Streikgrammatik
Notizen zu glitchés "Grammatik eines Streiks"

von Homz Wati

5/6-2014

trend
onlinezeitung

"I'm out all day to get money"

Sogar das Kreuzwortraetsel der linken Tageszeitung hat als
Loesungswort "ARBEITSNIEDERLEGUNGEN".

Was der Staat politisch und oekonomisch reglementiert, sind die Bedingungen fuer den Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft. Streik ist im Kapitalverhaeltnis nichts anderes, als die  Aussetzung des Arbeitskraftverbrauchs oder die Zurueckhaltung der Ware Arbeitskraft bis zum neuen Kaufvertrag, innerhalb der Regeln des Staates. Die Beteiligten haben ihre grundsaetzlichen Interessen: Hier den Preis fuer die Arbeitskraft niedrig zu halten, dort ihn zu steigern. Hier und dort sind laut dem Soziologen Ulrich Beck nur noch Menschen entlang von Konfliktlinien. Haetten beide das gemeinsame Interesse, Stockungen in der Produktion zu verhindern, um den Preis der Waren aufrecht zu erhalten? Wie waere es dann um den Preis der Ware Arbeitskraft bestellt?

Der als "Klassenkompromiss" bei Gewerkschaftsfunktionaeren auf  manchmal ehrfuerchtige Weise beliebte und nach 1945 restaurierte Kapitalismus in der BRD, ist fuer manche Gewerkschaftsfunktionaere auch ein "radikal neuer Kapitalismus"[1], weil er nun global und  transnational sei. Dieser solle mit "oekonomischer Solidaritaet"  ueberwunden werden. Was aber heisst Oekonomie solidarischer Art?

Mit Kompromiss der Klassen waere das Betriebsverfassungsgesetz von  1952 gemeint -- bei Reinhard Kuehnl 1971, ich glaube in _Formen buergerlicher Herrschaft. Liberalismus, Faschismus_ als Ende
gewerkschaftlicher Macht ueberhaupt situiert <gelagert, bestimmt>.  Dieses Gesetz 'verbietet' in Deutschland politischen Streik, da es Streik gar nicht erwaehnt. Im dem, einem angeblichen Streikrecht angeblich zugrundeliegenden Verfassungsparagraphen (Grundgesetz, Artikel 9), wird das Recht auf Streik ebenfalls nicht erwaehnt. Die dort aufgeschriebene  Koalitionsfreiheit als Vereinigungsfreiheit zur "Wahrung und Foerderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" bietet nur eine Nicht-Definition von Streik an, dessen Recht sich in diesem  nationalen Rahmen allein aus der Konstellation geschichtlicher Fakten und Recht-Sprechung und ihrer Wechselseitigkeit ergibt. Streik muss als immer wieder durchzufuehrender angenommen werden, als Arbeitskampfmittel, aber mit eigenen Dynamiken. Oder ist Streik ein ritualisiertes, damit aber nicht weniger gehaltvolles  Arbeitskampfverhaeltnis?

Auch die Weimarer Verfassung verzeichnet kein explizites Streikrecht;  Artikel 162 erwaehnt eine "arbeitende Klasse", jedoch war, pauschalisierend und klein-buergerlich hypertrophierend  <uebersteigernd>, damit die "der Menscheit" angeschrieben. Kurz: Ein Recht auf Streik ist verfassungsmaeszig in Deutschland nicht garantiert, es basiert auf Durchgesetztem/Durchzusetzendem.

Streik ist auch im Tarifvertragsgesetz nicht aufgeschrieben. Dort  werden die Klassen (historisch 1919) auf Vertragsparteien gestutzt -- der zweite Teil des geschichtlichen "Kompromisses", der zum Deal fuer guten Lohn gegen weniger ausser- oder nebenparlamentarische Macht  erklaert wird. Die Betriebsverfassung regelt nur die Verhaeltnisse der Mehrheiten auf angeblicher betrieblicher Fuehrungsebene. Die Auseinandersetzung von Arbeit und Kapital wird auf die Frage der  Lohnhoehe heruntergerechnet. Tarif und Betrieb sind somit, wie ein Lukács vielleicht geschrieben haette, sozialbuendlerisch (sein Wort war _sozialfaschistisch_) vereint.

Ich denke, es ist in diesem Kontext als verdrehte Referenz auf Marx  zu werten, wenn davon die Rede ist, das "Kapital" bilde "eine internationale Arbeiterklasse fuer sich heraus"[1]. Denn folgt man  den Verlaufsgesetzen kapitalistischer Produktionsweise und Marx' Theorie gesellschaftlicher Klassen, baut nicht das Kapital sich eine Klasse der Arbeiter, was einer Art von Klonen, also Missbrauch  gleichkaeme (Die Star Wars-Filme haben das Topic gute, ueberzeugte  gegen geklonte seelenlose Arbeiter bis zum Anschlag durchgehechelt). Sondern die Produktionsweise und seine Verhaeltnisse haben diese Arbeiterinnenklasse zum Ergebnis. Nicht das Boese macht  ungerechterweise den Lohnempfaenger, der Lohnempfaenger wird fuer die Kapitalverwertungsprozesse zwingend benoetigt. Eine fuer Lohn arbeitende Klasse kann nicht "fuer sich" sein, nur _an sich_, weil  _fuer_ sie nichts, es sei denn Lohn, und _an_ ihr nur ihre Arbeitsware bleibt, die sie zu verkaufen hat. Sie kann politisch  und oekonomisch fuer sich handeln und sich somit auch an sich  erkennen und bestimmen, was geschieht. Das klingt abstrakt und eben klassifizierend -- was die Anerkennung der realen Prozesse waere und nicht das soziale Netzwerk der Beziehungen und seine ihm  innewohnende aber reprogrammierbare Technik des Lesens und Schreibens des Sozialen, in dem alles aneinander haengt und sich im selbstbewegenden Mobilée trennend sich in Zustaenden verbindet. Diese Konflikte sind dann nicht mehr allgemein menschliche (vgl. Beck), sie sind spezifische Konflikte, kategorisch getrennter gesellschaftlicher Gruppen.

Die professionelle Obsession am Kapital, welches alles gebe und nehme, macht eine Ligatur <Verbindung von Inhalten> wo keine ist (Kapital erzeuge die Klasse der Arbeiter) und verdraengt die oekonomischen Verhaeltnisse, die "die Masse der Bevoelkerung in Arbeiter  verwandelt"[2] haben, um dann zur konstitutionellen Wirkung[2] von rechtlichen wie unrechtlichen[3], Recht setzenden Kaempfen ueberzuleiten, die in der Obsession nicht ausformulierbar sind, es  sei denn als kritische politische Partizipation, "bei nachhaltigen Investitionen".[3] So wird der (neu) zu erkaempfende politische Streik zur politischen Auseinandersetzung um das bessere Management  und die Nutzung von "Ressourcen" (Geld, Kapital) gedeutet und oekonomische Mechanismen von politischen auf bestimmte Weise getrennt. Was soll mit solchen de-oekonomisierten politischen Streiks verfolgt
werden, wenn die darin enthaltene Beziehung "Unternehmen:Workers"  (glitchès Gegenueberstellung im Track, wenn man genau hinhoert) wiederum auf schlichte Verteilungsfragen zusammengezogen wird und das politische Ziel die Beendigung "tariflose[r] Zustaende" meint,  Streik nicht Schlag, sondern Lohnarbeitsniederlegung bedeutet,  "soziale Maechtigkeit" lediglich Tariffaehigkeit gegenueber dem
Unternehmen heiszt, und die Definition der Gegner als Gegner von  der Definition des Arbeitsgerichts abhaengig gemacht wird?[4]

Betriebsraete sind zur absoluten Friedenspflicht verpflichtet, zum nicht zu stoerenden Frieden im Betrieb. Betriebsraete fungieren per befolgtem Gesetz als Befrieder, wo friedlich allein der gemaehte
Rasen im designten Innenhof zwischen den staatlich subventionierten  Bauten vegetiert.

In einem immer wieder in veraenderter Form auftretenden, aeusserlich  kaempferischen Sprechakt des betrogenen, wuetenden Gewerkschafters, der hier wiedergegeben wird, kann etwas abglesen werden: Man sei nicht im Busch, wo die Oberen machen koennten, was sie wollten. Im so  geaeusserten kolonialistischen Schema wird der Glaube an rechtsstaaliche Ordnung deutlich.

Im Deutungsschmea eines balancierenden Chiasmus <inhaltliche Kreuzung  und Trennungsbezug> des sog. Wirtschaftslebens in Anbieter von Lohnarbeit naja hier und Geber von Arbeit(szeit) gegen Lohn nunja dort, wird nicht nur das darin angelegte Zwangsverhaeltnis noch nicht  deutlich uebergangen. Die Frage nach dem Politischen von Streik beantwortet die Frage nach dem angeblich einzufordernden Recht auf politischen Streik, bis hin zum Verstaendis von politischem Streik  selbst. Es waere zu fragen, ob die Unterteilung in "klassische Streikforderungen" (Arbeitszeit und -bedingungen, Lohnhoehen) und "politische" Gruende fuer Streiks nicht einer polizeilichen  Geschichtschreibung entspricht, die ihr Telos <Ziel, Zweck und Selbstbegruendung> mit "sozialen Errungenschaften" festschreibt, ums gemuetlich zu haben. Um Streik als politischen vorauseilend zu  vermeiden.



Aber Produktion ist nicht einfach nur die Produktion, denn die   gehoert der Kapitalseite an, und nur dort ist Arbeit die Arbeit.  Sich daran zu erinnern, ist nuetzlich, um nicht in den Glauben zu  verfallen, die Fuehrungskraft mache die Produktion oder der Betrieb  sei identisch mit 'seinen' Arbeitern. Opelaner und Bahner und  Ebayer gab es nie, nur im patronalischen Identitaetsegen Kruppscher
Tradition.

Streiks, gesehen als 'Ausformungen' der Koalitionen von Lohabhaengigen, werden in der Ueberkreuzlogik aus Kapital Lohn Produktion Arbeiter als zugebilligtes Arbeitskampfmittel gesehen, ggfs. als genommenes Recht, nicht jedoch als selbstverstaendliches  politisches Mittel sui generis <eigener Art>. Gewerkschaften haben, als Arbeiterinnen ordnende Institutionen, ein eigenes Interesse am Interesse der Arbeiter und managen Streiks als a-politische oder  verbuchen sie als wilde Streiks, oder meinen, sie zu managen -- das ist der Allgemeinplatz. Neo-politischen Streik zum legitimierten
zivilen Ungehorsam (soziologisch: politische Partizipation) gegen  einen fremden Apparat zu machen und sich auf Selbstermaechtigung zu beschraenken zeigt an, wie defensiv diese Ermaechtigung ist. Soziale Bewegung ist von politischer und oekonomischer getrennt und rennt jeweils oder auch zusammen protestierend gegen die Architekturen an. Am 15. November 1918 wurde die "Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands"
unterzeichnet und erhielt 'dem Kapital' das Kapital, dem Arbeiter  die Arbeit.[5] Im Film _Metropolis_ reicht 8 Jahre spaeter noch der Arbeiter dem Kapitalisten die Hand.

Geschichtlich Halb-Verschuettetes freilegend ist es nachzulesen[6], wie vor nicht ganz hundert Jahren im Weimarer Schloss auf Gesetzgeberebene der Druck aus der nach-revolutionaeren Situation genommen wurde und aus Tendenzen zur Sozialisierung der Industrien, diese als Betrieb von Wirtschaft abgetrennt wurde. Wie also der Zugriff der Arbeiter auf Produktion und  Produktionsverhaeltnisse, diese voneinander abkoppelnd, unterbunden  wurde, natuerlich auch durch Verschleppungstaktiken der Sozialdemokraten und einer von ihnen durchgesetzten "Kommission zur  Vorbereitung der Sozialisierung der Industrie", bestehend aus sich  da hinein verstrickenden Experten, u.a. Schumpter, Kautsky und Hilferding, wie aus zunaechst "gemeinwirtschaftlich" dann  "gesamtwirtschaftlich" und schliesslich die "Erfuellung der gesamten  wirtschaftlichen Aufgaben" wurde (heute: "oekonomische Performanz"), zu denen sich die "Arbeiter und Angestellten" in Arbeiterraeten
zusammenfinden.[7] Aus Arbeiter- und Soldatenraeten wurden -- und  hier auch nur auf dem Papier -- zusammen mit Unternehmern "Wirtschaftsraete". Raeteorganisation als (mit Bindestrich)  oekonomisch-politische, wurde verwirtschaftlicht, das Oekonomische  vom Politischen getrennt.[8]


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[1] Werner Sauerborn meinte in einem gewerkschaftspolitischen Aufsatz
mit einer Klasse "fuer sich" vermutlich Klasse "an sich"; eine
Klasse fuer sich gilt umgangsprachlich als Auszeichnung. Welche
Klasse koennte aktuell "fuer sich" existieren und produzieren?
http://www.sozonline.de/2010/12/werner-sauerborn-rede-zum-abschluss/
[2] "Die Herrschaft des Kapitals hat fuer diese Masse eine gemeinsame
Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse
bereits eine Klasse gegenueber dem Kapital, aber noch nicht fuer
sich selbst. In dem Kampf, [...], findet sich diese Masse
zusammen, konstituiert sie sich als Klasse fuer sich selbst.
Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen.
(Karl Marx. _Das Elend der Philosophie_. MEW Bd. 4, S. 180-181.)
[3] Sauerborn erinnert, dass das "politische Streikrecht [...] weder
durch einen Antrag im Bundestag noch auf rechtlichem Weg allein"
vom "Wir" der Gewerkschaften "wieder[zu]bekommen" ist.
http://labournet.de/diskussion/gewerkschaft/erfahrung/sauerborn2.html
[4] Ein Rechtsanwalt betrachtet die strukturelle Verwicklung von
Gewerkschaften mit der Kapitalseite http://www.drgeffken.de  und schult in einem "Institute for Comparison of Labour & Industrial Relations" Kapital und Arbeit vermittelnd
"Fuehrungspersonal mittelstaendischer Unternehmen auf dem Weg
nach Uebersee [China]" http://www.drgeffken.de/ Er handelt
ordnungspolitisch. Ein Doktorand untersucht strategisch-taktische
Aufstellungen im Innergewerkschaftlichen in Betrieben und hier
die Wirkung linksoppositioneller Gruppen auf die Einbeziehung
der Beschaeftigten in die Vereinbarungen ihrer eigenen
Interessenvertreter mit der Kapitalseite http://www.soziologie.uni-jena.de/
[5] Der Bayerischen Staatsbibliothek gilt die Arbeitsgemeinschaft als
Begruendung der deutschen Sozialpartnerschaft, auch korporative
Marktwirtschaft genannt. Die Hans-Boeckler-Stiftung laesst von
(gross geschrieben) Sozialer Marktwirtschaft sprechen und
schreiben, und von Diversity (Wissens-Kooperation) unter
festgestellt neuen Verhaeltnissen eines verbreiteten
Humankapitals, das neben Finanz- und Sachkapital trete; wobei
die "Differenz von Arbeitgebern/Arbeitnehmern" (sinngemaesz)
"verlassen" werde, womit die Begriffsverquertheit
"Arbeitgeber/-nehmer" noch uebertroffen wird. Auch Management
wird ueberschritten, von "governance", die mehr als Management
sei, naemlich "Moderation von offenen und dynamischen Prozessen",
also fast schon Demokratie. http://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_094.pdf
Hans Boeckler war der erste Vorsitzende des Deutschen
Gewerkschaftsbunds (DGB).
[6] "Die Kabinettssitzung des Kabinett Scheidemann vom 4. April 1919,
10 Uhr, 1. [Arbeiterraete in der Verfassung]". http://www.bundesarchiv.de/  Die Mitglieder der Reichsregierunghatten das Recht, an den Verhandlungen der damaligen,
'eigentlichen' verfassungsgebenden Nationalversammlung
teilzunehmen und jederzeit das Wort zu ergreifen. Die erwaehnten
Gesamtwirtschaftlichkeiten gehen auf einen eigenen Entwurf der
Regierung Scheidemann fuer die Verfassung des neuen Deutschen
Reiches ohne Kaiser zurueck.
[7] Die Verfassung des Deutschen Reiches ("Weimarer Verfassung").
"Das Wirtschaftsleben.", dort (Artikel 165). http://www.verfassungen.de/de/de19-33/verf19.htm#ii5
[8] Andererseits boete "politischer Sozialismus ohne oekonomische
Grundlage", mithin das Primat des Parteilichen (i.Ggs. zum
Parteiischen), Buerokratismus den Vorschub, aehnlich wie Otto
Ruehle an der Kommintern (von 1920) kritisierte. http://www.trend.infopartisan.net/trd0101/t140101.html  Wie ist diese
widerspruechliche Figur im Ordoliberalismus reformierbarer Gewerkschaften zu finden?

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe im Rahmen des "n0name newsletter 162". Er nimmt Bezug auf:

GLITCHÈ
GRAMMATIK EINES STREIKS

NICHT DER TON MACHT DIE MUSIK, ES IST EIN GANZES SETTING DERER, "DIE
DAS GANZE ERWIRTSCHAFTEN". WEDER SOUNDTRACK FÜR DEN ALLTAG, NOCH
RADIOPHONE PRODUKTIVKRAFT, NOCH DAS UNBEWUSSTE DES O-TONS, LIEGEN HIER
AUFSPLITTUNGEN, VERKLANGLICHUNGEN UND SETZUNGEN VON SYNTAX <SÄTZE UND
BEDEUTUNGEN>, SOWIE LEISE ZITATE IN SACHEN SOLIDARITÄT UND ROBOTER ZUM
HERUNTERLADEN BEREIT. VOM DEZEMBER 2013, ALS BEI AMAZON GESTREIKT
WURDE - IN DEN WIDERSPRÜCHEN ARBEIT:KAPITAL, LOHN:MENSCH AN SICH (FÜR
SICH?), INTELLEKTUELLER:PRODUZENT.

https://www.dropbox.com/s/94wesdbsc5f6j3p/streikgrammatik.mp3 
(21:03 MIN., 38,5 MB)

www.radi0.tv