Quelle: http://www.ornament-und-verbrechen.de/tobin0400.html 

Und wenn alle 
von der Börse profitieren würden?
Mit der Tobin-Tax kommt ein alte Idee zu neuen Ehren

von Paul Bruns

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Hammer und Sichel in Gold, besetzt mit Platin und Edelsteinen. Darunter die Frage: "Und wenn alle von der Börse profitieren würden?" Diesmal sind es die Internet-Broker von www.selftrade.fr, die mal wieder kinderleichten Reichtum für jedermann versprechen. Zwar zeigen alle Studien, dass die zu Online-Börsianer mutierten Bürger wie wild kaufen und verkaufen, so dass die daraus entstehenden Transaktionskosten ihre minimalen Margen sofort wieder auffressen. Doch alleine in Frankreich wollen schon 150.000 Menschen per Mausklick reich werden und die Branche boomt gewaltig. Die Studien zeigen aber noch etwas anderes: Würden diese Amateure das Börsengeschehen alleine bestimmen, so hätte ihr irrwitziges Kaufverhalten binner kürzester Zeit den endgültigen Systemzusammenbruch zur Folge. Doch da auch dieser autodestruktiven Tendenz des Kapitalismus mal wieder so manches Hindernis im Weg steht, diesmal in Form professioneller Anleger, bleibt genug Zeit, sich mit anderen Methoden zu beschäftigen, wie dem oftmals als desaströs qualifizierten Finanzsystem eventuell beizukommen ist. Da dieser Tage niemand so richtig daran glaubt dem Kapitalismus an sich an die Karre fahren zu können, ist es en vogue, seiner letztendgültigen Verwilderung entgegenzutreten indem man ihm gewisse "Spielregeln" auferlegt.

Spätestens seit den Finanzkrisen in Mexiko (1994), Asien (1997) sowie Rußland und Brasilien (1998) ist dabei eine alte Idee zu neuen Ehren gekommen - die sogenannte "Tobin-Tax". Sie ist benannt nach dem Ökonomie-Nobelpreisträger von 1981 und ehemaligen Wirtschaftsberater von John F. Kennedy, dem bekennenden Keynesianer James Tobin. Er schlug schon 1972 auf einer Konferenz an der Princeton University vor, kurzfristige, rein spekulative Kapitalbewegungen auf den Devisenmärkten mit 0,5 Prozent zu besteuern. Diese Steuer sollte erstens die Devisenmärkte stabilisieren, zweitens den Regierungen ihre Autonomie bei volkswirtschaftlichen Entscheidungen zurückzugeben, und drittens eine neue Einnahmequelle für die Staaten und die internationale Gemeinschaft sein.

Als Tobin Anfang der siebziger Jahre der Spekulation "Sand ins Getriebe" streuen wollte, herrschte in den meisten Industrieländern noch der keynesianische Nachkriegskompromiß, dieser übte eine gewisse Kontrolle über die Kapitalbewegungen aus, welche sich damals auf täglich 18 Milliarden Dollar beliefen. Seitdem hat sich einiges getan. Der Neoliberalismus ist zur hegemonialen Ideologie und das Kapital deutlich beweglicher geworden auf der Suche nach den bestmöglichen Anlagemöglichkeiten auf den globalisierten Geld- und Kapitalmärkten. Zahllose Finanzinnovationen haben dazu geführt, dass sich dreißig Jahre nach Tobins Vorschlag die globalen Finanztransaktionen nahezu verhundertfacht haben und schneller wachsen, als die Weltproduktion oder der Welthandel. Mehr als 90% der täglich in Computernetzen mit Lichtgeschwindigkeit um den Globus strahlenden 1500 Milliarden Dollar sind spekulative Finanzströme, die zu 83 Prozent von Banken, zu 9 Prozent durch Finanzinstitutionen und die restlichen 8 Prozent vom Handel gespeist werden. Gerade den spekulativen Kapitalbewegungen werden immer wieder zerstörerische Wirkungen für die Funktionsweise des ganzen Systems attestiert, etwa in Form des durch sie geförderten Wachstums der globalen Ungleichheiten oder auch Staatsdefizite, die Ausgaben für Sozial- und Umweltprogramme weitestgehend unmöglich zu machen scheinen. Die Finanzkrisen sind dazu angetan die Arbeitslosigkeit zu steigern, Pleiten zu produzieren und insgesamt die Menschenrechte zu verhöhnen.

Die Auswirkungen der Fehlfunktionen des internationalen Finanzsystems und der hegemonialen neoliberalen Ideologie faßt Susan George prägnant und anschaulich zusammen: "Hätten sie ein Wohnhaus oder einen Büroturm gebaut, würde man die Architekten des internationalen Finanzsystems wegen schwerer Baumängel auf fahrlässiges Verhalten verklagen. Ganze Gebäudeteile stürzen in sich zusammen und begraben, wie immer in solchen Fällen, Unschuldige unter sich, die das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Seit dem Finanzkrach im Winter 1994/95 lebt jeder zweite Mexikaner unterhalb der Armutsgrenze. In Indonesien breiten sich Unternernährung und Hunger aus. In Rußland haben zehn Jahre Wirtschaftsliberalismus den Kapitalismus nachhaltiger diskreditiert als siebzig Jahre >realsozialistische< Propaganda: Die Lebenserwartung der Männer ist um sieben Jahre gesunken, was für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts global ohne Beispiel ist. Süd-Korea und Thailand melden immer mehr sogenannte IWF-Selbstmorde: Entlassene Arbeiter, die ihre Familie nicht mehr ernähren können, nehmen Frau und Kinder mit in den Tod." (Le Monde diplomatique, Januar 1999)

Die Tobintax funktioniert in der Theorie so, dass auf alle internationalen, also grenzüberschreitenden Kaptialbewegungen ein Steuersatz zwischen 0,01 und 0,5 Prozent erhoben wird. Somit müßten bei kurzfristigen, meist spekulativen Kapitaltransfers die Zinsdifferenzen oder Wechselkursunterschiede sehr groß sein, damit der resultierende Spekulationsgewinn nicht durch die Tobintax zunichte gemacht wird. Längerfristige Kapitalbewegungen wären davon weit weniger berührt. Die Kritik am Wirtschaftssystem, aus der sich der Vorschlag einer Tobin-Tax ableitet, ist sehr begrenzt. Dies wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern lediglich seine Exzesse. Der nach 1989 ausgebrochene, ungeteilte und nahezu fanatische Glaube an den Kapitalismus hat sich mittlerweile etwas beruhigt und kritische Stimmen finden langsam wieder Gehör. Vor diesem Hintergrund kann es nicht ausreichen eine systemstabilisierende Steuer zu fordern, die den Glauben an das System sogar wieder oder weiter stärken könnte. Doch läßt man einmal die sehr berechtigte Kritik beiseite, nach der die Tobin-Tax in erster Linie zur Stabilisierung eines auch mit ihr weiterhin ausbeuterischen und zerstörerischen Systems beitragen würde, dann stellt sich vor allem die Frage danach, inwieweit ihre Einführung überhaupt machbar wäre und welche Wirkungen sie hätte.

Die Wirkungsweise einer Tobin-Tax ist aus Gründen der Komplexität des internationalen Finanzsystems nur sehr unpräzise vorherzusagen. Mit einiger Sicherheit würde sie die Finanzmärkte entschleunigen und sich insgesamt stabilisierend auf den Geldmarkt auswirken, indem sie Kursschwankungen verringert und den Regierungen eine größere Autonomie verschafft. Der positive Aspekt dieser Stabilisierung könnte dann darin bestehen, zukünftig die eine oder andere Finanzkrise samt ihrer desaströsen Folgen für die reale Ökonomie und Gesellschaft der jeweils betroffenen Ländern zu verhindern.

Was die technische Umsetzbarkeit einer Tobin-Tax betrifft, so behaupten zwar zahlreiche Experten, daß dies kaum größere Schwierigkeiten bereiten würde, doch ist weiterhin die Frage ungeklärt, wie die Einrichtung und der Betrieb des zur Eintreibung einer globalen Steuer erforderlichen umfangreichen, kostspieligen Verwaltungsapparates überhaupt finanziert werden könnte. Da die UNO dazu vermutlich nicht in der Lage wäre, und die Vereinten Nationen beispielsweise in den USA nach dem Helms-Dole-Gesetz gar keine Steuern erheben dürfen, müßten vollkommen neue Institutionen geschaffen werden. Die bisherigen Vorschläge wie eine "Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ)" (Susan George, Le Monde diplomatique, 1/1999), eine "Weltdevisenbörse" (Ruben Mendez, Le Monde diplomatique, Februar 1996) oder ein neues, internationales System namens "Continuous Linking Service", dass umgehend und automatisch alle Transaktionen registriert, sind bisher jedenfalls wenig ausgereift.

Darüber hinaus ist es schwer vorstellbar, wie alle "Knotenpunkte" des finanziellen Netzes, etwa die Cayman Islands, Luxemburg und letztlich die Börsenplätze dieser Welt auf eine gemeinsame Regel verpflichtet werden könnten, da ihre Geschäfte stark beeinträchtigen würde. Vermutlich würde jedes Land, dass eine Art Tobin-Tax einführen wollte, ohnehin umgehend durch massiven Kapitalabfluß bestraft, also eine desaströse und ruinöse Finanzkrise. Ein entsprechendes Gesetz müsste simultan von allen Staaten der Erde in Kraft gesetzt werden, eine angesichts globaler Finanzstandortkonkurrenz utopische Vorstellung.

Aber angenommen, irgendwann würde die Tobin-Tax eingeführt. In welche Kassen fließt dann das Geld? Bei einem je nach Steuersatz und Berechnungsgrundlage geschätzten Aufkommen von zwischen 50 und 450 Milliarden Dollar dürfte es zu ziemlich erbitterten Verteilungskämpfen kommen. Hier stellt sich dann auch noch die Frage nach der Höhe der anzusetzenden Steuer. Der Satz muß hoch genug liegen, um die erhofften Wirkungen zu erzielen, und niedrig genug, um keine Panik auszulösen und keine Steuerhinterziehung zu provozieren. Ein anderer Vorschlag lautet, eine zweistufige Tobin-Tax einzuführen, mit einem hohen Satz für die kurzfristigen und einem niedrigeren Satz für die langfristigen Kapitalbewegungen. In jedem Fall würde also der Kapitalverkehr zurückgehen, doch niemand weiß, wie stark. Daher kann auch niemand sagen, wie Hoch das Steueraufkommen aus der Tobin-Tax sein würde.

Die Einführung einer Tobin-Tax hängt vor allem vom politischen Willen ab. Da es mittlerweile in jede politische Sonntagsrede gehört, dem "wilden, entfesselten Raubtierkapitalismus" gewisse Regeln aufzuerlegen, damit nicht ausschließlich das Recht des Stärkeren gelte, könnte sich dieser Wille sogar verallgemeinern. Doch nun ist das mit den Regeln so eine Sache. Denn letztlich sind es genau die Stärkeren, die darüber bestimmen, welche Regeln herrschen sollen. Letztlich bleiben also alle Vorstellungen über die mögliche Wirkungsweise einer Tobin-Tax bis auf weiteres ohnehin genau das, was sie eigentlich bekämpfen soll - pure Spekulation.

Die bestsortierte Seite zum Thema stammt von der französischen Vereinigung Attac: www.attac.org