Die
Nachricht löste ein mittleres „politisches Erdbeben“
auf der politischen Rechten in Frankreich aus:
Marion Maréchal-Le Pen, die 27jährige Juristin und
Parlamentsabgeordnete des Front National (FN) währen
der letzten fünf Jahre, will im Juni dieses Jahres
nicht erneut zu den Parlamentswahlen kandidieren.
Dies kündigte sie am Mittwoch, den 10. Mai in einem
Interview mit der im Raum Avignon – ihrem Wahlkreis
- erscheinenden Lokalzeitung Vaucluse Matin
an. Zugleich will sie ihre derzeitigen politischen
Ämter, insbesondere im Regionalparlament in
Marseille, niederlegen.
Die
bisherige jüngste Abgeordnete der französischen
Nationalversammlung erklärte, sie wolle sich
„vorläufig“ aus der aktiven Politik
zurückziehen. Wahrscheinlich wolle sie zunächst
Erfahrungen in der Privatwirtschaft sammeln, zudem
wolle sie ihrer dreijährigen Tochter mehr Zeit
widmen. Allerdings fügte sie hinzu:
„Vielleicht komme ich wieder“.
Diese Verlautbarung
wird von vielen Beobachterinnen und Beobachtern als
falscher Rückzug aus dem politischen Leben gewertet.
Zwar fasste Marion Maréchal-Le Pen ihren Beschluss
nicht spontan, infolge der Niederlage ihrer
Parteivorsitzenden und Tante Marine Le Pen bei der
Präsidentschafts-Stichwahl am 07. Mai. Vielmehr
hatte sie ihren Schritt intern bereits im November
2016 als wahrscheinlich angekündigt, unter anderem
auch vor dem Hintergrund von Dauerkonflikten mit
Marine Le Pen.
Dennoch kommt er zu einem Zeitpunkt, zu dem infolge
der Wahlniederlage der ideologische Linienstreit bei
der rechtsextremen Partei erneut mit voller Wucht
aufbricht. Er kann dementsprechend als Versuch,
durch ein Alarmzeichen auf diesen Linienstreit
Einfluss zu nehmen, gewertet werden. Oder auch, je
nach Sichtweise, als Schwächung eines Flügels
innerhalb des innerparteilichen Spektrums, als
dessen profilierter Vertreter die Ultrakatholikin
gilt. Ihr Großvater, der in wenigen Wochen 89jährige
Jean-Marie Le Pen – dessen Positionen Marion
Maréchal-Le Pen näher stand als die derzeitige
Parteivorsitzende – sprach in einer ersten Reaktion
auf das Durchsickern der Rückzugspläne am Abend des
09. Mai von einer „Desertion“. Und
falls es für diese keine „gewichtigen Gründe“
dafür gebe, müsse er einen solchen Schritt als
unverzeihlich betrachten. Andere werten die
Ankündigung hingegen eher als taktisches Manöver.
Marine Le Pen erhielt in der zweiten Runde der
Präsidentschaftswahl 33,9 % der Stimmen. Dies war
weniger als erwartet und ist vor allem auf ihr
miserables Abschneiden bei der Fernsehdebatte mit
ihrem damaligen Gegenkandidaten Emmanuel Macron am
03. Mai zurückzuführen. Dabei bewies Le Pen vor
allem in wirtschaftlichen Fragen eine beinahe
erstaunliche Inkompetenz, nachdem der FN jahrelang
auf „Professionalisierung“ und
„Intellektualisierung“ gesetzt hatte.
Hätte Marine Le Pen in der Debatte obsiegen wollen,
dann hätte sie eine von zwei Optionen erfolgreich
verfolgen müssen: Entweder hätte sie sich als
„konstruktiv“ argumentierende, die einzelnen
Sachfragen beherrschende, potenzielle „Staatsfrau“
inszenieren können. Oder aber sie hätte als
selbsternannte „Herausforderin des Systems“ Macron
erfolgreich destabilisieren, ihn aus der Fassung
bringen, in die Defensive reden müssen. Dann hätte
sie eventuell gepunktet, was aber voraussetzen
würde, dass die Unzufriedenheit im Lande stark genug
ist, dass es in den Augen der Mehrheit entscheidend
ist, wenn jemand „tüchtig auf den Tisch klopft“.
Beides ist Marine Le Pen jedoch im Endeffekt nicht
gelungen. Aufgrund ihrer Ahnungslosigkeit in
wirtschaftlichen Fragen behandelte Emmanuel Macron
seine Herausfordererin streckenweise ähnlich, wie
ein Lehrer eine ungehörige Schülerin zurechtweisen
würde. Le Pen brachte dieses
Lehrer-Schüler-Verhältnis sogar an einer Stelle
selbst zur Sprache, um sich darüber zu beklagen.
Dennoch schnitt Marine
Le Pen, die insgesamt knapp elf Millionen Stimmen –
ein neuer historischer Rekord für den FN – einfuhr,
in einigen Landstrichen und sozialen Gruppen
bedenklich hoch ab. 56 Prozent der
Industriearbeiter/innen, sofern sie überhaupt zur
Wahl gingen (und überhaupt das Stimmrecht
innehatten), wählten Marine Le Pen. In 45 von 577
Wahlkreisen erhielt sie eine absolute
Stimmenmehrheit, und in zwei von knapp einhundert
französischen Départements oder Bezirken: Aisne und
Pas-de-Calais. Beide liegen im von der industriellen
Krise gebeutelten Nordosten Frankreich. In weiteren
66 Wahlkreisen lag Marine Le Pen über 45 Prozent.
Auf diese insgesamt 111 Stimmbezirke von 577 will
der FN sich nun bei den im Juni d.J. bevorstehenden
Parlamentswahlen konzentrieren. Aufgrund des
geltenden Mehrheitswahlrechts dürfte der Front
National nur dort realistische Chancen haben, einige
Kandidaten durchzubringen.
Doch spätestens, wenn
diese anstehenden Wahlen vorüber sind, wird der
ideologische Ausrichtungsstreit voll aufbrechen –
bis dahin wird der Flügelkampf noch zurückgestellt,
um den Erfolg nicht zu gefährden.
Zwei grundlegende Orientierungen stehen sich dabei
innerhalb der Partei gegenüber. Die eine besteht
darin, sich als entschiedene Rechtspartei auf einer
Links-Rechts-Achse zu verordnen. Dies impliziert,
„die Sozialisten“ neben dem Islam und den
Einwanderern als Hauptgegner zu betrachten. Der
Misserfolg der Regierungspolitik in der fünfjährigen
Amtszeit von Präsident François Hollande illustriert
demnach den Fehlschlag „linker Politik“ generell,
was wiederum auf ihrer „utopischen“ und zu sehr auf
soziale Gleichheit ausgerichteten Charakter
zurückzuführen sei. Zwar gehört ziemlich viel
Fantasie dazu, Hollandes Politik seit 2012 mit dem
Marxismus in Verbindung zu bringen, doch wird in
dieser Sichtweise François Hollandes Scheitern als
Ausdruck des Bankrotts der politischen Linken
schlechthin dargestellt. Angriffspunkte dieser Linie
im rechten Lager – zu welcher Marion Maréchal-Le Pen
gehört - sind folglich vor allem die „Attacken der
Linksregierung auf tradierte Werte“, wie durch die
Zulassung der Ehe für homosexuelle Paare seit einem
Gesetz vom 17. Mai 2013.
Die
andere Linie jedoch verwirft das Links-Rechts-Schema
generell und gibt an, als Repräsentantin einer
fundamentalen Alternative sei die eigene Partei
„weder links noch rechts, sondern national“ und
deswegen der übergreifenden Volksgemeinschaft
verpflichtet. Dieses Motto war sinngemäß – Ni
droite ni gauche, français – im Jahr 1995
erstmals durch Teile des Front National übernommen
wurde. Eine Vorreiterrolle dabei spielte damals der
Chef der Jugendorganisation FNJ, Samuel Maréchal.
Dieser damalige Schwiegersohn von Jean-Marie Le Pen
hat sich heute aus der Politik zurückgezogen und ist
mittlerweile mit der Urenkelin eines afrikanischen
Präsidenten, Félix Houphoët-Boigny, verheirat, doch
damals war er einer der Vertreter einer „radikalen
Linie“, die auf Äquidistanz zu Konservativen und
Linken gleichermaßen besteht. Der Slogan („Weder
links nicht rechts, sondern französisch“) war
allerdings gleichlautend bereits in den 1930er und
frühen 40er Jahren durch den PPF von Jacques Doriot,
eine eng mit Nazideutschland zusammenarbeitende
Partei, deren Chef ein ex-kommunistischer Renegat
war und 1945 in Nazideutschland starb, verwendet
worden.
Eine Grundidee hinter
der „Nicht links, nicht rechts“-Parole lautet, die
wirkliche politische Frontlinie verlaufe nicht mehr
zwischen den traditionellen Ideologien der so
genannten Altparteien – die Gedankengebäude von
gestern seien -, sondern zwischen den Nationalisten
oder „Verteidigern der eingewurzelten Identitäten“
einerseits und den „Globalisten“ andererseits. Zu
Letzteren lassen sich dann die Anhänger eines
kapitalistischen Freihandelsregimes, die linken
Internationalist/inn/en oder auch Verfechter/innen
der Universalität der Menschenrechte hinzurechnen.
Der ideologisch gefestigte harte Kern kann dann
erklären, Juden, Freimaurer und/oder die
Weltverschwörung bildeten das einigende Band.
In abgemilderter Form,
ohne die offensichtlich braunen Erklärungsmuster –
die in den 1990er Jahren beim FN noch explizit en
vogue waren - mitzuliefern, hat Marine Le Pen diese
Linie nach ihrer Übernahme des Parteivorsitzes 2011
übernommen. Zur Anwendung dieser Linie, die an
prominenter Stelle durch ihren Vizevorsitzenden
Florian Philippot durchexerziert wird, zählt
insbesondere eine starke Betonung der sozialen
Demagogie, da es Wähler/innen aus der Linken
anzuziehen gelte, die von Hollandes Bilanz
enttäuscht seien. Zur Durchsetzung der eigenen
sozialen Versprechungen wird wiederum der Austritt
aus dem Euro – zwecks „Erlangung finanz- und
wirtschaftspolitischer Souveränität“ – durch diese
Strömung als zentral betrachtet. Umgekehrt werden
„moralische“ und gesellschaftspolitische Fragen,
etwa die Ablehnung der Homosexuellenehe, auf diesem
Flügel allenfalls als peripher betrachtet. Und dies
nicht allein deswegen, weil Philippot selbst
homosexuell ist und dafür auch innerparteilich
angegriffen wird.
Die
„Philippot-Linie“, die umso mehr mit dem Namen des
jungen Vizevorsitzenden verknüpft wird, als dieser
nach verlorener Wahl nun verstärkt unter Beschuss
gerät, rückt nun seit Anfang dieser Woche in die
Kritik. Die Vernachlässigung des reaktionären
„Kulturkampfs“ bei gleichzeitiger Betonung sozialer
Themen wird als schwerer Fehler dargestellt. Ein
anonym bleibender Regionalverordneter des FN
verweist in der Le Monde (Ausgabe vom
10. Mai) darauf, nur sieben Prozent der zwischen den
beiden Durchgängen der Präsidentschaftswahl
umworbenen Wähler/innen des Linkskandidaten Jean-Luc
Mélenchon, doch zwanzig Prozent jener des
Konservativen François Fillon in der ersten Runde
hätten in der Stichwahl Le Pen gewählt. Der
Energieaufwand gegenüber Ersteren sei demzufolge
weitgehend umsonst gewesen.
Zudem verweisen die innerparteilichen Kritiker/innen
darauf, der Euro-Austritt mache vielen zwischen
Konservativen und FN stehenden Wechselwähler/innen
nach wie vor Angst – Kleinunternehmer und
Renter/innen fürchten bei einer Währungsumstellung
um ihre Ersparnisse -, und diese Forderung müsse
relativiert werden. Die Verfechter einer stärkeren
Annäherung an rechte Konservative sind ohnehin
tendenziell bereit dazu, die EU- und Eurokritik
hintanzustellen, und könnten auch mit einer
Bezugnahme auf ein „weißes und christliches
Abendland“ innerhalb des EU-Rahmens mehr
oder minder gut leben. Dies wird in einer
Stellungnahme des rechtsextremen Bürgermeisters von
Béziers – Robert Ménard – vom 09. Mai 17 erkennbar.
Er verkündete, es gelte nicht immer den Fehler in
Brüssel zu suchen, wenn es in Frankreich „an
Autorität mangelt“ und es
„Einwanderungsprobleme“ gebe. Nicht die EU
sei an den – aus einer Sicht – gravierenden
Fehlentwicklungen schuld, vielmehr sei
„Frankreich groß genug, eigene Dummheiten zu
machen“.
Auch in anderen Reaktionen, die auf die Ankündigung
von Marion Maréchal-Le Pens Rückzug hin erfolgten,
deutet sich an, dass nunmehr bevorzugt die
Euro-Austrittsforderung sowie einige soziale
Diskurselemente unter Beschuss kommen könnten.
Beispielsweise erklärte ein ungenannter
„FN-Mandatsträger aus Südfrankreich“, den
eine AFP-Meldung zitiert, er wolle nicht in der
Partei bleiben, „um Forderungen wie die nach
einem niedrigeren Rentenalter aufrecht zu erhalten
oder die Idee eines Euro-Austritts innerhalb von
acht Tagen zu verteidigen“.
Zu
allem Überfluss ließ Marine Le Pen bereits am
Wahlabend erkennen, sie strebe nunmehr eine
Umbenennung der Partei an, um in Teilen der
Gesellschaft noch bestehenden Vorbehalten gegenüber
ihrem historischen Erbe den Wind aus den Segeln zu
nehmen. Diese Idee hatte Philippot jedoch bereits
2014 aufgebracht – und er ließ sich damals bereits
einen potenziellen Namen beim Patentamt eintragen:
Les Patriotes. Aufgrund massiver
innerparteilicher Widerstände, die schnell mit
Verrats- und Aufgabe-Vorwürfen einhergingen, wurde
das Vorhaben vor dem Parteitag vom November jenes
Jahres in Lyon sang- und klanglos zurückgezogen.
Auch dieses Mal könnte sich verbrennen, wer dieses
heiße Eisen anfasst. Jean-Marie Le Pen wetterte am
09. Mai d.J. gegen diesen neuen Versuchs eines
„Verrats“ an Grundlagen und Traditionen
der Partei.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Er ist eine Langfassung, dessen gekürzte
Version am 10. Mai 17 beim ,Blick nach Rechts’
(BnR) publiziert wurde.
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