Likud an die Macht zu bringen und den Friedensprozess von Oslo zu zerstören. Bis heute ist ihr Ziel, eine rechte israelische Gegenreaktion zu provozieren in der Hoffnung, eine unweigerliche und brutale Vergeltung werde die Palästinenser weg von der PLO in die Arme der Hamas treiben. Wie der Haaretz-Journalist Danny Rubinstein nach Oslo schrieb: "Die terroristischen Angriffe der Hamas enthalten zwei Botschaften. Die erste - an Arafat und die PLO - lautet, wagt es nicht uns zu ignorieren; die zweite - an den Staat Israel - ist, dass Verhandlungen mit der PLO nicht das letzte Wort sind und Hamas auch berücksichtigt werden muss." Tatsächlich gab Yasin selbst Erklärungen ab, in denen er die Bereitschaft der Bruderschaft andeutete, mit Israel über einen Palästinensischen Staat zu verhandeln.

So lange der Prozess von Oslo noch die Aussicht auf positive Ergebnisse eröffnete, war die Palästinensische Autonomiebehörde in der Lage, Hamas und andere militante Gruppen unter Kontrolle zu halten. Nach dem Zusammenbruch der Gespräche von Camp David im Juli 2000 rächte sich die Unfähigkeit Arafats, den jämmerlichen Brocken, den Israel angeboten hatte, seinem Volk zu verkaufen. Dazu war er nicht in der Lage.

Der Zusammenbruch des Friedensprozesses bedeutete wiederum, dass die durch Oslo geschaffenen politischen Institutionen und Mechanismen nicht überlebensfähig waren. Die angestaute Frustration der Palästinenser explodierte schließlich im September 2000 als Scharon provokativ die heiligen islamischen Stätten in der Jerusalemer Altstadt inmitten von Hunderten Soldaten besuchte. Der darauf folgende Aufstand richtete sich jedoch ebenso gegen die Palästinensische Autonomiebehörde wie gegen Israel.

Jüngste Meinungsumfragen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Palästinenser die Selbstmordanschläge als angemessene Antwort auf Israel betrachten und die Hamas in jeder zukünftigen Wahl, bei der sie Kandidaten aufstellen würde, 25 Prozent erhalten könnte.
Die Arbeiterklasse braucht eine fortschrittliche Alternative zum Nationalismus
Das entscheidende Element der gegenwärtigen Krise in Israel/Palästina und im ganzen Nahen Osten, wo ähnliche Tendenzen existieren, ist das Fehlen einer ernsthaften revolutionären Alternative für die Arbeiterklasse - die arabische wie auch die israelische.

Unter solchen Bedingungen kann die Wut und Frustration der palästinensischen Arbeiter und Jugendlichen keinen fortschrittlichen Ausweg finden. Die reaktionärsten und rassistischsten zionistischen Elemente nutzen ihrerseits die Angst und Verzweiflung der Israelis angesichts der Selbstmordanschläge aus, um immer härtere Unterdrückung der Palästinenser zu fordern, wie beispielsweise umzäunte Bantustans wie während der Apartheid-Ära in Südafrika [die so genannten Homelands für Angehörige der Stämme der Bantu] und "Bevölkerungstransfers" - eine beschönigende Bezeichnung für ethnische Säuberungen.

Letztendlich ist das Phänomen islamistischer Gruppen wie Hamas und ihrer zionistischen Gegenstücke der Preis, den die Arbeiterklasse für ihre Unterordnung unter die verschiedenen nationalen bürgerlichen Organisationen, wie radikal sie auch immer auftreten, zahlen muss. Diese sind organisch unfähig, einen unabhängigen Kampf gegen den Imperialismus zu führen und eine demokratische und fortschrittliche Perspektive aufzuzeigen. Die Befreiung des palästinensischen Volkes von imperialistischer Unterdrückung kann nicht von den Palästinensern allein bewerkstelligt werden. Der Nationalismus, ob säkular oder religiös, dient nur dazu, die Arbeiterklasse von den Kräften zu trennen, die ihr am besten helfen können, nämlich ihren internationalen Brüdern und Schwestern, und sie stattdessen den Interessen des Kapitalismus unterzuordnen.

So lange die politische Elite Israels in der Lage ist, die Arbeiterklasse hinter der Verteidigung der "jüdischen Heimstätte" zu sammeln und reaktionäre Gruppen wie Hamas den unabhängigen Kampf der palästinensischen Arbeiterklasse in die Sackgasse eines islamischen Staats lenken können, wird der Konflikt immer grausamere und tragischere Formen annehmen.
Der israelisch-palästinensische Konflikt wurzelt in nahezu einem Jahrhundert an Intrigen verschiedener imperialistischer Mächte, die Arbeiterklasse in einer der strategisch bedeutendsten Regionen der Welt zu spalten und auszubeuten. Kern der Tragödie, die sich heute in Israel/Palästina abspielt, ist das bittere Erbe einer nationalistischen Perspektive und die ideologische Verwirrung und politische Desorientierung, die die Arbeiterklasse davon abhält, sich einer Alternative zur Ausbeutung durch ihre eigene herrschende Klasse und den Imperialismus zuzuwenden.

Die Antwort liegt in dem Kampf zur Vereinigung der arabischen und israelischen Arbeiter in einem vereinten Kampf zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen gegen kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Unterdrückung mit dem Ziel der Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens. Eine solche Lösung erfordert den Aufbau einer neuen revolutionären Führung, die sich auf das Programm des sozialistischen Internationalismus stützt.
 

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel wurde in drei Teilen am 9., 10. und 11. Juli 2002 bei der World Socialist Web Site (www.wsws.org) veröffentlicht.

Es wurden folgende Seiten gespiegelt:

http://www.wsws.org/de/2002/jul2002/hama-j11_prn.html
http://www.wsws.org/de/2002/jul2002/hama-j10_prn.html
http://www.wsws.org/de/2002/jul2002/hama-j11_prn.html