Nach den EU-Wahlen - Was tun? 
Bericht von der Diskussion über linke (Re-)Organisierungsprozesse

von Red. "Der Funke"

5/6-2014

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Mehr als 70 TeilnehmerInnen kamen ins Funke-Center, um sich an der Debatte über die Perspektiven der Linken nach den EU-Wahlen zu beteiligen.

In immer mehr linken Zusammenhängen, sowohl innerhalb wie außerhalb der Sozialdemokratie, stellt man sich die Frage, wie die Linke wieder handlungsfähig werden und fortschrittliche Alternativen zum Krisenregime des Kapitalismus entwickeln kann. Diesem Bedarf nach Debatte und Erfahrungsaustausch wollten wir ein Forum bieten und luden Daniela Holzinger (SPÖ-Nationalratsabgeordnete), Lukas Oberndorfer (Arbeitskreis kritische Europaforschung) und Christoph Altenburger (Offensive gegen Rechts, OGR) ein, um mit Funke-Redakteur Emanuel Tomaselli der Frage "Was tun?" nachzugehen.

Im bis auf den letzten (Steh)Platz gefüllten Funke-Center machte Daniela Holzinger, die sich in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit den Ruf einer "Parteirebellin" gemacht hat, den Anfang. Daniela zeigte sehr schön, dass man heute zur Rebellin wird, wenn man die sozialdemokratischen Grundsätze zum Ausgangspunkt der eigenen Politik macht (z.B. in der Causa Hypo). Sie hält es für wichtig, dass ein selbstbewusstes nicht alles für gegeben hinnehmen, nur weil es von der Regierung kommt. Ihr zentrales Anliegen ist der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit.

Das schlechte Abschneiden der SPÖ bei der EU-Wahl führt Daniela u.a. darauf zurück, dass wichtige Themen wie das TTIP-Freihandelsabkommen oder der Wettbewerbspakt einfach nicht besetzt wurden. Zentrales Problem sei jedoch die von der Bevölkerung wahrgenommene, mangelnde Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie. Was die rote Parteibasis will, ist, dass endlich die Forderung nach Vermögenssteuern umgesetzt wird und die Lohneinkommen steuerlich entlastet werden. Die Sozialdemokratie müsse in diesen Fragen Druck aufbauen. Eine große Koalition, die nicht in der Lage ist, diese zentralen Problemstellungen für die Menschen positiv zu lösen, führe sich ihrer Meinung nach selbst ad absurdum.

Lukas Oberndorfer begann sein Anfangsstatement mit einer Analyse der europäischen Krise. Diese zeichnet sich aus seiner Sicht durch eine "Hegemoniekrise des Neoliberalismus" aus, d.h. die Herrschenden reagieren immer weniger mit Konsens, sondern stützen sich zunehmend auf Zwang. Die Wirtschaftskrise und die Bankenrettung beschränken immer mehr die Spielräume für Zugeständnisse an die arbeitenden Menschen, wodurch die soziale Unterstützung für das neoliberale System immer geringer wird. Die EU-Wahlen haben diese Hegemoniekrise einmal mehr deutlich gemacht. Was abgewählt wurde, ist die Sparpolitik. Profitieren konnte davon in einigen Ländern die extreme Rechte, aber das ist kein durchgängiges Phänomen. Griechenland, Spanien u.a. zeigen, das der Protest gegen die Austerität auch nach links gehen kann.

Lukas analysierte auch die Widersprüche im Block an der Macht, die sich in der Debatte um die Zukunft der EU und des Euro zeigen. Dabei steht die Mehrheit für ein Festhalten an der neoliberalen Form der europäischen Integration, Wettbewerbspakt, Fiskalpakt usw. sind Instrumente dieses Bestrebens, gleichzeitig formieren sich national orientierte Kapitalfraktionen – unter anderem aufgrund der wegbrechenden Binnennachfrage – rund um ein nationalistisches Konzept. Die Wahlerfolge der FN in Frankreich oder der AfD in Deutschland sind Ausdruck dafür.

Warum die Führung der Sozialdemokratie und ihre Apparate gegen diese Austeritätspolitik nichts unternimmt, erklärt Lukas damit, dass sie selbst bestimmender Teil der Durchsetzung des neoliberalen Modells sind und waren. Wer sich dieser Durchsetzung entgegenstellt, wird daher isoliert und unter Druck gesetzt. Damit lieferte Lukas auch die Antwort, warum jemand wie Daniela Holzinger so viel parteiinterne Widerstände zu spüren bekommt.

Der nächste an der Reihe war Christoph, einer der zentralen AktivistInnen der Offensive gegen Rechts (OGR), die in den vergangenen Monaten einen wichtigen Beitrag zur Etablierung eines neuen Antifaschismus leisteten und dabei verschiedene linke Strömungen zu einer Aktionseinheit zusammenbrachte. Er betonte stärker die Bedrohung, die von rechten Parteien ausgeht. Deren Erfolge führt er darauf zurück, dass die Linke für (junge) ArbeiterInnen in der Regel keine Alternative darstellt. Die Linke habe sich von der ArbeiterInnenklasse wegentwickelt und schaffe es nicht ArbeiterInnen zu organisieren. Die OGR wolle mit Blickrichtung auf die Wiener Wahlen 2015 verstärkt die soziale Frage thematisieren und so einen Kontrapunkt zum Populismus der FPÖ setzen.

An Daniela Holzinger stellte er die Frage, was sie darunter versteht, wenn sie von den „sozialdemokratischen Grundwerten“ spricht. Christoph warf die Frage in den Raum, ob die Sozialdemokratie noch eine Arbeiterpartei, oder nicht vielmehr eine neoliberale Partei sei. Jedenfalls sei es ein Fehler zu glauben, dass das Problem darin besteht, dass an der Spitze die falschen Leute sitzen. Er betonte, dass es ein linksreformistisches Projekt links von der Sozialdemokratie benötige.

Dann legte noch Emanuel Tomaselli den Standpunkt der Funke-Strömung dar. Er griff Christophs Frage auf und beantwortete sie damit, dass die Sozialdemokratie sowohl eine ArbeiterInnenpartei wie auch eine neoliberale Partei sei. Seit 1914 macht die Sozialdemokratie bürgerliche Politik. Heute hat die Sozialdemokratie europaweit keine Alternative zur Austerität. Der Prozess verlaufe nur in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Wir müssen uns im Klaren sein, dass es zwischen Papandreou (PASOK) und Faymann keinen grundlegenden Widerspruch gibt. Überall vertritt die Sozialdemokratie die Politik des nationalen Schulterschlusses, auch wo sie in der Opposition ist. Dabei gelte der Ausruf des alten Spinoza: „Nicht lachen, nicht weinen – verstehen!“

Fakt ist, dass in der Sozialdemokratie die Apparate vorherrschen, wer sich ihnen und ihrer Politik der Krisenbewältigung entgegenstellt, der bekommt Probleme. Ein Problem sieht Emanuel in der Tatsache, dass die ArbeiterInnenbewegung keine Gesamtstrategie zur Abwehr der Kapitaloffensive hat. Dies gilt sowohl auf betrieblicher Ebene, auf der Ebene der Kollektivverträge, wie auch in der politischen Auseinandersetzung. Viele Betriebsräte können dem nichts entgegenhalten und unterliegen dem Druck der Gegenseite. Aber es gibt auch etliche, die Widerstand leisten, nur sind sie oft isoliert. Die Linke muss diese KollegInnen zusammenführen und die ständige Konfrontation mit den Bürgerlichen an der Spitze der SPÖ suchen.

Zentral ist aber, dass die Linke auf soziale Kämpfe der ArbeiterInnenschaft wie der Jugend orientiert und versucht dort ein organisierender Faktor zu werden.

In der anschließenden Diskussion meldeten sich GenossInnen unterschiedlichster linker Strömungen zu Wort. Ein Genosse, der aus der KPÖ Steiermark kommt, kritisierte die vorherrschende Stellvertreterlogik und betonte die Notwendigkeit, die untersten Schichten der ArbeiterInnenklasse, die oft MigrantInnen sind, zu organisieren. Johann Linsmaier, ehem. Voestalpine-Betriebsrat, der extra aus Linz angereist war, betonte, dass wir eine Strategie für den Kampf um Umverteilung benötigen. Er betonte auch, dass Organisationen wie Menschen einem Lebenszyklus unterworfen sind und auch sterben, und dann etwas Neues entstehen muss. Ein Genosse, der in einer SPÖ-Sektion aktiv ist, kritisierte den Hochmut der Gewerkschaften gegenüber prekär Beschäftigten und appellierte an die Lernfähigkeit der SPÖ. Ein weiterer linker Sozialdemokrat meinte, dass in der SPÖ der Regierungsapparat entscheidet und nur Jasager aufsteigen. Er rief die Anwesenden auf, die Schwäche der sozialdemokratischen Organisationen zu nutzen, um diese zu erobern und von unten nach oben Druck zu machen. Eine Genossin betonte die Wichtigkeit des antifaschistischen Kampfes, der von einem Vorredner in Frage gestellt worden war, weil dies das Thema sei, wo die Linke etwas weiterbringen könne und dies sehr bewusstseinsbildend sei. Ein FSG-Betriebsrat stellte die Frage, wie man die Gewerkschaften nach links bringen könne. Martin, Funke-Unterstützer und aktiv in einer SPÖ-Sektion, stellte die These auf, dass es notwendig sei die marxistischen Kräfte in der Arbeiterbewegung zu stärken und sich die Linke nur in sozialen Konflikten herausbilden könne. Florian, Betriebsrat bei der AGO, stellte die Frage nach der Rolle der Basis. Diese sei durch die Politik der Stellvertreterlogik entmündigt worden. Die Linke müsse dahingehend wirken, dass die KollegInnen die Sache selbst in die Hand nehmen. Die Basis müsse neu organisiert werden. Martin, SPÖ-Gemeinderat aus Niederösterreich, betonte, dass eine neue Linke aus der alten ArbeiterInnenbewegung entstehen wird müssen. Seine These: „Von Nix kommt nix!“

In einer Abschlussrunde beantworte Daniela Holzinger die Frage nach den „Grundwerten“. Für sie seien dies weniger spezielle Themen, sondern in erster Linie die Idee einer starken, breiten Bewegung. Sie erklärte noch einmal, wie sie – angetrieben von der Notwendigkeit des Kampfes um Gerechtigkeit, mit einem Basiswahlkampf das Nationalratsmandat gewonnen hat. Am Beispiel des Lohnraubs beim Entsorgungsunternehmen AVE (wir berichteten), wo sich Arbeiter bei ihr mit der Bitte um Unterstützung gemeldet haben, zeigte sie die Widersprüche in der Politik der Sozialdemokratie auf und wie sie in Konflikt mit der SPÖ-Spitze kam, weil sie sich an die Seite dieser schlechtverdienenden KollegInnen stellte.

Lukas Oberndorfer erklärte zum Abschluss, dass gesellschaftliche Veränderung nicht einfach durch eine neue Partei zu bewerkstelligen sei, vielmehr brauche es eine umfassende Umwälzung der Kräfteverhältnisse. Inspiration dafür könnte der Slogan von Podemos, einer neuen Linkspartei in Spanien sein: „Mit einem Fuß im Parlament, mit Tausenden auf der Straße“. Er sieht viele Orte des Widerstands, sowohl in der Produktion wie auch in der Reproduktion (Beispiel Bewegung gegen Wohnungsräumungen in Spanien), die nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. In Österreich sei die Krise noch wenig spürbar, allerdings drohe das Pendel der europäischen Krisenpolitik zurückzuschlagen: darauf verweisen unter anderem jüngste Aussagen des Chefs der Industriellenvereinigung. Was es jetzt braucht ist die Herausbildung von Diskursorten, Veranstaltungen wie diese aber auch Foren, wo ein schriftlicher Gedankenaustausch möglich ist, mit dem Ziel, dass sich die unterschiedlichen Ansätze in der Linken untereinander verständigen können und eine kritische Praxis entwickeln..

Emanuel stellte in seinem Abschlussstatement die These auf, dass der Prozess zur Herausbildung einer starken Linken in Österreich noch ganz am Anfang sei. Aber der Leidensdruck ist groß und aus einer objektiven Notwendigkeit heraus, wird ein linkes Projekt entstehen. Als wichtige Ansatzpunkte sieht er die Linksentwicklung in der Sozialistischen Jugend, die KollegInnen in den Gewerkschaften, die betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe offen zu führen bereit sind, aber auch die KPÖ Steiermark, die es geschafft hat, sich mit ihrer Konzentration auf die soziale Frage zumindest regional eine Verankerung aufzubauen. Besondere Verantwortung komme dabei auch Persönlichkeiten wie Daniela Holzinger zu, die ihre öffentliche Rolle als „Parteirebellin“ nutzen müsse, um sozialen Kämpfen eine Stimme zu geben.

Im Anschluss wurde noch intensiv weiterdiskutiert. Von vielen TeilnehmerInnen kam die Rückmeldung, dass dieser Abend von einem sehr respektvollen und solidarischen Umgang von GenossInnen unterschiedlichster politischer Strömungen und Organisationen geprägt war. Der Funke wird ausgehend von dieser Veranstaltung versuchen, in den kommenden linken (Re-) Organisierungsprozessen einen konstruktiven Beitrag zu leisten.

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Bericht von http://www.derfunke.at/ , wo er am 4. Juni 2014 erschien.