Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl
Zur Positionierung des Linkskandidaten Jean-Luc Mélenchon am Wahlabend

Artikel vom 24. April 2017

5-6/2017

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Bei einem Wahlabend-Diner am Sonntag Abend (23. April) in Paris sind rund zwanzig Menschen versammelt. Alle sind JuristInnen, und fast alle im Arbeitsrecht tätig, sei es als AnwältInnen – ausschließlich auf Gewerkschafts- oder Beschäftigtenseite – oder in der Hochschullehre. Über die Hälfte hier wählte Jean-Luc Mélenchon, ein Drittel den Sozialdemokraten Benoît Hamon. Eine Minderheit unterstützte Emmanuel Macron im ersten Wahlgang, mit dem taktischen Kalkül, Marine Le Pen schon in der ersten Runde auf den zweiten Platz zu verweisen, und Einzelne unterstützten den radikalen Linken Philippe Poutou.

Doch als gegen 22 Uhr am Wahlabend der von vielen hier lang erwartete Fernseh-Auftritt des Kandidaten Mélenchon erfolgt, ertönen nach einer Minute Pfiffe im Raum. Alsbald breitet sich in der Runde Missfallen aus, das sich vor allem daran entzündet, dass keine klare Aussage des Präsidentschaftsbewerbers von La France insoumise (FI, Das unbeugsame Frankreich) für die Stichwahlrunde erfolgt. Die Mehrheit der Anwesenden hätte erwartet, dass er sich klar gegen Marine Le Pen positioniert; auch um den Preis, für den Liberalen Emmanuel Macron zu stimmen, dessen Programm hier alle als „Gift für die Beschäftigtenrechte“ betrachten. Und auch diejenigen, die es anders sehen, hätten sich eine klare Stellungnahme erhofft.

Nicht nur hier im Raum dürfte Mélenchon einige Enttäuschte hinterlassen haben, als er um 22 Uhr am Wahlabend vor die Kameras trat und zunächst damit einsetzte, dass er das Gesamtergebnis nicht anerkannte. Da der Innenminister erst um Mitternacht eine Stellungnahme abgebe, so erklärte Mélenchon, sei das zu jener Stunde vorliegende Resultat „auf jeden Fall nicht das richtige“. Dabei ließ er durchblicken, vielleicht habe er ja doch besser abgeschnitten als auf dem vierten Platz. Bis dahin, fügte er hinzu, „freuen sich die Mediakraten (Herrscher über die Medien) und die Oligarchen“, darüber, dass die zweite Runde nun von zwei KandidatInnen bestritten werde, „die die Institutionen nicht in Frage stellen und kein ökologisches Problembewusstsein haben“.

Einstweilen wollte Mélenchon weder für noch gegen eine der beiden Figuren, also Emmanuel Macron oder Marine Le Pen, eine Wahlempfehlung abgeben. Er begnügte sich mit dem Hinweis, 450.000 Personen, die sich auf seiner Webseite als UnterstützerInnen registrierten, dürften nun ihre Meinung äußern. Auf elektronischem Wege solle sie über die vorhandenen Optionen abstimmen – einen Wahlaufruf zugunsten Macrons, einen Appell zur Enthaltung, zum Ungültigstimmen oder gar keine Aussage. Nur eine Unterstützung Le Pens wird ausdrücklich nicht in Betracht gezogen. Das Ergebnis will die Umgebung Mélenchons voraussichtlich am Dienstag, den 02. Mai d.J. bekannt geben. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG dazu: Die Ergebnisse wurden am 02.05.17 publiziert; eine relative Mehrheit von 36,1 Prozent tritt demnach für Ungültigwählen ein, 34,8 Prozent favorisieren die Idee, den Macron-Stimmzettel als „Damm“ gegen den Front National zu benutzen, und 29,1 Prozent unterstützen die Forderung nach Stimmenthaltung.)

Viele, auch bisherige eigene Anhänger/innen, sahen Mélenchon auf diese Weise als „schlechten Verlierer“ agieren. Das am Sonntag publizierte Resultat bestätigte sich am Montag – mit 19,6 Prozent der Stimmen laut Endergebnis liegt er mit 0,3 oder 0,4 Prozent Abstand als Viertplatzierter knapp hinter dem Konservativen François Fillon.

Das ist allerdings das mit Abstand höchste Ergebnis für einen Kandidaten links von der Sozialdemokratie seit über 35 Jahren, nachdem der KP-Bewerber Georges Marchais im Jahr 1981 erstmals auf 15,3 Prozent (statt wie zuvor rund zwanzig) fiel. Mélenchon scheint unterdessen wohl davon auszugehen, dass er als Person vielleicht zum letzten Mal kandidierte, da er am Wahlabend davon sprach, er übergebe „den Jüngeren“ eine „Staffel“.

Zunächst einmal jedoch stellt sich noch die Frage der Parlamentswahlen im Juni 17. Zu ihnen will FI mit KandidatInnen in allen 577 Wahlkreisen antreten, von denen jedoch viele nur geringe institutionelle politische Erfahrung aufweisen – bislang verfügte die Linkspartei (PG) Mélenchons über keinen Abgeordnetensitz. Ein Wahlbündnis mit der Französischen KP, die ihrerseits über zehn Mandate in der ablaufenden Legislaturperiode verfügte, scheiterte in den letzten Wochen zunächst.

Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.