Die Auslieferung von Milosevic - ein Präzendenzfall imperialistischer Siegerjustiz

von Red. AndersGesehen

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Die triumphierende Berichterstattung der Medien über die Auslieferung von Slobodan Milosevic an das Haager Kriegsverbrechertribunal erinnerte ein wenig an ein Ritual aus der Antike, wo es der Sage nach durchaus üblich war, besiegte feindliche Feldherren vor versammelten Zuschauern von einem Pferdegespann durch die Straßen schleifen zu lassen. Während Bundeskanzler Schröder noch den „Sieg der Gerechtigkeit" bejubelte, verkündete die Anklägerin del Ponte gleich nach der Ankunft des Angeklagten voller Überschwang bereits das Urteil: Milosevic würde das Gefängnis nicht lebend verlassen.

Was hier von deutschen Medien und Staatsmännern gefeiert wird, ist in der Tat mehr als nur die Kapitulation eines feindlichen Staates. Hier soll ein Exempel statuiert werden. Milosevic war nämlich einer der letzten Staatsmänner, die nicht bereit sind, ihren Leuten diejenigen segensreichen Wirkungen der kapitalistischen Marktwirtschaft zuteil werden zu lassen, mit denen die Einwohner anderer Ostblockstaaten seit einem Jahrzehnt beglückt werden. Wie die kapitalistischen Staaten darauf reagiert haben, ist bekannt: Nicht nur, daß die EU den Zerfall Jugoslawiens tatkräftig nach eigenem Gutdünken mitgestaltete, auch dem noch verbliebenen Rest-Jugoslawien wurde bis zum Sturz von Milosevic nach Strich und Faden zugesetzt - bis hin zur Bombardierung der Bevölkerung, die auf diese Weise dafür haften mußte, daß die damalige jugoslawische Regierung nicht bereit war, terroristische Angriffe der UCK auf die Serben im Kosovo zu dulden.

Daß sich Jugoslawien schließlich unter einer neuen Regierung dem Willen der Siegermächte gebeugt hat, stellt diese keineswegs zufrieden. Sie verlangten von der neuen Regierung nicht nur eine ausdrückliche Distanzierung von der durch die alte Regierung repräsentierten Staatsform, sondern sprachen ihr auch das Recht ab, selber über ihren Ex-Präsidenten zu urteilen und ihn womöglich doch noch ungeschoren davonkommen zu lassen. Mit der Auslieferung wird ein Präzedenzfall geschaffen: jedem Staat, der sich der kapitalistischen Weltordnung in irgendeiner Weise widersetzt, blüht eine Strafaktion der imperialistischen Staaten, die sich nicht nur gegen seine Bevölkerung, sondern persönlich gegen die Regierenden richtet. Mit dem Haager Tribunal dokumentieren die Siegermächte, daß es sich bei ihrer kapitalistischen Weltordnung um einen Rechtszustand handelt, an den sich jede Regierung gefälligst zu halten hat.

Daß die früher vorgebrachten Gründe für die Bombardierung Serbiens und die Anklage von Milosevic (z.B. der sogenannte „Hufeisenplan") sich als erstunken und erlogen entpuppt haben, wird mittlerweile offiziell zugegeben und ist jetzt auch gar nicht mehr so wichtig.

Man hat nämlich mittlerweile ganz andere Argumente, die jugoslawische Regierung von der Auslieferung des Ex-Präsidenten zu überzeugen. Welche, das sagte uns Herr Steiner, außenpolitischer Koordinator im Kanzleramt, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk:

„Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte zuletzt am Donnerstag eine sehr klare unmissverständliche Botschaft an die jugoslawische Führung gesandt. Darin forderte er im Interesse der Menschen in Jugoslawien, jetzt ein Zeichen zu setzen, was nur die Überstellung des Hauptangeklagten an das Tribunal bedeuten kann. Wir benötigen - so hat der Bundeskanzler ganz klar gesagt - einen entscheidenden Schritt aus moralischen, rechtlichen und politischen Gründen, und zwar noch vor der Geberkonferenz. Und es ist gut, dass dies rechtzeitig geschehen ist."

Nachdem sie Serbiens Wirtschaftsgrundlage durch jahrelanges Embargo und Bomben so zerstört haben, daß das Land ohne fremde Finanzhilfe nun wirklich nicht mehr existieren kann, spielen die Feinde Jugoslawiens sich nun als mildtätige Geber auf und bieten als Rettung in der Not eine lupenreine Erpressung an: Dollars für den Wiederaufbau - Zug um Zug gegen den Kopf von Milosevic. Um die widerspenstigen Teile der Bevölkerung, bei denen sich Milosevic noch immer einer gewissen Beliebtheit erfreut, dürfen sich demnächst die von diesem Geld entsprechend ausgestatteten serbischen Innenbehörden kümmern.

Daß sich die Siegermächte den Triumph nicht nehmen lassen, Milosevic selber abzuurteilen, wirft ein Licht auf die Souveränität des neuen Jugoslawiens. Der Krieg gegen Jugoslawien zielte nämlich nicht einfach, wie immer verkündet, auf die Absetzung von Milosevic. Daß das Land nach der Vernichtung seiner wirtschaftlichen Grundlage durch das jahrelange Embargo und die Bombardierung jetzt auf Kredite kapitalistischer Staaten angewiesen ist, hat vielmehr dessen vollständige Unterwerfung unter die Bedingungen der Geberländer zur Folge. Nicht nur, daß deren Kredite zu bedienen sind, sondern diese werden überhaupt nur gewährt unter der Bedingung, daß die aufzubauende serbische Wirtschaft jetzt nicht mehr der Stärkung der serbischen Nation dient, sondern den Geberstaaten. Was das für die oben zitierten „Interessen der Menschen in Jugoslawien" heißt, kann man sehr schön am Beispiel anderer ehemaliger Ostblockländer sehen.

Doch die jetzt anstehende Verarmung der serbischen Bevölkerung ist selbstverständlich kein Kriegsverbrechen. Die Siegerjustiz und ihre journalistischen Hofschranzen dürften es locker fertigbringen, auch dies noch Herrn Milosevic in die Schuhe zu schieben.

Der deutsche Fernsehzuschauer, der die Auslieferung an den Bildschirmen life mit verfolgen durfte, mag sich zwar über diesen „Sieg der Gerechtigkeit" zusammen mit seinem Bundeskanzler freuen - die Konsequenzen dieses Sieges sind für ihn jedoch weit weniger erfreulich. Nicht nur, weil er bereits jetzt für die Kosten der Balkaneroberung haftbar gemacht wird - in Form der sogenannten „Pro-Kopf-Verschuldung", mit der die Regierung in schöner Regelmäßigkeit einen Einschnitt nach dem anderen in seinen Geldbeutel begründet. Früher oder später wird er auch die Früchte dieser Eroberung zu spüren bekommen - zum Beispiel dann, wenn die Kapitalisten ihre Angriffe auf Lohn und Arbeitsbedingungen wieder mal mit dem genüßlichen Verweis auf das breite Angebot an Billiglohnstandorten garnieren, zu denen dann auch Serbien zählen wird.

Aber auch jene Minderheit, die die Freude über den „Sieg der Gerechtigkeit" nicht teilt und angesichts der mittlerweile widerlegten Anklagepunkte die „Sofortige Freilassung von Milosevic" fordert, liegt leider falsch. Wer sich darüber beschwert, daß Milosevic zu Unrecht angeklagt sei, hat nämlich das von den Nato-Staaten kraft ihres Gewaltmonopols in die Welt gesetzte Recht, das jeden Staatsmann für vogelfrei erklärt, der sich der kapitalistischen Weltordnung nicht fügt, als Beurteilungsmaßstab akzeptiert.

Daß sich die imperialistischen Staaten gegenüber dem Rest der Welt überhaupt so etwas herausnehmen können, ist der eigentliche Skandal, und nicht der angeblich unsachgemäße Umgang mit diesem selbsterteilten Recht. An dieser Stelle sollte man sich ruhig einmal daran erinnern, worauf eigentlich die Macht der Bundesrepublik Deutschland beruht, die es ihr ermöglicht, mit anderen Staaten so umzuspringen.

Erstveröffentlichung: www.anders-gesehen.de