Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Organisationsverbote gegen außerparlamentarische faschistische Gruppierungen

5-6/2019

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onlinezeitung

08.05.19

Kommt nun eine zweite Welle von Organisationsverboten gegen außerparlamentarische rechtsextreme Gruppen in Frankreich? Ein halbes Dutzend Vereinigungen waren in den Wochen nach dem Tod des jungen Antifaschistischen Clément Méric, den Skinheads Anfang Juni 2013 totschlugen, gesetzlich verboten worden. In einem Falle, dem des Chefs der verbotenen Kleinpartei L’Oeuvre française, Yvan Benedetti, wurde inzwischen erstinstanzlich eine Geldstrafe von achtzig Tagessätzen wegen Wiederbetätigung für eine verbotene Gruppierung verhängt, die Staatsanwaltschaft hatte sechs Monate auf Bewährung gefordert. Das Berufungsverfahren gegen das Lyoner Urteil vom Juli 2018 fand nun am Dienstag, den 07. Mai dieses Jahres statt; das Berufungsurteil steht noch aus, ein Datum für seine Bekanntgabe wurde bislang nicht angesetzt.

Zwischenzeitlich erwischte es nun auch den Bastion social (ungefähr: „Soziale Trutzburg“). So hieß seit seiner offiziellen Gründung im Frühjahr 2017 in Lyon eine faktische Nachfolgeorganisation der zwischen 1969 und den später achtziger Jahren starken, später verschwundenen und in Teilen wiederbelebten Gruppierung Groupe Union Défense (GUD, „Gruppe Einheit und Verteidigung“). Diese ausgesprochen gewaltaffine und offen faschistisch auftretende Schlägervereinigung wies vor allem im rechte studentischen Milieu eine gewisse Verankerung auf, ihre Hochburg war die juristische Fakultät an der Universität von Paris-2 (Assas). Eine Reihe „alter Herren“ des GUD-Milieus bilden heute einen Teil der Umgebung von Marine Le Pen, die ebenfalls an Assas Jura studiert hat, und verwalten insbesondere Gelder für die Chefin des Rassemblement National (RN), des früheren Front National.

er Bastion social bestand aus vom früheren GUD faszinierten Anhängern der extremen Rechten aus der jüngeren Generation. Er bemühte sich um ein vordergründig „sozialrevolutionäres“ Profil, besetzte einzelne Häuser wie in Entzheim bei Strasbourg und richtete in mehreren Städten wie Lyon, Marseille oder Chambéry „soziale Zentren“ ein. Erklärtes Vorbild war dabei die italienische Gruppierung CasaPound, die mit solchen und anderen Mitteln einen modernisierten „Faschismus des 21. Jahrhunderts“ aufbauen möchte, jedoch über eine ungleich stärkere Basis und weitaus mehr Mittel verfügt. Die Einrichtung solcher Zentren führte jedoch in einer Reihe von Städten wie Marseille, Clermont-Ferrand, Chambéry, Strasbourg und Lille zu antifaschistischen Demonstrationen, die jeweils mindestens mehrere Hundert Menschen aus Anlass ihrer Eröffnung mobilisierten. Die Zahl der Gegendemonstranten überstieg jedes Mal deutlich die der Sympathisanten, die zu den Einweihungsfeiern auftauchte. Ins Visier der staatlichen Behörden geriet der Bastion Social seit Dezember 2018, nachdem einige seiner Aktivisten die „Gelbwesten“-Demonstrationen als Kulisse nutzten, um sich an einzelnen Orten Auseinandersetzungen mit der Polizei zu liefern. Sein Verbot war denn auch seit vier Monaten quasi angekündigt.

Auch gegenüber dem Bloc identitaire, oder jedenfalls seiner - nicht gar so jugendlichen – Jugendorganisation Génération identitaire, könnte unterdessen ein gesetzliches Verbot drohen. Seitdem Letztere am 29. März in der Pariser Vorstadt Bobigny in einer spektakulären Aktion das Dach eines Sozialamts besetzte, um „Geld für französische Interessen statt für Ausländer“ zu fordern, erwägt die Regierung ebenfalls, einen Auflösungsbeschluss gegen die Organisation zu fassen.

Die Hauptorganisation der französischen „identitären Bewegung“ hat derzeit noch weitere Probleme. Zuerst eine Jugend- und dann die Erwachsenenorganisationen waren 2002/03 aus der Vorläuferorganisation Unité radicale (UR) entstanden. UR selbst war im August 2002 infolge des individuell geplanten und durchgeführten Attentats eines ihrer Mitglieder, Maxime Brunerie, vom 14. Juli 2002 auf Staatspräsident Jacques Chirac verboten worden, und ihre Nachfolgerorganisationen vollzogen einige ideologische Brüche gegenüber UR, insbesondere relativierte der Bloc identitaire die Bedeutung des bei UR sehr präsenten Antisemitismus ganz erheblich. Die in diesem Jahrzehnt im deutschsprachigen Raum entstandenen, sich auf das Label „identitär“ beziehenden Gruppierungen sind nur späte Nachahmer des französischen Konzepts.

Nun hat das französische Original ähnliche Probleme wie die „Identitäre Bewegung Österreichs“, deren Anführer Martin Sellner Ende März den Eingang einer Spende des Attentäters von Christchurch vom 15. März dieses Jahres bestätigen musste und sich dadurch einigen Ungemach wie etwa eine Hausdurchsuchung einhandelte, so dass sich sogar die mitregierende FPÖ zumindest vordergründig von ihm distanzieren musste. Génération identitaire in Frankreich räumte ihrerseits Anfang April öffentlich ein, ebenfalls Spenden von Brenton Tarrant verzeichnet zu haben, in ihrem Falle jedoch ihrer vier, in einer Gesamthöhe von 2.200 Euro. Zunächst war nur von zweien die Rede gewesen.

Dies wirft kein allzu gutes Licht in der Öffentlichkeit auf diese Strömung. Doch konnte diese kurz darauf einen Propagandacoup landen, indem sie wenige Tage später PR-wirksam dem amtierenden Innenminister Christophe Castaner eine Ehrenmitgliedschaft antrug Den Anlass dazu lieferte Castaner selbst am 05. April, indem er sich abträglich über Seenotrettung für Migranten im Mittelmeer betreibende NGOs äußerte - ihm zufolge „Helfer der Schlepper“, wie es auch Rechtsextreme gerne darstellen.

Ein weiterer Problembär der außerparlamentarischen extremen Rechten in Frankreich wird derzeit der hauptberufliche Antisemit und Devotionalienhändler im Internet, „Alain Soral“, mit bürgerlichem Namen Alain Bonnet. Der 60jährige, der seit Jahren Gesinnungskameraden die Welt von seinem roten Sofa aus erklärte und Videos davon ins Internet spielte – die jüdische Weltverschwörung spielte dabei eine prominente Rolle -, wurde am 15. April 19 erneut wegen „Aufstachelung zum Rassenhass“, wie das ungefähre französische Pendant zum deutschen „Volksverhetzungs“paragraphen lautet, erneut verurteilt. Dieses Mal jedoch zu einer Haftstrafe ohne Bewährung, von einem Jahr.

Im Januar 19 war er bereits in der Pariser Vorstadt Bobigny zu einer identischen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die jedoch noch nicht rechtskräftig ist, da Soral dagegen Berufung eingelegt hat. Im Übrigen werden allein im laufenden Monat Mai vier Urteile gegen Soral in Berufungsverfahren erwartet, so dass sich die Dauer des verhängten Freiheitsentzugs demnächst zu einer nicht geringfügigen Periode summieren könnte.

Ursächlich für die letzte Verurteilung vom 15. April wurde, dass Soral auf der Webseite seiner Gruppierung Egalité & réconciliation oder „Gleichheit und Aussöhnung“ im November 2017 ein Plädoyer seines Anwalts Damien Viguier, selbst ein bekennender Faschist – er benutzt diesen Begriff mitunter als positive Zuschreibung -, in einem vorausgehenden Strafverfahren wegen Holocaust-Leugnung publiziert hatte. Die vorausgehende Strafsache betraf die im April 2016 durch Soral online publizierte, die Auschwitzlüge verbreitende Publikation Chutzpah Hebdo. Sein Revisionsantrag im obersten Gericht in dieser alten Rechtssache wurde im März dieses Jahres abgewiesen. Er hatte aber eventuell geglaubt, die Veröffentlichung des Verteidigerplädoyers erlaube es ihm, seine Äußerungen sinngemäß weiter zu verbreiten und dabei straflos auszugehen. Denn das Gesetz verbietet es, einen Anwalt wegen vor Gericht vorgetragener Inhalte rechtlich zu belangen, außer bei Richterbeleidigung oder wenn Aussprüche in keinerlei Zusammenhang zum Inhalt des Plädoyers stehen. Doch nun wertete die Strafkammer die Publikation im Internet durch Soral als eigenständige Veröffentlichung, die den Tatbestand erfülle, und verurteilte seinen Anwalt als Komplizen dabei gleich mit zu 5.000 Euro Geldstrafe. Viguier hatte in seinem Plädoyer unter anderem behauptet, das Abscheren von Haaren in den Konzentrationslagern NS-Deutschlands sei aus hygienischen Gründen erfolgt.

Im Januar 19 hatte es das Bezirksgericht in Bobigny noch unterlassen, einen sofortigen Strafantritt anzuordnen, wozu es prinzipiell die Möglichkeit hat, was es jedoch begründen muss. Am 15. April in Paris dagegen hatte Soral nicht dieses Glück, das Gericht verhängte gegen den Serientäter einen sofortigen Haftantritt und – da das Urteil in Abwesenheit erging – zusätzlich einen Haftbefehl.

Bis heute wurde dieser allerdings nicht vollstreckt, wie die gegen Geschichtsrevisionismus – zur Shoah, zum Genozid in Rwanda und zu dem an den Armeniern - kämpfende Initiative Mémorial98 am 26. April in einem online publizierten Text scharf kritisierte. Dieser steht unter der Überschrift: „Die Staatsanwaltschaft Paris schützt Alain Soral.“ Letztere weigert sich bislang tatsächlich, eine Vollstreckung des vorliegenden, gerichtlichen Haftbefehls – dem eine eventuelle Berufungsprozedur keinen Abbruch tut – anzuordnen. Allerdings nicht aus politischen Motiven (die Staatsanwaltschaft hatte selbst eine Haftstrafe ohne Bewährung gegen Soral beantragt), sondern aus juristischen Gründen, denn der Artikel 465 der französischen Strafprozessordnung (d.h. des Code de procédure pénale, Cpp) erlaubt es, eine Anordnung zu sofortigem Haftantritt bei Delikten „des allgemeinen Strafrechts oder des Militärstrafrechts“ zu verhängen, doch der Verhetzungs-Tatbestand zählt nicht zu dieses, sondern zum Pressestrafrecht, also einem besonderen Rechtsbereich. Formaljuristisch stimmt diese Argumentation i.Ü., doch besitzt die Staatsanwaltschaft nicht die Vollmacht, einen vom Gericht (und sei es irrtümlich) verhängten Haftbefehl bzw. Befehl zum sofortigen Strafantritt auszusetzen, dies liegt vielmehr allein in der Hand eines Berufungsgerichts. Insofern verhält die Staatsanwaltschaft sich wiederum in diesem Punkt juristisch unkorrekt.

Alain Soral gibt in einem neueren Video von sich selbst an, flüchtig zu sein, fügt jedoch hinzu: „Die Einzigen, die mir am Leder flicken wollen, sind die Juden. Am vorigen Samstag, den 04. Mai 19 sollte er unterdessen einen Auftritt zu einem Vortrag im elsässischen Mulhouse absolvieren, die von den Veranstaltern offiziell angekündigt wurde. Zusammen mit seinem Anwalt Damien Viguier sollte er über Kinderschänder sprechen. Nachdem zwei Tage zuvor der Mietvertrag für den Saal aufgekündigt worden war, kam es jedoch nicht dazu, dass er sich derart in der Öffentlichkeit produzieren konnte.

 

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.