Der Fall Naturpark Stechlin-Ruppiner Land in Brandenburg 
Wie Ostdeutschlands Natur systematisch zerstört wird

von Klaus Hart
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Deutschland hat einen neuen überaus attraktiven Naturpark – mit so vielen Klarwasserseen, zehn insgesamt, sowie Fisch-und Seeadlern wie nirgendwo sonst. Er ist der elfte Brandenburgs, heißt Stechlin-Ruppiner Land, liegt sechzig Kilometer von Berlin entfernt, grenzt direkt an Mecklenburg-Vorpommern und ist mit dem Nationalpark Müritz verbunden. Dennoch stimmen Artenschützer der Region  in Lob und Hudel von Potsdamer Politikern und der Kommerzpresse nicht mit ein, nennen die Entscheidung für den Naturpark „eine Katastrophe für den Naturschutz“. Denn selbst NABU-Vizepräsident Michael Succow, Windkraftkritiker, Träger des Alternativen Nobelpreises und auch das Bundesamt für Naturschutz wollten in der Region angesichts der einmaligen Naturausstattung einen Nationalpark, wegen der weit strengeren Schutzbestimmungen.

Wie aus brandenburgischen Naturschützerkreisen verlautete, wurde dies von wirtschaftshörigen westdeutschen Spitzenbeamten, vor allem  dem als Umwelt-Staatssekretär in der Landesregierung installierten nordrhein-westfälischen Politiker Schmitz-Jersch verhindert:“Der steckt dahinter, hat mit Naturschutz überhaupt nichts am Hut.“ Beschuldigt wird auch der  Grüne Axel Vogel aus Bayern, der anstelle weit besser qualifizierter brandenburgischer Naturschutz-Experten zum  Direktor der Landesanstalt für Großschutzgebiete gemacht wurde.

Der Brandenburger Michael Succow ist  Initiator des ostdeutschen Nationalparkprogramms -  in den Wirren der Wende gelang es ihm als Vize-Umweltminister, noch auf der allerletzten Sitzung des DDR-Ministerrates fünf solcher Schutzgebiete beschließen zu lassen. Nur, wie Succow gerne einräumt, passierte ein Lapsus, ausgerechnet die ihm so am Herzen liegende Stechlin-Region, von der schon  Theodor Fontane so schwärmte, war als Nationalpark vorgesehen, wurde aber schlichtweg vergessen. Schutzgebietsdirektor Vogel weiß um die Qualitäten der Region, vergleicht mit den Alt-Bundesländern: “Seen mit Sichttiefen von 15, 20 Metern – der Stechlinsee ist ja über sechzig Meter tief – sie haben hier wunderbare riesig große unzerschnittene Wälder, die sie in Baden-Württemberg oder Hessen überhaupt nicht mehr finden heutzutage. Sie haben hier ohne Probleme die Möglichkeit, Fischadler zu sehen, wie sie nach Fischen jagen – sie können Seeadler sehen – sie haben praktisch ne Garantie dafür. Wo können Sie das in Deutschland – das ist schon einmalig. Fischotter flächendeckend –  im Westen praktisch kaum noch, als Wappentier die Schellente – eine kleine, weiß-schwarze höhlenbrütende Ente, die ehemalige Spechthöhlen besiedelt – die können zum Beispiel in Süddeutschland fast nicht existieren, weil sie auf Klarwassergebiete angewiesen sind.“

Viele Arten auf der Roten Liste, vom Aussterben bedroht. Deshalb setzte das Bundesamt für Naturschutz 1997 in Professor Succows Sinne noch einmal nach, belegte an Hand einer ausführlichen Studie, daß die Stechlin-Region zu den letzten naturnahen Landschaften Brandenburgs zählt, große zweihundertjährige Buchenwälder hat. „Um die erforderliche Betreuung zu sichern und die Koordinierung der Nutzungsansprüche und Rückführung den Naturhaushalt störender Nutzungen zu überwachen, ist dem Gebiet einzig der Status eines Nationalparks in einer Größe von rund 10000 ha angemessen.“ Die CDU-SPD-Koalition in Potsdam entschied  jedoch anders. Der neue Naturpark ist nun zwar rund 80 000 Hektar groß, macht aber gerade in den sensibelsten Biotopen auch am Stechlinsee vielfältige wirtschaftliche Nutzung möglich. Umwelt-und Landwirtschaftsminister Wolfgang Birthler vor der Presse:

„Die Mindestanforderung Nationalpark heißt 50 Prozent Totalreservate – ich denke, das ist nicht passend für diese Gegend, grade Tourismusentwicklung, viele Gemeinden. Ich glaube, daß für die modellhafte Entwicklung, auch die Bündelung von Fördermitteln – wir werden auch EU-Life-Mittel hier im Naturpark einsetzen – dieser Status der Richtige ist.“

Minister Birthler wollte nicht ausschließen, daß ausgerechnet am Stechlinsee ein Gewerbegebiet entsteht – wie auch von Lokalpolitikern gewünscht - genau dort, wo derzeit das frühere DDR-Atomkraftwerk Rheinsberg abgebaut wird.

“Das muß dann die Wirtschaftsentwicklung zeigen – wenn da etwas kommt, muß man locker und kompetent damit umgehen.“

- Trittin-Entscheidung -
Bruten vom Aussterben bedrohter Arten im Naturpark vorsätzlich vernichtet

Trotz der Proteste von NABU und Grüner Liga wurden im Mai dort Castorbehälter abtransportiert – wegen der vielfältigen Störungen, besonders durch Polizei und Bundesgrenzschutz, gingen Bruten vom Aussterben bedrohter Fischadler und Wanderfalken verloren – die Umweltverbände sprechen von vorsätzlicher Verletzung des Bundesnaturschutzgesetzes, ein Ermittlungsverfahren gegen Bundesumweltminister Jürgen Trittin wurde erwogen. Diese Website hat ausführlich berichtet. Für Minister Birthler ist die Frage der Gesetzesverletzung indessen  Abwägungssache.

“Bei einer so schwierigen Kiste wie Castortransporte kann man sich nicht nur auf Naturschutz beziehen – da muß man auch Abstriche beim Naturschutz mitnehmen.“

Der Minister räumt ein, daß der durchs Naturschutzgebiet am Stechlinsee geplante breite asphaltierte Radwanderweg dann auch von Autofahrern genutzt wird. Weil  Großschutzgebietsdirektor Axel Vogel die Positionen des Ministers voll unterstützt, sind die Umweltverbände und Artenschützer jetzt sehr  besorgt. Laut Paul Sömmer,  einer der renommiertesten Adler-und Wanderfalkenexperten Deutschlands, Leiter der staatlichen Naturschutzstation Woblitz im neuen Naturpark,  dürften die Naturschutzziele  jetzt „hintenrunterfallen“.

- Falsche Totschlagsargumente -

Besonders im Osten ist üblich, Naturschutz-Forderungen mit dem Totschlagsargument der Schaffung von Arbeitsplätzen abzuschmettern. Im Falle des Naturparks gelte dies besonders für den Tourismus. Was nach Darstellung erfahrener ehrenamtlicher Naturschützer aus DDR-Zeiten indessen verschwiegen wird: Vor der Wende kamen viel, viel mehr Urlauber in die Stechlin-Region, fast durchweg einfache Leute, gewöhnlich mit der Bahn, hatten eine enge Beziehung zur Landschaft, gute Naturkenntnisse. Junge Naturschützer schwärmten von  ihren Camps in die Wälder aus. Gewerkschaftsheime, Ferienlager wurden nach der Wende dichtgemacht – Hotel-und Pensionsbetten, oft überteuert, für normale Ostdeutsche kaum erschwinglich, sind derzeit nur zu dreißig Prozent ausgelastet. Jetzt dominieren, wie es heißt, Auto-Wochenendtouristen, meist ohne Bezug zu Landschaft und Natur, „die vor allem Kosten produzieren, jedoch kaum etwas einbringen“. Die Rheinsberger Naturschönheiten ausgerechnet dieser Art von Fremdenverkehr zu erschließen, sei mehr als umweltschädlich.

Logisch, daß all dies wie üblich in der Hauptstadt-und Regionalpresse unterschlagen wird, man die Forderung Succows und des Bundesamtes für Naturschutz, einen Nationalpark statt des lächerlichen Naturparks zu schaffen, nicht einmal erwähnt. Welche landwirtschaftliche Nutzung im neuen Naturpark forciert wird, sieht jeder, der dafür noch Augen hat, vom Fahrrad aus am besten – öde Monokulturen, vor allem der am meisten mit Agrargiften gespritzte Raps, bestimmen das Bild, nicht mehr um die dreißig Feldfruchtarten, wie vor der Wende.