Marx' Arbeit über die Grundrente im Jahre 1865

von
Artur Schnickmann

5/6-2014

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Marx' Theorie der Grundrente ist uns aus dem dritten Band des "Kapitals" bekannt. Das Manuskript von etwa 600 Seiten, das diesem Band zugrunde liegt, wurde bereits 1863-1865 geschrieben.' Das 6. Kapitel über die Grundrente, umfassend die Seiten 406 bis 527, entstand in den letzten Wochen des Jahres 1865. Mit ihm soll sich dieser Beitrag befassen.

Marx gibt in diesem 6. Kapitel, das überschrieben ist: "Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente", zum erstenmal eine systematische Darstellung seiner Grundrententheorie. Die Arbeit daran konnte nicht vor Mitte Oktober 1865 beginnen, denn auf der letzten Seite des vorhergehenden 5. Kapitels, S.404, schreibt Marx: "Jetzt (Oetober 1865)" und zitiert aus dem Bericht der Bank of England vom 11.Oktober 1865. Daß Marx nicht vor Mitte Oktober 1865 das 6. Kapitel über die Grundrente in Angriff nehmen konnte, geht auch daraus hervor, daß er auf S.414 ein Zitat aus einem Vortrag von Henry Fawcett bringt, den dieser am 12. Oktober 1865 auf dem Social Science Congress gehalten hat. Bereits auf der nächsten Seite 415 zitiert Marx eine längere Passage aus einer Rede von John Brightin Birmingham vom 13.Dezember 1865, über die der "Morning Star" am nächsten Tag berichtet hatte. Das bedeutet, daß das 6. Kapitel im wesentlichen zwischen Mitte und Ende Dezember 1865 verfaßt wurde.

Während der Arbeit am 6. Kapitel mußte sich Marx auch mit Auffassungen der Vu1ärökonomie auseinandersetzen, die die Rente unmittelbar aus dem Grund und Boden ableitete. Er unterbrach die Arbeit am 6. Kapitel und skizzierte das abschließende 7. Kapitel des 3. Buchs über "Revenuen (Einkommen) und ihre Quellen". Unter" (1) Die trinitarische Formel" vermerkte er gleich zu Beginn: ,,(Vgl. p.445, 446 dieses Buchs) (Die Stellen gehören hierher)". Die Seiten 470 und 471 aus dem 6. Kapitel fügte er nach dem ersten Bogen des 7. Kapitels unmittelbar in den Text ein, den er dann kontinuierlich fortsetzte.(2)

Marx hatte demnach das 6. Kapitel im ersten Entwurf mindestens bis S.471 geschrieben, als er sich entschloß, zunächst das 7. Kapitel zu schreiben, wobei er ganze Passagen aus dem 6. Kapitel ins 7. übernahm. Die Seite 445 beließ er jedoch im 6. Kapitel da es sich hierbei um die letzte Seite eines vierseitigen Foliobogens handelte.

Von Seite 446 des Manuskripts ab haben wir es offensichtlich mit einer Neufassung zu tun, denn die neue S.446 enthält nichts auf die trinitarische Formel bezügliches. Auch eine andere Papiersorte spricht für eine zweite Fassung. Die Paginierung wurde bis S.528 normal fortgesetzt, so daß jetzt zweimal Seiten mit der Bezeichnung 470 und 471 überliefert sind.

Da das 6. Kapitel noch nicht vollendet war, konnte Marx das 7. Kapitel nicht paginieren. Erst nach seinem Tode schrieb Engels in seiner charakteristischen Art die Seitenzahlen 528-575 mit schwarzer Tinte jeweils oben auf die Mitte der Seiten. Grundlage für die Niederschrift des 6. Kapitels war die bereits im Manuskript von 1861-1863 ausgearbeitete Theorie der Grundrente. Darauf bezog sich Marx, als er am 13. Februar 1866 an Engels schrieb: "Ich schloß meine theoretischen Untersuchungen über die Grundrente vor 2 Jahren." Es ging jedoch nicht allein darum, die dort im Rahmen der "Theorien über den Mehrwert" in Polemik mit der bürgerlichen Ökonomie entwickelte Grundrententheorie jetzt systematisch darzustellen, sondern auch die neuesten Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu verarbeiten. Marx schrieb weiter in dem erwähnten Brief: "Und gerade in der Zwischenzeit war vieles, übrigens ganz meine Theorie bestätigend, geleistet worden. Auch der Aufschluß von Japan [...] war hier wichtig." "Die neue Agriculturchemie in Deutschland, speziell Liebig und Schönbein, die wichtiger für diese Sache als alle Ökonomen zusammengenommen, andrerseits das enorme Material, das die Franzosen darüber geliefert hatten, mußte durchgeochst werden." "Ich ging bei Tag aufs Museum und schrieb nachts. "

Die Ergebnisse dieser Studien über die Grundrente haben sich in einem Exzerptheft niedergeschlagen.(3) Es handelt sich um ein 370 Seiten starkes Heft mit festem Umschlag im Format 115 x 180 mm. Das Heft wurde von beiden Seiten aus beschriftet und dementsprechend auch von Marx mit Bleistift paginiert; ein mal 1 bis 247, und von der anderen Seite aus 248 bis 368. Jeweils auf den ersten Seiten (1-14 und 248 bis 258) wird aus dem Report on Bankacts von 1857-1858 exzerpiert. Neben wenigen Auszügen zu anderen Problemen enthält das Heft im wesentlichen Exzerpte zu Problemen der Grundrente.

Die Seiten 259-272 enthalten Auszüge aus dem Artikel von Hippolyte-Philibert Passy "De la rente du sol" im Dictionnaire de I' economie politique ..., 2. ed., T. 2, Paris 1854. Marx erwähnte Passy im 6. Kapitel auf den Seiten 435, 446, 449, 451 und 453. Auszüge aus John Lockhart Morton's "Resources of estates: being a treatise on the agricultural improvement and general management of landed property", London 1858, befinden sich auf den Seiten 286--297. Diese wurden z. T. verwendet auf den Seiten 414/415 und 495.

Seite 298-327 schließen sich Auszüge aus Patrick Edward Dove's "Elements of political science," Edinburgh, London 1854, an. Marx erwähnt Dove im 6. Kapitel auf den Seiten 416 und 417a.

Besonders ausführlich exzerpierte Marx die neu esten Arbeiten Justus von Liebigs, den er sehr hoch einschätzte.

Die Seiten 29-59 enthalten Auszüge aus der "Einleitung in die Naturgesetze des Feldbaus", Braunschweig 1862; die Seiten 59-61 Auszüge aus "Herr Dr. Emil Wolff in Hohenheim und die Agricultur-Chemie von Liebig", Braunschweig 1855. Die Seiten 62-134 enthalten Auszüge aus "Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie", 7.Auflage, 2 Bde., Braunschweig 1862. Die 4.Auflage dieses Werks von 1842 war von Marx bereits in den Heften XII und XIII der" Londoner Hefte 1850 bis 1853" ausführlich exzerpiert worden. Im Jahre 1863 hatte Marx im Beiheft D "Über Theorie und Praxis der Landwirthschaft", Braunschweig 1856, exzerpiert.

Ausführlich exzerpierte Marx auf den Seiten 121-131 "Aus dem Bericht an die Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten in Berlin über die japanische Landwirthschaft. Von Dr. H. Maron (Mitglied der preußischen ost-asiatischen Expedition)." Diesen Bericht gab Liebig im Anhang seiner 7.Auflage von 1862. Von dem Verfasser dieses Berichts exzerpierte Marx auf den Seiten 183-190 die Arbeit "Extensiv oder intensiv? Ein Kapitel aus der landwirthschaftlichen Betriebslehre", Oppeln ", 1859. Auf Seite 470 des 6. Kapitels polemisiert Marx mit ihm.

Die neuesten Erkenntnisse der Agrikulturchemie wollte Marx im Kapitel über die Grundrente auswerten, darauf deuten die mehrfachen Hinweise auf Liebig hin.(4) Auch von dem "englischen Liebig", wie Marx James Finlay Weir Johnston nannte, hat Marx auf den Seiten 345-362 die "Notes on North America", Edinburgh, London 1851, exzerpiert. Arbeiten von Johnston hatte Marx bereits in den Heften XIII und XIV der "Londoner Hefte 1850-1853" exzerpiert. Zitate von ihm brachte Marx im 6. Kapitel auf den Seiten 497/498.

Von den erwähnten Franzosen exzerpierte Marx L. Mounier: De I'agriculture en France, d'apres les document officiels. Avec des remarques par Rubichon, T. 1-2, Paris 1846, auf den Seiten 135-182, 187-188 und 193-202. Im 6. Kapitel beabsichtigte Marx, auf den Seiten 480 und 472 Mounier zu zitieren.

Von dem Herausgeber dieses Werks hatte Marx das Buch "Du mechanisme de la societe en France eten Angleterre.", Nouv. ed., Paris 1837, in seiner persönlichen Bibliothek. Auf den Seiten 470 und 472 des 6. Kapitels erwähnt er ihn, um ihn später zu zitieren; auf S.414 zitiert er ihn im Text.

Leonce de Lavergne's "Essai sur I'economie rurale de l'Angleterre, de l'Ecosse et de l'lrlande", Paris 1854, exzerpierte Marx in der englischen Übersetzung "The rural economy of England, Scotland and Ireland", London 1855, auf den Seiten 203-239. Auf den Seiten 363-367 exzerpierte Marx vom gleichen Autor "L'agriculture et la population en 1855 et 1856", Paris 1857. Auf S. 415 seines Manuskripts zitiert Marx Lavergne und polemisiert mit ihm. In einem Punkte kritisierte er ihn jedoch zu Unrecht. Lavergne hatte behauptet, daß im Gegensatz zu Getreidepflanzen, die den Boden erschöpfen, "Futterkräuter (artificial grasses und roots) den Boden bereichern. ,forage plants derive from the atmosphere the principal elements to their growth, while they give to the soil more than they take from i1'''. Wenn Marx dies als Vorurtheil oder Märchen bezeichnet, so stützte er sich wahrscheinlich auf Liebigs Behauptung "Es gibt kein Gewächs, das den Boden schont, und keines das ihn bereichert. (187)", die Marx auf Seite 112 des erwähnten Exzerptheftes notiert hatte. (MEW S. 644)

Von Wilhelm Hamm exzerpierte Marx "Die landwirthschaftlichen Geräthe und Maschinen Englands. Mit einer Schilderung der britischen Agricultur." 2.ed., Braunschweig 1856, auf den Seiten 328-344. Unter anderem finden wir hier bei der Beschreibung der Hauptentwicklungen der englischen Agrikultur folgende, ganz aktuell anmutende Passage: H["'] diese englische Stallfütterung ist eine Art ZeIlengefängnissystem [ ...]In diesen Gefängnissen werden die Tiere geboren und bleiben drin bis sie are killed off. Solche Fabriken von Fleisch, Milch und Talg, wo das lebende Tier ganz wie eine Maschine behandelt wird, haben etwas Abstossendes wie ein Fleischeriaden. (48)"

Wie gut sich Marx bereits in der Literatur auskannte, zeigt die Bemerkung: "Herr Hamm (p.13 sqq.) schreibt den Lavergne ab."

Wann entstanden die erwähnten Auszüge zur Grundrente?

Ohne der genaueren Datierung dieses Heftes in Band 19 der Vierten Abteilung der MEGA vorgreifen zu wollen, kann doch schon festgestellt werden, daß sie nicht vor Mitte Oktober 1865 datiert werden können, denn auf den Seiten 22-25 befinden sich Exzerpte aus den Daily News" vom 23. Oktober 1865. Erst danach folgen die umfangreichen Auszüge aus Liebigs Arbeiten und die weiterer Autoren. Bleistiftanstreichungen bei den Auszügen der Arbeiten 'von Liebig, Johnston und Dove zeugen davon, daß Marx dieses Heft nochmals durchgesehen hat.

In welcher EiLe und Anspannung das Kapitel 6. niedergeschrieben wurde, läßt sich an den rund 60 Fußnoten zu diesem Kapitel ersehen. Die Fußnoten wurden meist nur angedeutet; wie bei den übrigen Kapiteln sollte ihre Ausarbeitung einem späteren Arbeitsgang vorbehalten werden; dafür ließ Marx jeweils die untere Hälfte der Seiten frei. Beim 6. Kapitel, das als letztes geschrieben wurde, kam es zu dieser Überarbeitung nicht. Oft werden nur die Namen der zu zitierenden Autoren notiert, manchmal begnügte sich Marx auch mit der bloßen Fußnotenziffer. Nur wenige Fußnoten wurden direkt ausgeführt, und zwar solche, für die unmittelbar keine Literatur nachzuschlagen war, oder solche, deren Bücher sich in Marx' Handbibliothek befanden (Hegel, Walton, Marx). Eine Ausnahme bilden die Zitate aus Johnstons "Notes on North America", die direkt im laufenden Text gegeben werden, während die Fußnoten nur die Quelle angeben. Möglicherweise erfolgte die Zitierung im Text parallel mit dem Studium dieses Werks, das sich im Exzerptheft auf den Seiten 345-362 niedergeschlagen hat. Dafür spricht auch, daß Marx in seinem Inhaltsverzeichnis dieses Heftes Johnston nicht aufgenommen hat.

In der äußerst kurzen Zeitspanne von Mitte bis Ende Dezember 1865 hat Marx das

6. und 7. Kapitel im Umfang von ca. 180 Manuskriptseiten geschrieben. Zu einer Überarbeitung ist er nicht mehr gekommen, denn mit Beginn des Jahres 1866 bereitete er den ersten Band des "Kapitals" für den Druck vor.

Darüber, wie die Überarbeitung ausgesehen hätte, wenn Marx dazu gekommen wäre, kann man natürlich viele Vermutungen und Spekulationen anstellen. Äußerst wichtige Hinweise hat uns jedoch der Verfasser selbst gegeben, als er gegen Ende des Manuskripts, auf der Seite 515, einen Plan aufstellte für die Gestaltung des Kapitels über die Grundrente.

"Die Rubriken, worunter die Rente zu behandeln diese:

A) 1) Begriff der Differentialrente überhaupt. Illustration an Wasserkraft. Dann Uebergang zur eigentlichen Ackerbaurente.

I) Differentialrente N. I, entspringend aus verschiedner Fruchtbarkeit verschiedner Bodenstücke.
II) Differentialrente N. 11, entspringend aus successiven Capitalanlagen auf demselben Boden.
III) Einfluß dieser Rente auf die Profitrate.

B) Absolute Rente.
C) Der Bodenpreiß.
D) Schlußbetrachtungen über die Grundrente.

II
zerfällt wieder

a) Differentialrente bei stationärem Productionspreiß,
ß) Differentialrente bei fallendem Productionspreiß,
y) Differentialrente bei steigendem Productionspreiß.)"

Dann, nachträglich noch hinzugefügt: ,,(und S) Verwandlung von Surplusprofit in Rente.)"

Marx hat diesen Plan für die Darstellung der Theorie der Grundrente u. a. auch aufgestellt, weil sein Entwurf zum 6. Kapitel nur wenig gegliedert war. Nachdem er auf den Seiten 406-417 unter a) Einleitendes behandelt hatte, ging er gleich zu c) Die absolute Grundrente über. Es war ihm also schon hier klar, daß vorher unter b) Die Differentialreme behandelt werden müßte, was er auch ausdrücklich vermerkte.(5)

Warum hat Marx zunächst den Abschnitt über die absolute Grundrente geschrieben? Hier handelte es sich um den Kernpunkt der Grundrententheorie, das Spezifische, das eng mit der von ihm aufgestellten Theorie der Produktionspreise zusammenhängt.(6) Die Differentialrente wurde allgemein anerkannt, dagegen wurde über die Existenz bzw. Nichtexistenz der absoluten Rente, wie sie Marx nannte, gestritten.

Im Unterschied zum Manuskript von 1861-1863 entwickelte Marx die Theorie der absoluten Rente nicht an Zahlenbeispielen, sondern anhand einer Formel. Nur an einer Stelle, auf S.429 (MEW, S. 771/772), gibt er ein angenommenes Beispiel, das die Voraussetzung für die Existenz der absoluten Rente illustrieren soll, nämlich niedrigere organische Zusammensetzung des Kapitals in der Landwirtschaft, infolgedessen der Wert ihrer Produkte größer ist als ihr Produktionspreis.

Die Darsteilung der Differentialrententheorie beginnt erst auf der Seite 474. Marx ging dabei von der Lehre Ricardos aus, er zitierte dessen Hauptthesen über die Differentialrenteund stimmte ihnen ausdrücklich zu. Dann zeigte er, worin sich seine eigene Rententheorie von der Ricardos unterscheidet und widerlegte dessen falsche Voraussetzungen, nämlich, daß immer schlechterer Boden in Bebauung genommen werden müsse und daß die Fruchtbarkeit der Agrikultur stets abnehme.

Im Unterschied zum Manuskript von 1861-1863 widmete Marx der Differentialrente II, die aus zusätzlichen Kapitalanlagen auf demselben Boden entspringt, besondere Aufmerksamkeit.

Im vorhergehenden Manuskript hatte er vorwiegend die Differentialrente für Böden unterschiedlicher Lage und Fruchtbarkeit untersucht. Erst 1865 führte er die Bezeichnung dieser beiden Formen der Rente als Differentialrente I und Differentialrente II ein. Die Differentialrente I ist die Basis auch der Differentialrente II, für die Marx nun systematisch die verschiedenen Fälle behandelt. Wie bereits im Manuskript von 1861-1863 stellt er auch hier zahlreiche Tabellen auf, an denen er die verschiedenen Beispiele illustriert. Während in den Tabellen von 1862 stets absolute und Differentialrente miteinander kombiniert wurden, ist das nun nicht mehr der Fall. 1862 war Marx davon ausgegangen, daß 100 Kapital in der Agrikultur 120 Wert produzieren (unabhängig von der Größe des Gebrauchswerts), daß bei einer allgemeinen Profitrate von 10% die absolute Grundrente daher 10% beträgt. Er untersuchte dann, wie sich ein Wertwechsel der Elemente des Kapitals (bei gleicher technologischer Zusammensetzung) auf die Profitrate bzw. die Mehrwertrate auswirkt. Marx war hier stets vom Kapital, das er = 100 setzte, ausgegangen.

Nun untersuchte er die Rente per Acre. Da es unrealistisch wäre, bei zusätzlichenKapitalanlagen auf gleichem Boden, die die Differentialrente 11 bewirken, einen gleichbleibenden Prozentsatz als absolute Rente anzunehmen, finden wir 1865 keine über die Höhe der absoluten Rente. Damit erklärt sich auch, warum in den vielen, auch in diesem Manuskript enthaltenen Tabellen die absolute Grundrente keine Berücksichtigung mehr findet.

Als ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen bei den Manuskripten muß noch hervorgehoben werden, daß 1862 kaum eine Gewichtung der Mengen der unterschiedlichen Bodenarten stattfand (abgesehen von der Feststellung, daß einzelne Bodenarten ganz oder teilweise außer Bebauung gesetzt werden). Nun, 1865, stellte Marx ausdrücklich fest: "Es handelt sich nicht nur um die Rente per acre, überhaupt den Unterschied zwischen Productionspreiß und Marktpreiß und individuellem und allgemeinem Productionspreiß per acre, sondern es ist wichtig, wieviel acres von jeder Bodenart in Cultur sind." (S.490; MEW S.674)

Bei der Untersuchung der absoluten Rente betonte Marx, daß die Differentialrente davon ganz unabhängig ist: "Das Gesetz der Differentialrente ist also von dem Ergebnis der folgenden Untersuchung unabhängig." (S.419; MEW, S.757) Bei allem Bemühen, absolute Grundrente und Differentialrente unabhängig voneinander darzustellen, zeigte sich jedoch immer wieder, daß in der Praxis beide Rentenarten aufs engste zusammenhängen. Schon bei der absoluten Rente entwickelte Marx, unter welchen Umständen auch der schlechteste Boden Differentialrente tragen würde.

Die Rente der schlechtesten Bodenart "bildete nun zwar eine Differentialrente..." entwickelte er, doch die Ursache ist hier das Grundeigentum, "der Umstand, daß der Boden Rente abwerfen muß, um bebaut zu werden, wäre die Ursache des Steigens der Getreidepreisse zu diesem Punkt, wo diese Bedingung erfüllt werden kann." (S.422/423; MEW, S.463) Das Grundeigentum ist "der schöpferische Grund dieser Preißsteigerung und Rentschaffend." (Ebenda.)

Marx legte weiter dar, unter welchen Umständen sich alle Rente in Differentialrente verwandeln würde:

"Wäre aller zu m Ackerbau brauchbare Boden eines Landes verpachtet, - der capitalistischen Productionsweise normale Verhältnisse allgemein vorausgesetzt so gäbe es kein Land, das nicht Rente abwürfe, aber es könnte Capitalanlagen, einzelne Theile des auf das Land angelegten Capitals geben, die keine Rente abwürfen." (S.430; MEW, S. 772 f.) Eine Voraussetzung, die man heute für alle kapitalistisch entwickelten Länder als erfüllt ansehen kann. Es ist darum durchaus kein Zufall, wenn seine Untersuchung der DifferentialrenteII  in dem Nachweis mündet, daß auch der schlechtest bebaute Boden Differentialrente abwerfen kann. (In der Druckfassung bildet dies das Kapitel 44.)

Wenn auch die meisten Punkte des erwähnten Plans für die Darstellung der Theorie der Grundrente im Entwurf bereits vorlagen, so waren doch einige Positionen nicht ausgearbeitet. Zunächst "y) Differentialrente bei steigendem Produktions. Unmittelbar nach der Überschrift schrieb Marx den oben zitierten Plan nieder. Auf diesen Punkt kam er nicht mehr zurück; seine Ausfü!lung hat für die Druckfassung Engels übernommen.

Bei ,,0) Verwandlung von Surplusprofit in Rente" fällt auf, daß dieser Unterpunkt mit dem Titel des gesamten 6.Kapitels übereinstimmt. Marx wollte wohl an dieser Stelle eine Zusammenfassung geben.

Von außerordentlicher Bedeutung für das Grundrentenkapitel ist der Punkt "III Einfluß dieser Rente auf die Profitrate",weil hier der mit der ökonomischen Theorie insgesamt angesprochen wird. Im 6. Kapitel finden sich darüber einige Andeutungen, wie z. B. auf der Seite 417b über die Eigentümlichkeit der kapitalistischen Produktion in der Landwirtschaft, daß "die Macht des  Grundeigenthums sich entwickelt, einen wachsenden Theil dieser ohne sein Zuthun geschaffnen Werthe sich anzueignen, ein wachsender Theil des Mehrwerths sich in Rente verwandelt." (MEW, S.652.)

Hier gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zu seinen Ausführungen im 3. Kapitel über das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Auf der Seite 221 (MEW, S.252) hat Marx bereits auf die Tendenz hingewiesen, daß der Anteil der Grundrente am Gesamtprofit wächst. Er stellte hier bereits die Formel auf

C stellt das gesellschaftliche Gesamtkapital dar, p, den industriellen Profit, z den Zins und r die Grundrente.

Schon im 2. Kapitel gab es einen Hinweis auf "die Darstellung der verschiednen Klassen und Klassenabtheilungen, welche die Gesammtrevenu der Gesellschaft unter sich vertheilen und als Revenu consumiren, also die von der Revenu gebildete Nachfrage bilden, während sie andrerseits für die durch die Producenten als solche unter sich gebildete Nachfrage und Zufuhr Einsicht in die Gesamtgestaltung des capitalistischen Productionsprocesses erheischen". (S. 192; MEW, S.205.)

So wie Marx im 4. Kapitel den Einfluß des Kaufmannskapitals auf die Profitrate untersucht hat, und im 5. Kapitel die Spaltung des Profits in Unternehmergewinn und Zins, so wollte er im 6. Kapitel den Einfluß der Differentialrente auf die Profitrate näher untersuchen. Auf der S.484 bemerkt er ausdrücklich in Klammern: "[Diese Sache über die Profitrate weiter noch besonders und mehr im Detail zu untersuchen.]" Wenig später schreibt er nochmals: " ... auf qiesen Punkt ist später näher einzugehn; it must not be forgotten, daß die general rat~ of profit nicht durch den Surpluswerth in allen Productionssphären bestimmt ist; es Ist nicht der agricultural profit, der den industrial bestimmt; sondern umgekehrt; doch darüber später." (S.484; MEW, S. 667.) In diesem Zusammenhang gehört auch der "falsche sociale Werth", den die Differentialrente unter kapitalistischen Verhältnissen hervorbringt, wie Marx auf Seite 489 darlegt. (MEW, S.673.)

Auf der letzten Seite, der Seite 527, kommt Marx nochmals auf diese Problematik zurück: "Vom Standpunkt der capitalistischen Productionsweise findet stets relative Vertheurung der Production statt, wenn, um dasselbe Product zu erhalten, eine Auslage gemacht, bezahlt werden muß, was früher nicht bezahlt war." (MEW, S.753/754.)

Anmerkungen

1) Die Handschrift befindet sich unter der Signatur A801A54 im Marx-Engels-Nachlaß des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam.

2)  In der Druckfassung brachte Engels mit der Bemerkung: "Die folgenden drei Frag mente finden sich an verschiednen Stellen des Ms. zum VI. Abschnitt" an den Beginn des VII. Abschnitts, und zwar S.470 als I, 471 als 11 und445als 111. (MEW, Bd.25, S.822-826. - Wir bringen hier und im folgenden zusätzlich die Seitenangaben aus der Werkausgabe, um dem Leserdie Orientierung zu erleichtern und ihm die Möglichkeit zu geben, die zitierten Stellen im Kontext des 3. Bandes des "Kapitals" nachzulesen.)

3) Das Original befindet sich im IISG Amsterdam unter der Signatur B 106/B98.

4) Siehe auch Michail Ternowski: "Die Agrikulturchemie und die Entwicklung der Grundrententheorie durch Marx", in Marx-Engels-Jahrbuch 8, S.89-102.

5) "Unter b) ist vorher die Differentialrentezu behandeln und dieses ist supposed bei der Behandlung von cl." (S.418.)

6) "Das Wesen der absoluten Rente besteht also darin: Gleichgrosse Capitalien (ihre Durchschnittszusammensetzung betrachtet) in verschiednen Productionssphären produciren, bei gleicher Rate des Mehrwerths, oder gleicher Exploitation der Arbeit, verschiedne Massen von Mehrwerth. In der Industrie gleichen sich diese verschiednen Massen von Mehrwerth zum Durchschnittsprofit aus, oder vertheilen sich an die verschiednen Capitalien als aliquote Theile des Gesellschaftscapitals. Das Grundeigenthum, sobald die Industrie
Grund und Boden braucht, sei es zur Agricultur, sei es zu Extraction von Rohproducten, hindert diese Ausgleichung, der im Grund und Boden angelegten Capitalien, und fängt einen Theil des Mehrwerths ein, der sonst in die Ausgleichung zu allgemeinen Profitrate eingehn würde. Die Rente bildet dann einen Theil des Werths, spezieller des Mehrwerths der Waaren, der nur, statt der Capitalistenklasse, die ihn extrahirt haben aus den Arbeitern, den Grundeigenthümern zufällt, die ihn aus den Capitalisten extrahiren." (S.436/437; MEW, S. 779/780.)

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung, ZK der SED (Hg), Heft 23, Berlin 1987, S.117-125