Wohnungspolitik jenseits der Klassen
Andrej Holms vulgärökonomische
Behandlung der Wohnungsfrage

Eine Rezension seines Buches „Mietenwahnsinn“
von Karl-Heinz Schubert

5/6-2014

trend
onlinezeitung

KNAUR KLARTEXT
für jeden, der den Mietenwahnsinn nicht mehr mitmachen will
[Werbetext auf der Buchrückseite]

Andrej Holm gilt nicht nur in den linken Spektren als der stadtpolitische Experte schlechthin. Nun hat er sich auf das Feld der ökonomischen Analyse der kapitalistischen Wohnungswirtschaft vorgewagt und im März 2014 ein Taschenbuch mit dem reißerischen Titel „Mietenwahnsinn“ in der Knaur-Reihe Klartext veröffentlicht. In der Einleitung seines Buch formuliert Andrej Holm, warum er die Frage „Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert“ untersuchen will.

„Dieses Buch soll helfen, die Prinzipien des Immobilienmarktes zu verstehen, die Logik der Akteure kennenzulernen und sich ein Bild von den Regulationsversuchen des Staates zu machen.“ (S.8)

Schon die Wortwahl lässt Einiges befürchten. Prinzipien sollen die LeserInnen kennenlernen und verstehen. Ja von welcher Art werden diese sein? Eher axiomatisch, auf Postulate des Autors gestützt oder wird Systematisches aus dem Gegenstand selbst Entwickeltes geboten? Wen meint der Autor mit Akteuren? Irgendwelche Einzelne, ganz im Sinnes des bürgerlichen Soziologen Ferdinand Tönnies? Wäre naheliegend, denn der Autor ist gelernter Soziologie – Fachgebiet Stadt. StadtsoziologInnen wiederum sprechen gerne von Akteuren und meinen dann Planungsprozessbeteiligte und Planungsbetroffene. Wen meint Holm? In solche theoretischen Unkosten will sich unser Autor schon „mit Rücksicht auf die Lesbarkeit“ seines Buches nicht stürzen, deshalb verzichtet er ausdrücklich auf „die akademischen Zitationsregeln mit Fußnoten und ausführlichen Literaturlisten“. „Akteure“, das bleibt in seinem Buch durchgängig eine interaktionistische Worthülse für Diskursbeteiligte. (1) Auch bei der anschließenden Benennung der Zielgruppe seines Buches wird Holm nicht konkreter: Es sind soziologisch ganz unspezifisch von Verdrängung und/oder Mieterhöhungen bedrohte MieterInnen. Insofern deutet sich bereits in der Einleitung seines Buches an, dass wir es nur mit einer propädeutischen bzw. vorwissenschaftlichen – oder wie zu zeigen sein wird – mit einer vulgärökonomischen Behandlung des Gegenstandes zu tun haben werden.

Besonders Kapitel 2 und 3 des ersten Teils des Buches dienen der Unterrichtung der Leserinnen über die „Prinzipien des Immobilienmarktes“. Dort erfahren sie erst einmal, was bereits Monopoly spielende Kinder wissen, nämlich dass die Wohnung eine Ware ist, mit der gehandelt wird, um mit ihr Gewinn zu machen. Auch dürften LeserInnen nicht besonders überrascht sein, wenn Holm darauf verweist, das sich dieses Gewinnmachen besser verstehen lässt, wenn man begreift, dass diese Ware auch Kapital sein kann, das Zinsen abwirft.

„Mieten sind also eigentlich immer Zinsen, die erst an die Bank gehen und später das Eigenkapital des Eigentümers vermehren.“(S.47)

Was Holms LeserInnen anstelle dieser und anderer bisweilen blumig vorgetragener monetärer Verkürzungen jedoch nicht erfahren, ist wodurch Wertsubstanz und Wertgröße einer Immobilie produziert und als Gravitationsfeld der Miete bestimmt werden. Möge Holm noch so viele Begriffe der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie für seine „prinzipiellen“ Unterrichtungen entlehnen, er hat schlicht nicht begriffen, dass bei der Analyse der kapitalistischen Profitmacherei mit Wohnraum in Gestalt von Zins oder Handelsprofit zunächst von der (Wert-)Produktion der Ware „Immobilie“ auszugehen ist (2) und nicht von den monetären Realisierungsformen des Werts in der Zirkulationsphäre. Durch seine verkürzte Behandlung des Leihkapitals Wohnung fixiert Holm die LeserInnen auf die fetischisierte Revenueform (Miet-)Zins, anstatt sie aufzulösen. Insofern verdunkelt Holm einen Kapitalismus typischen Zusammenhang, den Marx in seiner Kritik der Vulgärökonomie folgendermaßen zusammenfasst:

„Geld oder Ware wird so nicht als Geld oder Ware verkauft, sondern in zweiter Potenz, als Kapital, als sich vermehrendes Geld oder Warenwert. Es vermehrt sich nicht nur, sondern erhält sich im Gesamtprozeß der Produktion. Es bleibt daher als Kapital bei dem Verkäufer, kehrt zu ihm zurück. Der Verkauf besteht darin, daß ein Dritter, der es als produktives Kapital verwendet, von seinem Profit, den er durch dies Kapital macht, bestimmten Teil dem Besitzer des Kapitals zu zahlen [hat].“ (3)

Die Konsequenzen daraus sind weniger literarischer und denktheoretischer, sondern politischer Natur, wenn Marx daraus schlußfolgert:

„Es ist daher klar, warum die oberflächliche Kritik, ganz wie sie die Ware will und das Geld bekämpft, so sich jetzt mit ihrer reformierenden Weisheit gegen das zinstragende Kapital wendet, ohne die wirkliche kapitalistische Produktion anzutasten, nur eins ihrer Resultate angreift. Diese Polemik gegen das zinstragende Kapital vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion aus, die heutzutag als „Sozialismus" sich aufbläht, findet sich übrigens als Entwicklungsmoment des Kapitals selbst z.B. im 17.Jahrhundert, wo der industrielle Kapitalist sich erst gegen den altmodischen Wucherer, der ihm damals noch übermächtig, durchzusetzen hatte.“ (4)

Holm stellt sich mit seinem Buch genau in jene Reihe von „Sozialisten“, die viel von sozialer Gerechtigkeit reden, sich dabei auch rund um die Uhr dafür engagieren und dennoch nicht zum Kern der Dinge vorstoßen, indem sie die Ursachen der gesellschaftlichen Ungleichheit in der ungerechten Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums suchen, statt sich in der Analyse der Produktion der gesellschaftlichen Produktions- und Konsumgüter zuzuwenden. Dort stieße Holm nämlich notwendigerweise auf den Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, entdeckte gesellschaftliche Klassen und Klasseninteressen und könnte schlußendlich „seine“ Akteure konkret als das bezeichnen, was sie sind, als Träger und/oder Exekutor ökonomischer Funktionen. Auch würde eine derartig aufgebaute Ableitung der „Prinzipien des Immobilienmarktes“, deutlich werden lassen, dass auf kapitalistischer Grundlage die Wohnfrage für die Lohnabhängigenklasse grundsätzlich nicht lösbar ist.

Oder wie es im Kommunistischen Manifest dazu heißt:

„Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, daß er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die anderen Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw.“ (5)

Indem Holm das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital und die damit zusammenhängenden Klassenverhältnisse gar nicht im Blick hat, konstruiert er im zweiten Teil seines Buches den Staat als eine von der ökonomischen Basis losgelöste Institution, die einer so genannten sozialen Gerechtigkeit in Sachen Wohnungspolitik Geltung verschaffen könnte. Mit Blick zurück tischt er uns sogar die eine oder andere Legende auf, etwa wenn er den LeserInnen erzählt, dass die BRD früher ein „intervenierender Wohnfahrtstaat“ gewesen sei, wo „breite Schichten der Bevökerung über Jahrzehnte hinweg mit angemessenen Wohnungen versorgt“ wurden (S.100).

Der Mythos vom BRD-Wohlfahrtsstaat - einmal argumentativ eingeführt - soll nun bei den LeserInnen die Hoffnung stiften, dass Wohnungsnot und Mietpreistreiberei überwunden werden könnten, wenn es nicht nur bei "Regulationsversuchen" bliebe. Die Schuld für solche unzulängliche staatliche Steuerung der Immobilienwirtschaft liegt laut Holm bei Politikern, die „nun einmal nicht über eine ausreichende und selbständige Fachkompetenz“ verfügen und daher auf „Immobilienverbände, Vertreter der Bauwirtschaft, Architektenverbände und Stadtplaner“ angewiesen sind. (S.182) Durch diese Art der Personalisierung von Entscheidungen behalten einerseits die ökonomischen Bedingtheiten, die die Basis für diese Entscheidungen bilden, ihren Fetischcharakter und - Klassenwidersprüche werden stattdessen sprachlich in „strukturelle Widersprüche“ transformiert (S.180). Andererseits wird damit die Tatsache verdunkelt, dass die BRD-Wohnungspolitik immer die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen widerspiegelt - und die sogenannten sozialen Erungenschaften vergangener Jahrzehnte das Ergebnisse einer starken ArbeiterInnenwegung gewesen sind.

Holms „falsche Konkretheit“(6) ist aber vor allem das ideologisches Vehikel für ein wohnungspolitisches Reformprogramm jenseits der Klassen, dessen Eckpunkte im letzten Abschnitt seines Buches „Bedingungen für eine Grundversorgung mit sozialen Wohnraum“ folgendermaßen lauten: Wohnen ist ein Grundrecht, daher Ablösung der Wohnungsversorgung von der Marktabhängigkeit, stattdessen Wohnungsversorgung als öffentliche Aufgabe. Um dieses Ziel durchzusetzen, muss die bestehende Fragmentierung der Kiezinitiativen, Mieterorganisationen und stadtpolitischen Protestmobilisierungen überwunden werden. (S.186-190)

Dem ist entgegen zu halten, hätte Holm nicht an den ökonomischen Grundlagen der kapitalistischen Wohnungswirtschaft vorbei fabuliert, dann hätte er tatsächlich Eckpunkte eines antikapitalistischen wohnungspolitischen Programms formulieren können, die sich dadurch auszeichnen, dass in die Verwertungslogik des Kapitals eingegriffen wird. So eine Politik würde zu allererst dort ansetzen, wo die Produktion des Wertes erfolgt und nicht dort, wo seine Realisierung stattfindet, denn der Profit mit der Immobilie basiert auf der unentgeldlichen Einverleibung des Mehrwerts durch das Kapital, während die Spekulation nur der Schmierstoff in der Konkurrenz ist.

Holms Verständnis von „öffentliche Versorgung“ hingegen ignoriert völlig, dass auch bei staatlich regulierter Verteilung zur Begrenzung der Spekulation die Profitmacherei der Baukapitalisten ungebrochen weiterwirkt. Das dem so ist, hätte Holm spätestens dann auffallen müssen, als er für sein Reformvorhaben "Grundversorgung mit sozialen Wohnraum" die Geschichte des „Roten Wien“ erwähnt (118f). Dort liest man nämlich:

„Bis 1922 vergrößerte sich der Grundbesitz der Gemeinde Wien von 5.487 ha. auf 57.670 ha., und Anfang 1924 war die Stadt bereits größter Grundbesitzer und verfügte über 2,6 Millionen Quadratmeter Bauland. Insgesamt gab die Gemeinde Wien von 1923 bis 1931 66,8 Millionen Schilling für den Ankauf von Bauland aus. Damit war nicht nur dem kommunalen Wohnbau gedient, sondern auch der Grundstückspekulation ein Riegel vorgeschoben. Mittels neu gegründeter gemeindeeigener Baustofflieferanten und Baufirmen, sowie durch die Funktionalisierung der kommunalen Verkehrsbetriebe als städtische Transportunternehmen wurde die Gemeinde Wien selbst zum Monopolunternehmen.“ (7)

Um nämlich einen kommunalen Wohnungsbau zu organisieren, der nicht mehr unmittelbar der Kapitalverwertung unterliegt, musste das „Rote Wien“ die Häuser mittels staatlicher Betriebe auf eigenem Grund und Boden erbauen lassen. D.h. den österreichischen Sozialreformern war völlig klar, dass eine Umwälzung der Wohnungspolitik zugunsten der ArbeiterInnenklasse ohne Eingriffe in die Wohnungsproduktion und die Bodenbesitzverhältnisse nicht möglich ist. Das eine entsprechende Steuerpolitik diese Eingriffe flankieren musste, war dagegen die unverzichtbare Nebenseite des Vorhabens.

Jedenfalls könnten „stadtpolitischen Protestmobilisierungen“ - wie das Beispiel "Rotes Wien" zeigt, aus der Geschichte der Klassenkämpfe für eine antikapitalistische Wohnungspolitik allemal mehr lernen als aus Andrej Holms fabulierender Unterrichtung.

Anmerkungen
1) Auf Seite 182 findet sich ein anschauliches Beispiel, für Holms soziologische Beliebigkeiten: „Akteure“ sind die an der Diskussion um eine Wohnungspolitik Beteiligten aus Politik und Wirtschaft sowie sonstige Fachleute.
2) siehe dazu meine Thesen: Verwertung und Realisierung von Kapital in der Immobilienwirtschaft , http://www.trend.infopartisan.net/trd0613/t250613.html
3) MEW 26.3/ 447f
4) MEW 26.3/ 448
5) MEW 4 / S.469 ; desweiteren siehe zur Wohnungsfrage als Klassenfrage, meine Entgegnung an Guenther Sandleben: Miete neu denken – Definitionsfragen, http://www.trend.infopartisan.net/trd0414/t590414.html  
6) Zum Begriff der falschen Konkretheit siehe: Franz L. Neumann, Angst und Politik, Tübingen, 1954, 1. Auflage
7) http://www.dasrotewien.at/seite/kommunaler-wohnbau   ; Unterstreichungen von mir.

Andrej Holm
Mietenwahnsinn

Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert

Taschenbuch, Knaur TB
03.03.2014, 192 S.
ISBN: 978-3-426-78676-5

7,00 Euro


Editorische Hinweise

Die Buchbesprechung erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.