Egal wie sie am Sonntag (07. Mai 17) ausgeht, die
französische Präsidentschaftswahl und ihre
Ergebnisse werden die Gewerkschaften des Landes vor
neue Herausforderungen stellen, während diese selbst
sich um Umbruch befinden.
Als Gradmesser für die
Veränderungen in der gewerkschaftlichen Landschaft
wurden vor wenigen Wochen die Wahlergebnisse aus den
Betrieben und Unternehmen für den Zeitraum 2013 bis
Ende 2016 dargestellt, die am 31. März dieses Jahres
vom Arbeitsministerium verkündet wurden. Demnach
gelingt es dem rechtssozialdemokratisch geführten
Gewerkschaftsdachverband CFDT („Französischer
demokratischer Arbeiterverband“), dessen Basis
weniger neoliberal ausgerichtet ist als die Spitze,
sich erstmals vor den historisch ältesten
Dachverband CGT zu setzen.
Die 1895 gegründete
CGT („Allgemeiner Arbeiterverband“) war bis in die
neunziger Jahre noch mit der Französischen
kommunistischen Partei verbunden, ihr
Generalsekretär sitzt jedoch seit 1996 nicht mehr in
deren Parteivorstand. Heute gibt es
sozialdemokratische ebenso wie klassenkämpferische,
altstalinistische, radikal linke und andere
Tendenzen in ihren Reihen. Dagegen entstand die CFDT
(„Französischer demokratischer Arbeiterverband“)
1964 aus der „Entkonfessionalisierung“ der früher
christlichen Gewerkschaftsbewegung. Anfänglich stand
sie deutlich links und erhielt durch den Mai 1968,
aber auch durch ihre Offenheit etwa für ökologische
Impulse in den siebziger Jahren einen starken Schub.
Doch ab den späten achtziger Jahren legte ihre
Führung, enttäuscht von der damaligen
sozialdemokratischen Regierungspolitik, eine stark
neoliberale Wende hin - im Zeichen des Realismus und
der „Abkehr von gewerkschaftsfremden Ideologien“. Ab
da orientierte ihr Apparat darauf, sich auf
Betriebspolitik zu konzentrieren und von
gesamtgesellschaftlichen „Utopien“, aber auch von
der Opposition gegen sozialpolitisch regressive
Regierungsvorhaben tunlichst die Finger zu lassen.
Die CFDT unterstützte
mehrere Regierungs„reformen“, etwa die Rentenpläne
konservativer Regierungen 1995 und 2003, und zuletzt
das heftig umstrittene „Arbeitsgesetz“ unter
François Hollande, des am 08. August vorigen Jahres
in Kraft trat. Dies ging mit mehreren Austritts- und
Ausschlusswellen einher. Aus Letzteren gingen die
linken Basisgewerkschaften vom Typ SUD hervor, die
in dem sehr aktiven, doch relativ
mitgliederschwachen Zusammenschluss Union syndicale
Solidaires vereint sind.
Die
Tarif- oder Verhandlungsfähigkeit – französisch
représentativité genannt – hängt seit
einem Gesetz vom August 2008, dank dessen Nicolas
Sarkozy damals die CGT und die CFDT einbinden und
die seinerzeitigen Krisenproteste dadurch auffangen
konnte, von ihren Wahlergebnissen ab. Zuvor waren
kleinere, rechtere Gewerkschaften oft künstlich
„tariffähig“ gehalten worden, um es Arbeitgebern zu
erlauben, an der CGT vorbei zu verhandeln. Dies ist
seit 2008 so nicht mehr möglich. Um die
Tariffähigkeit auf überregionaler Ebene zu messen,
werden die jeweiligen Wahlergebnisse aus den
Unternehmen statisch erfasst und alle vier Jahren
zusammengefasst veröffentlicht. Danach wird dann
jeweils die Tariffähigkeit der Verbände neu
bemessen.
Die CGT kam demnach im
Vier-Jahres-Zeitraum seit dem 1. Januar 2013 auf
noch 24,9 Prozent der Stimmen, gegenüber zuvor 26,77
Prozent. Die historisch mit Teilen der
DGB-Gewerkschaftsführungen in Deutschland
kooperierende CFDT kam dieses Mal auf 26,4 Prozent,
zuvor waren es 26 Prozent.
Die bürgerliche Presse
schlachtete dies aus, um die CGT als überholt und
ins Hintertreffen geraten darzustellen. So einfach
liegen die Dinge selbstverständlich nicht, und seit
den Protesten gegen das „Arbeitsgesetz“ von 2016 hat
die CGT eher wieder das Heft der Initiative in der
Hand. Dies wird durch den statistischen Apparat, der
einen wesentlich längeren Zeitraum abdeckt, nicht
erfasst. Bei den Vertretungswahlen für die
Kleinbetriebe unter 20 Beschäftigten – die im
Gegensatz zu den übrigen Personalvertretungswahlen
frankreichweit an einem Tag stattfinden – im
Dezember 2016 lag die CGT etwa deutlich vorne. Und
bei der ersten Urabstimmung in einem Unternehmen
über ein regressives Abkommen zur Arbeitszeit, wie
sie durch das „Arbeitsgesetz“ von 2016 erlaubt wird,
setzte sich die CGT durch: Beim
Elektrizitätsunternehmen RTE scheiterten die
Direktion und die mit ihr verbündete CFDT Anfang
April mit ihrem Vorhaben. Gut 70 Prozent stimmten
gegen deren Vereinbarung.
Und die Wahl?
Würde nun Marine Le
Pen vom rechtsextremen Front National (FN) gewinnen,
dann würde die Tariffähigkeit gar nicht mehr den
Branchen- oder Dachverbänden gehören, sondern nur
noch Einzelgewerkschaften im Betrieb. Dies fasst Le
Pen unter „Gewerkschaftsfreiheit“. In den Augen
ihrer Partei würde dies möglichst „ideologiefreie“,
an betrieblichen Belangen orientierte, oft
zweifelsohne „gelbe“ Gewerkschaften fördern.
Emmanuel Macron trägt
keinen ähnlichen Frontalangriff vor. Er fordert aber
mit anderer Begründung die Gewerkschaften dazu auf,
sich auf die betriebliche Ebene und auf
„Sachpolitik“ – statt gesamtgesellschaftliche
Auseinandersetzungen - zu konzentrieren. Im Laufe
des Wahlkampfs bekannte er sich jedoch auch dazu,
dass Branchen-Kollektivvereinbarungen (entspricht im
Deutschen „Flächentarifverträgen“) einige positive
Aspekte beinhalteten, und dass manche Themen auf
Branchenebene geregelt werden sollten. Die Mehrheit
der Arbeitsbedingungen soll jedoch auf
Unternehmensebene, abweichend von Branche und ggf.
Gesetzesinhalt, ausgehandelt werden können.
Bei
der Wahl zwischen dem Liberalen und der
Neofaschistin entschieden sich alle
Gewerkschaftsvorstände (mit Ausnahme dessen des
politisch schillernden Dachverbands Force Ouvrière,
FO, der sich auf seine „politische Zurückhaltung“
beruft) dazu, zur Wahl Macrons aufzurufen, um das
sichtlich größere Übel zu stoppen. Erkennbar geht
dies nicht mit einer Zustimmung zu dessen Programm
einher, ganz im Gegenteil, wenn Macron etwa
verspricht, nach seiner Wahl noch im Sommer dieses
Jahres das Arbeitsrecht auf dem Verordnungsweg –
also ohne das Parlament einzuschalten – zu
„reformieren“. Eine innergewerkschaftliche
Minderheitenposition, die bei der CGT von der eher
kommunistisch-orthodoxen Chemiebranche sowie der
eher radikal-linken Mediengewerkschaft CGT Info’Com
unterstützt wird, hat sich vor dem diesjährigen 1.
Mai dagegen auf eine Linie „Weder Macron noch Le
Pen“ gestellt.
Mit
Hilfe seiner geplanten Arbeitsrechts„reform“ will
Macron vor allem Vereinbarungen auf
Unternehmensebene, die vom allgemeinen Arbeitsrecht
abweichen, erleichtern. Und dies über die
Möglichkeiten, die das letztjährige „Arbeitsgesetz“
bietet, hinaus. Bei den Gewerkschaften kommt er
damit nicht an – außer bei Teilen der CFDT. Laut
einer Umfrage für die arbeitsrechtliche
Fachzeitschrift Liaisons Sociales
wählten 48 Prozent der Sympathisant/inn/en der CFDT
schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl
Macron. Dagegen bleibt dieser bei der CGT oder den
SUD-Gewerkschaften, deren SympathisantI/inn/en zu 51
respektive 53 Prozent den Linkskandidaten Jean-Luc
Mélenchon unterstützten, unter ferner liefen.
Aber die
Gewerkschaften müssen sich auch darüber Gedanken
machen, dass sieben Prozent der – sozial weniger
unzufriedenen – Sympathisant/inn/en der CFDT, sowie
13 Prozent derer von SUD/Solidaires und 15 Prozent
der Beschäftigten mit CGT-Sympathien für Le Pen
stimmten.
Der
diesjährige 1. Mai fiel mit landesweit 142.000
Demonstrierenden laut Innenministerium und 280.000
laut Zahlen der CGT zwar stärker aus als im vorigen
Jahr. Doch die Mobilisierung blieb unvergleichlich
schwächer als 2002, als zwei Millionen Menschen
spontan gegen eine Stichwahlkonstellation auf die
Straße gingen, bei der sich der korrupte
Konservative Jacques Chirac und der Altfaschist
Jean-Marie Le Pen gegenüber standen. Die
Gewerkschaften werden in Bälde in Schwung kommen
müssen, um geplante drastische soziale
Verschlechterungen nach der Wahl zu verhindern oder
ihnen jedenfalls entgegen zu treten.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Er ist eine Langfassung,die der
redaktionell bearbeitet & gekürzt am 05. Mai
17 auf der Gewerkschaftsseite der Tageszeitung
Neues Deutschland (ND) erschien.
|