Quelle: FIAN Internationale Menschenrechtsorgansiation

Weltraumstützpunkt Alcântara/Brasilien
Menschenrechte werden verletzt

von Vilmar Schneider

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Ende 1999 lag in den Briefkästen der meisten Deutschen eine Anzeige der Deutschen Post: "Die Deutsche Post bietet Ihnen zum Jahrtausend die einmalige Möglichkeit einen Brief ins Weltall zu schicken!" Diese Botschaft konnte man an sich selbst oder an eine andere Person zum Jahrtausendwechsel richten. 2000 Briefe wurden in einem Losverfahren ausgewählt und an Bord einer Rakete in den Raum geschickt, um danach an die Adressaten weitergeleitet zu werden. 10 Absender wurden ausgesucht für eine Reise zum Startpunkt der Rakete: Alcântara, Brasilien: "Seien Sie live beim Start dabei und geniessen Sie anschliessend traumhafte Strände und die faszinierende Landschaft Brasiliens!" Bild, TV Movie und AEON beteiligten sich an der Finanzierung der Werbekampagne, die deutlich macht, welche Möglichkeiten die moderne Welt der Weltraumtechnik und der Telekommunikationen bietet. Gleichzeitig zeigt die Startbasis Alcântara (CLA) beispielhaft, wie der globalisierte Markt die Vertreibung von Bevölkerungsgruppen von ihrem angestammten Ländereien bewirkt.

Die CLA wurde 1983 unter Ägide des Luftfahrtsministeriums im Staat Maranhão, im Norden Brasiliens gebaut. Es handelt sich um ein riesiges wissenschaftliches und technologisches Projekt der Raumfahrt. Dem Beispiel anderer Grossprojekte folgend wurde auch dieses in autoritärer Form während der Militärdiktatur und mit schwerwiegenden Konsequenzen für die lokale Bevölkerung durchgeführt. Die brasilianische Regierung begründete die Basis mit geopolitischen und Argumenten der nationalen Sicherheit. Damals wurden 52.000 Hektar Land enteignet und in den folgenden Jahren Hunderte von Familien umgesiedelt. Die Regierung missachtete dabei systematisch unterschriebene Vereinbarungen mit den Betroffenen, besonders was die Grösse des Ersatzlandes betraf.

1991 erliess Präsident Fernando Collor ein Dekret, welches das zu enteignende Gebiet um 62.000 Hektar vergrösserte (55 % der Gemeinde). Nach einer Pause befindet sich die CLA nun erneut auf Expansionskurs, auch in Zusammenarbeit mit der brasilianischen Luftfahrtbehörde INFRAERO. Ihre derzeitige Vorgehensweise ist, Möglichkeiten des globalisierten Markt zu nutzen; darunter vor allem die wirtschaftliche Nachfrage nach satellitengestützter Telekommunikation. Abgeschlossen werden kommerzielle Verträge mit privaten nationalen und internationalen Firmen, wobei CLA für den Start von kommerziellen Raumraketen "vermietet" wird. Die Argumentation zur Verteidigung der Base hat sich entsprechend angepasst. Jetzt ist das Marktprinzip und die Möglichkeiten der Globalisierung vorherrschend. Jedoch bleibt die Tatsache der Menschenrechtsverletzungen bestehen. Die Ausdehnung der CLA wird die Vertreibung von mehr als 500 Familien bis Ende des Jahres 2000 zur Folge haben.

Die betroffenen Gemeinden

Betroffen sind von den sogenannten "quilombos" abstammende Schwarze sowie Nachfahren der indigenen Bevölkerung, die bereits vor der Ankunft von Franzosen und Portugiesen in dem fraglichen Gebiet lebte. Ihre Zahl wurde durch die portugiesischen Eroberer dezimiert, die das Land in Anbaugebiete von Zuckerrohr und Baumwolle umfunktionierten und Schwarze aus Afrika für die Arbeit in den Zuckersiedereien versklavten. Als Alcântara seine wirtschaftliche Bedeutung verlor, verblieben hauptsächlich die schwarzen und indianischen Bewohner im Gebiet. Die Schwarzen organisierten sich zum grossen Teil in freien Gemeinschaften, die "quilombos" genannt wurden. Sie besiedelten fruchtbare Gebiete an der Küste, reich an Fischbestand und natürlichen Ressourcen, nutzten das Land als Lebensgrundlage und arbeiteten in Würde.

Die Verletzung der Menschenrechte

Die Einrichtung der CLA änderte diese Situation grundlegend und verursachte eine systematische Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte der angestammten Bevölkerungsgemeinschaften. Unzählige Familien wurden umgesiedelt, was zu einer beträchtlichen Verschlechterung ihrer Lebensumstände führte. Die Situation in den Neuansiedlungsorten ist prekär, da das Land von schlechter Qualität ist, die natürlichen Ressourcen knapp sind, und der Zugang zu den Ressourcen (besonders Fisch) durch die CLA eingeschränkt wird. Ein Entwicklungsplan für die neuen Siedlungsorte, der den Verlust der Lebensgrundlage der alten Gemeinschaften ausgleichen würde, existiert nicht. Ausserdem hat die grosse Mehrheit der Betroffenen selbst 14 Jahre nach ihrer Enteignung noch immer nicht die ihnen zustehenden Entschädigungsleistungen bekommen.

Die aktuelle Ausweitung des CLA stellt eine neue Bedrohung der Rechte der Bevölkerung im Gebiet dar. Weitere Umsiedlungen, wiederum ohne daß wirtschaftliche Entwicklungpläne oder gar Untersuchungen über die Auswirkungen derUmwelt vorliegen, sollen noch in diesem Jahr erfolgen. Hinzu kommt, daß durch die Pläne ein verbrieftes Recht der Nachkommen der "quilombos" verletzt wird. Denn die Brasilianische Verfassung von 1988 erkennt das Recht dieser ethnischen Gemeinschaften auf ihr Land an. Dem Staat ist vorgeschrieben, ihnen die entsprechenden Besitzurkunden auszustellen. Umsiedlungen dürfen nicht ohne Zustimmung der Gemeinden erfolgen. Dementsprechend hat das Bundesministerium für Öffentlichkeit, dem der Schutz der Güter und Rechte ethnischer Minderheiten obliegt, im vergangenen Jahr eine Untersuchung eingeleitet, die mit dem Bau und der Weiterentwicklung des CLA verbundene Rechtsverstösse prüfen soll.

Die Initiativen der bürgerlichen Gesellschaft

Seit Bestehen der CLA wehren sich die betroffenen Gemeinschaften gegen das Projekt. Ihr politischer und juristischer Kampf hat inzwischen die Zivilbevölkerung von Alcântara und Maranhão mobilisiert. Im vergangenen Jahr wurden zwei Seminare durchgeführt, die sich mit den Problemen beschäftigten. Vertreten waren breite Teile des sozialen Sektors, die die bestehende Situation kritisierten, die grundsätzlichen Forderungen der alten Gemeinschaften zusammenfassten und folgende Forderungen aufstellten:

  • Ausarbeitung eines partizipativen Entwicklungsplans für die Region an erster Stelle,
  • Einleitung eines permanenten Gesprächsprozesses zwischen den betroffenen Sektoren,
  • Einhaltung von bestehenden Vereinbarungen im Gesundheits-, Erziehungs- und Transportbereich der Gemeinden,
  • Reevaluierung der Entschädigungsleistungen sowie Aktualisierung ihres Wertes,
  • Anwendung der Verfassung sofern Länder der Nachfahren der "quilombo" betroffen sind,
  • Abgabe der Garantie, dass Umsiedlungen nur auf freiwilliger Basis erfolgen.

Vilmar Schneider ist lutheranischer Theologe und arbeitet in Heidelberg im Austauschprogramm der Landpastorale Brasilien mit FIAN International.