Marx über Bedürfnisse
zusammengestellt von  Wal Buchenberg 

Aus: Marx-Lexikon, www.marx-forum.de

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Bedürfnisse

1. Bedürfnisse entwickeln sich historisch mit den Möglichkeiten ihrer Befriedigung.

“Zum Leben ... gehört vor allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges Andere.
Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst, und zwar ist dies eine geschichtliche Tat, eine Grundbedingung aller Geschichte, die noch heute, wie vor Jahrtausenden, täglich und stündlich erfüllt werden muss, um die Menschen am Leben zu erhalten. ....
Das Zweite ist, dass das befriedigte erste Bedürfnis selbst, die Aktion der Befriedigung und das schon erworbene Instrument der Befriedigung zu neuen Bedürfnissen führt ...“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 28.
“Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw. sind verschieden je nach den klimatischen und anderen natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andererseits ist der Umfang sogenannter notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes ... ab.“ K. Marx, Kapital I, 185.
„Indem die Konsumtion das Bedürfnis neuer Produktion schafft, also den idealen, innerlich treibenden Grund der Produktion, der ihre Voraussetzung ist. Die Konsumtion schafft den Trieb der Produktion;“ K. Marx, Grundrisse, S. 13.
„Je mehr die selbst geschichtlich - durch die Produktion selbst erzeugten Bedürfnisse, die gesellschaftlichen Bedürfnisse ... als notwendig gesetzt sind, um so höher ist der wirkliche Reichtum entwickelt. Der Reichtum besteht stofflich betrachtet nur in der Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse.“ K. Marx, Grundrisse, S. 426.

2. Der Kapitalismus entwickelt bei allen Menschen ständig neue Bedürfnisse und das ist gut so ...

„Zum Beispiel braucht durch Verdoppelung der Produktivkraft nur mehr ein Kapital von 50 angewandt zu werden, wo früher eins von 100 nötig war, so dass ein Kapital von 50 und die ihm entsprechende notwendige Arbeit frei wird; so muss für die freigewordenen Kapital und Arbeit ein neuer, qualitativ verschiedener Produktionszweig geschaffen werden, der neues Bedürfnis befriedigt und hervorbringt. ...
Also Erforschen der ganzen Natur, um neue nützliche Eigenschaften der Dinge zu entdecken; universeller Austausch der Produkte aller fremden Klimate und Länder; neue Zubereitungen (künstliche) der Naturgegenstände, wodurch ihnen neue Gebrauchswerte gegeben werden...;
die Entwicklung der Naturwissenschaft daher zu ihrem höchsten Punkt...; ebenso die Entdeckung, Schöpfung und Befriedigung neuer aus der Gesellschaft selbst hervorgehenden Bedürfnisse; die Kultur aller Eigenschaften des gesellschaftlichen Menschen und Produktion desselben als möglichst bedürfnisreichen, weil Eigenschafts- und Beziehungsreichen - seine Produktion als möglichst totales und universelles Gesellschaftsprodukt - (denn um nach vielen Seiten hin zu genießen, muss er genussfähig, also zu einem hohen Grad kultiviert sein) - ist ebenso eine Bedingung der auf das Kapital gegründeten Produktion.“ K. Marx, Grundrisse, S. 312f.
„Als das rastlose Streben nach der allgemeinen Form des Reichtums treibt aber das Kapital die Arbeit über die Grenzen ihrer Naturbedürftigkeit hinaus und schafft so die materiellen Elemente für die Entwicklung der reichen Individualität, die ebenso allseitig in ihrer Produktion als Konsumtion ist ...;" K. Marx, Grundrisse, S. 231.
„Übrigens... verlangt jeder Kapitalist zwar, dass seine Arbeiter sparen sollen, aber nur seine, weil sie ihm als Arbeiter gegenüberstehen; beileibe nicht die übrige Welt der Arbeiter, denn sie stehen ihm als Konsumenten gegenüber. Trotz aller ‚frommen‘ Redensarten sucht er daher alle Mittel auf, sie zum Konsum anzuspornen, neue Reize seinen Waren zu geben, neue Bedürfnisse ihnen anzuschwatzen etc.
Es ist gerade diese Seite des Verhältnisses von Kapital und Arbeit, die ein wesentliches Zivilisationsmoment ist, und worauf die historische Berechtigung, aber auch die gegenwärtige Macht des Kapitals beruht.“ K. Marx, Grundrisse, S. 198.

3. ... gleichzeitig beschränkt der Kapitalismus aber bei wachsendem allgemeinem Reichtum für die Mehrzahl der Menschen den Zugang zu diesem Reichtum (= relative Verelendung).

„Das rasche Wachstum des produktiven Kapitals ruft ebenso rasches Wachstum des Reichtums, des Luxus, der gesellschaftlichen Bedürfnisse und der gesellschaftlichen Genüsse hervor.
Obgleich also die Genüsse des Arbeiters gestiegen sind, ist die gesellschaftliche Befriedigung, die sie gewähren, gefallen im Vergleich mit den vermehrten Genüssen des Kapitalisten, die dem Arbeiter unzugänglich sind, im Vergleich mit dem Entwicklungsstand der Gesellschaft überhaupt.
Unsere Bedürfnisse und Genüsse entspringen aus der Gesellschaft; wir messen sie daher an der Gesellschaft;“ K. Marx, Lohnarbeit und Kapital, MEW 6, 412
„Der Kapitalist produziert nicht, um durch das Produkt seine Bedürfnisse zu befriedigen; er produziert überhaupt nicht mit unmittelbarer Rücksicht auf die Konsumtion.
Er produziert, um Mehrwert zu produzieren.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1., 61f.
„Das Maß dieser Mehrwertproduktion ist das Kapital selbst, die vorhandene Stufenleiter der Produktionsbedingungen und der maßlose Bereicherungs- und Kapitalisationstrieb der Kapitalisten, keineswegs die Konsumtion, die von vornherein gebrochen ist, da der größte Teil der Bevölkerung, die Arbeiterbevölkerung, nur innerhalb sehr enger Grenzen ihre Konsumtion erweitern kann...“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, 26.2, 492f.
“Die Überproduktion speziell hat das allgemeine Produktionsgesetz des Kapitals zur Bedingung, zu produzieren im Maß der Produktivkräfte (d.h. der Möglichkeit mit gegebener Masse Kapital größtmöglichste Masse Arbeit auszubeuten) ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Markts oder der zahlungskräftigen Bedürfnisse, und dies durch beständige Erweiterung der Reproduktion und Akkumulation, daher beständige Rückverwandlung von Revenue in Kapital auszuführen, während andererseits die Masse der Produzenten auf das durchschnittliche Maß von Bedürfnissen beschränkt bleibt und der Anlage der kapitalistischen Produktion nach beschränkt bleiben muss.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, 26.2, 535.
„Das bloße Verhältnis von Lohnarbeiter und Kapitalist schließt ein:
1. dass der größte Teil der Produzenten (die Arbeiter) Nichtkonsumenten (Nichtkäufer) eines sehr großen Teils ihres Produkts sind, nämlich der Arbeitsmittel und des Arbeitsmaterials; (das macht in Deutschland gegenwärtig rund 40 % der Produktion aus, wb)
2. dass der größte Teil der Produzenten, die Arbeiter, nur ein Äquivalent (= gleichen Wert) für ihr Produkt konsumieren können, solange sie mehr als dies Äquivalent - den Mehrwert oder das Mehrprodukt - produzieren.
Sie müssen stets Überproduzenten sein, über ihr Bedürfnis hinaus produzieren, um innerhalb der Schranken ihres Bedürfnisses Konsumenten oder Käufer sein zu können.“ (Die Lohnarbeiter schaffen ständig Waren  im Wert von c + v + m. Sie konsumieren aber gleichzeitig nur Waren im Wert von v plus den Teil von c, der in die Waren eingeht, die v repräsentieren.) K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.2, 520.
„Je mehr sich die kapitalistische Produktion entwickelt, um so mehr (ist sie) gezwungen ..., auf einer Stufenleiter zu produzieren, die mit der unmittelbaren Nachfrage nichts zu tun hat, sondern von einer beständigen Erweiterung des Weltmarktes abhängt. ...
Die Nachfrage der Arbeiter genügt nicht, da der Profit ja gerade dadurch herkommt, dass die Nachfrage der Arbeiter kleiner ist als der Wert ihres Produkts, und um so größer ist, je relativ kleiner diese Arbeiternachfrage ist. Die Nachfrage der Kapitalisten untereinander genügt ebenso wenig.
Die Überproduktion bringt keinen permanenten Fall des Profits hervor, aber sie ist permanent periodisch. Es folgt ihr Unterproduktion usw.
Die Überproduktion geht gerade daraus hervor, dass die Masse des Volks nie mehr als die Durchschnittsmenge an Lebensnotwendigem konsumieren kann, ihre Konsumtion also nicht entsprechend wächst mit der Produktivität der Arbeit.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, 26.2, 469.
„Die Unterkonsumtion der Massen ist eine notwendige Bedingung aller auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaftsformen, also auch der kapitalistischen;“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 266.
Die „kapitalistische Produktionsweise produziert ... einerseits eine sich immer steigernde Proletarisierung der gesamten großen Volksmasse, andererseits eine immer größere Masse unabsetzbarer Produkte.
Überproduktion und Massenelend, jedes die Ursache des anderen, das ist der absurde Widerspruch, worin sie ausläuft ...“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 300.
„Das Wort Überproduktion führt an sich in die Irre. Solange die dringendsten Bedürfnisse eines großen Teils der Gesellschaft nicht befriedigt sind oder nur seine unmittelbarsten Bedürfnisse, kann natürlich von einer Überproduktion von Produkten - in dem Sinn, dass die Masse der Produkte überflüssig wäre im Verhältnis zu den Bedürfnissen für sie - absolut nicht die Rede sein. Es muss umgekehrt gesagt werden, dass auf Grundlage der kapitalistischen Produktion in diesem Sinn beständig unterproduziert wird.
Die Schranke der Produktion ist der Profit der Kapitalisten, keineswegs das Bedürfnis der Produzenten.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, 26.2, 528.
„(und der Anteil, den der Arbeiter an höheren, auch geistigen Genüssen, nimmt, die Agitation für seine eigenen Interessen, Zeitungen halten, Vorlesungen hören, Kinder erziehen, Geschmack entwickeln etc, sein einziger Anteil an der Zivilisation, der ihn vom Sklaven scheidet, ist ökonomisch nur dadurch möglich, dass er den Kreis seiner Genüsse in den guten Geschäftszeiten erweitert, also in den Zeiten, wo Sparen zu einem gewissen Grade möglich)“ K. Marx, Grundrisse, 197f.

4. Die künftige Produktionsweise richtet die Produktion auf Befriedigung der Bedürfnisse aus.

„In fact aber, wenn die bornierte bürgerliche Form abgestreift wird, was ist der Reichtum anderes, als die im universellen Austausch erzeugte Universalität der Bedürfnisse, Fähigkeiten, Genüsse, Produktivkräfte etc. der Individuen?
Die volle Entwicklung der menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der sogenannten Natur sowohl, wie seiner eigenen Natur?
Das absolute Herausarbeiten seiner schöpferischen Anlagen, ... die diese Totalität der Einwicklung, d.h. die Entwicklung aller menschlichen Kräfte als solcher, ... zum Selbstzweck macht?“ K. Marx, Grundrisse, S. 387.
„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann ... die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 21.

(Wem übrigens dieses Prinzip und damit der Kommunismus utopisch vorkommt - als eine Sache, die nicht schon morgen, sondern vielleicht erst nach Jahrhunderten zu verwirklichen sei -, der sei daran erinnert, dass heute schon unsere Krankenkassen und die Sozialversicherung in Deutschland auf der Basis von ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!’ organisiert sind, wenn auch nur innerhalb der Lohnarbeiterklasse und auf der Grundlage behördlich vorgeschriebener Bedürfnisse.
Würden die Kapitalisten und alle unproduktiven Lohnarbeiter wie die Beamten ebenfalls an diesem Prinzip beteiligt, wären die Lasten insgesamt geringer und die Versorgung für die meisten besser. Die Krise der Krankenkassen und der Sozialversicherungen kommt also nicht daher, dass sie nach einem kommunistischen Prinzip arbeiten, sondern daher, dass dieses kommunistische Prinzip nur halbherzig durchgeführt wird.)
Wal Buchenberg, 16.7.2001