Syngentas Milliardengeschäft mit hochgefährlichen Pestiziden
Syngenta profitiert im Geschäft mit hochgefährlichen Pestiziden von schwachen Regulierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

von Carla Hoinkes

5-6/2019

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Kerngesundes Gemüse, glückliche Familien aus aller Welt, engagierte Bäuerinnen und Bauern und wunderbare Landschaften. Alles unterlegt mit computergenerierten Rhythmen und Klängen. Dazu ein akkurat gescheitelter Herr im dunklen Anzug, der seinen eindringlich dargebotenen Worten durch ausladende Gesten zusätzliches Gewicht verleiht. Das alles gibt es in nur einer Minute und zwanzig Sekunden auf dem Youtube-Kanal des Konzerns Syngenta aus Basel. «The future of sustainable agriculture» heisst das Video, «Die Zukunft nachhaltiger Landwirtschaft.»

Der Herr im Video ist Erik Fyrwald, CEO von Syngenta. Er zeichnet das Bild einer Landwirtschaft, die Konsumentinnen und Konsumenten nicht nur mit «wunderbaren, sicheren, erschwinglichen und gesunden Nahrungsmitteln» versorgt, sondern dies in einer Weise tut, «die unsere Erde schützt». Er verspricht, Syngenta werde weiterhin dazu beitragen, «die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Für unsere Kinder, unsere Enkelkinder und unzählige weitere Generationen».

Toxische Profite

Das sind nichts als schöne Worte, wie eine Recherche von Public Eye auf der Basis von exklusiven Industriedaten zeigt. Während mehrerer Monate haben wir das ebenso undurchsichtige wie lukrative Geschäft mit hochgefährlichen Pestiziden unter die Lupe genommen. Wir haben die Pestizid-Verkaufszahlen der privaten Marktanalyse-Firma Phillips McDougalls mit den 310 Substanzen abgeglichen, die wegen ihrer grossen Risiken für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit auf der Liste der «hochgefährlichen Pestizide» des Pesticide Action Network (PAN) stehen.

Gemäss unseren Schätzungen hat im Jahr 2017 kein Konzern mehr Geld mit diesen Substanzen verdient als der Basler Multi: schätzungsweise 3,9 Milliarden US-Dollar. Das sind mehr als 40 Prozent der 9,2 Milliarden Dollar Umsatz, die der Konzern mit dem Pestizidverkauf insgesamt generierte. 15 der 32 Pestizide, die Syngenta als ihre Bestseller präsentiert, stehen auf der Liste von PAN. Und: während der Konzern sich mit «erstklassiger Forschung und innovativen Lösungen» brüstet, hat er seit 2000 gerade einmal acht neue Moleküle entwickelt.

Gleichzeitig macht Syngenta jährlich hunderte Millionen Dollar Umsatz mit einigen wenigen hochgiftigen «Bestsellern», die bereits seit Jahrzehnten auf dem Markt sind. Darunter sind hochumstrittene Substanzen wie das wahrscheinlich krebserregende Herbizid Glyphosat, das bienenschädliche Insektizid Thiamethoxam, dessen Verwendung auf Schweizer und EU-Äckern 2018 untersagt wurde, oder die hierzulande längst verbotenen Herbizide Atrazin und Paraquat.

Mit zweierlei Mass

Syngenta erzielt schätzungsweise zwei Drittel ihres Umsatzes mit hochgefährlichen Pestiziden in Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen zahlreiche Pestizide nach wie vor verkauft werden dürfen, die in der Schweiz oder der EU nicht mehr zugelassen sind. Gemäss unserer Recherche sind 51 der 120 Agrarchemikalien in Syngentas Portfolio hierzulande nicht zugelassen.16 wurden ausdrücklich aufgrund ihrer «Folgen für die Gesundheit oder die Umwelt» verboten.

Bedeutende Abnehmer der hochgefährlichen Pestizide Syngentas sind etwa Argentinien, China, Paraguay, Mexiko, Indien, Vietnam, Kenia oder Ghana. Der mit Abstand grösste Absatzmarkt ist allerdings die landwirtschaftliche Supermacht Brasilien, wo pro Hektar sieben Mal mehr Pestizide ausgebracht werden als in der EU. Nach unseren Schätzungen verkaufte Syngenta 2017 allein dort hochgefährliche Pestizide im Wert von knapp einer Milliarde Dollar – darunter neun Substanzen, die in der Schweiz oder der EU verboten sind.

Gift im Wasser?

Um besser zu verstehen, in welchem Ausmass die brasilianische Bevölkerung im Alltag giftigen Pestiziden ausgesetzt ist, hat Public Eye in Zusammenarbeit mit Repórter Brasil die Daten des brasilianischen Programms zur Kontrolle der Trinkwasserqualität analysiert. Die Anbieter von Trinkwasser sind in Brasilien dazu verpflichtet, das Wasser auf 27 Pestizide zu prüfen und die Ergebnisse an die Bundesregierung weiterzuleiten. Unter den getesteten Substanzen sind 21, die PAN als hochgefährlich einstuft.

Unsere Analyse der Daten aus dem Trinkwasser-Monitoring zeigt, dass in 86 Prozent der 850’000 Wassertests, die zwischen 2014 und 2017 durchgeführt wurden, Pestizidrückstände gefunden wurden. Besonders beunruhigend ist, dass in tausenden Proben ein giftiger Cocktail sämtlicher 27 getesteter Substanzen nachgewiesen wurde. In 1396 Gemeinden mit einer Gesamtbevölkerung von 85 Millionen Menschen wurden alle 27 Pestizide mindestens einmal in diesen vier Jahren gemessen.

Zahlreiche Toxikologen warnen vor diesem «Cocktail-Effekt», den André Leu in seinem Buch The Myths of Safe Pesticides so beschreibt: «Chemische Cocktails können synergetisch wirken. Das bedeutet, dass die Toxizität sich nicht mit 1+1=2 berechnen lässt, sondern dass der Sondereffekt der Mischung hinsichtlich der Toxizität zu einem Resultat von 1+1=5 oder mehr führen kann.»

In 454 brasilianischen Gemeinden wurden ausserdem mindestens einmal zwischen 2014 und 2017 die in Brasilien zugelassenen Höchstwerte überschritten – Grenzwerte, die generell deutlich höher sind als jene bei uns. Im Allgemeinen ist das Trinkwasser in Brasilien viel stärker verschmutzt als in der Schweiz oder der EU. Während in der EU nur gerade 0,1 Prozent der Proben über dem dortigen gesetzlichen Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter liegen, sind es in Brasilien 12,5 Prozent.

Eine der in Brasiliens Wasser am häufigsten nachgewiesenen Substanzen ist Atrazin, ein als hormonverändernd und fortpflanzungsgefährdend eingestuftes Herbizid, das in der Schweiz und der EU verboten ist, weil es Trinkwasserquellen verunreinigt. Syngenta ist globale Marktführerin beim Verkauf dieses hochumstrittenen Pestizids: Wir schätzen, dass der Konzern 2017 damit weltweit 330 Millionen US-Dollar umgesetzt hat, in Brasilien deren 65.

Krebs, Missbildungen, Hormonelle Störungen

Die brasilianische Ärztin und Forscherin Ada Aguiar sagt, in Brasilien gebe es wohl «keinen einzigen Menschen, der nicht in einem gewissen Masse Pestiziden ausgesetzt ist». Doch welche Folgen hat dieser Kontakt mit giftigen Pestiziden für die Gesundheit der Menschen? Um sich vor Ort ein Bild zu machen, ist Public Eye in den brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso gereist. Zwischen scheinbar unendlichen Soja-, Mais- und Baumwollfeldern haben wir mit Eltern erkrankter Kinder gesprochen, mit Landarbeitern und Expertinnen. Viele von ihnen wagten sich kaum, sich offen gegen die allmächtige Agrarindustrie zu äussern, wie sich in der Reportage nachlesen lässt.

Doch andernorts werden die Stimmen gegen ein Geschäftsmodell, dessen verheerende Folgen für Gesundheit und Umwelt sich immer deutlicher zeigen, lauter. So hat sich etwa die brasilianische Krebsbehörde INCA 2015 mit klaren Worten gegen die vorherrschende Praxis beim Einsatz von Pestiziden gewandt. Die chronische Belastung durch Pestizidrückstände in der Umwelt und in Lebensmitteln – meist in geringen Dosen – könne die ganze Bevölkerung betreffen und deren Gesundheit langfristig beeinträchtigen.

Unter den möglichen Folgen sieht das Institut «Unfruchtbarkeit, Impotenz, Fehlgeburten, Missbildungen, neurologische Probleme, Beeinträchtigungen des Hormonsystems und Krebs». Wissenschaftliche Untersuchungen aus Brasilien zeigen, dass bestimmte Krebsarten in Regionen mit hohem Pestizideinsatz auffällig häufig auftreten. Und Kinder, deren Eltern Pestiziden ausgesetzt waren, haben gemäss Studien ein höheres Risiko, mit Geburtsfehlern zur Welt zu kommen.

Keine Trendwende in Sicht

Karen Friedrich von der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft für Arbeitsrecht gibt zudem zu bedenken, dass die bislang bekannten Gesundheitsfolgen «wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs» seien: «Die öffentlichen Mittel für die wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet sind in Brasilien stark begrenzt.» Und die INCA warnt, dass die gesundheitlichen Folgen des rasch zunehmenden Pestizideinsatzes womöglich erst allmählich spürbar werden, da sich Krankheiten manchmal erst «viele Jahre nach dem Kontakt mit Pestiziden entwickeln».

Ein Kurswechsel in Bezug auf den Einsatz von Pestiziden ist in Brasilien nicht in Sicht – im Gegenteil: Die von Präsident Jair Bolsonaro eingesetzte Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina ist die ehemalige Anführerin der Agrarlobby «bancada ruralista» im Bundessparlament und hat sich durch ihren unbeirrten Einsatz für die Lockerung der Registrierungsanforderungen für Pestizide den Spitznamen «Musa do Veneno» – Deutsch: Giftkönigin – erarbeitet. Unter ihrem Vorsitz hat das Ministerium seit Anfang des Jahres bereits 121 neue Pestizidprodukte freigegeben. Entsprechend stellt auch Syngenta in Brasilien für 2019 optimistische Prognosen auf: Man erwarte im Segment «Pflanzenschutz» ein zweistelliges Wachstum, sagte kürzlich Valdemor Fischer, Direktor Syngenta Lateinamerika.

Die «Ausbeutung niedriger Schutzstandards» beenden

Aus Sicht von Baskut Tuncak, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und gefährliche Substanzen, ist es «dringend nötig, die Ausbeutung niedrigerer Schutzstandards zu beenden. Diese Situation ist moralisch und ethisch nicht vertretbar.» Er fordert, dass die Staaten die Einhaltung der Menschenrechte durch Chemieunternehmen mittels einer gesetzlich verankerten Sorgfaltspflicht sicherstellen.

Als Sitzstaat der weltweit führenden Pestizidverkäuferin und als Produktionsstandort steht die Schweiz hier besonders in der Verantwortung: Public Eye verlangt, dass sie den Export von Pestiziden untersagt, die hierzulande wegen ihrer Gefahr für Gesundheit oder Umwelt verboten sind, wie es die grüne Nationalrätin Lisa Mazzone in einer Motion fordert. Zudem muss eine verbindliche Sorgfaltsprüfungspflicht, wie sie die Konzernverantwortungsinitiative vorsieht, eingeführt werden. Schliesslich soll sich die Schweiz für ein rechtlich bindendes internationales Abkommen zu hochgefährlichen Pestiziden einsetzen.

Um künftige Generationen zu schützen, ist es unabdingbar, dass die giftigsten Pestizide weltweit vom Markt genommen und durch sicherere Alternativen ersetzt werden. In einer Petition fordert Public Eye Syngenta dazu auf, sich zu verpflichten, die Produktion und den Verkauf hochgefährlicher Pestizide einzustellen.

Editorischer Hinweis

Der Artikel wurde erstveröffentlicht am 26.4.2019 bei:

Red. Carla Hoinkes, die Autorin dieses Beitrages, ist Fachmitarbeiterin Landwirtschaft, Biodiversität & Geistiges Eigentum bei Public Eye (früher Erklärung von Bern). Der Beitrag basiert auf einer Recherche von Public Eye auf Grundlage exklusiver Daten.