Kommentare zum Zeitgeschehen
RSB – halb gefallen und halb Opfer einer NAO-Legende

von Detlef Georgia Schulze

5/6-2014

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Vor gut zwei Monaten, Mitte Feb., hatte Micha Prütz behauptet: „Mit Freude wurde [bei der Versammlung zur Gründung der NAO Berlin] zur Kenntnis genommen, das der revolutionär sozialistische Bund (RSB) auf der paralell stattfindenden Bundesdeligiertenkonferenz einstimmig beschlossen hat, das Manifest zu unterschreiben und sich voll am NaO Prozeß zu beteiligen.“

Ich kommentierte dies damals wie folgt: „Ziemlich wahrscheinlich ist […], daß Micha Prütz’ Behauptung über den RSB

  • weder eine völlige freie Erfindung ist

  • noch, daß der RSB tatsächlich ‚einstimmig’ (so Micha Prütz) beschlossen hat, sich ‚voll’ (so Micha Prütz) am NaO-Prozeß zu beteiligen.“

Und: „Denkbar ist auch, daß sich in einer Organisation wie dem RSB zwei oder mehrere Strömungen herausbilden, die unterschiedliche Auffassungen zu so etwas wie dem NAO-Prozeß vertreten, und daß sie auf ihrer Delegiertenkonferenz – statt einen Mehrheitsbeschluß im Sinne der einen oder anderen Strömung zu fassen – irgendeinen Kompromiß vereinbaren, dem einstimmig zugestimmt wird.

Aber nach aller politischer Erfahrung kann mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, daß ein solcher Kompromiß vollständig im Sinne einer der eventuellen Strömungen (im vorliegenden Falle also: im Sinne einer ‚vollen’ Beteiligung am NAO-Prozeß, inklusive Manifest und Berliner NAO-Gründung – falls das überhaupt irgendwelche RSB-Mitglieder vertreten) ausfällt. Vielmehr dürfte ein solcher Beschluß dann mit tausenderlei Vorbehalten und Bedingungen verknüpft sein; vielleicht auch damit, daß sich die Organisation als Ganzes gerade nicht ‚voll’ beteiligt, sondern die einen Mitglieder dieses und die anderen jenes tun (‚dürfen’).“

http://www.trend.infopartisan.net/trd0314/t150314.html

Mittlerweile hat

  • die DelegiertInnenkonferenz (DK) des RSB, die ursprünglich nur für den Mitte Feb.-Termin geplant war, im März eine Fortsetzung erfahren,

  • mich am Montagabend (28.4.) eine Erklärung der Politischen Kommission des RSB zu den Ergebnissen der beiden Konferenz-Teile, die mittlerweile auch auf der RSB-homepage veröffentlicht ist, erreicht.

  • Und in der gedruckten, aktuellen Ausgabe der RSB-Zeitung Avanti ist der DK-Beschluß veröffentlicht.

  • Beide Texte zeigen: Mit dem, was ich schon im Februar für „[z]iemlich wahrscheinlich“ hielt, hatte ich einen ziemlich guten Riecher.

Der dritte Satz der Erklärung der PK des RSB lautet: „Die Diskussion hat mehrheitlich gezeigt, für uns stellt der NaO-Prozess den zurzeit besten Versuch dar, die antikapitalistisch-revolutionären Kräfte links der Linkspartei zu sammeln.“ (meine Hv.)

An späterer Stelle heißt es in der Erklärung: „Im Lichte u.a. dieser Überlegungen hat der RSB auf seiner Konferenz einstimmig beschlossen, das Manifest mitzutragen und weiterhin aktiver Teil des NaO-Prozesses zu sein.“

-- An letzterer Stelle zwar „einstimmig“ (warum auch immer… – wenn an erster Stelle „mehrheitlich“ steht) – aber: „mitzutragen“ (was sich eher nach Duldung als nach Zustimmung; eher nach Enthaltung als nach Ja-Stimme anhört [1]); und „aktiv“ (und nicht „voll“, wie Micha Prütz behauptet hatte).

-- Von einer Unterstützung / nachträglichen Befürwortung der Berliner NAO-Gründung steht in dem PK-Beschluß nichts. Auch gibt es weder in dem PK-Beschluß noch in dem DelegiertInnenkonferenz-Beschlusss einen Aufruf, der Berliner NAO oder sich etwaig gründenden weiteren örtlichen NAO-Gruppen beizutreten.

Vielmehr heißt es in dem DK-Beschluß ausdrücklich: „Der Beschluss hält somit seinen Mitgliedern sowohl die Teilnahme als auch die Nichtteilnahme am NAO-Prozess offen.“ [2]

Und auch in dem PK-Beschluss heißt es: „Unserer Beobachtung nach zeigt dieser Ansatz [NAO Berlin] aber einige Schwierigkeiten auf, deren wir uns bewusst werden sollten. Obwohl es in Berlin offiziell nur Einzelmitglieder gibt, ziehen sich die Meinungsverschiedenheiten sehr wohl und recht deutlich entlang der Gruppengrenzen. Hinzu kommt, dass die unterschiedlichen Vorstellungen (oder Möglichkeiten) zur politischen und organisatorischen Schnelligkeit der NaO recht erheblich sind. […]. Die Gefahr ist real, dass wenn in Berlin Gruppen einfach abgehängt werden, dies einen negativen Effekt auf den bundesweiten Ausbau des NaO-Prozesses hat.“

Dem Berliner NAO-Modell („nur [mit] Einzelmitglieder“) setzt die PK des RSB ein weiteres Mal ihr (heutiges) Verständnis von Antarsya-Modell [„Bündnisorganisation (plus Einzelmitglieder)“] entgegen – sicherlich auch deshalb, weil es den beteiligten Gruppen ein stärkeres Gewicht gäbe (in der Sprache des RSB: verhindern würde, daß einzelne Gruppen „abgehängt werden“) und so die Mitglieder mehrerer kleiner Gruppen nicht von den Mitgliedern einer großen Gruppe qua ‚demokratischem Mehrheitsbeschluß’ überstimmt werden könnten: Demokratie ist nämlich zur Klärung politischer Grundsatzfragen ungeeignet: Vielmehr stellt sich bei einer politischen Organisation für eine Minderheit, die in Grundsatzfragen überstimmt wurde, die Frage des Austritts; für die Mehrheit ggf. auch die Frage des Ausschlusses der Minderheit. Auf der Ebene der Gesellschaft als Ganzes stellt sich bei Grundsatz-Differenzen die Frage von Revolution und Konterrevolution. –

Anzumerken ist noch, daß Antarsya zwar mittlerweile Einzelmitglieder hat, aber daß Antarsya nicht gleich als „Bündnisorganisation (plus Einzelmitglieder)“ gegründet wurde, sondern als Organisationenbündnis zunächst einen längeren Prozeß der Diskussion und politisch-praktischen Zusammenarbeit vollzog. Auch diesen Zwischenschritt gab es im NAO-Prozeß nicht; vielmehr war er zunächst weitüberwiegend ein Diskussionsprozeß mit punktueller Zusammenarbeit in der politischen Praxis; dann wurde die Berliner NAO „nur [von] Einzelmitgliedern“ (RSB) gegründet. Es gab nie eine Phase der Zusammenarbeit als revolutionäres Bündnis oder revolutionärer Block.

-- Des weiteren kritisiert der RSB: „Gleichzeitig darf die Entwicklung des Prozesses nicht dazu führen, nach außen hin eine Geschlossenheit zu präsentieren, die nicht auf den Gesamtprozess übertragbar ist. Die Erklärung zur Ukraine zum Beispiel, ist auf der Homepage des Gesamt-NaO-Prozesses als ‚NaO’ veröffentlicht, obwohl sie allenthalben nur in der Berliner NaO-Koordination abgestimmt wurde. Die Gruppen in Potsdam, Kassel, NRW sind dabei nicht einbezogen worden. Ein solches Vorgehen kann nur einen negativen Effekt haben. Er zeigt exemplarisch welche Fallstricke der NaO-Prozess hat, wenn das tatsächliche Vorgehen nicht mit dem realen Stand der organisatorischen und politischen Entwicklung in Einklang steht.“

-- Schließlich stellt der RSB klar, daß für das, was im Moment unter dem Namen „NAO“ läuft, seine Existenz nicht zur Disposition steht: „Wir werden, wo immer wir uns in den NaO-Prozess einbringen, offen zu unserer Zugehörigkeit zur IV. Internationalen stehen, unsere Mitgliedschaft im RSB nicht verschweigen (ohne dies natürlich über Gebühr herauszukehren) und auch als solche außerhalb des NaO-Prozess auftreten (etwa bei eigenen Veranstaltungen usw.).“ (meine Hv.)

Auch der Formulierung, „nicht verschweigen (ohne dies natürlich über Gebühr herauszukehren)“, ist ihr Kompromißcharakter deutlich anzusehen…

Mehr gefallen oder mehr Legenden-Opfer?

Es bleiben zwei Fragen zu stellen und drei Anmerkungen zu machen:

-- Frage 1: Ist die Mehrheit des RSB mehr umgefallen oder mehr Opfer einer Legendenbildung („einstimmig“ und „voll“) geworden?

Schwierig zu sagen:

+++ Auch schon bei der Politischen Kommission des RSB in ihrer Zusammensetzung vor der RSB-DelegiertInnenenkonferenz konzentrierte sich die Kritik auf die Berliner NAO-Gründung. Davon nimmt der jetzige Beschluß nichts zurück.

+++ Auch der jetzige Beschluß meldet Vorbehalte gegen einige Formulierungen im Manifest an.

+++ Und auch die Politische Kommission des RSB in ihrer bisherigen Zusammensetzung hatte nicht beschlossen, sich aus dem NAO-Prozeß zurückzuziehen.

Viel hat sich also nicht geändert… – und doch ist zu fragen: Wie lange noch will die RSB-Mehrheit in einem Zug sitzen bleiben, dem – nach ihrer eigenen Einschätzung – wegen Konstruktionsfehlern („nur Einzelmitglieder“; Vorpreschen der Berliner NAO) eine Entgleisung droht („Unser Anspruch an den NaO-Prozess, als einen, der eben nicht eine Kaderorganisation sein soll und eine Organisation, in dem sich auch die allein stehende Frau im Schichtdienst wohl fühlt, sehen wir in Berlin im Moment stark gefährdet.“)?

-- Frage 2: Was ist von der momentanen Minderheit des RSB zu halten, die zwar nicht die RSB-Mehrheits-Ansicht teilt, daß „der NaO-Prozess den zurzeit besten Versuch dar[stellt], die antikapitalistisch-revolutionären Kräfte links der Linkspartei zu sammeln“, aber trotzdem mit zahlreichen Vorbehalten der Formulierung zustimmte, „das Manifest mitzutragen und weiterhin aktiver Teil des NaO-Prozesses zu sein“?

Wir werden sehen, ob diese Minderheit in Zukunft mit eigenen Texten und eigener Praxis in Erscheinung tritt.

-- Anmerkung 1: Die RSB-Mehrheit meint, daß „der NaO-Prozess den zurzeit besten Versuch dar[stellt], die antikapitalistisch-revolutionären Kräfte links der Linkspartei zu sammeln“. Die NAO soll aber laut Manifest gerade nicht, „antikapitalistisch-revolutionären Kräfte“, sondern „revolutionäre und antikapitalistisch“ [3] (also auch nicht-revolutionäre „antikapitalistische“) Kräfte sammeln. – Und inwiefern die NAO

  • hinsichtlich der Sammlung „revolutionär-antikapitalistische[r]“ Kräfte dem „Ums Ganze“-Bündnis oder dem neuen Bündnis „Perspektive Kommunismus“

  • und hinsichtlich der Sammlung „revolutionäre[r] und antikapitalistisch“ der IL überlegen sein soll, begründet nicht nur die NAO selbst nicht, sondern begründet auch die RSB-Mehrheit nicht.

-- Anmerkung 2: In dem Beschluß heißt es: „Um gemeinsam gegen die aktuellen Zustände aktiv zu werden, halten wir die Ausführungen des Manifests sowohl in seiner Länge, als auch in seiner strategischen Stoßrichtung für völlig ausreichend.“ – Das mag sein. Aber um „gemeinsam gegen die aktuellen Zustände aktiv zu werden“, bedarf es gar keines gemeinsamen Manifestes und keine gemeinsamen Organisation. Dafür reichen Aktionsbündnisse völlig aus. – Die Frage ist dagegen, ob das Manifest eine Organisationsgründung trägt; und diese Frage ist verneinen.

-- Anmerkung 3: Der RSB schreibt, „Die Fortführung eines offenen Diskussionsprozesses muss im Vordergrund stehen, der ganz bewusst weiterhin darauf ausgerichtet ist, andere Kräfte zur Mitdiskussion und Mitwirkung einzuladen.“, und der RSB befürchtet, daß „Gruppen einfach abgehängt werden“.

Gruppen einfach abzuhängen’ genau dies war aber schon mit der Entscheidung von SIB und GAM, Manifest und Berliner NAO-Gründung zu beschließen, erfolgt – und die Konflikte (s. oben und dort) um die Ukraine-Erklärung der NAO deuten darauf hin, daß sich an diesem Politikstil wenig ändern wird.

Anmerkungen

[1] Genauer heißt es dazu in dem Text: „Die politischen Aussagen des Textes können wir sehr gut mittragen, auch wenn wir nicht jede einzelne Formulierung teilen.“ – Auch in Bezug auf die „politischen Aussagen“ wird nur von (in dem Falle: „sehr gut“) „mittragen“, aber nicht von „teilen“ gesprochen. In Bezug auf „einzelne Formulierung[en]“, die nicht genauer benannt werden, wird aber ausdrücklich gesagt, daß „wir nicht jede einzelne Formulierung teilen.“ – Und als ob nicht Formulierungsunterschiede in aller Regel Indizien für politische Differenzen wären… –

Dem RSB-Beschluß könnte der Charakter eines Formelkompromisses kaum deutlicher auf die Stirn bzw. Titelseite geschrieben werden.

[2] Auch dies wurde mir bisher nur per mail mitgeteilt; das gedruckte Avanti-Heft mit dem DK-Beschluß habe ich noch nicht in der Hand gehabt.

[3] http://nao-prozess.de/manifest-fuer-eine-neue-antikapitalistische-organisation/ – Hv. hinzugefügt.

Editorische Hinweise

Den Kommentar erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe

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