http://morgenpost.berlin1.de/archiv2001/010711/berlin/story439897.html

In der Schuldenfalle

Wohnungsbaugesellschaften haben finanzielle Belastungen in Milliardenhöhe

Von Michael Posch

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Die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn ist pleite. Dem Vernehmen nach hat sie etwa 1,5 Milliarden Mark (766,93 Millionen Euro) an Schulden aufgehäuft. Heute muss sich der Hauptausschuss mit dem Unternehmen befassen, denn nach der Bankgesellschaft drohen dem Land durch marode Wohnungsunternehmen finanzielle Belastungen in Milliardenhöhe.

Nach Angaben der Sprecherin der Bauverwaltung, Petra Reetz, will der Senat in den nächsten Wochen Pläne zur Gesundung der Unternehmen vorlegen. Wie diese aussehen, wollte sie nicht sagen. Nach Informationen aus Senatskreisen ähnlich wie bei der Marzahner Gesellschaft: Das Unternehmen soll für 95 Cent (etwa 1,80 Mark) an die Degewo verschachert werden. Für Experten - wie Makler aber auch CDU-Haushaltsexperte Kaczmarek - die schlechteste Lösung. Durch Übernahmen maroder Gesellschaften würden die letzten solventen Gesellschaften gefährdet.

Kaczmarek forderte den Übergangssenat auf, bei einem Kassensturz die Haushaltsrisiken der Wohnungsbaugesellschaften aufzulisten. Wie aus dem aktuellen Beteiligungsbericht des Senats hervorgeht, haben viele Unternehmen neben normalen Bankschulden, die in den Büchern der Gesellschaften auftauchen, extrem hohe Millionenbeträge an Wohnungsbaudarlehen angesammelt. Diese fehlen in den Bilanzen, obwohl sie zurückgezahlt werden müssen. So summieren sich beispielsweise bei der Wohnungsbaugesellschaft WIR als nicht passiviertes Fremdkapital bezeichnete Kredite auf etwa 375 Millionen Mark (191,73 Millionen Euro). Das Eigenkapital des Unternehmens beträgt dagegen nur etwas mehr als 143 Millionen Mark (73,11 Millionen Euro). Bei der Degewo belaufen sich nicht erfasste Schulden auf 474 Millionen Mark (242,35 Millionen Euro), (Eigenkapital: 442 Millionen Mark; 225,99 Millionen Euro). Verschärfend kommt laut Kaczmarek hinzu, dass die Unternehmen viele Töchter gegründet haben, die ebenfalls nicht in den Bilanzen auftauchen. Er befürchtet, dass - ähnlich wie bei der Bankgesellschaft - extreme Risiken u. a. durch unverkäufliche Immobilien ausgelagert und somit Überprüfungen entzogen wurden. So besitzt die Gehag mit 30 871 Wohnungen zwölf Töchter, die sich um Versicherungs- und Verwaltungsarbeiten bis hin zum Antennenbau, Datenverarbeitung und Fondsverwaltung kümmern. Die GSW (72 282 Wohnungen) kommt auf sieben, selbst kleine wie Hohenschönhausen (etwa 27 000 Wohnungen) oder Marzahn (32 000) haben fünf bzw. zwei Töchter.

Der Haushaltsexperte geht davon aus, dass in diesem Jahr neben Marzahn noch weitere Gesellschaften bedroht sein dürften. Denn wie Marzahn haben «fast alle Gesellschaften nach unseren Informationen keine Wertberichtigungen vorgenommen und weisen Immobilien und Flächen noch mit Preisen aus der Boomzeit bis Mitte der 90er-Jahre aus», so der CDU-Franktionsvize. So habe Marzahn Flächen mit etwa 1000 Mark pro Quadratmeter bewertet, obwohl sie teils wertlos seien.

Eine ehrliche Neubewertung hätte zur Folge, dass viele Gesellschaften mangels Eigenkapital überschuldet wären. Entweder müsste das Land als Mit- oder alleiniger Eigentümer finanziell einspringen oder die Unternehmen wären pleite.

Kaczmarek erneuerte seine Forderung, die zwölf Gesellschaften zusammenzufassen. Nur so könnten sie straff und kostengünstig geführt werden. Die SPD-Idee, die Unternehmen unter dem Dach einer Holding zusammenzufassen, sei keine Lösung. Auch für den Chef des Verbands Deutscher Makler Alexander Reinoff sind Wertberichtigungen dringend geboten. Reinoff meinte, dass Immobilien seit den Hochpreisen im Schnitt etwa die Hälfte an Wert eingebüßt haben. Der Experte verweist zudem auf etwa 130 000 leer stehende Wohnungen in der Stadt, von denen viele im Bestand der Gesellschaften sind. Seiner Meinung nach müssten vor allem Neubauten im Ostteil abgerissen werden. Selbst vermietet, würden die Mieten die Betriebskosten nicht decken.

Dem Bund der Steuerzahler sind die Wohnungsbaugesellschaften als Versorgunsgsstelle für verdiente Parteifunktionäre ein Dorn im Auge. Zumal die von den Gesellschaften aufgenommenen Kredite nicht im Landesetat auftauchen, obwohl der Senat für die bis zu sechs Milliarden Mark betragenden Kredite notfalls aufkommen muss. Auch Steuerzahlerchef Günter Brinker forderte, alle Risiken offen zu legen.