Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Front National... international?

5-6/2015

trend
onlinezeitung

Artikel vom 16. Juni 15

Hilf Dir selbst, dann ist Dir am besten geholfen. Dies sagten sich offensichtlich sechs junge Aktivisten des französischen Front National (FN) im Alter zwischen 19 und 26 Jahren. Um die allgegenwärtige „Unsicherheit“ zu belegen, zündeten sie in zwei Départements im Pariser Umland, den Bezirken Seine-et-Marne und Val-d’Oise, mindestens zwanzig Autos einfach gleich selbst an. Kurz darauf twitterte einer von ihnen, der 25jährige Adrien Desport, am 11. April dieses Jahres drauf los, das „Unsicherheitsgefühl“ in der Nachbarschaft werde angesichts „ständig steigender Kriminalität“ nun unerträglich.

Ihre aktive Selbsthilfe ging nun sogar der Parteiführung zu weit. Denn wie verlautbarte, war es ein Mitglied der Leitung, das auf Anraten von Parteichefin Marine Le Pen, das die Sache zur Anzeige brachte – wohl, um einem Auffliegen des Skandals zuvorzukommen. Diese Strafanzeige führte zur Eröffnung eines Verfahrens; am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche (09. und 10. Juni d.J.) wurden die Beteiligten in Polizeigewahrsam genommen und verhört. Am 15. Juli 15 wird nun ein Prozess gegen sie stattfinden.

Adrien Desport, ehemals stellvertretender Bezirksvorsitzender der rechtsextremen Partei, muss die Zeit bis dahin in Untersuchungshaft verbringen. Desport hatte bereits im vergangenen Jahr als damaliger Kommunalwahl-Spitzenkandidat für Schlagzeilen gesorgt. Da die Leitmedien ein kurzes Gedächtnis haben, erinnerte keine überregionale Zeitung daran, doch die Wahlbewerbung von Desport in Mitry-Mory – in der Nähe des Pariser Großflughafens von Roissy – war skandalumwittert. Desport hatte den früheren Chef der konservativen Partei UMP – seit kurzem in Les Républicains umbenannt -, den in der Nähe wohnenden Jean-François Copé, offen wegen seiner jüdischen Herkunft angegriffen. Sein Großvater hape „Kopelewitsch“ geheißen, verbreitete Desport damals über die sozialen Medien, und „in dem Haus dieser Familie isst man kein Schweinefleisch“.

Marine Le Pen kann solche Affären nicht gebrauchen, denn sie will zu Höherem hinaus. Wer nach der Staatsmacht greift oder an ihr teilhaben möchte, muss auch auf internationalem Parkett ein Minimum an „staatsmännischen“ oder „-fraulichen“ Kompetenzen an den Tag legen. Denn ohne eine Strategie auch für die zwischenstaatlichen Beziehungen kann der politische Machtanspruch nicht „glaubwürdig“ vorgetragen werden.

Gerade auf internationaler Ebene konnte der FN in den letzten Tagen und Wochen einige Fortschritte verzeichnen. Am Montag Abend (15. Juni 15) kündigte Marine Le Pen triumphierend an, nach mehreren vergeblichen Anläufen im Juni und Oktober 2014 habe ihre Partei es nun doch geschafft, eine Fraktion im Europäischen Parlament zu konstituieren. Dazu werden mindestens 25 Abgeordnete aus sieben EU-Ländern benötigt. An der Mindestzahl an beteiligten Nationalitäten scheiterte die Fraktionsgründung bislang, da der FN nur über vier zuverlässige und hinreichend vorzeigbare Partner verfügte, wie die FPÖ aus Österreich und den Vlaams Belang aus Belgien. Zusammenschlüsse mit der deutschen NPD, Jobbik aus Ungarn oder der griechischen Partei „Goldne Morgenröte“ schloss die französische Partei hingegen aus.

Am Montag, den 15. Juni verkündete die Front National-Chefin den Namen ihrer neuen Fraktion, „Europa der Nationen und Freiheitsrechte“ (Europe des nations et des libertés). Aus welchen zwei, bislang noch in ihren Reihen fehlenden EU-Staaten die neu hinzukommenden Abgeordneten für die Fraktion stammen, wurde zunächst nicht offiziell bekannt. Es sickerte jedoch durch, dass wohl mindestens eine Überläuferin aus den Reihen der nationalistischen und rechtskonservativen britischen Partei UKIP von Nigel Farage dazu gehört. Am Dienstag, den 16. Juni 15 wurde die neue Fraktion nun offiziell gegründet. Es hat sich bestätigt, dass eine bisher der britischen UKIP angehörige Abgeordnete zu ihr gehört; diese war von ihrer vormaligen Partei aus deren Fraktion ausgeschlossen worden, nachdem herauskam, dass ihr Mitarbeiter wohl (Ab)Rechnungen gefälscht hatte. Ferner kommen noch zwei Europaparlamentarier der polnischen Rechtspartei KPN hinzu.

Über eine Fraktion im Europaparlament; zu verfügen, hat nicht nur einen hohen symbolischen Stellenwert, sondern bedeutet auch den Zugriff auf zwanzig bis dreißig Millionen Euro jährlich für Infrastrukturkosten und Sitzungsgelder, sowie Möglichkeiten zur Erstattung von Reisekosten.

Moskau, Kairo...

Auf internationalem Parkett ist Marine Le Pen derzeit auch sonst sehr aktiv. Am 26. Mai dieses Jahres wurde die französischen Politikerin, zum wiederholten Male, beim russischen Parlamentspräsidenten Sergej Naryschkin empfangen. Dieses Mal unter Ausschluss der Medien, eine angekündigte Übertragung des Treffens durch das russische Fernsehen wurde abgesagt. Laut einem Kommuniqué der Duma, also des russischen Parlaments, beglückwünschte Naryschkin aus diesem Anlass den FN zu seinem Abschneiden bei den französischen Bezirksparlamentswahlen im März 15 und bezeichnete ihn als Ausdruck „der Zeit und des Geistes des moderne Frankreichs“ sowie als „eine der wichtigsten politischen Kräfte in Europa“.

In der letzten Maiwoche 2015 hielt Marine Le Pen sich dann für mehrere Tage in Ägypten auf. Begleitet wurde sie dabei durch den Europaparlamentarier Aymeric Chauprade. Dessen Stern ist offensichtlich wieder im Aufsteigen begriffen. Seit Spätsommer vorigen Jahres war er bei der Parteichefin in Ungnade gefallen und aus den vorderen Reihen der extremen Rechten verschwunden. Chauprade, der auf eine strategische Annäherung sowohl an die russischen Machthaber als auch an die israelische Rechte setzt – gegen einen als Hauptfeind definierten sunnitischen Islam -, hatte sich auch für eine militärische Beteiligung Frankreichs an Luftschlägen gegen den „Islamischen Staat“ (IS) im Mittleren Osten ausgesprochen. Dies kam nicht bei allen in der Partei gut an, die mehrheitlich auf einen Kurs setzt, der zwar die Militärschläge gegen den IS gutheißt, aber eine aktive Beteiligung Frankreichs ablehnt. Zudem hatte Chauprade in einem Text vom vergangenen August sehr martialische Töne gegen Muslime gespuckt, mit denen Frankreich „im Krieg“ stehe; und hatte dabei aus Sicht seiner Parteiführung den taktischen Fehler begangen, mindestens an verbaler Aggressivität zu überziehen.

Nun ist Chauprade wieder da. Er fädelte die wesentlichen Kontakte bei dem Besuch in Kairo ein. Bei ihm traf Marine Le Pen unter anderem mit dem amtierenden Prermierminister Ibrahim Mahlab an dessen Amtssitz zusammen. Aus diesem Anlass bezeichnete Marine Le Pen den aus dem Militär kommenden, autoritären und eine brachiale Repression verkörpernden ägyptischen Präsidenten ’Abdel Fattah Al-Sissi als „einen unserer solidesten Schutzwälle gegen die Muslimbrüder“, gegen die islamistische Gefahr.

Spektakulärer war, dass sie auch an der Universität Al-Azhar, einer alten und strukturkonservativen, doch regierungsnahen Institution des sunnitischen Islam, vom dortigen Oberimam Ahmed Al-Tayyeb empfangen wurde. Hinterher behauptete die Vorsitzende des französischen FN, beide hätten „in zahlreichen Punkten Übereinstimmungen“ erzielt oder verzeichnet. So bei der notwendigen Terrorismusbekämpfung, aber auch bei dem Wunsch, junge Muslime aus nordafrikanischen Ländern von illusorischen Auswanderungszielen abzuhalten. Anders stellte es hingegen, im Auftrag Al-Tayyebs, dessen Stellvertreter Abbas Shoman, dar: Er habe Marine Le Pen nur auf ihren Wunsch hin empfangen, wie er Menschen aller geistigen Richtung empfange. Und besonders, um ihr ein Bild vom „wahren Islam“ zu vermitteln, und um sie von bisherigen falschen Eindrücken abzubringen.

Marine Le Pen traf im Übrigen auch mit einem Oberhaupt der koptischen Christen zusammen und brachte darin ihre Beunruhigung „über die Lage der Christen in Syrien und im Irak“ zum Ausdruck. In beiden Ländern unterstützt(e) der Front National jeweils die massenmörderischen Ba’ath-Regimes, jenes von Saddam Hussein vor 2003 und jenes noch aktuelle von Bascher Al-Assad. Jeweils mit der Begründung, diese wirkten als Schutzschilde für die orientalistischen Christen. Vor diesem Hintergrund gedenkt die französische extreme Rechte etwa auch des soeben verstorben früheren irakischen Vizepräsidenten Tarik Aziz, dessen christlicher Hintergrund unterstrichen wird.

...aber gegen Qatar

Ärger unterhält der französische FN hingegen mit der Golfmonarchie Qatar. Der kleine Golfstaat, der einerseits als wirtschaftlicher Akteur ersten Ranges und Großinvestor u.a. auf französischem Boden auftritt, unterhält andererseits – zwecks Erhöhung seiner internationalen Ausstrahlung – diverse politische Kontakte, unterstützt u.a. die in Ägypten seit 2013 von der Macht entfernte und nunmehr verfolgt) Muslimbrüderschaf. Und, mindestens indirekt, auch unterschiedliche jihadistische Gruppierungen. Diese Vorwürfe, die sich u.a. auch auf die Stützung von jihadistischen Gruppen im Norden Malis bei Ausbruch der dortigen akuten Krise 2012 beziehen, sind in der Sache berechtigt. Allerdings macht der rechtsextreme Front National sie sich auf instrumentelle Weise zueigen. Er zieht die politische Rolle Qatars in der Region (Nahost, Nordafrika, muslimisches Afrika) zusammen mit seinem Auftritt als Sponsor für wirtschaftliche Aktivitäten unter anderem in französischen Banlieues – um zu behaupten, hier sei eine fünfte Kolonne, ein „trojanisches Pferd“ bei der Ausbreitung des Islamismus in Frankreich aktiv. Was wiederum purer Unfug ist.

Außenpolitisch versucht der FN sich zu profilieren, indem man gleichzeitig autoritäre arabische Regimes wie in Ägypten und besonders in Syrien unterstützt, andererseits aber gegen den Einfluss der wahhabitisch geprägten Golfstaaten Saudi-Arabien und Qatar zu Felde zieht.

Infolge von öffentlichen Äußerungen vom Januar dieses Jahres, in denen er Qatar als Sponsor des Jihadismus und Terrorismus hinstellte, handelte FN-Vizepräsident Florian Philippot sich eine Strafanzeige seitens der qatarischen Monarchie wegen übler Nachrede ein. Dies wurde am 01. Juni 15 durch die Tageszeitung ,Le Figaro’ bekannt.

Marine Le Pen erwiderte darauf, man freue sich auf ein Verfahren und wolle daraus einen „Prozess über Qatar“ in Frankreich machen, also den Spieß umdrehen. Philippot seinerseits reagierte, indem er behauptete, er fühle sich nun von Islamisten bedroht. Philippot schrieb an die höchsten Stellen der Republik, um für sich persönlichen Polizeischutz zu fordern, worauf das Innenministerium jedoch mit den Worten reagierte, man nehme die vorgebliche Bedrohung nicht wirklich ernst.

In den Medien jedenfalls konnte der französische FN erfolgreich einigen Wirbel um die Angelegenheit veranstalten. Und da die Pariser regierende Bürgermeisterin Anne Hidalgo von der französischen Sozialdemokratie es für klug hielt, sich in der Sache explizit hinter das qatarische Regime zu stellen, verfügt der FN nun auch noch über ein wunderbares Einfallstor. Er braucht nur noch die Komplizenschaft der verkommenen politischen Klasse anzuprangern, und diese als von qatarischem Geld gekauft hinzustellen.

Kohle in Helvetien

In Sachen Liebe zu ausländischem Geld steht allerdings auch der frühere langjährige Vorsitzende und Gründer der neofaschistischen Partei, Jean-Marie Le Pen, nicht nach. Am vorigen Mittwoch wurde nun gegen ihn ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eröffnet. Gegenstand sind die im Frühjahr 2013 bekannt gewordenen Geheimkonten in der Schweiz, auf denen er 2,2 Millionen Euro eingelagert haben soll. Le Pen senior hat die Existenz dieser Konten eingeräumt, bestreitet aber jegliche Straftat in diesem Zusammenhang.

Nicht deswegen, sondern aufgrund der innerparteilichen Konflikte seit April dieses Jahres waren ihm am 04. Mai 15 die Mitgliedsrechte entzogen worden. Dagegen hat Jean-Marie Le Pen nun gerichtlich geklagt. Die Verhandlung fand am vergangenen Freitag (12. Juni) in Nanterre statt, wo es bei Eintreffen des Altfaschisten zu kurzzeitigen gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Gerichtsflur kam. Jean-Marie Le Pen spielte bei seinen Stellungnahmen zu dem Verfahren einmal mehr unverhohlen auf die Homosexualität einiger seiner innerparteilichen Widersacher, namentlich Florian Philippots, ab. Das Urteil dazu fällt am 02. Juli d.J..

Unterdessen hat die Parteiführung am Abend des Freitag, 12. Juni 15 bereits neue Fakten geschaffen. Das Amt des „Ehrenvorsitzenden“, das Jean-Marie Le Pen seit seinem Abgang von der Parteispitze 2011 bekleidete – und ihm aus eigener Sicht auf Lebenszeit zustand -, wurde kurzerhand abgeschafft und aus den Statuten gestrichen. Die Zeit von Jean-Marie Le Pen, der an diesem Samstag (den 20. Juni) nun 87 wird, scheint jedenfalls in seiner Partei unwiderruflich ihrem Ende entgegen zu gehen.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.