Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Arbeitslosen-„Reform“ ist aus der Kiste – Neuer Angriff auf Erwerbslose (und Lohnabhängige) nimmt klarere Konturen an

5-6/2019

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Wenn selbst der Chef der rechtssozialdemokratischen Richtungsgewerkschaft – er würde nur allzu gerne das „soziale Gewissen“ des Regierungslagers darstellen, ließe dieses sich nur ein bisschen gut zureden – rot sieht oder jedenfalls so tut, dann ist etwas am Dampfen. In den letzten Monaten zeichnete Laurent Berger, Generalsekretär der CFDT, sich vor allem durch seine kuriosen Versuche aus, einen vermeintlichen sozialen Flügel innerhalb des Macron-Lagers aufzubauen ( vgl. ihn selbst im O-Ton dazu : http://www.leparisien.fr/ ). Auch wenn er sich dann hin und wieder enttäuscht gibt darüber, dass Letzteres ihm jedoch in der Sache nicht zuhört.

Am Dienstag, den 18. Juni 19 nun ließ selbiges Regierungslager die Katze aus dem Sack, was die seit mehreren Monaten erwartete „Reform“ der Arbeitslosenversicherung – zu welchen es längt Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbände in Länge und Breite „angehört“ hatte – betrifft. Ursprünglich einmal hatte Emmanuel Macron, damals noch Wahlkämpfer, also im Frühjahr 2017, angekündigt, eine solche „Reform“ werde geradezu eine Wohltat für die Lohnabhängigen werden: Ja, umbauen werde man die Arbeitslosenversicherung, aber (so lautete damals die zuerst verabreichte Zuckerpille), um etwa selbstkündigenden Lohnabhängigen einen Anspruch auf Lohnersatzleistungen zu öffnen. Bislang werden diese, jedenfalls für eine mehrmonatige Sperrfrist, von Zahlungen ausgeschlossen und werden selbige lediglich für Lohnabhängige nach einer Arbeitgeberkündigung (oder nach dem Verschwinden des Unternehmens) reserviert. Dies sei ungerecht, tönte der Liberale und vormalige Wirtschaftsminister Macron, kündigten doch manche abhängig Beschäftigten, weil sie es in ihrem Unternehmen schlicht nicht mehr aushielten.

Von all dem ursprünglichen, scheinbar wohlklingenden Summen und Sirren ist nicht oder nicht viel übrig geblieben. Doch, halt: Um nicht völlig mit leeren Händen dazu stehen, was seine früheren Ankündigungen betrifft, ließ Emmanuel Macron eine kleine Rest-Maßnahme für die von einer Selbstkündigung betroffenen Lohnabhängigen in den Maßnahmenkatalog aufnehmen: Unter der Voraussetzung, dass sie eine mindestens fünfjährige Unternehmenszugehörigkeit vor der Kündigung vorweisen können, UND unter der Bedingung, ein fertiges (und als glaubwürdig eingestuftes) „berufsbezogenes Projekt“ –konkret, ein Unternehmensgründungs- oder Umschulungs-Vorhaben – vorweisen zu können, sollen sie künftig einen Anspruch aufweisen. Ebenfalls von der „Öffnung“ der Arbeitslosenversicherung betroffen sind Selbständige und Scheinselbständige, für die Macron ebenfalls eine Ausweitung des Anspruchs versprochen hatte. Diese erhalten künftig im Falle einer Arbeitslosenmeldung (etwa infolge einer Insolvenz) eine pauschale Unterstützungsleistung i.H. von 800 Euro für eine Dauer von sechs Monaten.

Es bleibt der brutale Kommandoton der Ankündigungen zu dieser neuerlichen „Reform“, die erheblichen Druck auf die Erwerbslosen (und dadurch indirekt auf alle Lohnabhängigen: „Schau nur zu, dass Du nicht arbeitslos wirst…!“) ausüben wird. Und sogar ein Laurent Berger ist darob nun sauer, spricht von „tiefer Ungerechtigkeit“ ( vgl. AFP-Meldung dazu : http://www.lefigaro.fr/ ) und einer Attacke auf „100 % der Erwerbslosen“ ( vgl. AFP-Meldung : http://www.lefigaro.fr) ; vgl. auch: http://www.leparisien.fr/ . Die übrigen Gewerkschaften, die auch sonst nicht derart bettvorlagerhaft auftreten wie die CFDT-Führung zumeist, sehen die Dinge natürlich in dem Punkt sehr ähnlich. Bis hin zur negativen Reaktion von François Hommeril, Vorsitzender des Gewerkschaftsverbands höherer und leitender Angestellter (CFE-CGC), eines ansonsten eher konservativen Verbands. Vgl. zu ihm & seiner Reaktion: http://www.leparisien.fr/

Worum geht es bei den am Dienstag, den 18.06.19 getätigten Ankündigungen?

  • Es wird schwerer werden, überhaupt zum Kreis der Anspruchsberechtigten zu zählen. Bislang musste ein/e Lohnabhängige/r mindestens vier Monate lang während der letzten 28 Monate gearbeitet haben, um einen Anspruch auf Unterstützung (in diesem Falle für ebenfalls vier Monate) zu besitzen. Künftig werden es – ab dem 1. November 19 - mindestens sechs Monate innerhalb eines kürzeren Zeitraums, 24 Monate, sein. Diese Regel würde bei derzeitiger Anwendung rund eine Viertelmillion Lohnabhängige von ihrem derzeit bestehenden Anspruch ausschließen; konkret kalkulierte eine Wirtschaftstageszeitung die Zahl von „236.000“ (vgl. zusammenfassend: https://www.francetvinfo.fr).
     

  • Bislang konnte eine Person, die anspruchsberechtigt war, jedoch einen Job fand (aber etwa als befristeten Vertrag oder in einer Probezeit, die vielleicht vom Arbeitgeber unterbrochen und nicht fortgesetzt wurde) ihre Ansprüche behalten und durch die zwischenzeitliche Erwerbsarbeit zeitlich hinausschieben, wenn sie mindestens einen Monat lang arbeitet. In diesem Falle erhielten die Betreffenden während des betreffenden Monats keine Unterstützung, da sie vom Lohn oder Gehalt leben konnten, verloren jedoch den Unterstützungsanspruch auch nicht, sondern konnten diesen in die Zukunft hinein verschieben. Dafür werden jedoch künftig sechs Monate Erwerbsarbeit am Stück STATT eines Monats erforderlich sein. Ansonsten entfällt eben das Recht auf Unterstützung für die Zeit, in welcher der/die Erwerbslose sich das Geld selbst erarbeitet, ersatzlos. Das Arbeitsamt dankt Ihnen, dass Sie sich selbst finanziert haben!
     

  • Die „Degressivität“, also die Abnahme der Höhe der Arbeitslosenunterstützung nach einem bestimmten Zeitraum, wird wieder eingeführt, jedoch (vorläufig?!?) nur für die cadres oder höheren Angestellten. Ihre Leistung wird nach sechsmonatiger Dauer um gleich dreißig Prozent reduziert, allerdings in einem Band zwischen 2.261 und 6.615 Euro (wir sprechen vom höheren und höchsten Segment des „Arbeitsmarkts“).

Historisch hat es eine solche „Degressivität“ bereits einmal gegeben, und zwar zwischen 1992 und 2001 ( dem Jahr ihrer Abschaffung ) – eingeführt durch eine sozialdemokratische Regierung und aktiv mitgetragen durch die CFDT, die damals die Präsidentschaft der Arbeitslosenkasse ( seinerzeit: UNEDIC ) innehatte und darüber erhebliche Mitwirkungsmöglichkeiten aufwies. Vgl. zu dieser Episode : https://bfmbusiness.bfmtv.com

Damals sank, und zwar für alle Erwerbslosen nach einer gewissen Dauer (damals je nach Arbeitslosen-Kategorie: nach den ersten 4 bis 27 Monaten; die Gesamt-Anspruchsdauer war damals länger, heute beträgt sie maximal 24 Monate bis Ausnahme der „Senioren“ mit maximal drei Jahren), die Höhe des Unterstützungsanspruchs kontinuierlich alle vier Monate ab. Und zwar jeweils um 15 % der Gesamthöhe. Aufgrund der verheerenden sozialen Auswirkungen wurde dieser Mechanismus neun Jahre später, übrigens unter derselben sozialdemokratischen Arbeitsministerin ( Martine Aubry ), die ihn einführte, auch wieder abgeschafft. Seitdem ist, eingedenk der damaligen Folgen, diese Maßnahme weitgehend tabu geblieben. Nun kommt sie zurück, allerdings nur für die höheren Angestellten. Frage: Ab wann wird, eingedenk ihres „Erfolgs“, über ihre Ausweitung debattiert werden?

  • Um zu zeigen, dass die Regierung auch etwas gegen „Missbräuche“ durch das Kapitel tut, beschloss selbige, für kurzfristige befristete Arbeitsverträge eine Abgabe von zehn Euro (doch so viel) pauschal pro Arbeitsvertrag einzuführen. Jaja, die Kapitalverbände heulen und flennen diesbezüglich ein bisschen herum, dies gehört zum Spiel.

  • „Bringen“ soll das aktuelle „Reform“bündel laut Regierungszahlen 3,4 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren.

Wir beobachten auch weiterhin die Reaktionen!

 

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.