Bundeswehr und andere europäische Truppen in Mali

von Bernard Schmid

5-6/2019

trend
onlinezeitung

11.05.19

Die Sahelzone, in deren Ländern seit Anfang dieses Jahrzehnts die Präsenz djihadistischer Kampfgruppen zugenommen hat, ist kein ruhiger Ort. Auch europäische Soldaten können dort töten – und sterben. Dies stellten die jüngsten Ereignisse rund um zwei französische Geiseln, die am 1. Mai dieses Jahres im Nationalpark von Pendjari im Norden von Bénin entführt worden waren, noch einmal deutlich heraus.

Bénin gilt bislang als eine Art Hort der Stabilität in Westafrika, doch in seinem äußersten Norden sickern in jüngerer Zeit djihadistische Gruppen aus der benachbarten Sahelzone her ein. Dort sind zwei miteinander rivalisierende Netzwerke aus lokalen Gruppen aktiv, deren eines der internationalen Gruppierung Al-Qaida Treue geschworen hat, das andere dem so genannten Islamischen Staat (IS oder ISIS). Angegliederte Gruppen haben zunächst in Mali – im gesamten Norden und im Zentrum des Landes -, in jüngerer Zeit verstärkt auch in Burkina Faso Fuß fassen können. Wenige Tage nach ihrer Entführung befanden sich die beiden französischen Lehrer Patrick Picque und Laurent Lassimouillas auf dem Weg nach Mali, wo ihre Kidnapper sie mutmaßlich an die im Raum Mopti verankerte bewaffnete Gruppe Katiba Macina („Phalanx der Macina-Region“) weiterverkaufen wollten. Unterwegs, anlässlich eines Aufenthalts im Norden von Burkina Faso, griff jedoch ein Spezialkommando der französischen Armee ein. Vier der Geiselnehmer wurden bei einem Nahkampf in der Nacht vom 09. zum 10. Mai 19 getötet, aber auch zwei französische Elitensoldaten, Cédric de Pierrepont und Alain Bertoncello. Beide zählten zum Spezialkommando „Hubert“ der französischen Marina, deren Sondereinheiten direkt aus den früheren Kolonialtruppen hervorgingen. Aus diesem Anlass wurden die beiden französischen Geiseln, aber auch zwei einen Monat zuvor in Burkina Faso entführte Frauen US-amerikanischer und südkoreanischer Nationalität befreit. Die beiden französischen Militärs wurden mit einem feierlichen Staatsakt in Anwesenheit von Staatspräsident Emmanuel Macron am 14. Mai d.J. beigesetzt.

Die französische Exekutive gibt an, der Zugriff im Norden von Burkina Faso habe als letzte Möglichkeit gegolten, vor dem Eintreffen der Entführer und ihrer Geiseln in Mali tätig zu werden. Angesichts der dortigen Zustände sei man pessimistisch gewesen, kurz- oder mittelfristig überhaupt noch etwas ausrichten zu können.

Dies unterstreicht die Komplexität der Situation in Mali, einem Land, das ungefähr zweieinhalb mal so groß ist wie Frankreich – oder 3,4 mal so ausgedehnt wie Deutschland – und von gut 18 Millionen Menschen bewohnt wird.

Frankreich ist dort militärisch relativ massiv präsent. Im Januar 2013 begann eine Intervention der französischen Armee im Norden von Mali, damals unter dem Namen Opération Serval - ihr folgte Ende 2014 die Opération Barkhane nach. Erstere umfasste seit dem Sommer rund 3.500 Militärs, im Rahmen der Zweitgenannten wurde die Truppenpräsenz auf rund 4.500 erhöht. Allerdings umfasst die Barkhane-Streitmacht eine weitaus größere Zone, ihr Hauptquartier liegt in der tschadischen Hauptstadt, und sie ist für mehrere Staaten der Sahelzone zuständig: Tschad, Niger, Burkina Faso, Mali und Mauretanien. Es handelt sich um eine Zone von der Ausdehnung EU-Europas. Einer der wesentlichen politischen Aspekte dieser Stationierungsentscheidung ist die Aufwertung der tschadischen Diktatur, eines der brutalsten Regimes in Afrika (neben den „harten“ Diktaturen in Eritrea, Burundi und Congo-Brazzaville), auf dessen Territorium Frankreich seit 1986 allerdings eine ununterbrochene Militärpräsenz unterhält. An der Spitze des tschadischen Regimes steht seit dem 1. Dezember 1990 der Schlächter, allerdings auch bisweilen geschickte Stratege Idriss Déby Itno.

An den geographischen Verhältnissen gemessen ist die Truppenstärke wiederum erheblich zu relativieren; zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs (1954 und 1962) unterhielt die damalige französische Kolonialmacht 500.000 Soldaten auf einmal auf dem heutigen Staatsgebiet Algeriens, und verlor den Krieg dennoch, allerdings im damaligen Konflikt gegen eine weitgehend einige und mobilisierte Bevölkerung. Die Verhältnisse heute in der Sahelzone sind damit politisch nicht zu vergleichen, doch deutet schon allein diese Dimension an, dass die militärischen Mittel der Opération Barkhane allein keine potenzielle Lösung für irgendein Problem darstellen dürften. Abgesehen davon, dass militärische Aktionen ohnehin keine gesellschaftlichen Verteilungskonflikte lösen, während die tieferliegenden Ursache für die Rekrutierungserfolge djihadistischer Gruppen unter anderem in dem verbreiteten Elend und der Vernachlässig örtlicher Bevölkerungsgruppen durch die Zentralregierungen der Sahel-Staaten liegen.

Begleitet wird ihr Agieren zusätzlich durch das der „Mission der Vereinten Nationen für die Stabilisierung von Mali“ – ihre französische Abkürzung lautet MINUSMA - mit 11.000 Militärs unter Blauhelmen. Die Missionen beider Streitkräfte sind unterschiedlich, die französische Barkhane-Mission ist eher für so genannte robuste Kampfeinsätze zuständig, die UN-Truppen für eine als deeskalierend konzipierte ständige Präsenz vor Ort als eine Art Puffertruppe. Die MINUSMA gilt als derzeit gefährlichste UN-Mission auf dem Planeten, rund 200 Blauhelme wurden seit 2013 in ihrem Rahmen getötet, überwiegend aus afrikanischen (sowie südasiatischen) Ländern.

Überdies wurde in den letzten zwei Jahren ergänzend eine eigene Streitmacht der fünf angrenzenden Staaten – Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad – aufgebaut, im Rahmen der so genannten „G5 Sahel“-Staatengruppe. Als Regionalkoordination besteht diese seit 2004. Im Februar 2017 wurde beschlossen, eine Eingreiftruppe von 5.000 Militärs im Auftrag der „G5 Sahel“-Staaten aufzustellen. Die französische Armee übernahm es offiziell, im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dieser regionalen Gruppe für Ausbildung und strategische Ausrichtung zu sorgen. Bislang weisen die „G5 Sahel“-Truppen keine operative Eigenständigkeit auf und sind von internationaler Finanzierung durch „westliche“, oder eher: nördliche, Staaten angewiesen.; die regionalen Staaten finanzieren sie mit zehn Millionen, die Europäische Union ihrerseits mit fünfzig Millionen für Infrastruktur, Ausrüstung und Ausbildung (jedoch nicht direkt für die Bewaffnung). Im Juni 2017 beschloss die EU zusätzlich, „Experten für innere Sicherheit und Verteidigung“ – so lautet die Formulierung in einer Presseaussendung der EU vom 20.06.2017 – in eine „regionale Koordinierungszelle“ zu entsenden.

Die Präsenz der deutschen Bundeswehr in Mali wurde am 03. April dieses Jahres durch einen Kabinettsbeschluss, und am 09./10. Mai 2019 per Bundestagsvotum verlängert. ( Vgl. bspw. https://www.deutschlandfunk.de/ und https://www.neues-deutschland.de/ ) Dort ist sie seit 2013 vertreten, ihre Truppenstärke wurde im Laufe der Jahre ausgebaut. Derzeit stehen 850 deutsche Armeeangehörige im Norden Malis, wo sie der MINUSMA eingegliedert sind, und 350 weitere sind im Süden des Landes – in Koulikoro östlich der Hauptstadt Bamako – bei der Ausbildung malischer Streitkräfte eingesetzt. Am 02. Mai 19 hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den im Norden stationierten Bundeswehrtruppen in Gao einen Besuch abgestattet. ( Vgl. https://www.tagesspiegel.de/) Zusätzlich befinden sich zwanzig Ausbilder der Bundeswehr im Nachbarland Niger - ohne parlamentarisches Mandat, das die Bundesregierung als angeblich überflüssig bezeichnet, weil es sich nur um einen Ausbildungs- ohne Kampfauftrag handele. ( Vgl. https://www.tagesspiegel.de/)

Militärisch ist die Rolle der Bundeswehr vor Ort bislang von eher geringer Bedeutung ; vgl. auch https://jungle.world/artikel/2019/17/unterm-radar . Die deutsche Armee war kaum in Kampfverhandlungen verwickelt, und der bisher zu verzeichnende Tod zweier ihrer Soldaten ist auf einen Wartungsfehler an einem Hubschrauber zurückzuführen. Die Präsenz ihrer derzeit 1.100 Angehörigen in Mali ist in erster Linie, und von Anfang an, als ein Zeichen der Bündnistreue gegenüber Frankreich und als Unterstützung seiner Rolle in der Region zu interpretieren. Die Bundeswehr unternimmt etwa Transportflüge im Raum Gao und entlastet dadurch andere Armeen, insbesondere die französische. Eine weitere Bedeutung streicht ein Artikel im Berliner Tagesspiegel zum Thema vom 09. Mai 19 ( vgl. https://www.tagesspiegel.de/) durch die Zwischenüberschrift „Bundesregierung will Migration stoppen“. Der Zusammenhang wird durch die bürgerliche Zeitung wie folgt umrissen: Das Chaos nutzen Menschenhändler aus, sie schmuggeln Migranten nach Norden. Die Bundesregierung will das stoppen. Eine identisch definierte Aufgabe kommt, neben anderen, auch den französischen Streitkräften in der Region zu.

Ursprünglich war deren Eingreifen als kurzfristige Angelegenheit angekündigt worden: Innerhalb weniger Wochen sollte sie die im Norden Malis sitzenden Jihadisten, die damals drei Regionen unter ihrer Gewalt hatten – Tombouctou (eingedeutscht Timbuktu), Gao und Kidal – vertreiben und dem 2012 akut gewordenen Bürgerkriegskonflikt ein Ende setzen.

Dieses Versprechen ist längst Vergangenheit. Die Djihadisten bewegen sich außerhalb der städtischen Zentren in Nordmali und in Teilen des Zentrums (besonders der Region Mopti) oftmals wie ein Fisch im Wasser. Und ihre Selbstdarstellung als vorgebliche Widerständler gegen eine Rückkehr der alten Kolonialmacht dürfte ihnen eher Zulauf beschert denn ihnen geschadet haben. Ähnlich wie in Afghanistan ist ein Ende des Konflikts in wohl weite Ferne gerückt.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.