24-Stunden-Streik in Belgien
Es ging fast nichts mehr: Bahnen und Busse, Post, Schulen, öffentliche Ämter waren stillgelegt

von G. Polikeit

5-6/2015

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Streikende und demonstrierende Arbeiter und Angestellte in Europa passen nicht ins Bild der hiesigen Medien. Nach der weitgehenden Unterschlagung des landesweiten Gewerkschaftsaktionstags in Frankreich mit 300 000 Beteiligten in 86 Städten am 9. April erlitt nun auch der 24-stündige Generalstreik der Beschäftigten der Öffentlichen Dienste in Belgien am 22. April dieses Schicksal.
Dabei hatte der Aufruf der Gewerkschaftszentrale der Öffentlichen Dienste (CGSP) im belgischen Allgemeinen Gewerkschaftsbund (FTGB) dazu geführt, dass Nahverkehr und Eisenbahn, Post, Schulen, Müllabfuhr, Schleusen für die Schifffahrt, öffentliche Dienststellen und Ämter, Kinderkrippen und Gesundheitseinrichtungen in öffentlicher Hand in Brüssel, Antwerpen, Lüttich, Charleroi und anderen Städten weitgehend lahmgelegt waren. Die große Mehrzahl der 260 000 Mitglieder der Gewerkschaftszentrale der Öffentlichen Dienste war dem Streikaufruf gefolgt. Selbst Polizeibeamte üben sich in einem „Bummelstreik“, Strafzettels wurden nicht mehr ausgestellt.

Schon ab Dienstagabend 22 Uhr fuhr so gut wie kein Zug mehr, In einigen strategischen Bahnhöfen blockierten die Streikenden auch die Gleise, berichtete der belgische Rundfunk- und Fernsehsender BRF. Viele Busse seien in den Depots geblieben. Sowohl im flämischen wie im wallonischen Teil des Landes sei der Streik gut befolgt worden. Der christliche Gewerkschaftsbund CSC hatte nicht zu der Streikaktion aufgerufen. Aber vielfach haben sich die christlichen Kolleginnen und Kollegen dennoch der Arbeitsniederlegung und Demonstrationen angeschlossen. Aktiv unterstützt wurde der Streik von der belgischen „Partei der Arbeit“ (PTB/PvdA).

Inhaltlich ging es in erster Linie um die Verteidigung der öffentlichen Dienste und sozialer Errungenschaften gegen den neoliberalen Sparkurs der nun seit sechs Monaten amtierenden neuen belgischen Regierung unter dem wallonischen „Sozialliberalen“ Charles Michel. An ihr beteiligt ist auch die extremen flämischen „Nationalismus“ verbreitende Partei „Neue flämische Allianz“ (NVA) unter dem Rechtsextremisten Bart de Wever, die zur härtesten Gangart gegen die Gewerkschaften aufgerufen hatte und deren Handlungsspielraum drastisch einschränken will.

Konkreter Anlass für den Streik war die geplante Verabschiedung zweier neuer antisozialer Gesetze im belgischen Parlament, nämlich des Gesetzes über die „zeitweilige Suspendierung“ des „Indexsprungs“ und eines Gesetzes zum faktischen Einfrieren der Gehälter im öffentlichen Dienst für weitere zwei Jahre durch die Festlegung eines „lächerlich niedrigen“ maximalen Spielraums für die anstehenden Tarifverhandlungen, wie die Gewerkschaft erklärt hatte. Weitere Konfliktpunkte sind die „Rentenreform“ mit der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und die Sparmaßnahmen in öffentlichen Verwaltungen und im Gesundheitswesen, wo vier von fünf Beschäftigten nicht mehr ersetzt und bei unabweisbarem Bedarf statt dessen Teilzeitaushilfen beschäftigt werden sollen. Die Gewerkschaften befürchten zu Recht, dass aus der „zeitweilige Aussetzung“ des „Indexsprungs“ rasch eine dauerhafte Abschaffung werden wird. Dabei geht es um die bisher geltende, in früheren Jahren durchgesetzte jährliche automatische Anpassung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst an die von der offiziellen Statistik festgestellte Steigerung der Lebenshaltungskosten.

Ein Automobilarbeiter hat deshalb mit Unterstützung des PTB-Parlamentsabgeordneten Raoul Hedebouw Klage wegen Diebstahls gegen die Abgeordneten der Regierungskoalition eingereicht, die dem entsprechenden Beschluss zugestimmt haben. Denn nach seinen Berechnungen wird er dadurch für den Rest seines Arbeitslebens einen Einkommensverlust von mehr als 13 000 Euro erleiden, allein 742 Euro im ersten Jahr der Anwendung.

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Artikel von DKP-News, wo er 3.5.2015 am erschien.