Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Rechtsextreme Prügelattacken an den Universitäten
Die Rechte und die derzeitigen sozialen Protestbewegungen

5-6/2018

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Frankreichs Studierende begehren auf. Ihr Protest gilt einem Gesetz, das Präsident Emmanuel Macron am 08. März d.J. unterzeichnete und das nun zum Studienjahr 2018 / 19 Anwendung finden soll. Mit dem Gesetz (der Loi ORE) wird künftig der Hochschulzugang faktisch beschränkt.

Außer mit der Regierung, den Universitätsleitungen und der Polizei haben es die protestierenden Studierenden jedoch vielerorts mit einem weiteren Gegner zu tun: mit rechtsextremen Überfallkommandos. So fand am 22. März 18 ine gewalttätige 
Attacke auf einen besetzten Hörsaal in Montpellier statt. Am 24. März d.J. kam es zu vergleichbaren Ereignissen in Lille, am 28. März im ostfranzösischen Strasbourg/Straßburg.
In der Nacht vom 05. zum 06. April d.J. wurde auf die besetzte Fakultät von Tolbiac in Paris – ein ausgelagerter sozialwissenschaftlicher Fachbereich der Sorbonne, der mittlerweile durch die Polizei geräumt worden ist – ein Angriff versucht, jedoch erfolgreich abgewehrt. Am 12.  April 18 kame es ferner an einer ausgelagerten Fachschaft der Universität Paris-IV an der Pariser porte de Clignancourt zu einer weiteren Attacke.

Das Vorgehen ist fast immer das gleiche: Zehn bis 20 teilweise vermummte, mit Knüppeln, Baseballschlägern und z.T. Elektroschockern bewaffnete Angreifer gehen auf von ihnen als Linke identifizierte Besetzer oder streikende Studierende los. Antifaschist/inn/en und andere Beobachter/innen konnten unter den Angreifern mehrere, oft gemeinsam 
agierende Akteure identifizieren.

Zu ihnen zählen Gruppen aus der 2002/03 ( infolge des Verbots ihrer, z.T. ideologisch andersartig ausgerichteten, Vorläuferorganisation Unité Radicale ) entstandenen „identitären Bewegung“, die sich in Frankreich in unterschiedliche Strömungen aufgefächert hat. Am vorigen Wochenende des 21./22. April erzeugten diese „Identitären“ durch das Blockieren eines Alpenpasses an der französisch-italienischen Grenze für Migranten einige öffentliche Aufmerksamkeit (vgl. dazu nebenstehenden Artikel). Im nordfranzösischen Lille wurden Mitglieder der dazugehörigen Jugendorganisation Génération Identitaire als Angreifer identifiziert.

In Montpellier wurde ein Hochschullehrer unter den gewalttätigen Jungmännern ausgemacht – der Rechtshistoriker Jean-Luc Coronel de Boissezon. Er verkehrt vorzugsweise in rechtskonservativen Kreisen, tauchte aber auch auf einem Foto von einer Demonstration der Ligue du Midi („Liga des Südens“) von vor rund zwei Jahren auf. Diese teilweise regionalistisch auftretende Organisation unter Richard Roudier zählt zu den „Identitären“.

Auch die aus dem monarchistischen Nationalismus kommende, den 
antisemitisch-royalistischen Schriftsteller Charles Maurras (verstorben 1952) verehrende Action Française oder AF gehört dem militanten Bündnis an. Ihr Sprecher 
Antoine Berth bekannte sich in der Tageszeitung Le Monde (Artikel vom 10. April 18) zur Beteiligung seiner Organisation an universitären „Anti-Blockade-Aktionen“ gegen
Versuche, den Lehrbetrieb zu bestreiken. - Zur AF zählt i.Ü. auch Cyriaque Uvicy, der am 20. April 18 ein „Tortenattentat“ auf den linken Abgeordneten Eric Coquerel beging, um ihn symbolisch für die Teilnahme an einer Aktion der Migrantensolidarität zu bestrafen. Vgl. dazu u.a.
https://www.huffingtonpost.fr und http://www.bfmtv.com sowie – aus einer denunziatorischen Position gegen Linke in einem bürgerlichen Magazin – auch: http://www.lepoint.fr/ )

Nicht zuletzt sind auch die  Überreste der 1969 gegründeten, seit Ende der neunziger Jahre jedoch marginalisierten gewalttätigen Studierendenorganisation Groupe Union Défense – also des GUD - an den Attacken beteiligt. Dem GUD gelang es in den  vergangenen anderthalb Jahren, von sich reden zu machen, als er in  mehreren Städten wie dem ostfranzösischen Chambéry oder (eingeweiht am 24. März 18) in Marseille als bastion social bezeichnete soziale Zentren einrichtete, die er großspurig mit CasaPound in Italien vergleicht. Allerdings sind die französischen Anläufe zur Einrichtung solcher „sozialer Zentren“ von rechts, deren Einweihung jeweils zwischen 100 und 300 Person sowie eine i.d.R. größere Zahl antifaschistischer Gegendemonstrant/inn/en anzog, auf quantitativer wie wohl auch auf qualitativer Ebene nicht entfernt mit der Bedeutung von CasaPound in Italien vergleichbar.

Warum schaffen diese Strömungen es, die studentische Protestbewegung gezielt und koordiniert anzugreifen? Auf inhaltlicher Ebene ist unbestreitbar klar,
dass mehr Beschränkungen und weniger soziale Gleichheit beim Zugang zu Hochschulen grundsätzlich im Sinne ihres Weltbilds sind, weswegen sie die Anliegen der Streikbewegung ablehnen. Zugleich sind diejenigen Teile der Studierendenschaft, die – aufgrund von Entpolitisierung, aus individueller und ökonomisch begründeter Zukunftsangst heraus usw. .. – ihre Jahresabschlussprüfungen unter keinen Umständen gefährdet sehen möchten und streikbedingte Störungen des Hochschulbetriebs vor diesem Hintergrund ablehnen, heute wesentlich dominanter als früher. In diesem Kontext fühlen die rechtsextremen Aktivisten sich als eine Art Avantgarde einer breiteren Gruppe innerhalb der Studierendenschaft.

Überdies hat die, unerwartet deutlich ausgefallene, Wahlniederlage des FN im Mai / Juni 2017 dessen strategische Krise verschärft und damit einem Teil der extremen Rechten einen weiteren Beleg für ihre These geliefert, dass es keinen institutionellen, demokratischen Weg zur Macht gebe. Die Kontrolle, die der FN aus Rücksicht auf seine strategischen Interessen über Anhänger(gruppen) der extremen Rechten ausübte, hat sich dadurch gelockert. Eine Reihe von kleineren Gruppierungen sieht deswegen ihre Stunde gekommen, um sich als attraktive Alternative zu profilieren, ohne vergleichbare politische Rücksichten nehmen zu müssen wie der parlamentarisch ausgerichtete FN. Letzterem fällt es oft schwer, sich im derzeitigen, sozial aufgeheizten und polarisierten gesellschaftlichen Klima zu positionieren, weil er weder die neoliberale Regierung noch die protestierende Linke unterstützen kann oder will. Auch dies, fügte sie hinzu, könnte doch Druck auf die Bahngesellschaft SNCF ausüben… und käme gleichzeitig den fahrwilligen Franzosen und Französinnen entgegen.

Auf ähnliche Ideen waren freilich schon Andere gekommen, und die Bahnbeschäftigten mussten dafür nicht auf einen Geistesblitz der früheren rechtsextremen Präsidentschaftskandidatin warten. Allerdings hat ihr Vorschlag auch einen mächtigen Haken. Bei früher durchgeführten „Kneifzangenstreiks“ (grèves de la poinçonneuse) – bei denen die Bediensteten die Fahrkarten nicht kontrollieren und dadurch das Zugfahren faktisch kostenlos gestalten – wurden die daran beteiligten Bahnmitarbeiter/innen mit Disziplinarstrafen belegt. Der Arbeitgeber SNCF berief sich darauf, dass das Streikrecht in Frankreich zwar gesetzlich und verfassungsrechtlich geschützt sei, eine bewusste Schlechterfüllung der Arbeitsleistung jedoch keine korrekte Ausübung dieses Rechts bedeute. Die Sache ging vor den Obersten Gerichtshof, welcher im Juli 1989 urteilte, ein solcher „Kneifzangenstreik“ sei grundsätzlich rechtswidrig. Auf das  Streikrecht dürfe sich nur berufen, wer die Arbeit vollständig einstelle und dadurch auch jeglichen Lohnanspruch für den fraglichen Zeitraum verliere. Seitdem steht rechtlich fest, dass die Bahn als Arbeitgeber solche Mitarbeiter/innen disziplinarrechtlich belangen kann, die im Kontext eines  Arbeitskampfs auf ihren Posten bleiben, jedoch die Reise für die Fahrgäste kostenlos werden lassen. Das kann bis zur Kündigung gehen.

Den de facto unverantwortlichen Charakter ihrer Empfehlung, die zu befolgen also für die Bahnbeschäftigten gefährlich werden könnte, dürften viele Zuhörer/innen Marine Le Pens – ohne Kenntnis der oben geschilderten Vorgeschichte – nicht unbedinbgt spontan erkennt haben. Sie hörte sich vielmehr in manchen Ohren zweifellos an wie eine kluge Lösung, die auf einfache Weise die Interessen von Fahrgästen und Bahnpersonal miteinander versöhnt. Zugleich verdeckte dieser Vorschlag der FN-Vorsitzenden die an und für sich streikfeindliche Haltung, die in ihrer Partei aus Anlass des derzeitigen Arbeitskampfs mehr oder weniger offen zutage tritt. So urteilte Marine Le Pens Lebensgefährte, der FN-Vizevorsitzende Louis Aliot, in altbekannter Wortwahl, Streik sei als solcher ein „archaisches Mittel“, um Konflikte zu lösen.

Beim o.g. Interview für RTL gab Marine Le Pen ihrerseits sich jedoch Mühe, verbal zu unterstreichen, sie „teile die Vision der Eisenbahner, die einen öffentlichen Dienst im Transportwesen verteidigen“. Das Herausstreichen der Interessen der gar leidgeprüften Fahrgäste hat ihre Partei allerdings dabei nicht vergessen. So veröffentlichte der FN in der Pariser Region Pressemitteilungen, in denen die rechtsextreme Partei forderte, Abokunden ihr Monatsabonnement für die Streikperiode zurückzuzahlen. Dies tat das Bahnunternehmen SNCF in jüngerer Vergangenheit, in vergleichbaren Situationen, allerdings ohnehin von alleine (aus kommerziellen Gründen); auch dieses Mal wurde i.Ü. mittlerweile eine Verringerung des Abonnementspreises oder Teilrückzahlung verkündet.

Doch die rechtsextreme Spitzenfrau selbst hatte noch kurze Zeit zuvor ziemlich anders geklungen als zuletzt. Am 14. März 18 hatte sie sich gegenüber Parlamentskorrespondenten der französischen Presse spöttisch über jene Gewerkschaften gezeigt, die sich anschickten, wenige Tage später erstmals „auf die Straße zu gehen, um herumzuflennen“. Und ferner seien die Gewerkschaften mitschuldig an der jetzigen Situation, hätten diese doch bei der Präsidentschaftswahl 2017 Emmanuel Macron als kleineres Übel gegenüber ihr selbst – Marine Le Pen – bevorzugt. ( Vgl. https://www.humanite.fr oder http://www.bfmtv.com/)

Marine Le Pen sagte damals – im März dieses Jahres – im Hinblick auf den Eisenbahnstreik voraus, die Gewerkschaften würden „schwerlich viele Leute mobilisieren“, und kritisierte die „Kompromisslosigkeit“ insbesondere der CGT. Seitdem hat sie ihr Wetterfähnchen nun in eine andere Richtung gehängt. Sollte der Streik mit einer Niederlage für die Gewerkschaften enden, könnte sich ihr Tonfall erneut ändern: Aus der vermeintlich besten Freundin mit den ach so guten Ratschlägen könnte leicht auch wieder eine erbitterte Feindin werden.

Editorischer Hinweis

Diesen Artikel erhielten wir von B. Schmid für diese Ausgabe. Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien am Donnerstag, den 26. April 18 auf der Antifa-Seite der Berliner Wochenzeitung Jungle World.