Solidarität mit Israel!

Nachtrag zur Kampagne gegen Antisemitismus und Antizionismus vom 12. bis 14. April 2002

7-8/02
 

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Wir, das Berliner Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus, haben vom 12. bis 14. April mehrere Veranstaltungen initiiert, um den antisemitisch motivierten antiisraelischen Ausfällen in der deutschen Öffentlichkeit  und den  offen antisemitischen Bekundungen auf der propalästinensischen Demonstration am 13. April etwas entgegen zu setzen.

Am Tag dieser Demo veranstalteten wir eine Kundgebung unter dem Motto „Solidarität mit Israel – gegen den antisemitischen Terror und seine SympathisantInnen“. Am folgenden Tag demonstrierten wir gemeinsam mit Jüdischer Gemeinde und Jüdischem Studentenverband.

Auch wenn seitdem bereits einige Zeit verstrichen ist und die von uns attackierten Äußerungen eines Möllemann Gegenstand eines Streits in der bürgerlichen Öffentlichkeit geworden sind, möchten wir dennoch die Aktionen dieses Wochenende nochmals resümieren und dabei insbesondere unsere Forderung nach Solidarität mit Israel begründen. 

Die Kampagne 

Unmittelbarer Anlass unserer Kampagne war die Großdemonstration „Palästina muss leben!“, zu der sich am Samstag, den 13. April 15.000 Menschen in Berlin versammelten. Zu den überwiegend palästinensischen TeilnehmerInnen gesellte sich ein illustres Spektrum aus deutschen UnterstützerInnen von Antiimps über Friedensbewegte, Grüne und PDSlerInnen bis hin zur Deutsch-Arabischen Gesellschaft und einigen Neonazis. Neben den vielen PLO-Fahnen marschierten einträchtig miteinander Fahnen der Hamas und der Hizbollah, der UCK, der PKK.  Traurige Ironie, das auch vereinzelt das Logo der Antifaschistischen Aktion zu sehen war.

Nachdem bereits in Aufrufen zu dieser Demonstration von „dem historischen Plan der zionistischen Bewegung“, von „Apartheidstaat Israel“ und „Intifada bis zum Sieg!“ die Rede war, wurden unsere Befürchtungen durch den Verlauf der Demo nicht nur bestätigt, sondern sogar noch beträchtlich übertroffen: Neben Märtyrer-Stirnbändern und Sprengstoffgürtel-Attrappen wurden Transparente und Schilder präsentiert mit Aufschriften wie „Zionisten, die wahren Rassisten“, „Stoppt Sharons Endlösung“, „Der Geist von Auschwitz schwebt über Palästina“ oder „Stoppt den israelischen Holocaust in Palästina“. Mehrere israelische Fahnen wurden unter Rufen wie „Heil, Heil, Heil Hitler!“ und „Wir wollen keine Judenschweine!“ verbrannt. Wiederholt durchbrach eine Gruppe von mehreren hundert Personen das erste Polizeispalier in dem Versuch, die von uns organisierte, in Sichtweite stattfindende Gegenkundgebung anzugreifen, worauf wir unsere Kundgebung aufgrund massiven Drucks der Polizei vorzeitig abbrechen mussten. Teilnehmer der Palästinademo hatten zuvor in Richtung der Gegenkundgebung den „Hitler-Gruß“ gezeigt. 

Unsere Aktionen richtete sich nicht – wie gerne behauptet wird - gegen ein Anliegen, unschuldige Tote auf palästinensischer Seite zu betrauern oder gegen Protestbekundungen, die auf politische und soziale Diskriminierungen aufmerksam machen, unter denen PalästinenserInnen innerhalb und außerhalb Israels zu leiden haben.

Unsere Kampagne richtete sich aber sehr wohl gegen einen auf diese Diskriminierungen nicht rückführbaren, massiven Antisemitismus in der palästinensischen Gesellschaft, dessen extremster Ausdruck die Suizidattentate gegen Jüdinnen und Juden sind. Hier ist das Mittel der Zweck, nämlich eine möglichst große Anzahl von Jüdinnen und Juden zu ermorden, nur weil sie jüdisch sind. Wer dafür Verständnis zeigt und dabei auf „Verzweiflung“ oder „Krieg“ rekurriert, hat jegliche politische Reflexionsfähigkeit eingebüßt.

Es ist hierzulande zu seit längerem zu verzeichnen, dass der sekundäre Antisemitismus der Deutschen mit dem offenen Antisemitismus von PalästinenserInnen fusioniert, sei es als Antizionismus auf der Linken, sei es als Changieren zwischen Philosemitismus und antiisraelischem Ressentiment auf der Rechten.

Gegen diesen wahrhaft völkerverbindenden antisemitischen Konsens richtete sich dann auch unsere Demonstration „Solidarität mit Israel – Gegen Antisemitismus und Antizionismus“. An dieser Demonstration beteiligten sich etwa 2.000 Menschen, darunter viele Berliner Jüdinnen und Juden. Zahlreiche jüdische Organisationen und Einzelpersonen hatten den Aufruf des Bündnisses unterstützt. Eine solche gemeinsame Mobilisierung und Zusammenarbeit von linken Gruppen und jüdischen Organisationen hat es in Deutschland zuvor noch nicht gegeben. Nicht zuletzt deshalb werten wir die Demonstration als Erfolg. Ein zweifelhafter Erfolg insofern, als er dem wachsenden Antisemitismus innerhalb und außerhalb Deutschlands geschuldet ist.

Die Demoleitung distanzierte sich bei der Auftaktkundgebung und auf der Route zweimal über Lautsprecher ausdrücklich von anwesenden rechtsfundamentalistischen Christen, deren Vereinigungen nicht nur als radikale Abtreibungsgegner bekannt sind, sondern auch gezielt in Israel die jüdische Bevölkerung mit aggressiver christlicher Missionsarbeit belästigen. Dies hinderte jedoch manche Linke, die  durch den Skandal der antisemitischen Demonstration vom Vortag in Begründungsnöte geraten waren, nicht daran, die Anwesenheit der rechten Christen als Beleg dafür zu nehmen, dass unsere Demo kein Stück besser sei, als die propalästinensische, auf der unwidersprochen zum Judenmord aufgerufen wurde. 

Das Echo in den Medien 

Schon im Vorfeld wurde die Demonstration „Palästina muss leben!“ in den deutschen Medien als friedliche Friedensdemo vorgestellt, die nichts weiter wolle, als „das berechtigte Anliegen der Palästinenser“ zu vertreten. Die Gegenkundgebung am Samstag und die Demonstration am Sonntag erschienen vorab in der Berichterstattung als Veranstaltungen von Jüdinnen und Juden und damit als Teil eines ethnisierten Kampfes. So titelte der Berliner Tagesspiegel: „Israelis und Palästinenser treffen am Alexanderplatz aufeinander“, obwohl die Medien mehrfach darauf aufmerksam gemacht wurden, dass es nichtjüdische Linke waren, die zu der Demonstrationen aufgerufen hatten. Entweder schien es unvorstellbar, dass sich nichtjüdische Linke für Israel und gegen Antisemitismus und Antizionismus einsetzen, oder man unterschlug diese Tatsache willentlich, um das Bild „Fremde tragen ihre Rivalitäten aus auf deutschem Boden aus“ weiter verbreiten zu können.

Erst nach dem Wochenende änderte sich die Berichterstattung graduell. Der antisemitische Gehalt der pro-palästinensischen Demonstration wurde jedoch weiterhin unterschlagen. Über die Angriffsversuche auf die Gegenkundgebung, die – keineswegs vereinzelten – antisemitischen Sprüche und die eindeutigen Transparente war kaum etwas zu lesen. Als „Entgleisung“ wurde allein das inzwischen berühmte Foto des Mädchens mit der Sprengstoffattrappe gewertet.

Diese Empörung muss man sich genauer ansehen: Als Skandal galten nicht etwa die mörderischen Anschläge in Israel, die Relativierung und Verharmlosung der Shoah oder die Bedrohung von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Als bedrohlich gewertet wurde allein die völlig abstruse Vorstellung, auch Deutsche könnten zum Ziel von Selbstmordanschlägen werden. Statt das Bild des als Suizidattentäterin verkleideten Mädchens zum Anlass zu nehmen, den in Israel alltäglichen antisemitischen Terror zu thematisieren, für den tatsächlich oft Kinder missbraucht werden, wurde es zum Aufhänger für rassistische Denunziation im Kontext der „inneren Sicherheit“. Das ist Zärtlichkeit der Völker auf deutsch: Man liiert sich mit den PalästinenserInnen, solange es gegen Israel geht, ansonsten sind sie „barbarisch“ und „gewalttätig“, - ein Fall für doppelte Sanktionierungen durch das AusländerInnenrecht.  An diesem Punkt sind arabische und jüdische Menschen, die in diesem Land leben, tatsächlich in einer vergleichbaren Situation: in der deutschen Wahrnehmung bleiben sie Fremde. 

Die Debatte in der Linken 

Die ernstzunehmende Kritik, die an unserer Kampagne geübt wurde, entzündete sich an dem Motto „Solidarität mit Israel“. Im wesentlichen wurden daran zwei Vorwürfe geknüpft: Ein solches Motto schließe Kritik an der israelischen Politik aus und schwäche dadurch den Kampf gegen Antisemitismus, da dieser mit einer Unterstützung der Politik der aktuellen israelischen Regierung verknüpft werde. Eine differenzierte Beurteilung des „Nahostkonflikts“ werde unmöglich, da wir ihn mit der proisraelischen Parteinahme in ein schlichtes „Gut gegen Böse“- Schema pressten.

Differenzierung kann immer nur Ergebnis eines Streits um Bestimmungen sein. Die zentrale Bestimmung des Antisemitismus ist, dass das Verhältnis von Juden und Antisemitismus nicht als kausaler Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu denken ist. Alles andere unterstellte, dass Jüdinnen und Juden durch ihr konkretes Verhalten doch irgendeinen Einfluss auf den Antisemitismus nehmen könnten und verkennt daher komplett den wahnhaften Charakter desselben. Auf Israel bezogen bedeutet dies, dass israelische Regierungsmaßnahmen nicht die Ursache für die antisemitische Welle weltweit oder den palästinensischen Antisemitismus sind. Zur Erinnerung: es war und ist völlig egal, wie Israel angesichts der Ermordung seiner Bürgerinnen und Bürger reagierte oder reagiert, ob mit Verhandlungsangeboten oder militärischer Gegenwehr. Für die Antisemiten ist Israel immer, vollkommen unabhängig vom Agieren seiner jeweiligen Regierung, der brutale Aggressor.

Es ist daher gerade alles andere als differenziert, wenn, wie häufig zu hören war, unsere Aktionen mit Sätzen wie „es ist alles so kompliziert“ oder „beide Seiten sind irgendwie schuld“ oder „ich bin  aber gegen den Siedlungsbau“ oder „jeder Nationalstaat ist scheiße,“ abgelehnt wurden. Genauso wenig, wie wir in jeder Kritik an israelischem Regierungshandeln einen Angriff auf die Existenz des Staates Israel sehen, sollten unsere KritikerInnen zum Unterscheiden zwischen der Forderung nach  „Solidarität mit Israel“ und dem Abfeiern von jeder einzelnen Maßnahme der aktuellen israelischen Regierung in der Lage sein.  

Für uns heißt Solidarität mit Israel einerseits Anteilnahme am Schicksal der Jüdinnen und Juden, die in Israel von antisemitischer Gewalt terrorisiert werden und andererseits die Verteidigung des jüdischen Nationalstaates Israel gegen alle Angriffe auf seine Existenz.

Die Gründung des Staates Israel war die Konsequenz aus dem  Scheitern von  bürgerlicher und sozialistischer Emanzipation, an dessen Endpunkt die Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden steht.

Die Entstehung des Zionismus  und sein Projekt eines jüdischen Staates ist vom europäischen Antisemitismus nicht zu trennen. Ein jüdischer Nationalstaat sollte Garant dafür sein, dass Juden ein Leben frei von antisemitischer Verfolgung führen könnten.

Dabei sah der Zionismus als Nationalbewegung der Juden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor das Problem gestellt, die Juden als „Volk“ konstituieren zu müssen, dessen Gemeinsamkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, von Restbeständen religiöser Tradition abgesehen, nur rein negativ, in gemeinsamer vergangener, gegenwärtiger und potentieller zukünftiger Verfolgung bestand.

Solange noch die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus noch in Aussicht stand, konnte der Zionismus als die falsche Antwort auf den Antisemitismus kritisiert werden. Jedoch hat die historische Prognose des Zionismus – die Fortdauer des irrationalen Hasses gegen die Juden - sich in Auschwitz auf grauenhafte Weise bewahrheitet. Die Idee eines jüdischen Nationalstaates hat sich seitdem als die dem Zustand der Geschichte bis zur Abschaffung der falschen Verhältnisse angemessene Antwort auf die Antisemitenfrage erwiesen.

Da der Antisemitismus kein temporärer irrationaler Rückfall hinter die Aufklärung ist, sondern auch nach Auschwitz von der kapitalistisch und nationalstaatlich verfassten Welt ständig neu aus sich heraus hervor gebracht wird, ist die Existenz des Staates Israel die notwendige Voraussetzung dafür, dass Juden auch in anderen Teilen der Welt in Sicherheit leben können.

Zwar verlor der Zionismus mit der Staatswerdung seine übergreifende Form und wurde zum strategischen Inhalt konkurrierender Parteien. Sein spezifischer Gehalt jedoch, die Abwehr kommender Katastrophen, ist in dem Recht eines jeden Juden und einer jeden Jüdin auf Einbürgerung in Israel bewahrt.

Dieses Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft beseitigt den Antisemitismus nicht, ist aber dennoch eine historische Errungenschaft. Eine Errungenschaft, die es in einer nationalstaatlich verfassten Welt zu verteidigen gilt - einer Welt, in der der Mensch als Individuum nichts zählt, als Staatsbürger aber immerhin etwas.

Damit Israel die Funktion als potentieller Zufluchtsort für die von Antisemiten weltweit bedrohten Jüdinnen und Juden erfüllen kann, muss es den Charakter des explizit jüdischen Nationalstaates beibehalten. Die Umsetzung eines völkischen, weil auf einem vererbbaren Flüchtlingsstatus beruhenden  „Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge“ für ca. 3, 5 Millionen Menschen bezogen auf das  israelische Staatsgebiet, wie es von den Organisatoren der propalästinensischen Demo am 13. 4. gefordert wurde, würde die Zerstörung des jüdischen Staates Israel bedeuten. 

Dass man das Existenzrecht des Staates der Überlebenden der Shoa nicht in offen Frage stellen darf, haben mittlerweile selbst viele Anhänger der Palästinasoliszene gelernt. Angesichts ihrer gleichzeitigen Forderung nach Umsetzung eines umfassenden Rückkehrrechts erweist sich diese vermeintliche Einsicht jedoch  als blosses Lippenbekenntnis.

Gerade weil die relative Sicherheit, die der Staat Israel Jüdinnen und Juden bietet, angesichts antisemitischer Selbstmordattentate, die von Staaten wie dem Iran oder dem Irak finanziert werden, prekär ist, gerade angesichts eines arabischen und europäischen Antisemitismus, der faktisch die Existenz Israels in Frage stellt, gerade angesichts einer europäischen Politik, die sich durch eine offensiv antiisraelischen Politik in der arabischen Welt gegenüber den USA profilieren will und  damit Israel in seiner Existenz gefährdet und damit letztlich das Leben von Juden und Jüdinnen auf der ganzen Welt, treten wir für unbedingte Solidarität mit Israel ein, einer Solidarität, die solidarische Kritik jedoch nicht ausschließt.

Etwas ganz anderes ist jedoch, wenn das, was als „Kritik an Israel“ daherkommt, überhaupt nichts mit dem konkreten Agieren einer israelischen Regierung zu tun hat. Die vergangenen Wochen haben deutlich gezeigt, dass – nicht nur in Deutschland – „Kritik an Israel“ oftmals nur das Vehikel abgibt für offene Artikulation des antisemitischen Ressentiments. Die stetig wiederholte Forderung, man müsse „endlich“ Israel auch hierzulande „kritisieren“ dürfen, bricht ein Tabu, das noch nie bestanden hat. Zu keinem Zeitpunkt war es verboten, an Israel „Kritik“ zu üben. Wer Zeitung liest, kann sich mit solcher Art „Kritik“ täglich versorgen.

Da niemand je untersagt hat, Israels Politik zu kritisieren, fragt sich, was sich hinter dem Satz verbirgt, dass man doch das Recht haben müsse, Israel zu kritisieren, ohne zum Antisemiten gestempelt zu werden. Wie sich an der Person Möllemanns exemplarisch zeigen lässt, soll dies häufig nur die Frage verbieten, ob die konkrete Äußerung zu Israel antisemitische Implikationen hat. „Kritik an Israel“, die mit Begriffen wie „Vernichtungskrieg“ oder „Massaker“ operiert, basiert auf nichts anderem als antisemitischen Ressentiment und bedient im Besonderen das deutsche  Bedürfnis nach Relativierung der Geschichte.

Jede „Kritik“ also, die angesichts der größten antisemitischen Welle seit 1945 die Legitimität Israels in Frage stellt und seine Bedrohung leugnet, werden wir weiterhin angreifen.

Berlin, den 21. 6. 2002

Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus, bestehend aus Einzelpersonen, gruppe venceremos, Initiative kritische Geschichtspolitik 

e-mail: bgaa_berlin@yahoo.de
homepage: http://www.bgaa-berlin.de.vu/

 

Editorische Anmerkungen:

Der Text wurde uns von den AutorInnen mit der Bitte um Veröffentlichung am 23.6.2002 zugesandt.