Vor 10 Jahren: Währungsunion  
1.7.1990  - Der Beitritt wird vorbereitet

Zwei Zeitdokumente

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Ohnmacht am Kassenschalter 
Über den Katzenjammer vorm Kaufrausch

Nachts um zwölf im Zentrum der Hauptstadt: Die ersten Minuten der  Währungsunion finden auf der Straße statt - als Verkehrschaos. Während Unter  den Linden die Begleitmusik zur Vereinigung in Form eines deutsch-deutschen  Hupkonzerts geprobt wird, gehen auf dem Alex ein paar einsame Böller in die  Luft, und über die Karl-Liebknecht-Straße brettert ein westdeutscher  Mittelklassewagen mit Reichsadler-Fahne am Autostau vorbei. Was macht der  Deutsche, wenn er sich freut? Er trinkt Bier, wedelt Fähnchen und drückt auf  die Tube.

Alle, alle waren gekommen: Heerscharen von Fußgängern flanierten in die  Zeitenwende, die Menge voller Lust auf Feier und Vorlust auf harte Währung,  bloß: ein Fest fand nicht statt. Kein Tanz ums Goldene Kalb, kein Sturm auf  die Geldinstitute, bloß tumbe Gegenwart von künftigen Kontoinhabern und  schaulustigen Westlern. Geduldig rückt die kilometerlange Schlange vor der  Deutschen Bank Zentimeter um Zentimeter nach vorne. Zwar brüllen einige:  "Aufmachen, aufmachen", aber die auf die D-Mark losgelassene Menge verhält  sich ansonsten brav wie die Kinderschar an Heiligabend vor der Wohnzimmertür.  An den Fensterscheiben drücken sie sich die Nasen platt, aber da liegen nur  ein paar Frauen flach auf dem Boden, Beine auf Stuhllehnen und von  Krankenschwestern gehätschelt. Im Zentrum des Orkans: die Ohnmacht. Vor dem  Kaufrausch die Katerstimmung. Daß dann doch noch ein paar Scheiben zu Bruch  gingen, war nicht kollektiver Hysterie, sondern schlicht dem physischen Druck  zu schulden. Und vor den Auslagen des ehemaligen Kaufhauses Zentrum studieren  die Kunden in spe die Westware; nur die Preise fehlen noch. Bloß einen Meter  entfernt fein säuberlich aufgereiht der Bordeaux neben dem Trollinger,  Whisky, Sherry, Amaretto - auf dem ganzen Alex gibt's kaum Bier. Aber man  bleibt nüchtern und hält sich an die Öffnungszeiten.

Was hätte das für ein Fest werden können: Der Senat spendiert dem Magistrat  ein Feuerwerk, Amiga beschallt die City mit Liza Minellis Money makes  the world go round, die "Deutsche Bank" läßt blaue Luftballons in den Himmel  über Berlin steigen, und die Kids lassen sie platzen. Und auf dem Prenzlauer  Berg wärmt sich die Szene an den Johannis -Feuerchen der DDR-Mark-Scheine...

Stattdessen angespannte Friedhofsruhe: Das mitternächtliche Hupkonzert  kaschierte nur mühsam die Unfähigkeit der Deutschen zu feiern und das  Schwinden der Sinne angesichts der Macht des Geldes. Selten hat der Triumph  des Kapitals einen treffenderes Sinnbild gefunden als in der Ohnmacht am  Kassenschalter.

Christiane Peitz

TAZ Nr. 3147 Seite 6 vom 03.07.1990


"Währungsunion - eine wunderschöne Sache"
Diestel, Gysi, Ullmann und Co. erzählen, was sie 
von der Bedeutung der Währungsunion halten 

U M F R A G E


Jens Reich, Mitbegründer des Neuen Forums und Bündnis 90 -Abgeordneter

Mit der Währungsunion wird jeder miese Laden zum Intershop, jedes  vertrocknete Brot muß jetzt mit Westgeld bezahlt werden. Das find` ich  schlecht. Es gibt aber auch etwas, was ich gut finde. Ich kann jetzt zu  Freunden fahren, ohne daß ich mich aushalten lassen muß. Die zweihundert Mark 
kann ich jetzt selbst zahlen. 
Die Souveränität der DDR ist jetzt natürlich schon weg. Das ist wie bei einem  gotischen Gewölbe. Wenn man dort den Schlußstein herauszieht, kracht es nicht  gleich zusammen, aber es hat keine Struktur mehr und fällt plötzlich  irgendwann ein.
Man muß jetzt trotzdem in die Zukunft denken, sich gegen den Durchmarsch des  Komerzes im gesamten zukünftigen Deutschland zusammenschließen und seinen  Humor wiedergewinnen. Diese Larmoyanz muß raus aus dem politischen  Widerstand, diese Endzeitstimmung. Es fängt an - und nicht: Es geht zu Ende.

Peter Michael Diestel, Innenminister

Die Währungsunion ist eine wunderschöne Sache. Der erste, ja wichtigste  Schritt zur deutschen Einheit, der die wirtschaftlichen Voraussetzungen  setzen wird, damit wir in Kürze zu einem einheitlichen Deutschland  zusammenwachsen können.
Die vorhandene Verunsicherung in der Bevölkerung ist dabei sicher berechtigt. Ein System ist zusammengebrochen, das andere System hat einen sehr hoch entwickelten Stand, da werden Widersprüche und soziale Ängste aufkommen. Aufgabe unserer Regierung wird es jetzt sein, diese Ängste nicht Realität werden zu lassen.
Von der staatlichen Souveränität wird nach der Währungsunion nicht viel bleiben, aber von den Menschen, von den Erinnerungen, von der Tradition, von der Geschichte hoffentlich doch eine ganze Menge.

Wolfgang Thierse, SPD-Vorsitzender

Die Währungsunion ist für mich weder ein Anlaß zu besonderer Traurigkeit noch  zu besonderem Jubel. Nach einer kleinen Umstellungs- und Eingewöhnungsphase werden die meisten Menschen sicher begreifen: Auch die D-Mark ist nur Geld. Und alle werden dann auch bald merken: Wir haben zuwenig davon.
Daß die DDR-Regierung in finanzpolitischer Sicht Souveränitätsrechte abgibt, kann ich nicht als so schlimm empfinden. Wenn man wie die Mehrheit der Bevölkerung die andere Währung haben will und ein Teil dieses erfolgreichen Wirtschaftssystems werden will, dann ist es notwendig, daß man 
finanzpolitische Grundentscheidungen an diejenigen abgibt, die das bisher erfolgreich gemacht haben.
Diese Union ist ja nur ein Schritt auf dem Wege zur Einigung Deutschlands. Sie ist noch nicht die Einigung selbst, da wird noch hart zu arbeiten sein. Die Einigung wird überhaupt ein sehr langer Prozeß sein. Auch wenn wir das gleiche Geld haben, werden wir uns zehn oder fünfzehn Jahre unterscheiden, 
als Ossis und Wessis erkennbar bleiben. Daß es Konflikte in ganz Deutschland geben wird, ist unausweichlich. Aber es hat auch keiner versprochen, daß wir im Paradies landen werden.

Gregor Gysi, PDS-Vorsitzender

Ich bedaure sehr, daß die Währungsunion unter einem solchen Zeitdruck zustande gekommen ist, daß es nicht möglich war, günstigere Regelungen auszuhandeln, die auch den Betrieben der DDR eine Übergangschance eingeräumt hätten. Statt dessen wird ein Gewaltakt gestartet, unabhängig von den 
sozialen Auswirkungen.
Positiv, denke ich, ist der zu erwartende Effektivitätsschub und partiell eine bessere Bedürfnisbefriedigung. Nur wird das wohl stark beeinträchtigt durch die Arbeitslosigkeit und eine enorm ansteigende Teuerungsrate. Die Bedürfnisbefriedigung wird so nicht mehr aus Mangel an Angebot, sondern aus Mangel an Kaufmöglichkeit beschränkt werden. Ich weiß nun nicht, was psychologisch trauriger ist: Daß man etwas nicht bekommt, was man sucht oder daß man es zwar sieht, aber nicht kaufen kann.

Wolfgang Ullmann, Vizepräsident der Volkskammer, Demokratie Jetzt

Die Währungsunion ist ein Schritt, der nach der Einführung der Zweitwährung durch die Intershop-Läden unvermeidlich geworden ist. Zwar wird das in einer Weise eingeführt, die ich von Anfang an mißbilligt habe und die offenkundig Schäden nach sich ziehen wird. Doch die Leute haben es satt, für eine Währung zu arbeiten, die im Weltmaßstab unbrauchbar ist. Aber sie leiden unter den Bedingungen, unter denen die für sie notwendige harte Währung eingeführt wird.

Matthias Platzeck, Abgeordneter Bündnis90

Ich bin eigentlich ganz froh, weil ich mir wünsche, daß ab 2. Juli wieder an  Sachproblemen orientiert diskutiert werden kann. Wenn jetzt die D-Mark kommt,  habe ich allerdings die Befürchtung, daß sich schnell Überheblichkeit einstellt; man fährt dann also ins ehemals befreundete Ausland und markiert 
dort den dicken Max, so nach dem Motto: Ich hab die Westmark, und jetzt müßt ihr mir die Schuhe putzen.
Andererseits kann ich natürlich den Frust mit der DDR-Mark nachvollziehen. Nach der Währungsunion wird die Souveränität der DDR sicher stark eingeschränkt sein, aber ich halte nichts vom Jammern. Es hat einfach keinen Sinn, jetzt die Wunden zu lecken. Wir müssen unsere eigentlichen Ziele, 
Demokratisierung und ökologische Wende, im Auge behalten.

Umfrage: Matthias Geis

TAZ Nr. 3145 Seite 2 vom 30.06.1990