Das war der 1. Mai 2015

1. Mai Berlin - La beauté est dans la rue

von "Automat"

5-6/2015

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Während die GenossInnen in Italien den 1. Mai nutzten, um anlässlich der Expo Eröffnung gut ausgerüstet und organisiert schon während der Demo zahlreiche Banken anzugreifen und sich anschließend stundenlange Straßenschlachten mit den Bullen zu liefern, bei denen u.a. zahlreiche Fahrzeug der gehobenen Preiskategorie in Flammen aufgingen, setzte sich in Berlin die Tendenz zur Perspektivlosigkeit am 1. Mai weiter fort. 

Ablauf- ein kurzer Abriss 

Mit der gewohnten Stunde Verspätung setzten sich am Spreewaldplatz am Abend um die 20.000 Menschen in Bewegung. Begleitet von dem üblichen Gepose mit Pyrotechnik und Rauchtöpfen ging es im sehr zügigen Tempo in Richtung Neukölln. Diese Jahr war statt Abgeordneten und Vertretern von diversen Linksparteien wieder oldschool an der Spitze angesagt. Ein Frontblock von um die 150 Leute zog fast vollständig vermummt los, hing aber völlig in der Luft, weil dahinter nur lose und unorganisierte Leute folgten, die sich weder kannten, noch Ketten bildeten. Die Bullen hielten sich in 36 noch zurück und fingen erst in Neukölln an die Demo massiv in den Seitenstraßen parallel zu begleiten. Nachdem das Bullenrevier Sonnenallee Ecke Wildenbruch etwas Farbe abbekommen hatte, wurde die Demo einige hundert Meter weiter von zwei Hundertschaften aufgestoppt, die sich vor die Demo gesetzt, bzw. neben dem Frontblock Spalier gebildet hatten. Für die Bullen wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den Frontblock komplett zu zerlegen, bzw. in ihn einzudringen, um Vermummte festzunehmen, offensichtlich hatte die Einsatzleitung aber andere Prioritäten im Sinn. So ging es nach zehn Minuten weiter, ab diesem Zeitpunkt nur noch im gemütlichen Spaziergangtempo und im Frontblock größtenteils auch nicht mehr vermummt. 

Fast als Schweigemarsch zog die Demo weiter durch Neukölln. Einzelaktionen, bei denen einige wenige Scheiben zu Bruch gingen, änderten nichts an der Trägheit und der unterirdischen Stimmung auf der Demo. Wo die Bullen die Demo dazu zwangen, sich durch ein künstliches Nadelöhr der polizeilichen Absperrung zu quälen, wurde dies in Lemminge Manier ertragen. Auf dem Kottbusser Damm wähnte sich mensch dann auf einem Ostermarsch, nur das die Leute irgendwie ein anderes Outfit trugen. Die üblichen Dachaktionen waren auch nur als uninspiriert zu bezeichnen. Zurück in 36 kamen dann wieder Sprechchöre auf und vom Lauti wurde darauf aufmerksam gemacht, dass mensch sich heute ein “Soziales Zentrum erkämpfen wolle. Am Endpunkt Lausitzer Platz bekamen dann noch zwei Zivis eine Abreibung, was 99,9 % der Demo ebenso wenig mitbekommen haben dürften, wie die darauf folgende kurze Auseinandersetzung mit ihren uniformierten KollegInnen. Dann standen Tausende ratlos auf dem Lausitzer Platz herum, während die Bullen noch einige gezielte Festnahmen tätigten von Leuten, die sich auf der Demo wohl ausgeguckt haben dürften. Dafür gab es noch den einen oder anderen Flaschen- oder Steinwurf, die restliche Pyrotechnik wurde abgebrannt und dann war es dann auch. 

Fazit- vorläufig und absolut unvollständig

Nach den diversen miss- und gelungenen Versuchen der letzten Jahre, ins Herzen der Bestie vorzustoßen (wobei dies abwechselnd am Brandenburger Tor oder in der SPD Zentrale verortet wurde), sollte diese Jahr also ein Soziales Zentrum erkämpft werden, um einen “Ort der Begegnung und der Diskussion zu schaffen”. Das Kuriose ist ja, dass Berlin wie kein andere Stadt in Deutschland über die diversen Orte verfügt, an denen sich die Scene und auch die diversen Splitter und Fraktionen über den Weg laufen und dabei immer hübsch unter sich und zum Diskurs unfähig bleiben. Was sich daran durch ein Soziales Zentrum ändern sollte, bleibt wohl das Geheimnis der Gruppierung Radikale Linken, die sich, und dies ist nun wirklich kein zu schützendes Insider Wissen, zu wesentlichen  Teilen aus Leuten der aufgelösten ALB und ARAB zusammensetzt, die in den letzten Jahren die Demos zum 1. Mai in Berlin organsiert haben. So wurde sich wenigsten wieder insofern treu geblieben, dass die Linie der Symbol Politik fortgesetzt wurde. Die auch in den Massenmedien im Vorfeld breit publizierte Ankündigung einer Besetzung im Rahmen des 1. Mai muss mensch als absolut  dilettantisch  bezeichnen. Von der Aktion in Neukölln haben auf der Demo praktisch keine Leute mitbekommen. Weder gab es Lautsprecherdurchsagen, die viele erreicht haben, bzw. machte der erste Lautsprecherwagen noch eine halbe Stunde später auf der Kottbusser Brücke auf eine noch bevorstehende Besetzung aufmerksam. Auch wurde die Meldung über die Aktion in Neukölln nicht über soziale Netzwerke oder anders verbreitet, sodass eigentlich fast alle davon ausgingen, die Besetzung stehe noch an, als die Demo 36 wieder erreichte.  

Aber auch die autonome und anarchistische Linke in Berlin befindet sich im freien Fall. Gab es 2013 noch vor und nach der 1. Mai Demo zahlreiche Debatten Beiträge und einen eigenen vermummten Block mit über 500 Leuten, sowie sonstige begleitende Aktionen und im letzten Jahr noch wenigsten etwas Widerstand gegen die Bullen sowohl während der Demo als auch am späten Abend, gab es dieses Jahr weder theoretische noch praktische Interventionen. Auf der Demo gab es nicht ansatzweise schützende Strukturen, auf die sich mensch nach direkten Aktionen beziehen konnte. Die Debatte um Wege aus der Krise, die im zweiten Halbjahr 2014 in Berlin aufgekommen war, ist mit dem letzten Beitrag der Autonomen aus Berlin scheinbar eingeschlafen. 

So bleiben nur individuelle Wege. Mensch fährt zu Events in andere Städte im Inland (Blockupy) oder gleich nach Athen, Mailand oder Wien. Oder begnügt sich mit ein paar eingeworfenen Scheiben mitten in der Nacht gemeinsam mit seiner Kleingruppe. Der mögliche Hinweis darauf, dass der 1. Mai nicht der Ort der Intervention sei, muss daneben gehen. Bei allen sonstigen Interventionen bleiben die üblichen Verdächtigen im allgemeinen unter sich. Zu einer breit beworbenen Besetzungsaktion erschienen letztlich gerade mal an um die 50 Leute. Wer unter diesen Umständen meint, von der Traurigkeit des Kapitalismus faseln zu müssen, sollte den Blick in den Spiegel nicht scheuen. Dieser 1. Mai hat die Realität in der Stadt in Bezug auf antagonistische Politik 1:1 abgebildet. Wer 20.000 Menschen, die sich an einen Event anhängen mit einer massenhaften Zustimmung zu einer revolutionären Projekt verwechselt, darf weiter seinen Traumtänzereien nachhängen. Dem Rest muss die bittere Medizin verabreicht werden. This is not a love song.

Quelle: linksunten.indymedia.org vom 2.5.2015