Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Sensationsfilm mit antisemitischen Tendenzen

5/6-2014

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Ein Käsefilm und Wichsstreifen will die „Affäre Strauss-Kahn“ darstellen. Er wurde in Cannes am Rande des Kinofestivals vorgestellt

Es hätte die Sensation des Filmfestivals von Cannes und eventuell ein Kinorenner im kommenden Herbst werden sollen, doch der Hype wurde abgeblasen. Der Film Welcome von New York von Abel Ferrara wurde letztendlich nicht vor den ausgewählten oder akkreditierten Festivalgästen ausgestrahlt, sondern am Samstag, den 17. Mai 14 in einem Kino der Stadt an der Côte d’Azur vor geladenen und ungeladenen Gästen gezeigt. Dazu waren vier Säle im Kino Le Star reserviert worden, und wer Eintritt bezahlte, konnte auch ohne Akkreditierung für das Festival dabei sein.

Genau eine halbe Stunde nach Vorführungsbeginn konnte der Streifen zudem, gegen Onlinebezahlung von sieben Euro, auf diversen Webseiten und Portalen im Internet heruntergeladen werden. So wurde es zunächst angekündigt, in Wirklichkeit war das Herunterladen dann erst gegen Mitternacht möglich. Jedenfalls schied der 120 Minuten dauernde Film dadurch aus der Bewerbung für die Goldene Palme, den Filmpreis von Cannes, definitiv aus. Ende Mai 14 war in der französischen Boulevardpresse zu lesen, mittlerweile sei der Film nach zwölf Tagen insgesamt 100.000 mal heruntergeladen worden.

Bereits im Vorfeld hatte der Spielfilm, den Ferrara seit Anfang 2012 angekündigt hatte, aus mehreren Gründen für Polemiken gesorgt. Inzwischen steht auch die Androhung einer Strafanzeige im Raum. Sie zu erstatten, hat Dominique Strauss-Kahn, der frühere Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und französische Putativ-Präsidentschaftskandidaten, seine Anwälte beauftragt. Als er die Anzeige am Montag, den 19.05.14 im Radiosender Europe 1 ankündigte, kommentierte Strauss-Kahns Rechtsanwalt Jean Veil dazu, der Film sei – so wörtlich - „ein Stück Scheiße, ein Brocken Hundekacke“. Er fügte hinzu, Welcome in New York enthalte „einen Part Antisemitismus“.

Dominique Strauss-Kahn, in der französischen Politik allgemein als „DSK“ bekannt, fühlt sich persönlich durch Aussagen in dem Film diffamiert - weil er suggeriere, er habe sich einer Vergewaltigung an der Zimmerfrau Nafissatou Diallo schuldig gemacht. Dies ist vielleicht das schwächste der zahlreichen Argumente, die sich gegen den Film einwenden ließen.  

Die halbe Welt hatte die „DSK-Affäre“ verfolgt, als der damals mächtige Wirtschaftsmann und Politiker am 14. Mai 2011 am Flughafen von New York festgenommen wurde und einige Stunden später in Handschalen zwischen den Blitzlichtern Spalier laufen musste. Ihm wurde vorgeworfen, die aus Guinea stammende junge Hotelangestellte des New Yorker Sofitel vergewaltigt zu haben: Strauss-Kahn sei aus der Dusche gekommen und habe Diallo überrascht. Diese habe in dem Zimmer zu arbeiten begonnen, weil sie überzeugt gewesen sei, die Suite sei leer. Gegen Zahlung einer hohen Kaution war Strauss-Kahn zwar nach wenigen Tagen aus der Untersuchungshaft freigekommen, musste aber in einer eigens angemieteten Wohnung in Manhattan unter hohen Sicherheitsvorkehrungen vor Ort ausharren, bis die US-amerikanische Justiz eine Entscheidung fällen konnte. Im August desselben Jahres stellte diese dann das Strafverfahren ein, mangels ausreichender hieb- und stichfester Beweise. Doch das Zivilverfahren, in dem Nafissatou Diallo auf Schadensersatz klagte, lief parallel dazu weiter. Es endete im Dezember 2012 mit einem „Vergleich“. Die Summe, die dabei floss, wurde zunächst geheim gehalten. Im darauf folgenden Januar vermeldete dann die Weltpresse, „DSK“ habe anderthalb Millionen Dollar dafür bezahlt, dass Diallo ihre Zivilklage nicht weiterverfolge.

Die Tatsache, dass Strauss-Kahn anderthalb Millionen für die Einstellung dieses Zivilverfahrens locker machte, spricht ebenso gegen seine totale Unschuld in dieser Angelegenheit wie seine eigenen Worte. Er bestritt zwar den Vergewaltigungsvorwurf, räumte jedoch selbst explizit ein „unangemessenes“ sexuelles Verhalten (inappropriate behavior) gegenüber der Hotelangestellten ein.

Seitdem hat Strauss-Kahn in Frankreich, wo seine politische Karriere beendet ist, einen eindeutigen Ruf weg. Die satirische Puppensendung Les Guignols de l’info zeigt ihn seit Jahren ausschließlich im Bademantel, und er tritt quasi allwöchentlich mit dem Satz auf den Lippen in Erscheinung: „Verzeihen Sie mit meinen Aufzug, ich komme gerade aus der Dusche!“ Infolge des Skandals in New York ist das breite Publikum heute über die Sexsucht Strauss-Kahns und seinen wenig pingeligen Umgang mit „willigen“ oder bisweilen auch „unwilligen“ Frauen informiert. Ein Strafverfahren wegen „Zuhälterei“ ist im Gange und wird wahrscheinlich 2015 in Nordfrankreich zur Verhandlung kommen; es geht dabei um Sexpartys im Carlton-Hotel in Lille. Strauss-Kahn bestreitet lediglich, gewusst zu haben, dass die teilnehmenden Frauen bezahlte Prostituierte gewesen seien. Der Hauptorganisator der Abende, Dominique Adelweireld alias „Dodo la saumure“, eröffnete vor kurzem einen Sexclub in seinem Herkunftsland Belgien unter der Bezeichnung „DSK“, für „Dodo Sex Klub“. Strauss-Kahn will allerdings gegen den Namen klagen, wie er im April 14 ankündigte.

Ansonsten hat Strauss-Kahn heute mit der aktiven Politik abgeschlossen und sich ins Geschäftsleben gestürzt. Im vergangenen Jahr beriet er die serbische Regierung in Wirtschaftsfragen. Doch diese setzte dem Vertrag ein Ende, weil sie zur Auffassung kam, seiner üppigen Bezahlung hätten wenig Gegenleistungen entsprochen.

Das Publikum dürfte also weithin eine einschlägige Meinung über DSK haben, und zum Gutteil aus voyeuristischen Gründen an einem Film über ihn interessiert sei. Das Opus von Abel Ferrara hat zwar Spielfilm- und nicht dokumentarischen Charakter. Aber seit seiner Ankündigung von Anfang 2012 hat der Regisseur nie den Hauch eines Zweifels daran gelassen, dass er einen Film „über die DSK-Affäre“ präsentieren wolle. Der Gegenstand von Welcome to New York unterliegt also keinerlei Zweifel. Zumal er bewusst in derselben Wohnung gedreht wurde, die Strauss-Kahn damalige Ehefrau Anne Sinclair – die im Sommer 2012 ihre Trennung bekannt gab – in Manhattan angemietet hatte, so lange Strauss-Kahn nicht aus der Stadt ausreisen konnte. Auch wenn die Hauptpersonen fiktive Namen tragen: Die Figur von „DSK“ heißt in dem Film Deveraux – das klingt ungefähr wie véreux, ungefähr „verkommen“ oder „skrupellos“ –, die von Anne Sinclair wird nur unter ihrem Vornamen „Simone“ eingeführt, und die Zimmerfrau trägt keinen Namen.

Déveraux wird von Gérard Dépardieu gespielt, dessen Interview mit nordamerikanischen Journalistinnen bei Eröffnung des Films dem eigentlichen Geschehen vorausgestellt wird. Dépardieu begründet darin, warum er die Rolle angenommen hat: „Ich mag ihn nicht“, gemeint ist Strauss-Kahn, und ermöge überhaupt keine Politiker, denn: „Ich bin Individualist, ich bin Anarchist.“ Jedenfalls von Dépardieu kommend ist diese Propaganda in eigener Sache eine Unverschämtheit, denn in den letzten beiden Jahren wurde Dépardieu dafür bekannt, wie er den Machtmenschen Wladimir Putin umschwärmte. Aus steuerlichen Gründen hatte Dépardieu seinen Wohnsitz zuerst nach Belgien und von dort nach Russland verlegt, wo er nun formal in Mordawien wohnt, einer Region, die ansonsten fast allein für ihre ausgedehnten Haftanlagen bekannt ist. „Simone“ sollte zunächst von Isabelle Adjani gespielt werden, die aber Anfang 2013 das Handtuch warf, weil ihr die Sache anscheinend zu voyeuristisch wurde. Ihre Rolle übernahm daraufhin die britische Schauspielerin Jacqueline Bisset, die wenigste als einzige Darstellerin in dem Film wirklich gut spielt.

Das Werk Ferraras ergreift Partei zu der Frage, wie es sich im Sofitel von New York zugetragen haben könnte: Deveraux versucht, sich an der Zimmerfrau zu vergreifen, und als diese sich wehrt, onaniert er auf sie. So könnte es sich vielleicht zugetragen haben. Ansonsten sind jedoch viele Details zweifelhaft bis falsch.

Unglaubwürdig ist das ausgesprochen schlechte Englisch, das der DSK-Darsteller Gérard Dépardieu an den Tag legt. Zweifelhaft ist, dass Strauss-Kahn und Sinclair miteinander Englisch reden und nur gelegentlich ins Französische switchen. Uninteressant ist, dass der Film zunächst mit einer halben Stunde beginnt, die vorwiegend aus Fickszenen besteht – Strauss-Kahn feiert eine Gruppensexparty auf seinem Hotelzimmer, um im Anschluss daran selbst mit zwei russischen Prostituierten zu vögeln. Dies alles wird relativ detailreich gezeigt, wohl, um das Interesse eines bestimmten Publikums zu befriedigen.

Zur Aufklärung der Affäre trägt dies nichts bei. Aber auch die in den letzten zehn Minuten eingeblendeten Streitgespräche zwischen „Simone“ und Deveraux, dessen kurze innere Dialoge und Selbstgespräche sind in ihrem Inhalt sowohl spekulativ als auch wenig erhellend. Deveraux zeigt sich zu keinerlei Einsicht und Reue fähig, wirft jedoch seiner Ehefrau vor, sie habe ihm die Rolle eines künftigen Staatspräsidenten antragen wollen, in der er selbst sich gar nicht wohl fühle.

Dies ist jedoch noch nicht das Schlimmste. Denn Abel Ferrara hat noch eigene Thesen in den Film eingeflochten, die zu den heftigsten Reaktionen führten. „Simone“ taucht in dem Film zum ersten Mal in der 49. Minute auf, in einer Szene, wo sie vor anscheinend jüdischen Menschen das Werk ihrer finanzkräftigen Stiftungen vorstellt. Dabei lobt ein Mann in einer unglaublich karikaturreifen Fistelstimme mit starkem Akzent ihren unermüdlichen „Einsatz für Israel“. In derselben Augenblick wird die Frau als schwerreich, unablässlich für Israel arbeitend und von entsprechenden Leuten umgeben dargestellt. Knapp vierzig Minuten später kommt es zu einem Streitgespräch zwischen ihr und Deveraux. Dabei wagt Letzterer eine Anspielung auf die angebliche Herkunft des familiären Vermögens einer Ehefrau, die zum einzigen Streit zwischen den beiden führt – „Simone“ ohrfeigt ihren Mann daraufhin. Deveraux spricht davon, was „Dein Vater im Krieg gemacht“ habe, spielt auf die Jahreszahl 1945 an. Und darauf, dass bei des Vaters Tod „sein Sarg schön geschmückt war, es aber trotzdem übel gerochen“ hat.

Die wahre Anne Sinclair ist zwar Millionärin – aus ihrem Vermögen hat sie bekanntlich die Kaution für Dominique Strauss-Kahn und die astronomisch hohe Miete für die Wohnung in Manhattan bezahlt. Und sie ist auch jüdischer Herkunft. Ihr Einsatz für Israel steht bereits weniger fest, und es ist eher ihr früherer Mann, dem aus israelkritischen Kreisen immer wieder eine einschlägige Rede aus dem Jahr 1991 vorgeworfen wurde. Damals beschwor er aus durchsichtigen politischen Gründen vor Vertretern pro-israelischer Kreise seine „ewige Verbundenheit mit dem Staat Israel“; das Video machte später die Runde, und insbesondere Antisemiten bezogen sich immer wieder gern darauf. Absolut widerlich ist aber, einen pro-faschistischen oder mit der Nazi-Kollaboration zusammenhängenden Ursprung von Anne Sinclairs Familienvermögen zu konstruieren. Letzteres stammt nicht von ihrem Vater, sondern von ihrem Großvater, Paul Grünberg. Er war in keinerlei Verbrechen verstrickt, sondern bewies als Kunsthändler Kompetenz und hatte Glück. Unter dem Vichy-Regime und der Nazibesatzung musste er fliehen, weil er sonst als Jude ermordet worden wäre. Ihr Vater war bis zum Kriegsende als Widerstandskämpfer aktiv.

Anders als ihr Ex-Mann will Anne Sinclair keine Strafanzeige erstatten, sondern verkündete über ihr französisch-nordamerikanisches Zeitungsprojekt Huffington Post, sie empfinde „Ekel“ bezüglich Abel Ferraras Film. Auch Le Monde – der Zeitung zufolge ist der Film „nicht zu retten“ – und Le Figaro prangerten dessen antisemitische Tendenzen an. Ferrara reagierte von Cannes aus, er sei „kein Antisemit“ oder „hoffe dies jedenfalls“, denn er sei „von jüdischen Frauen aufgezogen worden“. Ein schwaches Dementi.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.