Ein Käsefilm und
Wichsstreifen will die „Affäre Strauss-Kahn“ darstellen. Er
wurde in Cannes am Rande des Kinofestivals vorgestellt
Es hätte die Sensation des Filmfestivals von
Cannes und eventuell ein Kinorenner im kommenden Herbst werden
sollen, doch der Hype wurde abgeblasen. Der Film Welcome von
New York von Abel Ferrara wurde
letztendlich nicht vor den ausgewählten oder akkreditierten
Festivalgästen ausgestrahlt, sondern am Samstag, den 17. Mai 14
in einem Kino der Stadt an der Côte d’Azur vor geladenen und
ungeladenen Gästen gezeigt. Dazu waren vier Säle im Kino Le Star
reserviert worden, und wer Eintritt bezahlte, konnte auch ohne
Akkreditierung für das Festival dabei sein.
Genau eine halbe Stunde nach
Vorführungsbeginn konnte der Streifen zudem, gegen
Onlinebezahlung von sieben Euro, auf diversen Webseiten und
Portalen im Internet heruntergeladen werden. So wurde es
zunächst angekündigt, in Wirklichkeit war das Herunterladen dann
erst gegen Mitternacht möglich. Jedenfalls schied der 120
Minuten dauernde Film dadurch aus der Bewerbung für die Goldene
Palme, den Filmpreis von Cannes, definitiv aus. Ende Mai 14 war
in der französischen Boulevardpresse zu lesen, mittlerweile sei
der Film nach zwölf Tagen insgesamt 100.000 mal heruntergeladen
worden.
Bereits im
Vorfeld hatte der Spielfilm, den Ferrara seit Anfang 2012
angekündigt hatte, aus mehreren Gründen für Polemiken gesorgt.
Inzwischen steht auch die Androhung einer Strafanzeige im Raum.
Sie zu erstatten, hat Dominique Strauss-Kahn, der frühere
Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und
französische Putativ-Präsidentschaftskandidaten, seine Anwälte
beauftragt. Als er die Anzeige am Montag, den 19.05.14 im
Radiosender Europe 1 ankündigte, kommentierte Strauss-Kahns
Rechtsanwalt Jean Veil dazu, der Film sei – so wörtlich -
„ein Stück Scheiße,
ein Brocken Hundekacke“.
Er fügte hinzu,
Welcome in New York enthalte
„einen
Part Antisemitismus“.
Dominique
Strauss-Kahn, in der französischen Politik allgemein als „DSK“
bekannt, fühlt sich persönlich durch Aussagen in dem Film
diffamiert - weil er suggeriere, er habe sich einer
Vergewaltigung an der Zimmerfrau Nafissatou Diallo schuldig
gemacht. Dies ist vielleicht das schwächste der zahlreichen
Argumente, die sich gegen den Film einwenden ließen.
Die halbe Welt hatte
die „DSK-Affäre“ verfolgt, als der damals mächtige
Wirtschaftsmann und Politiker am 14. Mai 2011 am Flughafen von
New York festgenommen wurde und einige Stunden später in
Handschalen zwischen den Blitzlichtern Spalier laufen musste.
Ihm wurde vorgeworfen, die aus Guinea stammende junge
Hotelangestellte des New Yorker Sofitel vergewaltigt zu haben:
Strauss-Kahn sei aus der Dusche gekommen und habe Diallo
überrascht. Diese habe in dem Zimmer zu arbeiten begonnen, weil
sie überzeugt gewesen sei, die Suite sei leer. Gegen Zahlung
einer hohen Kaution war Strauss-Kahn zwar nach wenigen Tagen aus
der Untersuchungshaft freigekommen, musste aber in einer eigens
angemieteten Wohnung in Manhattan unter hohen
Sicherheitsvorkehrungen vor Ort ausharren, bis die
US-amerikanische Justiz eine Entscheidung fällen konnte. Im
August desselben Jahres stellte diese dann das Strafverfahren
ein, mangels ausreichender hieb- und stichfester Beweise. Doch
das Zivilverfahren, in dem Nafissatou Diallo auf Schadensersatz
klagte, lief parallel dazu weiter. Es endete im Dezember 2012
mit einem „Vergleich“. Die Summe, die dabei floss, wurde
zunächst geheim gehalten. Im darauf folgenden Januar vermeldete
dann die Weltpresse, „DSK“ habe anderthalb Millionen Dollar
dafür bezahlt, dass Diallo ihre Zivilklage nicht weiterverfolge.
Die Tatsache, dass Strauss-Kahn anderthalb
Millionen für die Einstellung dieses Zivilverfahrens locker
machte, spricht ebenso gegen seine totale Unschuld in dieser
Angelegenheit wie seine eigenen Worte. Er bestritt zwar den
Vergewaltigungsvorwurf, räumte jedoch selbst explizit ein
„unangemessenes“ sexuelles Verhalten (inappropriate behavior)
gegenüber der Hotelangestellten ein.
Seitdem hat
Strauss-Kahn in Frankreich, wo seine politische Karriere beendet
ist, einen eindeutigen Ruf weg. Die satirische Puppensendung
Les
Guignols de l’info
zeigt ihn seit Jahren ausschließlich
im Bademantel, und er tritt quasi allwöchentlich mit dem Satz
auf den Lippen in Erscheinung:
„Verzeihen Sie mit meinen Aufzug, ich komme gerade aus der
Dusche!“
Infolge des Skandals in New York ist das breite Publikum heute
über die Sexsucht Strauss-Kahns und seinen wenig pingeligen
Umgang mit „willigen“ oder bisweilen auch „unwilligen“ Frauen
informiert. Ein Strafverfahren wegen „Zuhälterei“ ist im Gange
und wird wahrscheinlich 2015 in Nordfrankreich zur Verhandlung
kommen; es geht dabei um Sexpartys im Carlton-Hotel in Lille.
Strauss-Kahn bestreitet lediglich, gewusst zu haben, dass die
teilnehmenden Frauen bezahlte Prostituierte gewesen seien. Der
Hauptorganisator der Abende, Dominique Adelweireld alias „Dodo
la saumure“, eröffnete vor kurzem einen Sexclub in seinem
Herkunftsland Belgien unter der Bezeichnung „DSK“, für „Dodo Sex
Klub“. Strauss-Kahn will allerdings gegen den Namen klagen, wie
er im April 14 ankündigte.
Ansonsten hat
Strauss-Kahn heute mit der aktiven Politik abgeschlossen und
sich ins Geschäftsleben gestürzt. Im vergangenen Jahr beriet er
die serbische Regierung in Wirtschaftsfragen. Doch diese setzte
dem Vertrag ein Ende, weil sie zur Auffassung kam, seiner
üppigen Bezahlung hätten wenig Gegenleistungen entsprochen.
Das Publikum
dürfte also weithin eine einschlägige Meinung über DSK haben,
und zum Gutteil aus voyeuristischen Gründen an einem Film über
ihn interessiert sei. Das Opus von Abel Ferrara hat zwar
Spielfilm- und nicht dokumentarischen Charakter. Aber seit
seiner Ankündigung von Anfang 2012 hat der Regisseur nie den
Hauch eines Zweifels daran gelassen, dass er einen Film „über
die DSK-Affäre“ präsentieren wolle. Der Gegenstand von
Welcome to New York
unterliegt also keinerlei Zweifel. Zumal er bewusst in derselben
Wohnung gedreht wurde, die Strauss-Kahn damalige Ehefrau Anne
Sinclair – die im Sommer 2012 ihre Trennung bekannt gab – in
Manhattan angemietet hatte, so lange Strauss-Kahn nicht aus der
Stadt ausreisen konnte. Auch wenn die Hauptpersonen fiktive
Namen tragen: Die Figur von „DSK“ heißt
in dem Film Deveraux – das klingt ungefähr wie
véreux,
ungefähr „verkommen“ oder „skrupellos“ –, die von Anne Sinclair
wird nur unter ihrem Vornamen „Simone“ eingeführt, und die
Zimmerfrau trägt keinen Namen.
Déveraux wird von Gérard Dépardieu gespielt,
dessen Interview mit nordamerikanischen Journalistinnen bei
Eröffnung des Films dem eigentlichen Geschehen vorausgestellt
wird. Dépardieu begründet darin, warum er die Rolle angenommen
hat: „Ich mag ihn nicht“, gemeint ist Strauss-Kahn, und ermöge
überhaupt keine Politiker, denn: „Ich bin Individualist, ich
bin Anarchist.“ Jedenfalls von
Dépardieu kommend ist diese Propaganda in eigener Sache eine
Unverschämtheit, denn in den letzten beiden Jahren wurde
Dépardieu dafür bekannt, wie er den Machtmenschen Wladimir Putin
umschwärmte. Aus steuerlichen Gründen hatte Dépardieu seinen
Wohnsitz zuerst nach Belgien und von dort nach Russland verlegt,
wo er nun formal in Mordawien wohnt, einer Region, die ansonsten
fast allein für ihre ausgedehnten Haftanlagen bekannt ist.
„Simone“ sollte zunächst von Isabelle Adjani gespielt werden,
die aber Anfang 2013 das Handtuch warf, weil ihr die Sache
anscheinend zu voyeuristisch wurde. Ihre Rolle übernahm
daraufhin die britische Schauspielerin Jacqueline Bisset, die
wenigste als einzige Darstellerin in dem Film wirklich gut
spielt.
Das Werk Ferraras
ergreift Partei zu der Frage, wie es sich im Sofitel von New
York zugetragen haben könnte: Deveraux versucht, sich an der
Zimmerfrau zu vergreifen, und als diese sich wehrt, onaniert er
auf sie. So könnte es sich vielleicht zugetragen haben.
Ansonsten sind jedoch viele Details zweifelhaft bis falsch.
Unglaubwürdig ist das
ausgesprochen schlechte Englisch, das der DSK-Darsteller Gérard
Dépardieu an den Tag legt. Zweifelhaft ist, dass Strauss-Kahn
und Sinclair miteinander Englisch reden und nur gelegentlich ins
Französische switchen. Uninteressant ist, dass der Film zunächst
mit einer halben Stunde beginnt, die vorwiegend aus Fickszenen
besteht – Strauss-Kahn feiert eine Gruppensexparty auf seinem
Hotelzimmer, um im Anschluss daran selbst mit zwei russischen
Prostituierten zu vögeln. Dies alles wird relativ detailreich
gezeigt, wohl, um das Interesse eines bestimmten Publikums zu
befriedigen.
Zur Aufklärung der
Affäre trägt dies nichts bei. Aber auch die in den letzten zehn
Minuten eingeblendeten Streitgespräche zwischen „Simone“ und
Deveraux, dessen kurze innere Dialoge und Selbstgespräche sind
in ihrem Inhalt sowohl spekulativ als auch wenig erhellend.
Deveraux zeigt sich zu keinerlei Einsicht und Reue fähig, wirft
jedoch seiner Ehefrau vor, sie habe ihm die Rolle eines
künftigen Staatspräsidenten antragen wollen, in der er selbst
sich gar nicht wohl fühle.
Dies ist jedoch noch
nicht das Schlimmste. Denn Abel Ferrara hat noch eigene Thesen
in den Film eingeflochten, die zu den heftigsten Reaktionen
führten. „Simone“ taucht in dem Film zum ersten Mal in der 49.
Minute auf, in einer Szene, wo sie vor anscheinend jüdischen
Menschen das Werk ihrer finanzkräftigen Stiftungen vorstellt.
Dabei lobt ein Mann in einer unglaublich karikaturreifen
Fistelstimme mit starkem Akzent ihren unermüdlichen „Einsatz für
Israel“. In derselben Augenblick wird die Frau als schwerreich,
unablässlich für Israel arbeitend und von entsprechenden Leuten
umgeben dargestellt. Knapp vierzig Minuten später kommt es zu
einem Streitgespräch zwischen ihr und Deveraux. Dabei wagt
Letzterer eine Anspielung auf die angebliche Herkunft des
familiären Vermögens einer Ehefrau, die zum einzigen Streit
zwischen den beiden führt – „Simone“ ohrfeigt ihren Mann
daraufhin. Deveraux spricht davon, was „Dein Vater im Krieg
gemacht“ habe, spielt auf die Jahreszahl 1945 an. Und darauf,
dass bei des Vaters Tod „sein Sarg schön geschmückt war, es aber
trotzdem übel gerochen“ hat.
Die wahre Anne
Sinclair ist zwar Millionärin – aus ihrem Vermögen hat sie
bekanntlich die Kaution für Dominique Strauss-Kahn und die
astronomisch hohe Miete für die Wohnung in Manhattan bezahlt.
Und sie ist auch jüdischer Herkunft. Ihr Einsatz für Israel
steht bereits weniger fest, und es ist eher ihr früherer Mann,
dem aus israelkritischen Kreisen immer wieder eine einschlägige
Rede aus dem Jahr 1991 vorgeworfen wurde. Damals beschwor er aus
durchsichtigen politischen Gründen vor Vertretern
pro-israelischer Kreise seine „ewige Verbundenheit mit dem Staat
Israel“; das Video machte später die Runde, und insbesondere
Antisemiten bezogen sich immer wieder gern darauf. Absolut
widerlich ist aber, einen pro-faschistischen oder mit der
Nazi-Kollaboration zusammenhängenden Ursprung von Anne Sinclairs
Familienvermögen zu konstruieren. Letzteres stammt nicht von
ihrem Vater, sondern von ihrem Großvater,
Paul Grünberg. Er war in keinerlei Verbrechen verstrickt,
sondern bewies als Kunsthändler Kompetenz und hatte Glück. Unter
dem Vichy-Regime und der Nazibesatzung musste er fliehen, weil
er sonst als Jude ermordet worden wäre. Ihr Vater war bis zum
Kriegsende als Widerstandskämpfer aktiv.
Anders als ihr Ex-Mann will Anne Sinclair
keine Strafanzeige erstatten, sondern verkündete über ihr
französisch-nordamerikanisches Zeitungsprojekt Huffington
Post, sie empfinde „Ekel“ bezüglich Abel Ferraras Film. Auch
Le Monde – der Zeitung zufolge ist der Film „nicht zu
retten“ – und Le Figaro
prangerten dessen antisemitische Tendenzen an. Ferrara reagierte
von Cannes aus, er sei „kein Antisemit“ oder „hoffe dies
jedenfalls“, denn er sei „von jüdischen Frauen aufgezogen
worden“. Ein schwaches Dementi.
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