Drohende politische Katastrophe im ostafrikanischen Burundi

von Bernard Schmid

5-6/2015

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Vorbemerkung der Artikel wurde ursprünglich in zwei Teilen
zwischen dem 4.5.und dem 19.5. 2015 verfasst.

Man kann von der Chronik einer angekündigten Katastrophe sprechen. Noch bevor der Staatspräsident des ostafrikanischen Staats Burundi, Pierre Nkurunziza, die im Raum schwebende Drohung wahrmachte und am 25. April 15 ankündigte, seine Wiederwahl und den Erhalt der Macht anzustreben, waren Tausende Menschen außer Landes geflohen. Seitdem hat sich dort die Situation dramatisch zugespitzt. Am Montag Nachmittag dieser Woche (04.05.15) wurden dort erneut vier Menschen durch Schusswaffeneinsatz der Polizei getötet. Damit wuchs die Zahl der Getöteten seit Ende April auf inzwischen mindestens zehn.

Achttausend Flüchtlinge waren es Mitte April d.J. laut Angaben des UNHCR bereits. In der letzten Aprilwoche 2015 überschritt ihre Zahl die zwanzigtausend. Sie suchen Schutz im Nachbarland Tansania, wo sie als „illegale Ausländer“ behandelt werden, oder beim nördlichen Nachbarn Rwanda. Andere flohen in die westlich angrenzende République démocratiquedu Congo (RDC). Allein 4.000 Menschen beantragten den Flüchtlingsstatus in der kongolesischen Provinz Süd-Kivu - die selbst nicht als Hort der Stabilität gelten darf, sondern in den 2000er Jahren vielfach Ort schrecklicher Massaker war und wo einige Dutzend Kilometer außerhalb der städtischen Zentren noch immer bewaffnete Gruppen ihr Unwesen treiben.

Seit Beginn des Frühjahrs 2015 wuchsen die Spannungen in dem zehn Millionen Einwohner/innen zählenden Burundi, das in der Vergangenheit erst eine deutsche und später belgische Kolonie war, bevor es im Juli 1962 zusammen mit Rwanda die Unabhängigkeit erlangte. Der 51jährige Präsident Nkurunziza ist seit dem Jahr 2005 an der Macht, also seit dem Ende der blutigen Bürgerkriegsphase, die Burundi bis dahin zwölf Jahre lang durchlaufen hat. Ende Juni 15 und, falls ein zweiter Wahlgang zwischen Stichwahlkandidaten stattfindet, Ende Juli 15 wird bisherigen Plänen zufolge das nächste Staatsoberhaupt gewählt. Zuvor sollen bereits am 26. Mai die Parlaments- und Kommunalwahlen abgehalten werden, und weitere regionale Wahlen im August 15. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: All diese Wahlgänge wurden inzwischen, aufgrund der akuten Zuspitzung der Krise, nach hinten verschoben. Die Parlaments- und Kommunalwahlen wurden im Augenblick auf den 29. Juni d.J. neu angesetzt, und die PrÄsidentschaftswahl – oder ihr erster Durchgang – auf den 15. Juli 15, vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2015/06/10/97001-20150610FILWWW00129-burundi-les-dates-des-elections-fixees.php )

Aber allein auf die Präsidentschaftswahl kommt es an, wie das Verhalten der politischen Eliten aus dem Regierungslager wie aus der Opposition erkennen lässt. Bisher schon waren die beiden Parlamentskammern unter Nkurunziza auf die Rolle des willigen Vollstreckers präsidialer Entscheidungen reduziert werden. Es besteht das ernsthafte Risiko, dass sich dieser Zug am politischen Machtsystem in Burundi künftig noch verstärkt.

Theoretisch verbietet die geltende Verfassung es jedem Präsidenten, länger als zehn Jahre oder mehr als zwei Amtszeiten hindurch auf seinem Sessel zu verbleiben. Der Text scheint in der Hinsicht glasklar. Doch Nkurunziza, ein früherer Sportsmann und fanatischer evangelikaler Christ – er gehört zur Gruppe der new born christians – sowie früherer Prediger, pflegt eine eigenwillige Auslegung.

2005 hatte ihn das damals zur Beendigung der Bürgerkriegsära zusammengetretene Übergangsparlament gewählt. Erst bei seiner Wiederwahl im Jahr 2010 hatte das Wahlvolk selbst abstimmen dürfen. Deswegen zählt das erste Mandat laut seinen Berechnungen nicht. Die zweite Amtszeit wird dadurch in seinen Augen zur ersten. Nichts garantiert natürlich, dass er sich späterhin mit einer weiteren fünfjährigen Amtszeit zufrieden geben würde. Die Tendenz bei vielen Staatsoberhäuptern im subsaharischen Afrika geht in Richtung Verlängerung an der Macht – durch Herummanipulieren an den jeweiligen Verfassungen, juristische Tricksereien und/oder offene Einschüchterung ihrer politischen Widersacher. Burkina Fasos seit 27 Jahren amtierendem Präsidenten Blaisé Compaoré wurde ein solches Bestreben im Oktober vergangenen Jahres zum Verhängnis, er wurde durch Proteste gestürzt, und der 85jährige senegalische Präsident Abdoulaye Wade wurde 2012 wider Erwarten abgewählt. Doch in Burundis mächtigem Nachbarland, der RDC, bereitet Amtsinhaber Joseph Kabila sich darauf ebenfalls nach Kräften darauf vor, die Hürde einer verfassungsrechtlich absolut nicht vorgesehenen Wiederwahl in einem Jahr zu nehmen – Proteste dagegen wurden im Januar dieses Jahres blutig niedergeschlagen. Kabilas Parteigänger arbeiteten bereits eigene Regierungspläne für das Land bis… ins Jahr 2035 aus, im Namen einer vorgeblichen Modernisierung der RDC.

In allen Staaten an den „Großen Seen“ Afrikas sind Vertreter früherer bewaffneter Rebellionen an der Macht. Joseph Kabilas Vater, der im Januar 2001 ermordete Laurent-Désiré Kabila, hatte über dreißig Jahre lang bewaffnet im Osten des Landes gekämpft, bevor er 1997 die Gunst der Stunde nutzte, als das morsche Mobutu-Regime in sich zusammenbrach, und auf die Hauptstadt Kinshasa marschierte. Rwandas Präsident Paul Kagamé führte bis nach dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit 1994 eine bewaffnete Tutsi-Bewegung an, die aus den Nachbarländer heraus agierende „Rwandische Patriotische Front“ (RPF). Umgekehrt führte Nkurunziza in der Vergangenheit bewaffnete Rebellen aus der Hutu-Bevölkerung, die in Burundi ebenso wie in Rwanda zahlenmäßig die Mehrheit stellt. Seine Partei, der CNDD-FDD (Nationalrat für die Verteidigung der Demokratie-Kräfte für die Verteidigung der Demokratie), entstand ursprünglich 1994 als bewaffnete Oppositionsbewegung.

Historische Hintergründe… und Abgründe

In Burundi wie in Rwanda ist das Verhältnis zwischen den bedeutendsten Bevölkerungsgruppen, den Tutsi – die rund 15 Prozent ausmachen – und den Hutu, jeweils besonders „entflammbar“. Der Grund dafür liegt, dass es sich nicht einfach um zwei Sprach- oder Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Geschichte handelt, die nebeneinander her leben. In den beiden Bergländern im östlichen Afrika haben die Kolonialmächte, erst das Deutsche Reich und später Belgien, die soziale Frage erfolgreich ethnisiert, indem sie soziale Gruppen aus der von ihnen angetroffenen Feudalgesellschaft – die historisch untereinander durchlässig waren – als vermeintliche unterschiedliche „Rassen“ analysierten. Die Hutus als das niedere Volk der vermeintlich dumpfen Bauerntrottel; die Tutsi als die aristokratische, später intellektuelle, „Elite“. Soziale Spannungen wurden auf die Dauer rassifiziert.

In Rwanda schlug sich dies auf dramatische Weise in dem Völkermord nieder, dem im Frühjahr 1994 während einhundert Tagen zwischen 800.000 und eine Million Menschen – mehrheitlich Tutsi, sowie einige zum Regime oppositionelle Hutu – zum Opfer fielen. In Burundi dagegen ähneln sich zwar die historischen Hintergründe, doch die Fronten verliefen hier lange Zeit quer zu denen im Nachbarstaat. Hier blieb die alte Tutsi-Elite nach der Unabhängigkeit an der Macht. Anders als in Rwanda, wo schon vor der formalen Übergabe der Souveränität durch Belgien an eine einheimische Regierung ab 1959 erste Massaker an Tutsi stattfanden. In Burundi massakrierten Tutsi-Militärs 1972 „präventiv“ Zehntausende Hutu, um zu verhindern, dass es auch hier zu einer Umwälzung im Namen der Hutu-Mehrheit kommen könnte. Und 1993 wurde der erste, aus den Reihen der Hutu-Bevölkerung kommende Präsident demokratisch gewählt, Melchior Ndadaye. Doch nach drei Monaten im Amt wurde er ermordet. Darauf folgte eine Phase wechselseitiger „ethnischer“ und politischer Massaker, die in unterschiedlicher Intensität bis 2006 fortdauerten- noch 2008 drohten sie zeitweilig wieder aufzuflammen -, und rund 300.000 Opfer forderten. Beobachter sprachen von einem „schleichenden Genozid“, im Vergleich zu dem jäh verlaufenden in Rwanda.

Deswegen gilt es auch als potenziell brandgefährlich, wenn Burundis Präsident nun die Zuspitzung politischer Auseinandersetzungen heraufbeschwört. Zwar hatte der „ethnische Faktor“ in den letzten Jahren in der Politik des Landes zunehmend an Bindungskraft verloren. Nkurunziza kam aus den Reihen der Hutu-Mehrheitsbevölkerung und vertrat lange Zeit einen ethnisierenden Diskurs, doch seine „eigene“ Bevölkerung hat er im Laufe der Jahre tüchtig enttäuscht – wenngleich er in der Landbevölkerung, die mitunter von Nahrungsmittelzuwendungen abhängig ist und unter der er auf solche Weise klientelistische Netzwerke unterhält, noch eine gewisse soziale Basis aufweist.

Doch die „Jugendliga“ seiner Partei, die Imbonerakure (ungefähr: „Jene, die weit hinaus sehen“), rekrutiert und mobilisiert ihre Anhänger mit ähnlichen Parolen und einem ähnlichen Drang zu den Waffen, wie es rassistische Hutu-Bewegungen in beiden Nachbarländern in der Vergangenheit taten. Und sie schreckt vor Gewalt nicht zurück. Ende Dezember 14 und Anfang Januar 15 war eine, offiziell unbekannte und mysteriöse, bewaffnete Gruppe vom Osten der RDC in das burundische Grenzgebiet rund um Cibitoke (einen Vorort von Bujumbura, der am Tanganijka-See legt, Letzterer bildet die Grenze zwischen Burundi und der Demokratischen Republik Kongo) eingesickert. Die Armee schlug sie zurück. Doch in der Folgezeit richteten regierungsnahe Milizen dort ein Massaker an, 47 Tote konnten im Februar 2015 namentlich aufgelistet werden. Bei der vermeintlich unbekannten Gruppe handelt es sich mutmaßlich um Angehörige der FDLR (der so genannten „Demokratischen Kräfte für die Befreiung Rwandas“), bei denen es sich in Wirklichkeit um eine blutig agierende Miliz handelt, die aus rwandischen Hutu besteht, in ihrem Kern aus früheren Teilnehmern am Völkermord in Rwanda 1994 zusammengesetzt ist und seit deren Austreibung aus Rwanda nun seit zwanzig Jahren im Osten der Demokratischen Republik Kongo aktiv ist. Nkurunzizas Regime arbeitet auch mit den FLDR zusammen, die zusammen mit den Imbonerakure vorgehen, angeblich um gegen eine behauptete Tutsi-Gefahr zu kämpfen.

Die katholische Kirche von Burundi – die in den neunziger Jahren auch die damaligen Massaker kritisierte -, die US-Administration und die Europäische Union warnten Nkurunziza im März dieses Jahres zum Teil eindringlich davor, den Rubikon zu überschreiten und ein neues Mandat anzustreben. Doch er hielt sich nicht daran und berief am 25. April 15 einen Kongress seiner Partei ein, wo er sich als erneuter Kandidat aufstellen ließ. Zuvor waren 130 ihrer hochrangigen Funktionäre, die sich dem zu versperrten drohten, geschasst.

Am folgenden Tag wurden zwei Demonstranten in der Hauptstadt Bujumbura durch regierungsnahe Milizionäre erschossen. Am nächsten Tag, dem 27. April 15, wurde eine Menge von rund eintausend Protestierenden durch die Polizei auseinandergetrieben, gleichzeitig wurde ein prominenter Menschenrechtler – der 66jährige Pierre-Claver Mbonimpa – verhaftet, und dabei mit Fußtritten traktiert und misshandelt. Die Regierung wirft nunmehr der Protestbewegung „aufständische Bestrebungen“ und „Terrorismus“ vor und droht, mit harter Hand vorzugehen. Die drei einflussreichsten Radiosender im Land (RPA/ Radio publique africaine, Radio Bonesha FM und Radio Isanganiro) wurden abgeschaltet, nur Pro-Regierungs-Propaganasender durften weiterhin betrieben werden. Zwar sandten die USA einen Emissär, um zwischen den Oppositionskräften – vier Parteien rufen zu anhaltenden Protesten auf – und dem Regierungslager zu „vermitteln“. Doch die Zeichen scheinen auf Sturm zu stehen.

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Die Nachbarn beginnen sich allmählich Sorgen zu machen. Am Montag Abend (den 18.05.15) kündigte ein in Angola stattfindender Sondergipfel der afrikanischen Staaten „der Großen Seen“, die in Zentralostafrika liegen – unter ihnen die Demokratische Republik Kongo, Rwanda, Uganda, Tansania, Kenia sowie Sambia – die Entsendung einer eigenen Delegation in das Mitgliedsland Burundi an. Ferner rufen sie zu einer Überwindung der dortigen, zugespitzten politischen Krise auf und wollen das Risiko gewaltsamer Auseinandersetzungen eindämmen. Auch streben die Nachbarländer eine Rückkehr der burundischen Flüchtlinge an. Bis zum Wochenende des 16./17. Mai d.J. waren 105.000 Menschen aus Burundi vor allem nach Tansania, Rwanda sowie in den Osten der Demokratischen Republik Kongo geflohen.

Die akute Krise war dadurch ausgelöst worden, dass der 51jährige burundische Staatspräsident Pierre Nkurunziza entgegen dem Wortlaut und dem Geist der Verfassung beschlossen hatte, für ein drittes Mandat als Staatsoberhaupt zu kandidieren. Die Präsidentschaftswahl wird am 26. Juni 15 stattfinden. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: ...doch wurde inzwischen auf den 15. Juli d.J. verschoben.) Zwei Monate und einen Tag vor dem ursprünglich geplanten Termin verkündete Nkurunziza am 25. April 15 seine Absicht, mit der er sich seit längerem trug, zu seiner Wiederwahl anzutreten.

Dies widerspricht neben der gültigen Verfassung auch dem internationalen Abkommen, das 2000 im tansanischen Arusha abgeschlossen wurde und den seit 1993 andauernden, schleichenden Bürgerkrieg in Burundi beenden sollte. Es sah einen schrittweisen Übergangsprozess bis im Jahr 2005 vor.

Beide Texte schreiben vor, dass Staatschefs in Burundi nur jeweils Amtszeiten absolvieren dürfen. Doch ein Sprecher des Regierungslagers erklärte Anfang März dieses Jahres dazu in der Hauptstadt Bujumbura: „Das Abkommen von Arusha ist keine Bibel, es hat auch wieder nicht den Wert eines Evangeliums.“ Nkurunziza machte sich eine Verfassungsinterpretation zu eigen, der zufolge seine erste Amtszeit in den Jahren 2005 bis 2010 nicht zählt, weil er damals vom Übergangsparlament und nicht vom Stimmvolk gewählt worden sei.

Bis in das Jahr 2006 hinein herrschten in weiten Teilen Burundi, zwölf bis dreizehn Jahre lang, bürgerkriegsähnliche Zustände und Kampfhandlungen, die insgesamt bis zu 300.000 Todesopfer forderten. Deswegen hätte eine allgemeine Wahl damals nicht auf dem gesamten Staatsgebiet abgehalten werden können. 2010 dagegen konnte sich Nkurunziza nunmehr durch die Bevölkerung im Amt bestätigen lassen. Zumindest formal. Denn die Opposition hatte sich damals von der Wahl zurückgezogen, mit der Begründung, dass die Bedingungen für eine freie, gleiche, geheime und unmanipulierte Wahl auf keinen Fall gewährleistet sein. Voraus gingen Gewalttaten zwischen teilweise bewaffneten Anhängern der Regierungspartei CNDD-FDD (Rat zur Verteidigung der Demokratie-Kräfte zur Verteidigung der Demokratie) und der Oppositionspartei FRODEBU (Front für die Demokratie in Burundi), die selbst ebenso wie die Regierungspartei ebenfalls eine nationalistische Hutu-Partei war.

Als einzig übriggebliebener Kandidat hatte Nkurunziza damals folglich leichtes Spiel. Damit es nicht gar zu abgekartet aussah, erhielt er offiziell jedoch „nur“ 91,6 Prozent. Mangels Gegenkandidaten wurden 8,4 Prozent einfach als „Neinstimmen“ ausgewiesen.

Die Bevölkerung Burundis hatte also sehr gute Gründe, angesichts der Ankündigung einer erneuten Kandidatur Nkurunzizas misstrauisch zu sein. Die Fluchtbewegung in die Nachbarländer setzte denn auch bereits ein paar Wochen vor der offiziellen Verkündung auf einem Sonderparteitag am 25. April 14 an. Selbige hatte allerdings bereits in der Luft gelegen. Nach dem offiziellen Auftritt Nkurunzizas, welcher zuvor 130 widerspenstige Parteifunktionäre seiner eigenen Formation CNDD-FDD geschasst hatte, weil sie sich der erneuten Kandidatur widersetzen wollten, schwollen dann auch die offenen Proteste an.

Bis Mitte Mai dieses Jahres kamen dabei mindestens 20 Menschen durch Schusswaffeneinsatz ums Leben. Mindestens 400 Menschen wurden nach ihrer Verhaftung festgehalten, und mit hoher Wahrscheinlichkeit großenteils gefoltert.

Die Toten gingen überwiegend nicht auf das Konto des Militärs, sondern der Polizei sowie von bewaffneten Zivilisten, insbesondere der durch Regierungssympathisanten aufgebauten Miliz Imbonerakure („Die weit blicken“). Hauptgrund dafür ist, dass die Polizei stark von Parteigängern der Regierung durchsetzt ist, während die Zusammensetzung der Armee jedenfalls in „ethnischer“ Hinsicht stärker gemischt ausfällt. Das hängt damit zusammen, dass infolge der von 2000 bis 2005 Friedensverhandlungen in Arusha die bewaffneten Verbände, die aus unterschiedlichen politischen Lagern kamen und sich auf verschiedene „ethnische“ Gruppen beriefen – vor allem Hutu und Tutsi – sowie die reguläre Armee miteinander fusioniert wurden.

Am Mittwoch, den 13. Mai 2015 erklärte dann ein Flügel der Armee den Präsidenten Nkurunziza für abgesetzt. Unter General Godefroid Niyombare führte er einen Putschversuch durch, der den Äußerungen von Burundern am Telefon, im Internet und bei Facebook zufolge in Teilen der Bevölkerung ausgesprochen populär war. Zwar genoss Niyombare selbst, der noch bis im Februar d.J. Chefs des gefürchteten Geheimdiensts war, bevor er sich dann mit Präsident Nkurunziza überwarf, nicht gerade ein vertrauenserweckendes Ansehen. Doch waren viele Menschen im Lande der Auffassung, wenigstens habe er das Problem gelöst und den Staatschef abgesetzt. Letzterer weilte gleichzeitig bei einem Gipfel der Staaten der Großen Seen in Tansanias Hauptstadt Daressalam, wo die Regierungen der Nachbarländer ihm die Idee von der dritten Amtszeit auszureden versuchten. Seine Anhänger griffen unterdessen in der Nacht zum Donnerstag, den 14.05.15 mehrere unabhängige Radiosender und andere Medien in Bujumbura an, um diese zum Schweigen zu bringen.

Doch Nkurunziza kehrte eilends nach Burundi zurück. Nicht direkt und über den Flughafen von Bujumbura, über den er nicht hätte einreisen können, sondern auf dem Landweg über die nordburundische Regionalhauptstadt Ngozi. In der Nähe dieser Stadt wurde er geboren. In der dortigen Region behält er durchaus noch Anhänger, weil Nahrungsmittelhilfe an Landbewohner über klientelistische Netzwerke verteilt wird, aber auch aufgrund eines ethnisierenden Diskurses der Machthaber. Nkurunziza war Zeit seines Lebens ein Aktivist der Hutu-Nationalistenbewegung gewesen. Sein Vater war bei den Massakern von 1972, als er selbst acht Jahre alt war, durch Tutsi-Militärs umgebracht worden. Durch seine Amtsführung als Präsident war allerdings die Hutu-Mehrheitsbevölkerung in weiten Teilen enttäuscht worden. Die Anziehungskraft des Ethno-Nationalismus schien also in den letzten Jahren erheblich nachzulassen. Doch nun, in der Krise, wird er reaktiviert.

Im Laufe des Freitag (15.05.15) und am darauf folgenden Wochenende brach der Putsch in sich zusammen. Hauptsächlich wohl deswegen, weil Insider des Putschs in Wirklichkeit für die Gegenseite arbeiteten und ihre Militärkollegen an das Regime verrieten.

Möglicherweise trug dazu auch bei, dass seine Initiatoren international vollkommen isoliert blieben. Zwar hatten die Europäische Union und die US-Administration zuvor auf Nkurunziza einzuwirken versucht, um ihn von der Wiederkandidatur abzuhalten. Doch infolge des Putschs erklärten sowohl die USA als auch der UN-Sicherheitsrat, wie auch der Sondergipfel der Staaten der Region am Montag (den 18.05.15), dass der amtierende Präsident allein die staatsrechtliche „Legitimität“ genieße und dass der Putschversuch beendet werden müsse. Allerdings forderte die kenianische Regierung parallel dazu eine Verschiebung der geplanten Präsidentschaftswahl in Burundi, um faire Bedingungen zu gewährleisten. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Die Wahlen wurden inzwischen tatsächlich um sechs Wochen hinausgeschoben.)

Frankreich, das eine Schutzmachtstellung auch für die belgische Ex-Kolonie Burundi einnimmt, hielt sich offiziell sehr bedeckt und forderte zur Ruhe und zur Einstellung von Kämpfen auf. In Paris erklärte man einer Delegation aus besorgten Burundern und französischen Menschenrechtlern im Außenministerium, es handele sich um eine interne Angelegenheit – was insofern nicht stimmt, als das internationale Abkommen von Arusha verletzt wird – und man mische sich nicht ein. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Allerdings hat Frankreich auch die „sicherheitspolitische Kooperation“ mit Burundi, also die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten und die Ausbildung von Polizeikräften in Burundi durch Franzosen, mittlerweile eingestellt.)

Seit dem Wochenende des 16./17. Mai 15 befinden sich drei Anführer des Putschs in Haft und wurden zum Sitz des berüchtigten Inlandsgeheimdiensts, La Documentation, gebracht. Dort droht ihnen mutmaßlich Folter. General Niyombare selbst befindet sich bislang auf der Flucht. Unterdessen gingen am Montag, den 18. Mai die Demonstrationen wieder los, zunächst zaghaft und in kleineren Gruppen. Viele Menschen zeigen sich vom Ausgang des Staatsstreichversuchs enttäuscht und kritisieren nun auch offen die Militärs, die ihn durchführten. Die Radiojournalistin Patricia* (*Vorname aus Sicherheitsgründen abgeändert) vermutet gar, es hätte sich von Anfang an um eine Inszenierung handeln können, um die Zivilbevölkerung von Eigeninitiativen abzuhalten. Dagegen spricht allerdings, dass die Anführer des Putschversuchs nun wohl einen hohen Preis bezahlen müssen.

Burundi ist unterdessen kein Einzelfall, sondern wird auf dem gesamten Kontinent aufmerksam beobachtet. Die Tendenz bei vielen Staatsoberhäuptern im subsaharischen Afrika geht in Richtung Verlängerung ihres Verbleibens an der Macht – durch Herummanipulieren an den jeweiligen Verfassungen, juristische Tricksereien und/oder offene Einschüchterung ihrer politischen Widersacher. Burkina Fasos seit 27 Jahren amtierendem Präsidenten Blaisé Compaoré wurde ein solches Bestreben Ende Oktober 2014 zum Verhängnis, er wurde durch Proteste gestürzt, und der 85jährige senegalische Präsident Abdoulaye Wade wurde 2012 wider Erwarten abgewählt. Doch in Burundis mächtigem Nachbarland, der RDC, bereitet Amtsinhaber Joseph Kabila sich darauf ebenfalls nach Kräften darauf vor, die Hürde einer verfassungsrechtlich absolut nicht vorgesehenen Wiederwahl in einem Jahr zu nehmen – Proteste dagegen wurden im Januar dieses Jahres blutig niedergeschlagen. Kabilas Parteigänger arbeiteten bereits eigene Regierungspläne für das Land bis 2035 aus, im Namen einer vorgeblichen Modernisierung der RDC.

In allen Staaten an den „Großen Seen“ Afrikas sind Vertreter früherer bewaffneter Rebellionen an der Macht. Joseph Kabilas Vater, der im Januar 2001 ermordete Laurent-Désiré Kabila, hatte über dreißig Jahre lang bewaffnet im Osten des Landes gekämpft, bevor er 1997 die Gunst der Stunde nutzte, als das morsche Mobutu-Regime in sich zusammenbrach, und auf die Hauptstadt Kinshasa marschierte. Rwandas Präsident Paul Kagamé führte bis nach dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit 1994 eine bewaffnete Tutsi-Bewegung an, die aus den Nachbarländer heraus agierende „Rwandische Patriotische Front“ (RPF). Umgekehrt führte Nkurunziza in der Vergangenheit bewaffnete Rebellen aus der Hutu-Bevölkerung an.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.