Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl
Erste Personalentscheidungen an der Staatsspitze nach der Wahl Emmanuel Macrons lassen tief blicken

5-6/2017

trend
onlinezeitung

An ihren Taten sollt Ihr sie messen: Dies wird der seit Mittwoch, den 17. Mai 17 amtierenden französischen Regierung ebenso widerfahren wie ihren Vorgängerinnen. Ihre vorläufige Popularität könnte schnell verfliegen, wenn sie mit einigen der bereits getätigten Ankündigungen Ernst macht, insbesondere mit den geplanten rückschrittlichen „Reformen“ beim Arbeitsrecht. Vorläufig schwebt das neue Kabinett jedoch noch auf einer Wolke. 61 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen erklärten sich am Donnerstag, den 18. Mai d.J. gegenüber einem Demoskopieinstitut (Elabe) erst einmal „zufrieden“ mit der Regierungsbildung.

Das neue Übergangskabinett, das infolge der Amtsübernahme des eine Woche zuvor gewählten Staatspräsidenten Emmanuel Macron (er zog am Sonntag, den 14. Mai 17 in den Elysée-Palast ein) ernannt wurde, wird vorläufig bis zu den Parlamentswahlen vom 11. und 18. Juni d.J. amtieren. Sollte sich dann eine Sitze-Mehrheit zugunsten von Macrons vor einem guten Jahr gegründeter Kleinpartei En marche! („In Bewegung“) – sie wurde soeben in La République en marche (REM oder LRM) umbenannt – ergeben, könnte sie auch weiterhin die Amtsgeschäfte führen. Am Tag nach der Amtseinführung der neuen Regierung lautete eine erste Prognose, REM / LRM und Verbündete könnten 32 Prozent der Stimmen erhalten, die konservative Liste der Parteien Les Républicains (LR) und UDI 19 Prozent, der Front National (FN) ebenfalls 19 Prozent. Die Bewegung La France insoumise („Das aufsässige Frankreich“) des Linkssozialdemokraten und Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon könnte demnach mit 15 Prozent der Stimmen rechnen, die Überreste der bisherigen Regierungspartei – des Parti Socialiste (PS) – noch mit sechs Prozent, was ihr historisches Todesurteil nochmals ausdrücklich bestätigen würde.

Noch vor der Einsetzung des neuen Premierministers Edouard Philippe am Montag, den 15.05.17 und der Bekanntgabe der Kabinettsliste am Mittwoch, den 17.07.17 hatte Präsident Macron am Tag seiner Amtseinführung (14. Mai) seine engsten Mitarbeiter ernannt. Bei ihnen sprechen ihre bisherigen Taten längst für, oder eher gegen, sie: Der 64jährige neue Präsidialamtsleiter - directeur de cabinet, das entspräche in Deutschland ungefähr einem Kanzleramtsminister - Patrick Strzoda etwa amtierte im vorigen Jahr als Regionalpräfekt für die Bretagne in Rennes. Er befehligte dort die Polizeieinsätze, als während der Proteste gegen das umkämpfte „Arbeitsgesetz“ im Frühjahr 2016 diese westfranzösische Stadt eines der Zentren der Repression bildete. In Absprache mit der sozialdemokratischen Bürgermeisterin von Rennes hatte der Präfekt die gesamte Innenstadt zum „Einkaufszentrum“ und zur verbotenen Zone für Demonstrantinnen erklärt. In Rennes wurden die Proteste mit am härtesten niedergeknüppelt, und ein 21jähriger Student verlor ein Auge. Generalsekretär des Elyséepalasts wurde der 44jährige Alexis Kohler. Er war als Berater des damaligen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron in der ersten Jahreshälfte 2015 federführend an der Ausarbeitung des als Loi Macron bezeichneten Gesetzes beteiligt, das „Wettbewerbshindernisse“ beseitigen sollte und insbesondere die Sonntagsarbeit ausweiten half.

Die neue Regierung unter Edouard Philippe, dem konservativen bisherigen Bürgermeister von Le Havre und Vertrauten von Ex-Premierminister Alain Juppé, erfüllt ihren zentralen Anspruch: eine Art großkoalitionärer „Allianz der Reformwilligen“ rund um die so genannte politische Mitte zu formen. Neben Philippe kommen noch weitere Kabinettsmitglieder aus der konservativen Rechten, so die Minister für Wirtschaft sowie für die Staatsfinanzen, Bruno Le Maire und Gérald Darmanin, die sich gemeinsam ein Ministerialgebäude teilen. Beide wurden von ihrer Partei, LR, unter dem Vorwurf des Opportunismus ausgeschlossen. Aber auch Schwergewichte vom rechten Flügel des zerberstenden Parti Socialiste besetzen wichtige Ministerposten. Zu ihnen zählen insbesondere Ex-Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, der unter François Hollande die Militäreinsätze in Mali und der Zentralafrikanischen Republik (2013 bis 2016) sowie im Tschad befehligte und nun Außenminister wird, sowie der bisherige Bürgermeister von Lyon – Gérard Collomb – als neuer Innenminister. Dies beschleunigt den Zerfall der bisher zentralen staatstragenden Parteien im Mitte-Links- und im Mitte-Rechts-Spektrum, die beide seit dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl zerrieben wurden.

Edouard Philippe war in jüngerer Vergangenheit, von seiner parteipolitischen Herkunft abgesehen, vor allem ein führender Atomlobbyist in Frankreich. Zwischen 2007 und 2010 amtierte er als Direktor für „Kommunikation und Öffentlichkeitsbeziehungen“ des Nuklearkonzerns AREVA. Und in dieser Eigenschaft betätigte er sich als Lobbyist unter den französischen Parlamentariern, als 2008 das Abkommen mit der Republik Niger zur Ausbeutung der dortigen Uranvorkommen – für die das Land seit 35 Jahren zum Billigtarif abgespeist wurde - neu ausgehandelt wurde. Philippe brachte viele Abgeordneten auf Linie, um die neokolonialen Praktiken von AREVA in der Sahelzone ungebrochen fortsetzen zu können. In scheinbarem Widerspruch dazu steht die Ernennung des prominenten Umweltschützers, Dokumentarfilmers, aber auch Unternehmers für den Vertrieb ökologischen Duschgels und anderer Produkte Nicolas Hulot zum neuen Umweltminister. Der Börsenkurs der Aktie des, voll auf Atomenergie setzenden, Stromversorgers EDF ging deswegen am Mittwoch, den 17. Mai 17 nach unten. Philippe beruhigte daraufhin die Anleger, die Regierung setze weiterhin deutlich auf Atomkraft, wenngleich diese „nicht alle Energieprobleme allein löst“.

Zu den zentralen Vorhaben der Regierung zählen in den kommenden Monaten die „Reform“ des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherungssysteme. Beim ersten Punkt geht es laut den vorliegenden Ankündigungen darum, jene Vorhaben, die im Frühjahr 2016 als „zu radikal“ aus dem umstrittenen und umkämpften „Arbeitsgesetz“ ausgeklammert werden mussten, doch noch umzusetzen. Dazu zählt die Deckelung der Abfindungszahlungen für ungerechtfertigte und illegale Kündigungen, also die Einführung einer verbindlichen Obergrenze, die durch die Arbeitsgerichte nicht überschritten werden darf. Bei den sozialen Absicherungssystemen hatte Macron im Wahlkampf angekündigt, Leistungen der Arbeitslosenkassen sollten künftig auch Lohnabhängigen, die ihren Job selbst kündigen, sowie Selbständigen offenstehen, anders als bislang. Zugleich will er dort allerdings auch anderthalb Milliarden einsparen. Diese Quadratur des Kreises wird dadurch ermöglicht werden, dass der Druck auf Erwerbslose immens gesteigert wird; ab dem zweiten abgelehnten Jobangebot sollen Bezüge gestrichen werden können. Die Arbeitslosenkasse soll zudem ihre Autonomie verlieren und direkt unter Staatsaufsicht gestellt werden.

Stand: 18.05.17

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe..