Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Marine Le Pen & Co. im Anmarsch

5-6/2019

trend
onlinezeitung

23.05.19

Die extreme Rechte bezieht Aufstellung vor den Europaparlamentswahlen. Die Regierungspartei kontert mit Landesverrats-Vorwürfen. Ein Antisemitismus-Skandal erreicht den RN, vermag ihn jedoch in den Vorwahlulmfragen nicht zurückzuwerfen

Drei Tage vor den Europaparlamentswahlen vom Sonntag liegt der Rassemblement National (RN, “Nationale Sammlung”, ehemals Front National) in allen Umfragen unter den französischen Wählern in Führung. Zuletzt wurden ihm 22 bis 24 Prozent der Stimmen progonistiziert. Die Regierungspartei LREM (La République en marche) attackierte die rechtsextreme Partei RN in der letzten Phase, indem sie ihren nationalistischen oder in Eigenbezeichnung „patriotischen” Anspruch in Frage stellte: Die Partei von Marine Le Pen gefährde „die nationale Souveränität“, indem sie die Interessen von Donald Trump und Wladimir Putin in der französischen und europäischen Innnenpolitik zur Geltung bringe, und agiere als deren „trojanisches Pferd“, wurde argumentiert.

Tatsächlich positioniert sich der RN innerhalb einer nationalistisch-autoritären Ideologie, erkennt dabei jedoch Trump, Putin sowie dem Ungarn Viktor Orban eine gewisse tatsächliche oder behauptete Vorbildfunktion zu. Im Vorfeld der letzten Europaparlamentswahl im Mai 2014 hatte eine russische Bank mit Regierungsverbindungen, die First Czech Russian Bank, dem damaligen Front National einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro gewährt. Damals waren französische Bank dazu nicht oder jedenfalls nicht zu vergleichbaren Konditionen bereit. Seit einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2017 wäre dies heute so nicht mehr möglich, denn seit September jenes Jahres können französische Parteien sich nicht mehr auf legale Weise bei außerhalb der EU angesiedelten Banken oder Staaten finanzieren. Doch steht derzeit noch die Frage im Raum, ob die Partei von Marine Le Pen den damaligen Kredit zurückbezahlt habe. Ja, vollständig, behauptete Le Pen bislang. Doch der 23jährige Spitzenkandidat ihrer Partei zur Europaparlamentswahl, Jordan Bardella – ein „Baby Front National“, er ist seit dem Alter von knapp 16 Jahre Parteimitglied und stieg alsbald zum Funktionär auf -, widersprach ihr nun. Nein, seines Wissens sei er nicht komplett zurückbezahlt, erklärte Bardella auf Nachfrage beim Radiosender France Inter hin am 21. Mai d.J.. Dies wirft jedoch die interessante Frage auf, wer heute die Gläubigerrechte gegenüber der Partei hält, denn die First Czech Russian Bank ging 2016 pleite.

Aus den USA gastiert unterdessen Donald Trumps vormaliger Ideologe und Berater, der 2017 aus dem Weißen Haus geschasste Steve Bannon, in Paris, wo er im Luxushotel Bristol abstieg. Marine Le Pen weigert sich gegenüber den Medien konstant, ihn als ihren Berater gelten zu lassen, allerdings pilgern einige Kader und Parteifunktionäre des RN unterdessen zum Hotel Bristol. Bannon war im März 2018 durch Marine Le Pen als Überraschungs- und Stargast zum Parteitag des damaligen Front National in Lille eingeladen worden. Nun behauptet sie gegenüber französischen Medien, Bannons Einfluss in Frankreich sei „in Wirklichkeit ziemlich gering“. Er selbst erklärte unterdessen in den Spalten der Boulevardzeitung Le Parisien, unter allen Ländern, die an der Europaparlamentswahl teilnehmen, sei die Wahl in Frankreich „am entscheidensten“. Am Mittwoch, den 22. Mai 19 entschied nun allerdings der CSA – eine Art Pendant zum deutschen Presserat, er übt eine Aufsicht auch über das politische Gleichgewicht bei Fernsehen und Rundfunk aus -, dass die Redezeit Steve Bannons in diversen Medien auf die Sendezeiten des Rassemblement National angerechnet werden müsse, und rief dadurch den von Marine Le Pen hervor.

Hausgemacht und absolut selbstverschuldet ist unterdessen der jüngste heftige Skandal, den der Rassemblement National gut eine Woche zuvor auslöste. Zu dem Zeitpunkt wurden Fotos bekannt, die allerdings bereits 2012/13 aufgenommen worden waren und den parlamentarischen Assistenten des Generalsekretärs der Partei – Nicolas Bay – im Europaparlament zeigen. Die Abbildungen zeigen Guillaume Pradoura als orthodoxen Juden verkleidet, mit Hut und Schläfenlocken, wobei er seine Finger in beinahe krallenähnlicher Form gekrümmt hält. Die Darstellung erinnert stark an antisemitische Karikaturen aus der NS-Ära wie auch aus der Besatzungszeit in Frankreich oder an das Filmplakat von Jud Süß im so genannten Dritten Reich. Bekannt wurden die Fotos am 15. Mai 19 durch eine Twitter-Nachricht. Von Bays und Pradouras früherer Parteikollegin, der Europaparlamentarierin Sophie Montel, die inzwischen aus Partei und Fraktion ausgetreten ist, nachdem sie seit den neunziger Jahren eine aufstebende Funktionärin gewesen war. Montel fügte hinzu, Guilaume Pradoura verfüge ferner über „freundschaftliche Beziehungen in den Reihen des Ku Klux Klan“. Am 17. Mai d.J. erklärte Nicolas Bay, gegen Pradoura sei ein Ausschlussverfahren eingeleitet worden. Kurz zuvor hatte er die Sache noch als „privaten Scherz“ ohne Konsequenzen abgetan, er wich jedoch offenkundig vor dem sich ausweitenden Skandal zurück

Guillaume Pradoura kommt ursprünglich aus der „identitären Bewegung“. Spitzenkandidat Jérôme Bardella seinerseits war 2015 parlamentarischer Assistant von Jean-François Jalkh im Europaparlament – dessen Verwaltung mutmaßt allerdings, es handele sich um ein fiktives Beschäftigungsverhältnis, das wie andere beim FN im Europäischen Parlament vorrangig dazu gedient habe, Gelder abzuziehen. Jalkh wurde als Auschwitzleugner bekannt. Nachdem entsprechende Äußerungen von ihm publik geworden waren, musste er im April 2017 nach nur wenigen Tagen als Interimspräsident des damaligen Front National zurücktreten.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.