Zum 51.
Jahrestag der israelischen Besatzung des
Westjordanlands und des Gazastreifens wird das
Wort Apartheid immer häufiger in den Mund
genommen, um die Situation zwischen Jordan und
Mittelmeer zu beschreiben. Inwieweit diese
Kategorie für das gesamte israelische
Staatsgebilde zutrifft, muss näher unter die Lupe
genommen werden.
Wer in Deutschland
das Wort Apartheid in Bezug auf Israel verwendet,
dem wird schnell Antisemitismus vorgeworfen und er
muss mit Sanktionen rechnen. So drohte im Sommer
2016 der designierte Berliner Kultursenator Klaus
Lederer, einem migrantischen Theater die
Finanzierung zu entziehen, weil dort das Wort
Apartheid in Bezug auf Israel in einer
Paneldiskussion gefallen sein soll. Ähnlich wurde
einer jungen nicht-weißen Dozentin an der FU Berlin
im Sommersemester 2017 ein Lehrauftrag verwehrt,
weil sie unter anderem in einem persönlichen Blog
Israel als einen Apartheidstaat bezeichnet hatte.
Erst letzten November wurde ein Vortrag einer
palästinensischen Wissenschaftlerin an der gleichen
Universität abgesagt, scheinbar aus ähnlichem
Grund.
Ungeachtet des
fragwürdigen Verständnisses von Meinungsfreiheit in
einigen akademischen und linken Kreisen, das darin
zum Ausdruck kommt, hat sich das Wort Apartheid
längst als Schlagwort in den internationalen
Diskursen über den Nahostkonflikt etabliert. Von
vielen Palästinensern, Israelis und ausländischen
Beobachtern wird der Begriff mal als
wissenschaftliche Kategorie, mal als Kampfbegriff
benutzt, um das israelische Herrschaftssystem über
die Palästinenser zu verurteilen. Andere sehen
darin eine böswillige Verleumdung gegen eine
lebendige Demokratie und weisen auf die politischen
Freiheiten der arabischen Minderheit in Israel hin.
Es scheint daher angezeigt, jenseits des
öffentlichen Schlagabtausches den Versuch einer
Klärung der Sachlage wie der Begrifflichkeit zu
unternehmen. Dafür muss aber erst mal geklärt
werden, wie Apartheid definiert wird, und wie
Israel.
Apartheid
Der Rechtsbegriff
Apartheid ist stark geprägt vom
Rassentrennungssystem in Südafrika und nach ihm
benannt, aber völkerrechtlich von dem
zeitgeschichtlichen Ausgangspunkt längst abgelöst.
Mit der Zustimmung des Römischen Statuts zur
Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs im
Jahr 2002 wurde Apartheid von den meisten Ländern
der Welt als Verbrechen gegen die Menschheit
anerkannt (Nicht-Vertragspartei sind jedoch unter
anderem die USA, Russland, China, Indien, die
Türkei und Israel). Dort wird das Verbrechen im
Artikel 7 wie folgt definiert: Apartheid sind
„unmenschliche Handlungen (…), die von einer
rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem
institutionalisierten Regime der systematischen
Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer
anderer Gruppen in der Absicht begangen werden,
dieses Regime aufrechtzuerhalten“.
Beispiele für solche
„unmenschlichen Handlungen“ lassen sich unter
anderem in der Anti-Apartheid-Konvention der UN aus
dem Jahr 1973 finden: die Verweigerung des Rechts
auf Leben und Freiheit durch Mord, Folter und
illegalen Freiheitsentzug; jegliche gesetzlichen
Maßnahmen, die darauf abzielen, die politische,
soziale, ökonomische und kulturelle Teilnahme einer
rassischen Gruppe zu verhindern, besonders durch
die Verwehrung grundlegender Rechte, wie des Rechts
auf Arbeit, auf gewerkschaftliche Organisierung,
auf Bildung oder auf Bewegungs- und
Versammlungsfreiheit. Auch andere Maßnahmen, die
darauf ausgerichtet sind, die Gesellschaft nach
rassischen Linien zu trennen, wie die Schaffung von
Reservaten und Ghettos, das Verbot von Mischehen
oder die Enteignung von Land zugunsten einer
rassischen Gruppe, werden in der Konvention
benannt.
Die Verwendung des
Begriffs „rassische Gruppe“ wird im Einklang mit
dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung
jeder Form von Rassendiskriminierung von 1965 weit
ausgelegt und dient nicht dazu, einen Rassebegriff
an sich zu definieren, sondern Formen rassistischer
Diskriminierung zu bezeichnen, die „auf der Rasse,
der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen
Ursprung oder dem Volkstum“ beruhen. Die
südafrikanische rassistisch-biologische
Unterscheidung europäischer Abstammung fällt
selbstverständlich unter diese Definition, bestimmt
sie aber nicht.
Wie aus der
Hauptdefinition klar wird, verdient nicht jede Form
der rassistischen Diskriminierung das juristische
Etikett Apartheid. Ein solches Herrschaftssystem
muss einerseits institutionalisiert sein, sprich
durch Gesetze und Rechtsinstitutionen untermauert
sein, die eine rassistische Politik gezielt,
systematisch und repressiv durchsetzen.
Andererseits muss dieses System danach ausgerichtet
sein, auf Dauer Bestand zu haben. Eine zeitlich
begrenzte militärische Besatzung, unter der
rassistische Zustände herrschen mögen, fällt daher
nicht unter diese Definition.
Israel
Das Hauptproblem mit
der Anwendbarkeit des Begriffs in Bezug auf Israel
besteht darin, dass in den Debatten, so wie sie
geführt werden, ungewiss bleibt, was genau
bezeichnet wird, wenn von Israel die Rede ist. Der
Staat Israel, gegründet im Jahr 1948, vertrieb zwar
während seines Unabhängigkeitskriegs die große
Mehrzahl der palästinensischen Bewohner aus dem von
ihm eroberten Gebiet und unterstellte die im Land
verbliebenen Palästinenser zunächst einer
Militärregierung, erteilte ihnen jedoch die
israelische Staatsbürgerschaft. Die nicht-jüdischen
Staatsbürger Israels genießen folglich das passive
und aktive Wahlrecht und dürfen auch alle höheren
Posten im Staatsapparat bekleiden. Nicht zu leugnen
jedoch ist die strukturelle Diskriminierung, die
Nicht-Juden in einem Staat erleben, dessen
erklärtes Ziel es ist, eine jüdische Ethnizität zu
privilegieren. Die Privilegierung der Mehrheit muss
nicht zwangsläufig die Minderheit negativ
betreffen, setzt sich jedoch in der Praxis oft
diskriminierend um. Ein Beispiel hierfür sind die
erwähnten höheren Staatsfunktionen. Seit 1948
fungierten nur drei nicht-jüdische Männer als
Minister (aus einer Gesamtzahl von ungefähr 240
Ministern in 34 Regierungen). Zwei davon gehörten
der drusischen Minderheit an, die der Staat nicht
als arabisch definiert. Auch im Obersten Gericht
saßen bis heute nur zwei arabische Richter in
Daueranstellung, davon kein einziger Moslem.
Besonderes sichtbar
wird die Diskriminierung in der Land- und
Baugesetzgebung. Seit der Staatsgründung wurden
systematisch Grundstücke im arabischen Besitz für
die Schaffung jüdischer Wohnorte enteignet. Neue
Ortschaften für die palästinensisch-israelische
Bevölkerung wurden kaum gebaut, und selbst die
Entwicklung der existierenden Ortschaften wurde
durch eine höchst restriktive Erteilung von
Baugenehmigungen oder die Verhinderung von
Bauleitplanungen unterbunden. Die Staatspolitik zur
„Judaisierung“ der Negev-Wüste und der
Galiläa-Region, die durch die Schaffung exklusiver
jüdischer Ortschaften oder die Nicht-Anerkennung
beduinischer Ortschaften und deren Zerstörung
forciert wird, stellt unleugbar eine massive
Diskriminierung der palästinensischen Bürger
Israels dar.
Auch die eigenen
offiziellen Statistiken bezeugen, dass die
arabisch-palästinensische Minderheit in fast jeder
Hinsicht im Staatsaushalt finanziell benachteiligt
wird. Die Trennung zwischen palästinensischen und
jüdischen Israelis im Schulsystem, die an sich auch
legitime Gründe hat, wie das Recht auf Erziehung in
der Muttersprache, wirkt sich somit diskriminierend
aus. Trotzdem, nicht jede Trennung wird als
rassistische Unterdrückung wahrgenommen. Mit dem
Verbot von interreligiösen Mischehen im Inland wird
zwar weiter eine Kluft zwischen den
ethnisch-religiösen Communities geschaffen;
religiöse Führer, seien sie Juden, Christen oder
Muslime, haben jedoch kein Problem damit und
genießen sogar eine Autonomie in Form jeweils
eigener religiöser Familiengerichte.
Trotz der vielfachen
gesellschaftlichen und gesetzlichen
Ausgrenzungsmechanismen gegenüber der
arabisch-palästinensischen Minderheit ist innerhalb
Israels auch eine Koexistenz von Juden und Arabern
anzutreffen, die nicht nur formell mit der
Situation der Apartheid in Süd-Afrika
unvergleichbar ist. In Krankenhäusern und anderen
öffentlichen Einrichtungen arbeiten oft
palästinensische Israelis als gleichberechtigte
Mitarbeiter; zum Strand oder anderen öffentlichen
Vergnügungsorten haben palästinensische wie
jüdische Israelis freien Zugang; und Araber
studieren neben Juden an hebräisch-sprachigen
Universitäten – wenn auch unter erschwerten
Bedingungen. Eine räumliche rassische Trennung in
der Öffentlichkeit wird nicht praktiziert. Auch die
Meinungsfreiheit arabischer Bürger, obgleich
strenger eingeschränkt und sanktioniert, wird trotz
Drohungen von rechtsextremen Politikern weitgehend
geschützt.
Die Frage, ab wann
eine diskriminierende Politik den Tatbestand des
Apartheid-Verbrechens erfüllt, ist umstritten. Die
meisten israelischen Menschenrechtsexperten
tendieren dazu, die Situation allein im
israelischen Kernland trotz der Anerkennung einer
systematischen Benachteiligung nicht als Apartheid
zu definieren – aufgrund der relativ breiten
politischen Freiheiten, die die palästinensische
Minderheit in Israel genießt. Die Kämpfe, die
palästinensische und jüdische Israelis gegen die
oben skizzierte Diskriminierungssituation führen,
betreffen teilweise Verletzungen von
Menschenrechten und internationalen Konventionen –
es handelt sich aber nicht um Kämpfe einer komplett
rechtslosen Bevölkerungsgruppe. Anders sieht es
jedoch in den von Israel seit 1967 besetzten
palästinensischen Gebieten aus.
Die besetzten Gebiete
Das israelische
Herrschaftssystem, das sich in den letzten 51
Jahren in Ost-Jerusalem, im Westjordanland und im
Gazastreifen mit verschiedenen Ausprägungen
entwickelt hat, konstituiert ein grundlegend
anderes Verhältnis zwischen dem Staat und der dort
ansässigen palästinensischen Bevölkerung. Die
umfassende Kontrolle über letztere wird in Gaza
durch eine langjährige Belagerungspolitik
aufrechterhalten, die lange vor der Machtübernahme
der Hamas begann; im Westjordanland durch eine
direkte militärische Besatzung, exklusiv-jüdische
Besiedlungsaktivitäten und die Schaffung der
Palästinensischen Autonomiebehörde; in
Ost-Jerusalem durch die Annexion an das
Staatsgebiet, jedoch ohne den dort Ansässigen die
Staatsbürgerschaft zu erteilen. Diese Dreiteilung
der besetzten Gebiete sollte jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sie völkerrechtlich ein
gemeinsames Territorium bilden.
Die massiven
Menschenrechtsverletzungen durch den Staat Israel
in diesen Gebieten wurden und werden laufend seriös
dokumentiert. Dass sie mehr als ausreichend den
Tatbestand einer systematischen Unterdrückung
erfüllen, wie in der Apartheid-Konvention
aufgeführt, ist unanfechtbar. Es stellt sich daher
nur noch die Frage, ob diese Repressionen begangen
wurden und werden, um die Vorherrschaft einer
rassischen Gruppe sicherzustellen, und ob dieses
System zeitlich begrenzt ist oder seinen eigenen
Selbsterhalt anstrebt.
Dazu antwortet der
Staat Israel seit dem Beginn der Besatzung vor
allem mit zwei Argumenten: Alle Maßnahmen, die
Israel in jenen „gehaltenen Gebieten“ durchführe,
seien Sicherheitsmaßnahmen. Das trifft übrigens
auch auf den Siedlungsbau und die Landenteignungen
zu. Zudem müsse man, so die staatliche israelische
Perspektive, den gegenwärtigen Zustand als zeitlich
begrenzt sehen, da noch immer über die Zukunft
dieser Gebiete verhandelt werde.
Hier wird deutlich,
wie wichtig es ist, zwischen der erklärten
Intention der Besatzungsmacht und den tatsächlichen
Fakten vor Ort zu unterscheiden. Wohlgemerkt, seit
1967 wird innerhalb israelischer staatlicher
Institutionen gründlich über das Völkerrecht
beratschlagt. Dutzende hochrangige Juristen im
Militär- und Staatsdienst befassen sich
ausschließlich mit der Ausformulierung rechtlicher
Argumentationen für das Vorgehen in den besetzten
Gebieten. Die reale Gefahr für Politiker oder
Generäle, sich vor internationalen Gerichten wegen
Kriegsverbrechen verantworten zu müssen,
beeinflusst offenbar die offiziellen Erklärungen.
Vor allem die
Anwesenheit einer halben Million jüdischer Siedler
im Westjordanland lässt jedoch Zweifel an der
offiziellen israelischen Argumentation aufkommen,
es gehe der Besatzungsmacht nur um
Sicherheitsangelegenheiten. Die staatlich
koordinierte Besiedlung der besetzten Gebiete hat
de facto eine Situation geschaffen, in der die
Bewohner eines Territoriums unter unterschiedlichen
Rechtssystemen leben, je nach ethnischer
Zugehörigkeit. Jüdische Siedler werden nach dem
israelischen Zivilrecht behandelt, während
Palästinenser vor die israelischen Militärgerichte
gestellt werden. Die Maßnahmen, die Israel im Namen
der Sicherheit gegen palästinensische Gewalt
unternimmt, können auf keinen Fall die strukturelle
Privilegierung der Siedler im Zugang zu Ressourcen,
Land und Verkehrsnetz rechtfertigen.
Bleiben wir bei der
Frage, ob diese Situation vorübergehenden
Charakters ist. Seit 25 Jahren verhandelt Israel
mit der Palästinensischen Autonomiebehörde über die
Zukunft der 1967 besetzten Palästinensergebiete.
Während der Autonomiebehörde die zivile Kontrolle
über die großen Städte überlassen wurde,
verfestigte Israel seine Herrschaft über 60% des
Westjordanlands; diese sind unter der vollen
militärischen Kontrolle durch Israel verblieben.
Der Siedlungsbau wurde unterdessen weiter
vorangetrieben, und mit dem völkerrechtswidrigen
Bau der Sperranlage wurden etwa 10% des
Westjordanlands vom Rest des Gebietes abgetrennt.
Diese Situation veranlasste einige Kritiker, die
begrenzte Autonomie der palästinensischen Behörden
über gewisse abgeriegelte Enklaven mit der
Schaffung von Bantustans zu vergleichen, jenen
Gebieten, die durch das südafrikanische
Apartheidregime als Selbstverwaltungszonen für die
schwarze Bevölkerung designiert wurden.
Ob der Staat Israel
je vorhatte, die gesamte Kontrolle über die
besetzten Gebiete abzugeben, sei dahingestellt. Die
Netanjahu-Regierung hat trotz vereinzelter
Lippenbekenntnisse zu einer undefinierten
Zweistaatenlösung Annexionspläne auf den Weg
gebracht und immer wieder erklärt, dass ein Rückzug
zu den Grenzen von 1967 ausgeschlossen sei.
Angesichts der Tatsache, dass etwa 80% der
Bevölkerung in Israel-Palästina nie eine andere
Realität kennengelernt haben als die alleinige
Souveränität der israelischen Staatsmacht über das
gesamte Gebiet, wird der auf Dauer angelegte
Charakter dieses Herrschaftssystems mit jedem Tag
unleugbarer.
Die Fragmentierung
der palästinensischen Bevölkerung, die
unterschiedlichen Formen der Kontrolle, der
eingeschränkten Rechte oder fast vollkommener
Rechtlosigkeit unterworfen ist, je nachdem, ob sie
in Gaza, in der Westbank oder in Ost-Jerusalem
lebt, ist in erster Linie vom israelischen Staat zu
verantworten. Dies bedeutet nicht, dass die
palästinensische Politik mit ihren
Widerstandsformen, die auch terroristische Angriffe
gegen Zivilisten beinhalten, nicht ebenfalls zur
Verfestigung und Legitimierung dieses Systems
erheblich beigetragen hat. Auch die internationale
Gemeinschaft und die Außenpolitik, etwa der
Bundesrepublik, ermöglichen und befördern mit
Unsummen an Entwicklungshilfe und dem Fehlen
ernstzunehmenden politischen Drucks die Etablierung
eines verkommenen Klientelismus in der
palästinensischen Gesellschaft und die Loslösung
der Besatzungsmacht von ihrer völkerrechtlichen
Verantwortung für die besetzte Bevölkerung.
Fazit
Der widersprüchliche
Charakter der Gesamtheit der israelischen Politik
erschwert es, den Staat Israel schlicht als
Apartheidstaat zu bezeichnen. Innerhalb der Grenzen
von 1948 fehlt eine vergleichbar konsequente
Umsetzung einer rassistischen Trennung. Die
politischen Freiheiten, die die nicht-jüdischen
Staatsbürger genießen, sind noch immer weitaus
größer als die der schwarzen Südafrikaner zu Zeiten
der Apartheid, obwohl unter der Netanjahu-Regierung
eine konsequente Verschlechterung zu beobachten
ist.
Die Umstände in den
besetzten Gebieten entsprechen jedoch – mit der
Privilegierung der jüdischen SiedlerInnen durch ein
auf Dauer angelegtes militärisches
Unterdrückungssystem – weitgehend der juristischen
Definition des Apartheidbegriffs. Man könnte Israel
daher als Staat mit einem lediglich geographisch
begrenzten Apartheidsystem begreifen, in dem auch
andere Formen rassistischer Diskriminierung zu
finden sind. Allerdings genossen teilweise auch die
als Coloured und Inder klassifizierten Gruppen in
der südafrikanischen Apartheid, im Gegensatz zu den
schwarzen Südafrikanern, eine begrenzte Form der
Staatsbürgerschaft und des Wahlrechts. Eine
Vielfalt an Diskriminierungsformen war schon damals
der Apartheid inhärent.
Deshalb dreht sich
die Bestimmung des Apartheidcharakters im Falle
Israels vor allem um die Frage, inwieweit es
möglich ist, die israelische Innenpolitik von der
Besatzungspolitik zu trennen. Von den meisten
Mitgliedern der israelischen Regierung wird diese
Trennung nicht mehr gemacht; mit der geplanten
Annexion von Teilen der besetzten Gebiete an das
israelische Kernland wird sie sogar aktiv bekämpft.
Die Versuche
hierzulande, Apartheid als analytische Kategorie in
Bezug auf Israel als antisemitisch zu
diskreditieren oder gar zu sanktionieren, dienen
indessen weder dem Kampf gegen Antisemitismus, noch
können sie die rege internationale und
wissenschaftliche Auseinandersetzung um jenen
Begriff verhindern. Für die Ausbreitung dieser
kritischen Sicht ist ja in erster Linie die
Staatspolitik Israels verantwortlich. Mit jedem
verstrichenen Tag, an dem Israel seine Kontrolle
über das Westjordanland verfestigt und die
juristische Ausgrenzung der palästinensischen
Minderheit weiter vorantreibt, wird der
Apartheid-Vorwurf zurecht lauter. Um diesem
überzeugend entgegenzutreten, hat Israel nur zwei
Möglichkeiten: die Besatzungspolitik zu beenden
oder allen Anwohnern unter seiner Herrschaft die
gleichen politischen Rechte zu ermöglichen. Beide
Optionen scheinen derzeit unrealistischer denn je.
Ich möchte mich
bei der deutsch-palästinensischen Juristin Nahed
Samour für die anregenden und bereichernden
Diskussionen über das Thema bedanken, die das
Schreiben dieses Artikels erst möglich gemacht
haben. Die hier vertretenen Schlussfolgerungen
liegen jedoch ausschließlich in meiner
Verantwortung.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
Yossi Bartal ist ein deutsch-israelischer
Autor und Aktivist. Eine verkürzte Version dieses
Artikels wurde in analyse & kritik veröffentlicht.
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