Betrieb & Gewerkschaft

Streik der ErzieherInnen: Bloßer Tarifkampf?

von Elise Hufnagel

5-6/2015

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Nun ist bereits die fünfte Verhandlungsrunde zwischen dem Verband kommunaler Arbeitgeber (VKA) und den Gewerkschaften GEW und ver.di gescheitert. Die Bundestarifkommission von ver.di hat die Einleitung der Urabstimmung beschlossen. Allein am Montag, den 22. April, hatten sich fast 24.000 Beschäftigte an Warnstreiks und Kundgebungen u.a. in Offenbach, Stuttgart und Mainz beteiligt.
Die VKA hatte in der fünften Runde insbesondere für SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen jegliche Aufwertungsnotwendigkeit kategorisch verneint. Noch stoßen die Aktionen weitgehend auf Verständnis in der Bevölkerung und eine mediale Hetze in den Medien, vergleichbar mit den Bahnstreiks, blieb bislang aus. Sollte aber ein Arbeitskampf ähnlich der wochenlangen Streikwelle wie 2009 kommen, ist mit einer Kampagne gegen „unverantwortliche“ ErzieherInnen, die ihre Interessen auf dem „Rücken der Kinder und Eltern“ durchsetzen wollen, mit Sicherheit zu erwarten.

Was fordern die Gewerkschaften?

Es geht um eine neue Eingruppierung im Tarifsystem für rund 240.000 Angestellte im kommunalen Erziehungs- und Sozialdienst. Dazu gehören u.a. ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen, SozialpädagogInnen, Fachkräfte für Arbeits- und Berufsförderung, KinderpflegerInnen sowie HeilpädagogInnen. Indirekt profitieren von einem Tarifergebnis aber auch die mehr als 500.000 (!) Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst bei freien und kirchlichen Trägern.
Die geforderte Eingruppierung würde eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 10 Prozent bedeuten, denn ArbeiterInnen im Sozial- und Erziehungsbereich liegen im Schnitt 600 Euro unter dem Durchschnitts-Lohn. Begründet wird die Höherstufung mit einer erheblichen Erweiterung der Aufgaben der MitarbeiterInnen, sowohl im administrativen Bereich als auch in der Fürsorge für Kinder und Jugendliche, die, bedingt durch die Krise, immer häufiger von familiären Defiziten geprägt in die Einrichtungen kommen.

Wo das Familieneinkommen nicht mehr ausreicht oder durch prekäre Jobs aufgefüllt wird, wo Eltern durch eigene Perspektivlosigkeit ihren Kindern keine „gute“ Kindheit mehr bieten können und diese mehr soziale Konflikte erleben müssen, als sie verarbeiten können, steigt natürlich auch die Belastung von ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen. Wenn sie ihre Arbeit gut machen und nicht nur „Aufbewahrung“ bieten wollen, müssen sie Entwicklungsdefizite erkennen und aufgreifen, auch im Bewusstsein, dass heutige Kinder und Jugendliche in einer Welt mit noch größerer Arbeitsverdichtung landen werden und somit eigentlich eine hohe Belastbarkeit brauchen.

Dazu kommen noch, wie meist im sozialen Bereich, ständiger Personalmangel, zu wenige Betreuer für zu viele Betreute, Ausfälle durch Erkrankung der Angestellten, so dass sich schon jetzt rund die Hälfte aller ErzieherInnen, PädagogInnen und PflegerInnen permanent überfordert fühlt. Ebenso werden die Verbesserung der Qualität dieser Arbeit und ein erweitertes Angebot für Heranwachsende gefordert.
Der VKA argumentiert, dass ErzieherInnen ja bereits 2009 - also vor 6 Jahren - eine finanzielle Aufwertung ihrer Tätigkeit erfahren hätten. Das sei, laut GEW, jedoch nur die halbe Wahrheit, denn nach der Umstellung vom BAT-System zum Tarifvertrag des Öffentlichen Diensts (TvÖD) 2005 mussten Angestellte erhebliche Lohneinbußen ohne Aufstiegsmöglichkeiten hinnehmen, die dann 2009 lediglich verringert wurden.

Und natürlich wird auch damit gedroht, dass bei einer Mehrbelastung der Kommunen, ohne dass der Bund in die Pflicht genommen wird, eine Beitragserhöhung für Familien nicht auszuschließen sei.

Kampagnen

Die GEW kämpft unter dem Slogan „Für ein besseres EGO (Abkürzung für Entgeltordnung)“, ver.di fordert mit „Soziale Berufe, richtig was wert“ eine „Aufwertung“.

Damit verdeutlichen beide wieder einmal die grundsätzliche Problematik sozialer Arbeit im Kapitalismus, wo Bildung und Erziehung vom Staat durchgeführt oder organisiert wird. Außer in Privatschulen und -erziehungseinrichtungen schafft sie keinen Mehrwert für die Betreiber, sie liefert „lediglich“ einen Gebrauchswert (in diesem Fall Erziehung, Bildung und Pflege), aber keinen Profit. Und diese Tätigkeiten beruhen immer auf emotionaler Belastung, da sie an Menschen ausgeführt werden und nicht an Schreibtischen oder Maschinen. Oft leidet darunter die Selbstschonung der Arbeitskräfte, z.B. durch Mehrarbeit oder fehlende Pausen.

Letztendlich ist aber eine Gleichstellung sozialer Berufe mit „produktiver“ Arbeit nicht zu erwarten, da der oft beschworene „Wert“ dieser Arbeit keine Kapitalanlage anlockt, weil diese eben „Mehrwert“ will. Und nur dieser ist die Triebfeder des Systems.

Wieder einmal müssen sich die Protestierenden rechtfertigen, dass ihre Ausbildung und Arbeit nötig sind (denn eigentlich machen sie ja nur das, was Eltern nach Feierabend und ohne Vorbildung auch nebenbei schaffen). Sie haben auch keine Möglichkeit, eine Gehaltserhöhung auf der Basis gestiegener Profite einer Kapitalbranche zu erkämpfen, sondern sie setzen gerade jetzt einem staatlichen System zu, das dringend im Sozialbereich sparen muss, um den Verfall hinauszuzögern.

Im Falle eines erfolgreichen Arbeitskampfes ist unklar, wer die Mehrkosten zahlen müsste. Die Kommunen - und erst recht die Kapitalisten - wollen diese auf die Steuerzahler oder gleich direkt auf die Eltern in Form von Beitragserhöhungen abwälzen. So soll im voraus ein Keil zwischen die Beschäftigten und die Masse der Lohnabhängigen getrieben werden.

Ein weiteres Manko in diesem Kampf ist die Tatsache, dass laut ver.di nur 40 Prozent aller ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen, in Ostdeutschland sogar nur 25 Prozent, überhaupt eine Vollzeitstelle haben. Damit wäre die neue Eingruppierung nur bedingt erfolgreich, müssen doch jetzt schon viele in dieser Branche noch einen Nebenjob annehmen, da sie von ihrem Gehalt nicht leben können.

Ausgeschlossen vom Streik sind auch zwei Drittel der ErzieherInnen, die nicht in kommunalen Einrichtungen arbeiten, sondern wo die Träger Kirchen, Wohlfahrtsverbände oder Elternkollektive sind. Auch hier ist die Tendenz zur Kommerzialisierung steigend.

Solidarität ist nötig!

Wir unterstützen die Streiks im Sozial- und Erziehungsbereich. Eine Gesellschaft, die die Versorgung und Bildung der nächsten Generation nicht angemessen bezahlt, entzieht sich die eigenen Grundlagen. Der Arbeitskampf muss jedoch ausgeweitet werden auf die Forderung nach Vollbeschäftigung aller ArbeiterInnen, die dies wollen. Auch eine Verkürzung der Ausbildung der ErzieherInnen, wie sie in Erwägung gezogen wird, kann nur zu Qualitätsminderung und Lohnsenkung führen. Der Kampf muss gemeinsam mit den Betroffenen, also den Eltern, geführt werden, die momentan die Betreuung selber organisieren müssen und deren Arbeitsplätze dadurch auch gefährdet sein könnte. Es muss klar gemacht werden, dass eine verbesserte Entlohnung nicht auf Kosten der privaten Haushalte der Lohnabhängigen gehen darf oder anderweitig auf die Arbeiterklasse umgelegt wird.

Gemeinschaftliche Erziehung und Bildung ist wichtig. Daher ist das Betreuungsgeld, das gerade von der CSU vehement verteidigt wird, abzulehnen und ein weiterer Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung zu fordern.

Angesichts dieser Fakten fordern wir über die Tarifziele hinaus:

  • Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Aufstockung zu Vollzeitstellen!
  • Keine verkürzte Ausbildung! Für volle ErzieherInnenqualifikation!
  • Ausbau des Kindergartenbereichs unter Kontrolle der Beschäftigten und Eltern! Betreuungsmöglichkeiten rund um die Uhr an 7 Wochentagen und wohnort- bzw. arbeitsplatznah!
  • Finanzierung durch progressive Kapitalbesteuerung!
  • Weg mit der Schuldenbremse, Annullierung der Staatsschulden zu Lasten ihrer kapitalistischen Gläubiger!

Aber GEW und ver.di klammern nicht nur diese politischen Forderungen als zu „heikel“ für die Unternehmer und Einrichtungsträger und ihren Staat aus, obwohl jeder Konflikt im Öffentlichen Dienst und ihnen gleichgestellten Bereichen immer gebieterischer von den Herrschenden und ihren Medien auf Rücksicht gegenüber dem klammen Staatssäckel eingeschworen wird. Gewerkschaften, die die Antwort darauf schuldig bleiben, dass nämlich zunehmende Staatsverschuldung und Sparpolitik Folge der Umverteilung von unten nach oben sind, dass die Reichen nicht nur von Steuerentlastungen profitieren, sondern auch noch die Rendite für ihre Staatsanleihen einstreichen und damit ganze Länder in den Orkus stürzen (Griechenland), werden immer unfähig bleiben, die Bevölkerungsmehrheit auf ihre Seite zu ziehen. Das übliche Tarifrundenritual stößt in Krisenzeiten immer deutlicher an seine Grenze!

Doch auch im „bloßen“ Tarifstreit ist Vorsicht geboten, damit die Bürokratie ihn nicht ausverkauft! Wir treten deshalb ein für:

  • Volle Kontrolle des Kampfes durch die Basis, für Vollstreiks, jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit der Streikleitungen, Urabstimmung über das Tarifergebnis!
  • Koordinierung mit den Tarifkämpfen anderer Branchen, die anstehen: GdL-Fahrpersonal, Gebäudereinigung, angestellte Lehrkräfte, Länderbeschäftigte in Hessen, Post, Charité/Berlin!

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 816
28. April 2015

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