Leserbrief zu dem Artikel
Die EU-Wahlen 2014 und die Ukrainekrise

von Anton Holberg

5/6-2014

trend
onlinezeitung

Werter Genosse Braun,

ich habe soeben Ihren Beitrag Die EU-Wahlen 2014 und die Ukrainekrise  gelesen. In Hinblick auf die Notwendigkeit die Wahl zu nutzen, um ein Zeichen gegen die EU/NATO Politik zu Gunsten des orange-braunen Regimes in Kiew und gegen die Russische Föderation zu geben, stimme ich völlig zu.
Allerdings habe ich meine Zweifel, ob man deshalb DKP wählen sollte. 1.scheinen mir in der DKP verschiedene kaum mehr zusammengehörende Strömungen zu existieren, wie ich deren unterschiedlichen Sites im Internet entnehme, sodass man nicht wissen kann, was man - gerade auch
in Hinblick auf die Ukraine-Frage - wirklich gewählt hat. Zudem steht die DKP m.W. mit anderen stalinistischen KPs immer noch in "brüderlicher" Kooperation. Was heißt das praktisch? Sie steht in einer solchen Front z.B. gemeinsam mit der PCF, die ihrerseits zumindest teilweise mit der in Frankreich regierenden PS kollaboriert, die nicht anders als "sozialimperialistisch" genannt werden kann und eine der aggressivsten Kräfte z.B. in Hinblick auf den Überfall auf Libyen war aber das z.B. auch bzgl. Syriens ist. Mit anderen Worten: die DKP pflegt gute Kontakte mit Kräften, die ihrerseits gute Kontakte mit Kräften pflegen, deren Politik diametral dem entgegengesetzt ist, was "die" DKP offiziell vertritt.

Wenn man also in Hinblick auf die Ukraine und auch den Bürgerkrieg in Syrien (er bleibt im Kern auch dann ein Bürgerkrieg, wenn er zunehmend durch internationale Jihadisten betrieben wird) eine klare Haltung zum Ausdruck bringen will, müsste man m.E. unter den hierzulande antretenden Parteien eher die PSG wählen, deren Position, wie sie sich auf der "World Socialist Website" widerspiegelt, ungeachtet einiger sektiererischen Verirrungen in diesen Fragen völlig klar und m.E. unterstützenswert ist.

Noch ein paar sachliche Korrekturen: Die ISL ist nicht "die" deutsche Sektion "der" Vierten Internationale, sondern ebenso wie der RSB eine ihr verbundene Organisation. Im übrigen bezeichnet sich diese 4. Internationale zwar als "die Vierte Internationale", ist aber in Wirklichkeit nur die Nachfolgeorganisation des einst von Ernest Mandel geführten "Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale". Eine andere 4.Int. ist z.B. die "Internationale Komitee der Vierten Internationale", zu dem die PSG gehört. Die Realität ist die, dass es "die Vierte Internationale", die von Trotzki gegründet wurde, schon lange nicht mehr gibt. Eine andere Realität ist, dass in den erwähnten Fragen verschiedenste "trotzkistische" Organisationen und internationale Zusammenschlüsse völlig unterschiedliche Positionen vertreten. So bringt es auch nichts bzgl. "trotzkistischer" Organisationen innerhalb der PDL von einer Unterstützung für das Kiewer Regime zu sprechen. Die Positionen z.B. von "Marx 21" einerseits und der SAV andererseits liegen hier ziemlich weit auseinander, wenn man sie nicht darauf beschränkt, dass beide die Legitimität der Ablehnung der vorigen Regierung unterstreichen, was für Marxisten ja wohl selbstverständlich sein sollte (sie war bestenfalls das kleinere Übel).

Ihre Einschätzung der NPA als "strikt trotzkistisch" ist leider entsprechend verfehlt. Sie sollten nicht übersehen, dass die bisher deutlichste Kritik an der rechtopportunistischen, um nicht zu sagen konterrevolutionären Haltung dieses Vereins aus dem ‘wsws‘ stammt. Sie nicht persönlich kennend tendiere ich dazu anzunehmen, dass ihre vom Stalinismus (hier im trotzkistischen und nicht bürgerlichen Sinn verstanden) genährte antitrotzkistische Grundhaltung sie davon abgehalten hat, sich je ernsthaft mit dem "Trotzkismus" und den organisatorischen und ideologischen Verfallserscheinungen der Nachriegszeit zu beschäftigen. Diese Verfallserscheinungen, das sollte man hinzufügen, konnten glücklicherweise nicht im Entferntesten so weltweit katastrophale Auswirkungen haben wie Entsprechendes auf seiten des Stalinismus/"realen" Sozialismus.

A. Holberg

  • Wir erhielten den Leserbrief mit der Bitte um Veröffentlichung am 17. Mai. 2014.