Vorbemerkung:
Der Artikel wurde am 27.
Mai 2014 während der
TREND-Redaktionsferien verfasst.
Aktuell (am 20. Juni 14) stellt sich die Situation wie folgt
dar: Dem britischen Nationalisten Nigel Farag, Chef der
„Unabhängigkeitspartei“ UKIP, gelang es am Donnerstag, den 19.
Juni, eine eigene Fraktion im künftigen Europaparlament zu
präsentieren. Diese konnte mit Abgeordneten aus den
erforderlichen sieben Mitgliedsländern der EU gebildet werden,
unter ihnen die (ursprünglich mit Front National & FPÖ
verbündeten) rechtsextremen „Schwedendemokraten“ und eine
abtrünnige Ex-Vertreterin des französischen Front National…
sowie die „Fünf-Sterne-Bewegung“ des italienischen Politclowns
Beppe Grillo. Zwischenzeitlich hat
Marine Le Pen vom FN jedoch weiterhin Schwierigkeiten mit der
Bildung einer eigenen Fraktion. Zwar verfügt ihre Partei mit
ihren rechtsextremen Verbündeten (FPÖ, Lega Nord, Vlaams
Belang, niederländische PVV) über genügend Sitze, jedoch
repräsentieren diese Kräfte bislang nur fünf statt der
erforderlichen sieben Mitgliedsstaaten der EU. Gespräche
laufen unterdessen mit polnischen und bulgarischen
Nationalisten. Die Frist für die Bildung einer Fraktion im
Europaparlament läuft am 24. Juni d.J. ab. Eine aktuelle
Fortsetzung dazu folgt also im Laufe der kommenden Woche.
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Im neu gewählten Europaparlament
für die Legislaturperiode 2014-2020 sitzen nun 145 Abgeordnete
(von insgesamt 751), die als mehr oder minder rechtslastige
„Euroskeptiker“ eingestuft werden. Aber nicht alle unter ihnen
haben dasselbe Profil. Insbesondere die britische
„Unabhängigkeitspartei“ UKIP und die deutsche AfD – die im
Unterschied bspw. zum französischen Front National keine
(neo)faschistischen, sondern rechtsbürgerliche Wurzeln aufweisen
– wollen erklärtermaßen etwa nicht mit Marine Le Pen und ihrer
Partei zusammenarbeiten.
Voraussichtlich wird aus dem
rechten „EU-kritischen“ Lager nicht eine einheitliche, sondern
werden mindestens zwei Fraktionen geformt werden: eine mit einem
eher national-konservativen und eine mit einem rechtsextremen,
Sozialdemagogie und Rassismus vereinigenden Profil.
An der Spitze der zweitgenannten Fraktion,
sofern sie (im juristischen Sinne) zustande kommt, dürfte der
französische Front National stehen. Denn er schnitt gleichzeitig
unter den rechtsextremen Parteien mit am höchsten ab – neben der
britischen UKIP und der dänischen DFP war er als einzige
Rechtsaußenpartei
stärkste Kraft im eigenen Land, und erhielt 24,85 % der
abgegebenen Stimmen – und ist in einem „Kernland“ der Union
angesiedelt. Nun wird diese Partei sich jedoch im
Europaparlament zusätzliche Verbündete suchen müssen, um eine
Fraktion zu bilden. Gelingt ihr dies, locken Mittelzuwendungen
in Höhe von zwei bis drei Millionen Euro pro Jahr,
Mitarbeiter/innen/stellen, Sitze in den Ausschüssen – und damit
Zugang zu Informationen in diversen Fachthemen – und ein
ausgeweitetes Rederecht. All dies bleibt fraktionslosen
Abgeordneten vorenthalten, die lediglich über eine einmütige
Redezeit pro Aussprache verfügen.
Der FN an der Spitze einer Eurofraktion?
Um den Fraktionsstatus im EP zu
erlangen, benötigt eine politische Kraft 25 Sitze – über diese
verfügt der französische FN mit 24 Mandaten nun fast alleine –
und Mandate aus sieben verschiedenen Mitgliedsländern der Union.
Bei der Staatenzahl sieht es im Augenblick jedoch noch knapp
aus.
Seit zwei Treffen in Den Haag am
13. November und Wien am 15. November 2013 trat der französische
FN im Bündnis mit sechs anderen Rechtsparteien an. Doch nicht
alle zogen ins Europaparlament ein, denn erhielt die
„Slowakische Nationalpartei“ (SNS) – die in Wien am 15.11.2013
beim Bündnisschluss dabei war - erhielt nur dreieinhalb Prozent
und keinen Sitz. Im Jahr 2009 hatte dieselbe Partei noch 5,55 %
der Stimmen und ein Mandat erzielt.
In Belgien behielt die Partei Vlaams Belang
(„Flämisches Interesse“) ein Mandat im Europarlament, doch
verlor massiv an Stimmen, mit 4,14 % (gegenüber 9,85 % im Juni
2009). Bei den EP-Wahlen ebenso wie bei den gleichzeitig dazu
stattfindenden Parlamentswahlen in Belgien büßte
der VB massiv an Boden ein, zugunsten der
flämisch-nationalistischen Rechtspartei N-VA („Neue Flämische
Allianz“) des Antwerpener Bürgermeisters Bart de Wever. Diese
Partei steht zwar selbst weit rechts, ist jedoch eine
nationalistisch-konservative Partei ohne faschistische Wurzeln,
im Unterschied zum Vlaams Belang.
Aufgrund des verfehlten Einzugs
der slowakischen SNS sind von der rechtsextremen Allianz, die im
November 2013 in Wien geschlossen wurde, derzeit nur sechs
Parteien im Europaparlament vertreten. Folglich wird Marine Le
Pen nun nach neuen Verbündeten im EP suchen müssen, die bei der
Fraktionsbildung mitmachen. Möglicherweise wird die FN-Chefin
dabei auch auf Parteien zurückkommen, die bislang von
Bestrebungen bezüglich einer gemeinsamen Fraktionsbildung
ausgeschlossen blieben. Etwa die ungarische Partei Jobbik (ihr
Name beruht auf einem Wortspiel, bedeutet „Die Rechte“ und „Die
Bessere“ zugleich), welche mit 14,7 Prozent der abgegebenen
Stimmen in Ungarn zur zweitstärksten Partei dort wurden, hinter
der konservativ-völkischen Regierungspartei FIDESZ unter Viktor
Orban mit 51,5 Prozent. Aufgrund ihres ungeschminkten
Antisemitismus, aber auch aufgrund ihrer Vorliebe auch für
asiatische Nationalismen – wie den türkischen – war die
Jobbik-Partei in jüngster Vergangenheit von den
Bündnisbemühungen des französischen FN und der österreichischen
FPÖ ausgeschlossen geblieben.
Dem war jedoch nicht schon immer
so: Von ihrer Gründung im Oktober 2009 in Budapest bis zum
Oktober/November 2013 beruhte die „Europäische Allianz
nationaler Bewegungen“ (französisch abgekürzt AEMN) im Kern auf
einem Bündnis zwischen französischem Front National und
ungarischer Jobbik. Doch Marine Le Pen ordnete einen Rückzug
ihrer Partei aus dieser Struktur an, und der bis dahin
amtierende AEMN-Vorsitzende Bruno Gollnisch vom FN sah sich
genötigt, sein dortiges Amt niederzulegen. Nun kann es
allerdings einen enormen Unterschied zwischen den Positionen vor
einem Wahlgang und der Praxis danach geben – vor allem, sollte
es aus dem einen oder anderen Grund doch noch knapp werden mit
der Fraktionsbildung in Brüssel/Strasbourg. Die weitere
Entwicklung des Verhältnisses zu den Antisemiten und Romahassern
von Jobbik muss also genau beobachtet werden.
Unwahrscheinlich ist jedoch, dass
die Abgeordneten der Neonazipartei „Goldene Morgenröte“ (9,39 %
der abgegebenen Stimmen in Griechenland) oder der deutschen NPD
in solche Bündnisse integriert werden. Die NPD erhielt 1,0 %
(während in Deutschland auch 7 % für die AfD abgegeben wurden)
und ein Mandat, dürfte aber ebenso isoliert bleiben wie
voraussichtlich die „Golde Morgenröte“. Diese mehr oder minder
offenen Hitler-Verehrer sind denn doch nicht vorzeigbar genug
für Wahlparteien, die in ihren eigenen Ländern jeweils Einiges
an politischer Reputation zu verlieren haben.
Abschneiden in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten
Neben dem französischen FN sind
noch zwei andere rechtsnationalistische Parteien zur jeweils
stärksten Kraft in ihren Ländern geworden: die britische UKIP
mit 27,5 Prozent der abgegeben Stimmen, und die „Dänische
Volkspartei“ (DFP) mit 26,7 Prozent der Wahlteilnehmer/innen im
Königreich zwischen Nord- und Ostsee. Doch beide Parteien haben
im Vergleich zum FN ein unterschiedliches Profil, weisen -
anders als die französische Partei unter ihrem langjährigen
Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen – keine antisemitische Tradition
auf und lehnen eine Zusammenarbeit mit Le Pen (Vater & Tochter)
bislang ab.
Österreich
Zur drittstärksten Partei in ihrem Land wurde
die österreichische „Freiheitliche Partei“ mit (laut vorläufigem
amtlichem Endergebnis) 20,5 % der Stimmen, nachdem sie im Laufe
des Wahlabends zunächst mehrere Stunden lang bei 19,5 % zu
stehen schien. Dies entspricht zwar einem starken Zuwachs für
die FPÖ gegenüber den Europarlamentswahlen im Juni 2004 (die
damals in der Wiener Bundesregierung sitzende Partei erhielt
seinerzeit nur 6,3 %) und denen im Juni 2009 (die Partei befand
sich in der Opposition und im Wiederaufstieg, und erhielt damals
12,7 %). Dennoch wurden der FPÖ zu Anfang dieses Jahres noch
höhere Ergebnisse vorausgesagt. Doch sie vergeigte tüchtig ihren
diesjährigen Wahlkampf. Infolge von verbalen Angriffen auf den
österreichischen Fußballstar
(nigerianischer und philippinischer Abstammung) David Alaba
musste der nazi-nahe Ideologe und bisherige Spitzenkandidat
Andreas Mölzer seinen Hut nehmen. Zu seinem Nachfolger als
Spitzenkandidat wurde FP-Generalsekretär Harald Vilimsky
bestimmt, doch ging daraufhin die deutschnationale
Burschenschafter-Sippe – die nach wie vor das Rückgrat der
FPÖ-Aktivistenschaft stellt – gewissermaßen in den Sitzstreik.
Aufgrund des erzwungenen Abgangs von Mölzer zeigte sie sich
unmotiviert für den Wahlkampf. Die inneren Widersprüche der
Partei schlugen dadurch nach außen
durch.
Belgien & Holland
Ebenfalls auf dem dritten Platz, und einem
aus ihrer Sicht relativ enttäuschenden Ergebnis, landete die
„Partei für die Freiheit“ (PVV) des wasserstoffblonden
niederländischen Hetzers Geert Wilders. Ihr wurden am Tag nach
der Wahl 13,3 % und ein dritter Platz hinter Christdemokraten
und Liberalen angesagt. Doch in den Umfragen hatte die Partei
zum Teil deutlich höher gelegen. Bei den Europaparlamentswahlen
im Juni 2009 erhielt sie noch 17 % der Stimmen, und 15,5 % bei
der niederländischen Parlamentswahl im Juni 2010. Danach fiel
sie allerdings, infolge ihrer zweijährigen Beteiligung an der
Regierungskoalition (welche sie zum Platzen brachte), im
September 2012 auf „nur“ noch 10,1 %. In der Opposition konnte
die Partei sich zwar regenerieren und stieg erneut auf. Aber im
Frühjahr 2014 verlor sie aufgrund einer Hetzrede ihres
unangefochtenen Chefs Geert Wilders vor den holländischen
Kommunalwahlen („Was wollt Ihr? Weniger, weniger Marokkaner!“)
an Zustimmung und auch mehrere ihrer Parlamentarier/innen.
Belgien litt am Montag nach den
Europaparlamentswahlen, dem 26.05.14, unter einer Computerpanne,
welche die Verkündung der Wahlergebnisse um fast einen Tag
verzögerte. Dies war besonders ärgerlich, da an jenem
Wahlsonntag in Belgien gleichzeitig Regionalparlaments-,
nationale Parlaments- und Europaparlamentswahlen stattfanden.
Deswegen trafen die Ergebnisse für die belgische rechtsextreme
Partei Vlaams Belang (VB, „Flämisches Interesse“) auch verspätet
ein. Unterdessen liegen sie natürlich vor.
Bei der diesjährigen Europaparlamentswahl
erhielt der VB, im Durchschnittsergebnis für ganz Belgien, 4,14
% der Stimmen (statt 9,85 % bei der vorherigen Wahl im Juni
2009). Damit behält er einen Sitz im Europaparlament. Im
niederländischsprachigen Großwahlkreis
sind es bei der diesjährigen Wahl 6,76 %; gegenüber 15,88 % bei
der EP-Wahl von 2009(1).
Bei der Regionalparlamentswahl in
Nordbelgien/Flandern erhält der VB in diesem Jahr 5,92 % der
Stimmen - ein herber Verlust im Vergleich zu den 15,28 %, welche
er noch am 07. Juni 2009 dort erzielen konnte. Und bei den
nationalen Parlamentswahl erzielt der VB im gesamtbelgischen
Ergebnis 3,7 % der Stimmen, statt zuvor 7,8 % (bei der Wahl am
13. Juni 2010). Dadurch behält er dort drei Mandate, statt
bislang zwölf. Er verliert dadurch den Fraktionsstatus.
Riesige Wahlgewinnerin ist in allen drei
Fällen die „Neue Flämische Allianz“ N-VA. Diese ist eine rechte
nationalistische Partei, welche für eine (weitgehende)
Eigenstaatlichkeit Flanderns – des niederländischsprachigen
Nordbelgien – eintritt, im Unterschied zum Vlaams Belang jedoch
keinerlei unmittelbar faschistische Wurzeln aufweist. Die
nationalistisch-konservative Partei erhielt bei den
gesamtbelgischen Parlamentswahlen 20,3 % im belgienweiten
Durchschnitt (gegenüber 2010: plus 2,9 %), bei der
Regionalparlamentswahl in Flandern 31,88 % (statt 13,06 % im
Juni 2009, als ihr Siegeszug noch erst begann). Und bei der
Europaparlamentswahl 2014 sind es im niederländischsprachigen
Großwahlkreis
in Nordbelgien 26,67 % der abgegebenen Stimmen; statt 9,88 % bei
der letzten EP-Wahl am 07. Juni 2009.
Infolge der gesammelten
Wahlergebnisse trat der bisherige VB-Vorsitzende Gerolf Annemans
von seinem Amt zurück. Der „starke Mann“ der rechtsextremen
flämischen Partei, Filip Dewinter – einer ihrer drei
verbliebenen Abgeordneten im belgischen Bundesparlament –
erklärte, er stehe für die Wahl des künftigen Vorsitzenden im
Oktober 2014 nicht zur Verfügung. Stattdessen konzentriere er
sich lieber auf sein Amt als Oppositionsführer im Stadtparlament
von Antwerpen. Unterdessen wurde der Antwerpener Bürgermeister
Bart de Wever, Chef der N-VA, vom belgischen König mit
Vorgesprächen zur Regierungsbildung in Brüssel beauftragt.
Skandinavien (zu Dänemark
vgl. oben)
Ursprünglich im Bündnis mit Front National
und FPÖ – aus dem sie inzwischen ausscherten - traten die
„Schwedendemokraten“ (SD) an. In dem skandinavischen Land
erhielten sie 9,7 % und zwei Sitze, was eine spürbare Steigerung
ihres Stimmenanteils gegenüber den Europaparlamentswahlen 2009
(damals 3,27 %, ohne Mandat) und den schwedischen
Parlamentswahlen vom September 2010 (5,70 %) darstellte. Es
genügte jedoch nur für einen fünften Platz. Nunmehr bereiten die
SD sich auf die schwedische Parlamentswahl am 14. September d.J.
vor.
Ebenfalls in Nordeuropa trat die Partei der
„Wahren Finnen“ (PS) im Nachbarstaat Finnland an, die außerhalb
der Allianz mit FN und FPÖ steht und sich wohl eher mit den
nationalkonservativen EU-Skeptikern verbünden dürfte. Sie
erhielt 12,9 % und belegte einen dritten Platz hinter
Konservativen und Zentrumspartei.
Rechtsextreme in Rumänien
und Bulgarien spürbar abgeschlagen
Schwach schnitten ferner die rumänische rechtsextreme PRM („Großrumänienpartei“)
mit rund drei Prozent und Ataka in Bulgarien mit 2,5 % der
Stimmen (minus neun Prozentpunkte) ab. Beide Formationen hatten
in der Vergangenheit zu den stärkeren rechtsextremen Parteien
des Kontinents gehört. Und anlässlich des EU-Beitritts Rumäniens
und Bulgariens hatten sie aufgrund ihrer Mandatsstärke die
damalige rechtsextreme Fraktion ITS („Identität, Tradition,
Souveränität“) ermöglichst. Letztere existierte rund neun Monate
lang, von Februar bis November 2007, brach jedoch im Anschluss
im Streit auseinander: Bei pogromartigen Ausschreitungen gegen
Roma in Rumänien hatte die italienische Europaparlamentarierin
Alessandra Mussolini, ebenfalls Mitglied der IST-Fraktion, gegen
alle Rumänen gehetzt und sich so den Zorn der rumänischen
PRM-Europaparlamentarier zugezogen. Sowohl die PRM-Vertreter als
auch die Mussolini-Enkelin zogen daraufhin im Zorn aus der
gemeinsamen Fraktion aus, die dadurch den Fraktionsstatus
verlor. Während die PRM daraufhin durch die übrigen
rechtsextremen Parteien geschnitten wurde, liebäugelte der
französische FN zeitweilig noch mit einem Bündnis mit der
bulgarischen Formation Ataka. Diese wurde jedoch im Februar 2014
durch Marine Le Pen ebenfalls von der Liste der bündnisfähigen
Parteien gestrichen. Nunmehr konnten weder die rumänischen noch
die bulgarischen Rechtsextremen einen Sitz erringen, oder auch
nur in die Reichweite eines Mandats gelangen.
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