Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Front National
Leicht verpatzter 1. Mai-Aufmarsch und Durchgreifen gegen den Altpatriarchen Jean-Marie Le Pen
 

5-6/2015

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Dieser Artikel wurde während der Redaktionsferien von trend.infopartisan.net verfasst. Er befindet sich auf dem Stand vom 11.05.2015.

Dies hätte er wohl nicht erwartet: Am Montag, den 04. Mai 15 entschied der engere Parteivorstand – das Bureau exécutif – des Front National, den Altvorsitzenden Jean-Marie Le Pen mit dem Aussetzen (der „Suspendierung“) seiner Mitgliedsrechte zu sanktionieren. Dies kommt einem vorläufigen Ausschluss gleich, der kürzer- oder mittelfristig in einen definitiven Ausschluss umgewandelt oder aber nach einiger Zeit beendet werden kann.

Der demnächst (im Juni dieses Jahres) 87jährige Jean-Marie Le Pen hatte die neofaschistische Partei, zusammen mit einigen Mitkämpfern, am 05. Oktober 1972 in Paris offiziell gegründet. Der harte Kern der rechtsextremen Aktivisten, die die „Nationale Front“ aus der Taufe hoben und überwiegend aus der gewalttätigen Studierendengruppe unter dem Namen Ordre Nouveau kamen, hatten ihm den Vorsitz angetragen und dabei gedacht, sie könnten ihn als Gallionsfigur benutzen. Zuvor hatte der faschistische Ideologe Dominique Venner – der Mann, der am 21. Mai 2013 auf spektakuläre Weise Selbstmord begehen würde, indem er sich in der Pariser Kathedrale Notre-Dame eine Kugel in den Kopf schoss – das Angebot auf Übernahme des Vorsitzes ausgeschlagen. Doch statt sich zur Gallionsfigur der überwiegend deutlich jüngeren Truppe der ,Ordre Nouveau‘-Leute machen zu lassen, drehte Jean-Marie Le Pen in der Folgezeit den Spieß um, und nahm innerparteilich die Sache voll in die Hand. Schon 1973 verließ die Ordre Nouveau-Riege, die als die eigentliche Gründertruppe des FN gelten durfte, die Partei enttäuscht oder in Rage und gründete später einen eigenen Verein, die „Partei der neuen Kräfte“ (den PFN, Parti des forces nouvelles). Letztere Formation sollte sich auf Dauer als Rohrkrepierer erweisen und ging zugrunde, bzw. musste im Zeitraum 1982-1984 die Überlegenheit des FN im rechtsextremen Spektrum anerkennen; ein Teil von ihr näherte sich dann allerdings eher den Konservativen an.

Jean-Marie Le Pen hat also schon einigen Widrigkeiten in seinem politischen Leben widerstanden und glaubte, auch dieses Mal als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorzugehen. Eröffnet worden war diese besonders dadurch, dass Jean-Marie Le Pen in Interviews mit dem bürgerlichen Privatsender BFM TV (eine Fernsehstation für Sensationsmacherei und Dauerberieselung) am 02. April d.J. sowie in der Ausgabe der altfaschistischen Hardcore-Wochenzeitung ,Rivarol‘ vom 09. April 15 kein Blatt vor den Mund genommen hatte. In ersterem Interview bekannte er sich u.a. zu seinen seit September 1987 mehrfach getätigten Aussprüchen über die Gaskammern, die als Softcore-Version der „Auschwitzlüge“ gelten müssen. Im zweitgenannten ließ er sich unter anderem über den Marschall Philippe Pétain – den Chef des mit NS-Deutschland zusammenarbeitenden Kollaborationsregimes im Zweiten Weltkrieg – mit den Worten aus, der Oberkollaborateur sei „in meinen Augen nie ein Verräter“ gewesen.

Seiner Tochter Marine Le Pen (46), die offiziell am 16. Januar 2011 – während eines im westfranzösischen Tours abgehaltenen Parteitags – den Vorsitz beim FN von ihm übernommen hatte, platzte nunmehr der Kragen. Ihr und ihrer Umgebung liegt aus strategischen Gründen viel daran, nur nicht in den Geruch einer Komplizenschaft mit dem Nazismus und dem historischen Faschismus zu kommen. Denn die aktuelle Führungsriege ist davon überzeugt, die Schlacht um eine Rehabilitierung dieser historischen Verbrecherregimes sei bereits geschlagen und verloren – man möge sich deshalb lieber auf „Zukunftsfragen“ konzentrieren. Marine Le Pens Lebensgefährte und Vizevorsitzender, Louis Aliot (45), goss seine Auffassung dazu in folgende Theorie: „Unsere Diabolisierung/Verteufelung (diabolisation) hängt ausschließlich am uns unterstellten Antisemitismus. Diesen Riegel müssen wir aufsprengen“, um nicht auf Dauer von wirklichem politischen Einfluss und politischer Macht(teilhabe) ferngehalten zu werden.

Dass seine Mitgliedschaft bei der von ihm begründeten Partei infrage gestellt werden könnte - dies hatte Jean-Marie Le Pen wohl nicht ernsthaft einkalkuliert. Vielmehr rechnete er sicherlich mit einer andersartigen Sanktion: dem Entzug des „Ehrenvorsitzes“, welcher ihm auf dem Parteitag vom Januar 2011 angetragen worden war. Laut Jean-Marie Le Pens eigener Sicht handelte es sich bei diesem „Ehrenvorsitz“ (présidence d’honneur) um eine Präsidentschaft auf Lebenszeit - also ein Amt, das ihn also bis an sein Lebensende dazu berechtige, der aktuell bestehenden Parteiführung in die Parade zu fahren und ins Geschäft hinein zu pfuschen. Er rechnete wohl mehr oder minder fest damit, dass dieser (ursprünglich als symbolisch konzipierte) Posten ihm entzogen werden könnte. Deswegen hatte die letzte Garde seiner nicht von Zweifeln behafteten Verteidiger, unter ihnen sein Ewiger Zweiter, der Ex-Juraprofessor Bruno Gollnisch, in den letzten Tagen eigens eine Argumentation dafür aufgebaut: Da ein Parteikongress ihm dieses Amt verliehen habe, könne auch nur ein Kongress es ihm wieder entziehen.

Zweifellos hat diese Verteidigungslinie die amtierende Parteiführung dazu gebracht, stattdessen gleich auch die Mitgliedsrechte des Altmitglieds mit zu kassieren; eine Entscheidung, die laut Statuten durch eine Kommission aus Vorstandsmitgliedern getroffen werden kann.

Jean-Marie Le Pen zürnt nun darüber heftig und klagte öffentlich an, er „schäme“ sich dafür, dass die derzeitige Parteivorsitzende „meinen Namen trägt“. Eine eigene leibliche Tochter in der Öffentlichkeit zu verstoßen, und/oder jedenfalls geistig und politisch zu enterben, ist für den alternden Jean-Marie Le Pen freilich nichts Neues: Bereits im Winter 1998/99, anlässlich der damals durch die Krise zwischen Jean-Marie Le Pen und seinem früheren Chefideologen Bruno Mégret ausgelösten Spaltung, verfuhr er ähnlich. Damals entzog er der ältesten seiner drei Töchter, Marie-Caroline Le Pen (die mit einem der Herolde Bruno Mégrets, mit Namen Philippe Olivier, liiert war und noch immer ist), vor laufenden Mikrophonen und Kameras das familiäre Dach. Heute kappt er nun auf ähnliche Weise symbolisch die Abstammungslinie mit der jetzigen Parteivorsitzenden. Er malte laut seinen Gedanken aus, dass Marine Le Pen doch gefälligst ihren Familiennamen ändern könne, indem die (bereits doppelt geschiedene) Tochter neuerlich heirate. Entweder ihren tatsächlichen Lebensgefährten Louis Aliot oder aber ihren anderen Vizevorsitzenden, den jungen Florian Philippot – dessen Homosexualität der französischen Öffentlichkeit längst bekannt ist.

Auch seinen „Ehrenvorsitz“ wird Jean-Marie Le Pen wohl in naher Zukunft verliehen. Die aktuell amtierende Parteiführung kündigte jedenfalls an, innerhalb von „drei Monaten“ formal eine außerordentliche „Generalversammlung der Mitglieder“ – die einen (Delegierten-)Kongress noch toppen kann – einzuberufen, um darüber abstimmen zu lassen.

In Wirklichkeit jedoch wird allerdings an eine Urabstimmung auf postalischem und/oder elektronischem Wege gedacht. „Innerhalb von drei Monaten“, also de facto Ende Juli und Anfang August d.J., damit auch nichts anbrennen kann… Im Verlauf des Wochenendes vom 09./10. Mai 15 hat Jean-Marie Le Pen bereits dagegen Protest eingelegt und gefordert. Auf dass die „Formengleichheit“ zwischen dem damaligen Parteitag, welcher ihm den „Ehrenvorsitz“ verliehen hatte, und dem künftigen Sonderparteitag gewahrt bleibe, müsse ein „echter“ und nicht virtueller Kongress stattfinden. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Inzwischen hat die Parteiführung des FN am Abend des 12. Juni 15 beschlossen, das Amt des „Ehrenvorsitzenden“ ersatzlos aus den Statuten der Partei zu streichen. Gleichzeitig änderte sie über die Hälfte der bestehenden Artikel dieser Satzung ab. Alle diese Modifikationen werden im Bündel den Parteimitglieder zur elektronischen Abstimmung im Hochsommer d.J. vorgelegt, und die Parteigänger/innen können nur im Paket darüber befinden, um ihre Zustimmung oder Ablehnung zu bekunden. Ein wunderbarer Modellfall von Demokratie... Gleichzeitig erlaubt es die bevorstehende Abhaltung dieser Urabstimmung, zu erfahren, über wie viel Parteimitglieder der FN nun eigentlich tatsächlich verfügt. Laut vorliegenden Informationen handelt es sich um 42.000 Mitglieder, die für das laufende Jahr Beiträge entrichteten. Also genauso viele, wie der FN zur Zeit der Parteispaltung zwischen Jean-Marie Le Pen und Bruno Mégret im Winter 1998/99 aufwies, die einer seiner Hochphasen ein Ende setzte. Damals mussten die Mitgliederlisten gerichtlich offengelegt werden, weil beide widerstreitenden Fraktionen sich um das Recht stritten, den Parteinamen zu führen.)

Gleichzeitig schafft die amtierende Parteiführung allem Anschein nach auch noch sonstige Fakten, um – vorläufig auch im Rücken der Mitgliederöffentlichkeit – den Abschied vom „Alten“ politisch und symbolisch vorzubereiten. Am 07. April 15 jedenfalls meldete ein Mitarbeiter von Florian Philippot, ausweislich eines Berichts der Wochenzeitung ,Le Canard enchaîne‘ (Ausgabe vom 06. Mai 15), schon mal beim Patentamt das Urheberrecht auf einen eventuellen neuen Parteinamen an. Er würde ,Les Patriotes‘ lauten, also „die Patrioten“. Ähnlich, wie die konservativ-wirtschaftsliberale Partei UMP sich demnächst, anlässlich eines Sonderkongresses am 30. Mai d.J., voraussichtlich in ,Les Républicains‘ umbenennen wird. „Die Republikaner“ – abgeguckt wohl nicht bei den bundesdeutschen REPs, sondern beim US-amerikanischen Namensvorbild.

Der FN am 1. Mai 15

Dem aktuellen innerparteilichen Ärger voraus ging ein 1. Mai 2015, der aus Sicht des Front National in buchstäblicher Hinsicht wie im übertragenen Sinne verregnet ausfiel. Aufgrund der Witterung nahmen in diesem Jahr nur rund 2.000 Anhänger/innen an der jährlich stattfindenden rechtsextremen 1. Mai-Kundgebung teil, das ist eine erheblich geringere Anzahl als in den Vorjahren. (Durch Witterung plus Schulferien im Pariser Raum war allerdings auch die nachmittägliche „klassische“ 1. Mai-Demonstration der Gewerkschaften in ihrer Teilnehmer/innen/zahl in diesem Jahr beeinträchtigt, und lag knapp unter 10.000.)

Ferner störte auch Jean-Marie Le Pen mit seiner unerbetenen Anwesenheit auf der Bühne – obwohl ihm dort ein Redeverbot auferlegt worden war – die aktuelle Parteichefin. Der Alte kreuzte kurzzeitig in einem leuchtend roten Parka auf, legte einen Kranz für die „Nationalheilige“ Jeanne d’Arc (die „Jungfrau von Orléans“ aus dem Dreißigjährigen Krieg) nieder und rief dazu provokatorisch aus: „Zu Hilfe, Jeanne!“ Zusätzlich aber störten unmittelbar darauf drei Aktivistinnen der ursprünglich aus der Ukraine stammenden, doch in Frankreich in jüngerer Zeit sehr aktiven Frauenbewegung ,Femen‘ die Rede der Vorsitzenden. Sie entrollten – wie üblich barbusig auftretend – ein Protesttransparent von einem Hotelbalkon herunter, auf dem der Front National mit Nazisymbolen assoziiert und mit Hitler in Verbindung gebracht wurde. Am selben Ort hatte bereits am 1. Mai 1995 ein antifaschistischer Protest des damaligen Anti-FN-Netzwerks ,Ras L’Front‘ (RLF) stattgefunden.

Minutenlang sorgte in diesem Jahr der Auftritt der ,Femen‘ für ein Durcheinander, das die Szenerie deutlich prägte. Auf dem Platz vor der Pariser Oper, wo die Kundgebung stattfand, liefen der paramilitärische Ordnerdienst der Partei, das DPS (,Département protection et sécurité‘, also „Abteilung Schutz & Sicherheit“) und einige Aktivisten wild durcheinander und in Richtung des Hoteleingangs. Schlussendlich wurden die drei ,Femen‘-Aktivistinnen nicht etwa durch die Polizei, sondern durch den eigenmächtig handelnden DPS der Partei „verhaftet“ und aus ihrem Hotelzimmer befördert. Natürlich ohne jegliche Rechtsgrundlage für eine solche „Festnahme“. Sowohl die drei Frauen als auch die rechtsextreme Partei, deren Kundgebung sie beeinträchtigt hatten, erstatteten wechselseitig Strafanzeige.

Mitarbeiter/innen von zwei verschiedenen TV-Sendeanstalten wurden körperlich angegriffen. Der stärkste Hass galt dabei der auf Enthüllungsjournalismus und Satire spezialisierten Sendung ,Le petit journal‘ des Privatfernsehsenders ,Canal +‘. Ein Stabmikrophon der TV-Anstalt wurde vom (noch immer amtierenden) Europaparlaments-Abgeordneten und früheren hochrangigen Parteifunktionär Bruno Gollnisch – auch „Gogol“ genannt – persönlich zerstört: Er schlug mit einem Regenschirm zu. Vgl. dazu die Aufnahmen unter: http://bigbrowser.blog.lemonde.fr/2015/05/05/les-coups-de-parapluie-du-fn-sur-la-liberte-de-la-presse/ sowie das Video der Ereignisse unter: http://www.canalplus.fr/c-emissions/c-le-petit-journal/pid6515-le-petit-journal.html?vid=1258808
 

Gehört beim 1. Mai 15 des FN

Parteioffiziell ist offener Antisemitismus beim FN, jedenfalls auf höheren Etagen, heute verbannt. So will es die Linie von Marine Le Pen und Louis Aliot. In den Reihen seiner 1. Mai-Kundgebung hört sich dies jedoch anders an. Dank der geringen Dichte der Menge auf dem Pariser Opernplatz konnte man in diesem Jahr in den eher spärlichen Reihen den Konversationen unter den Anhängern Marine und/oder Jean-Marie Le Pens leicht zuhören.

So etwa jenen, hinter dem Verf. dieser Zeilen stehenden, die sich angeregt über ihre Besuche bei Veranstaltungen des Berufs-Antisemiten Alain Soral austauschten. „Mein Arbeitskollege ist ein Linker, er ist immer noch nicht vom Wählen für François Hollande abgekommen. Er hat sich glatt geweigert, zu Alain Soral mitzukommen!“ Dieselben diskutierten, noch angeregter, über die angebliche Macht „der Zionisten“ in Frankreich. Aber auch über behauptete soziale Vorrechte für „die Araber“..

Ein anderer, rechts vor dem Korrespondenten stehenden, steckte seinerseits seinem Nachbarn: „Mein Vater war Landwirt und hat bis zum Alter von 70 gearbeitet, für ein geringes Auskommen im Alter. Und hier kommen einfach Ausländer her, der letzte Fellaga (Anm.: rassistischer Schimpfbegriff speziell für Algerier) und bekommen eine volle Rente nachgeworfen, selbst wenn sie nie hier gearbeitet haben. (Anm.: Was selbstverständlich absolut nicht zutrifft.) Wenn es so weitergeht, dann greife ich zum Gewehr! Ich ertrage das nicht länger/mache das nicht länger mit.“ Derselbe kam im Laufe der rund viertelstündigen Unterhaltung gleich drei Mal auf den 05. Juli 1962 in Oran zu sprechen. Dieses Datum markiert den Tag der Unabhängigkeit in Algeriens, aber im Falle von Oran auch schwere Übergriffe auf die europäische Siedlerbevölkerung in einem Teil der Stadt. Voraus gingen ihr allerdings Terrorangriffe der rechten pro-kolonialistischen „Organisation geheime Armee“ (OAS), die zu Racheakten der schwer attackierten einheimischen Zivilbevölkerung führten. Die Obsessionen der Berufsvertriebenen aus dem ehemaligen „französischen Algerien“ bleiben offensichtlich in der FN-Anhängerschaft höchst präsent..

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.