Bei
einem Wahlabend-Diner am Sonntag Abend (23. April)
in Paris sind rund zwanzig Menschen versammelt.
Alle sind JuristInnen, und fast alle im
Arbeitsrecht tätig, sei es als AnwältInnen –
ausschließlich auf Gewerkschafts- oder
Beschäftigtenseite – oder in der Hochschullehre.
Über die Hälfte hier wählte Jean-Luc Mélenchon, ein
Drittel den Sozialdemokraten Benoît Hamon. Eine
Minderheit unterstützte Emmanuel Macron im ersten
Wahlgang, mit dem taktischen Kalkül, Marine Le Pen
schon in der ersten Runde auf den zweiten Platz zu
verweisen, und Einzelne unterstützten den radikalen
Linken Philippe Poutou.
Doch als gegen 22 Uhr am Wahlabend der von vielen
hier lang erwartete Fernseh-Auftritt des Kandidaten
Mélenchon erfolgt, ertönen nach einer Minute Pfiffe
im Raum. Alsbald breitet sich in der Runde
Missfallen aus, das sich vor allem daran entzündet,
dass keine klare Aussage des
Präsidentschaftsbewerbers von La France
insoumise (FI, Das unbeugsame Frankreich)
für die Stichwahlrunde erfolgt. Die Mehrheit der
Anwesenden hätte erwartet, dass er sich klar gegen
Marine Le Pen positioniert; auch um den Preis, für
den Liberalen Emmanuel Macron zu stimmen, dessen
Programm hier alle als „Gift für die
Beschäftigtenrechte“ betrachten. Und auch
diejenigen, die es anders sehen, hätten sich eine
klare Stellungnahme erhofft.
Nicht nur hier im Raum dürfte Mélenchon einige
Enttäuschte hinterlassen haben, als er um 22 Uhr am
Wahlabend vor die Kameras trat und zunächst damit
einsetzte, dass er das Gesamtergebnis nicht
anerkannte. Da der Innenminister erst um
Mitternacht eine Stellungnahme abgebe, so erklärte
Mélenchon, sei das zu jener Stunde vorliegende
Resultat „auf jeden Fall nicht das richtige“.
Dabei ließ er durchblicken, vielleicht habe er ja
doch besser abgeschnitten als auf dem vierten
Platz. Bis dahin, fügte er hinzu, „freuen
sich die Mediakraten (Herrscher über die
Medien) und die Oligarchen“, darüber,
dass die zweite Runde nun von zwei KandidatInnen
bestritten werde, „die die Institutionen
nicht in Frage stellen und kein ökologisches
Problembewusstsein haben“.
Einstweilen wollte Mélenchon weder für noch gegen
eine der beiden Figuren, also Emmanuel Macron oder
Marine Le Pen, eine Wahlempfehlung abgeben. Er
begnügte sich mit dem Hinweis, 450.000 Personen,
die sich auf seiner Webseite als UnterstützerInnen
registrierten, dürften nun ihre Meinung äußern. Auf
elektronischem Wege solle sie über die vorhandenen
Optionen abstimmen – einen Wahlaufruf zugunsten
Macrons, einen Appell zur Enthaltung, zum
Ungültigstimmen oder gar keine Aussage. Nur eine
Unterstützung Le Pens wird ausdrücklich nicht in
Betracht gezogen. Das Ergebnis will die Umgebung
Mélenchons voraussichtlich am Dienstag, den 02. Mai
d.J. bekannt geben. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG
dazu:
Die Ergebnisse wurden am
02.05.17 publiziert; eine relative Mehrheit von
36,1 Prozent tritt demnach für Ungültigwählen ein,
34,8 Prozent favorisieren die Idee, den
Macron-Stimmzettel als „Damm“ gegen den Front
National zu benutzen, und 29,1 Prozent unterstützen
die Forderung nach Stimmenthaltung.)
Viele, auch bisherige eigene Anhänger/innen, sahen
Mélenchon auf diese Weise als „schlechten
Verlierer“ agieren. Das am Sonntag
publizierte Resultat bestätigte sich am Montag –
mit 19,6 Prozent der Stimmen laut Endergebnis liegt
er mit 0,3 oder 0,4 Prozent Abstand als
Viertplatzierter knapp hinter dem Konservativen
François Fillon.
Das ist allerdings das mit Abstand höchste Ergebnis
für einen Kandidaten links von der Sozialdemokratie
seit über 35 Jahren, nachdem der KP-Bewerber
Georges Marchais im Jahr 1981 erstmals auf 15,3
Prozent (statt wie zuvor rund zwanzig) fiel.
Mélenchon scheint unterdessen wohl davon
auszugehen, dass er als Person vielleicht zum
letzten Mal kandidierte, da er am Wahlabend davon
sprach, er übergebe „den Jüngeren“
eine „Staffel“.
Zunächst einmal
jedoch stellt sich noch die Frage der
Parlamentswahlen im Juni 17. Zu ihnen will FI mit
KandidatInnen in allen 577 Wahlkreisen antreten,
von denen jedoch viele nur geringe institutionelle
politische Erfahrung aufweisen – bislang verfügte
die Linkspartei (PG) Mélenchons über keinen
Abgeordnetensitz. Ein Wahlbündnis mit der
Französischen KP, die ihrerseits über zehn Mandate
in der ablaufenden Legislaturperiode verfügte,
scheiterte in den letzten Wochen zunächst.
Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen
Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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