Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach der Parlamentswahl
Die neofaschistische Gefahr bleibt aktuell, und sitzt im Parlament – und die Bündnisdiskussion bei den Konservativen ist angerissen

5/6-12

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Drei Generationen von Le Pens in der aktiven Politik, drei Abgeordnete der extremen Rechten im Parlament (trotz Mehrheitswahlrechts): Auf diese Weise lässt sich die aktuelle Situation des neofaschistischen Spektrums nach der französischen Parlamentswahl vom 10. und 17. Juni d.J. zusammenfassen. Anderswo kann das bei französischen Parlamentswahlen geltende Mehrheitswahlrecht, jedenfalls in diesem Jahr, ausgesprochen hohe Stimmenanteile der Rechtsextremen verdecken: Diese erhielten in mehreren Wahlkreisen Ergebnisse um 49 %, ohne dass sich dies in Sitzen niederschlug. Auf die Dauer wird es aber schwer sein, ob Mehrheitswahlrecht oder nicht, dieses Potenzial unter den Teppich zu kehren…

Drei Mandatsträger repräsentieren nunmehr die extreme Rechte in der französischen Nationalversammlung. Doch sie gehören zwei unterschiedlichen Parteien an: dem Front National (FN), aber auch der Regionalpartei Ligue du Sud, welche sich in ihrem Namen offen an die italienische Lega Nord anzulehnen versucht. Ersterer wird durch den medienträchtigen Anwalt Gilbert Collard und durch Marione Maréchal-Le Pen – eine 22jährige Enkelin Jean-Marie Le Pens - im Parlament vertreten, und die Letztgenannte durch den Bürgermeister von Orange, Jacques Bompard. Während die beiden FN-Abgeordneten jeweils mit relativer Mehrheit die Stichwahl in ihren Wahlkreisen gewannen (42,82 % für Collard im südfranzösischen Vauvert und 42,09 % für Marion Maréchal-Le Pen im südostfranzösischen Carpentras), siegte Bompard im Wahlkreis rund um Orange sogar mit einer absoluten Mehrheit. Er erhielt dort satte 58,77 % der abgegeben Stimmen.

Absolute Mehrheit für Jacques Bompard

Bompard gehörte bis im Herbst 2005 selbst dem Front National an; für ihn war er im Juni 1995 zum Bürgermeister von Orange gewählt worden. Bei den Kommunalwahlen waren damals drei Rathäuser an den FN gefallen (Toulon, Orange und Marignane), eine vierte Kommunalregierung folgte im Februar 1997 in Vitrolles infolge einer angefochtenen und wiederholten Rathauswahl. Als einzige rechtsextreme Rathausregierung blieb seitdem jene in Orange übrig, die übrigen gingen 2001 und 2002 wieder verloren. Bompard trat jedoch innerparteilich beim FN zunehmend in die Opposition. Keineswegs jedoch, weil er für die rechtsextreme Partei zu moderat geworden wäre, im Gegenteil: Ihn empörte, dass Jean-Marie Le Pen aus seiner Sicht zeitweilig inhaltlich zu viele Kompromisse machte – 1999 störte er sich etwa, zusammen mit Carl Lang u.a., an einer „Aufweichung“ der Positionen zur Immigration – und dass er die lokale Verankerung der Partei zugunsten eines zentralistischen Führungsstils vernachlässige. 2003 und 2004 führte Bompard, beispielsweise zeitgleich zur „Sommeruniversität“ des FN, eigene Veranstaltungen mit rechtsextremen Dissidenten durch, denen die Parteilinie zu „moderat“ war.

Am 03. November 2005 trat Bompard zur rechtskatholischen, rechtskonservativen Kleinpartei MPF („Bewegung für Frankreich“) des Grafen Philippe de Villiers über, welcher er jedoch ebenfalls alsbald wieder den Rücken kehrte. Am 17. und 18. Oktober 2009 fand dann in „seiner“ Stadt, Orange, die grenzübergreifende Convention identitaire der neofaschistischen Aktivistenbewegung des Bloc identitaire mit über 600 Teilnehmern statt. In der Folgezeit widmete Bompard seine Energien dem Aufbau der Regionalpartei Ligue du Sud in Südostfrankreich – einer Bündnisorganisation, der neben ausgetretenen und abgespaltenen früheren FN-Mitgliedern auch die Identitaires-Bewegung angehört. Bompard ist heute ihr Vorsitzender.

Jacques Bompards kommunale Verwaltungsführung ist keineswegs „moderat“. 1996 machte seine damalige, frisch gebackene FN-Kommunalregierung frankreichweit auf sich aufmerksam, indem sie etwa Bücher zu „kosmopolitischen Geistes“ aus der Stadtbibliothek verbannte. Dazu zählten Kindermärchen aus Afrika, China und Haiti. Auch schraubte Bompard die Kulturförderung radikal zurück. Aufgrund kommunaler Steuersenkungen – die auch dadurch ermöglicht wurden, dass er soziale Ausgaben scharfen Kürzungen unterwarf – gewann er jedoch bei Geschäftsleuten und Innenstadtbewohnern eine erhebliche Popularität. Taktisch geschickt, trat er zudem auf lokaler Ebene mit der Listenbezeichnung Union des droites et du centre (ungefähr: Liste der vereinigten Rechten und der Mitte), der sehr nach einer bürgerlichen Rechten klingt, zur Parlamentswahl an. Örtlich ist Jacques Bompards Vergangenheit allerdings sehr wohl bekannt: Der Mann ist seit Jahrzehnten ununterbrochen auf der extremen Rechten aktiv. Er begann als Mitglied von Unterstützergruppen für die rechtsextreme Terrororganisation OAS („Organisation Geheimarmee“), die ab 1961/62 gegen den französischen Rückzug aus dem Kolonialkrieg in Algerien bombte und mordete, und der von 1964 bis 68 aktiven rechten, studentischen Schlägerorganisation Occident.

Jacques Bompards Regionalpartei erhielt in der Vergangenheit, insbesondere vor den Regionalparlamentswahlen im März 2010, in Südostfrankreich höchstwahrscheinlich finanzielle Unterstützung seitens der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP um dem FN ein bisschen Konkurrenz in seinem Umfeld zu bereiten, und um ihn um ein paar Stimmen zu schwächen. Inzwischen hat Bompard sich jedoch wieder erheblich an den FN angenähert, und bei der Präsidentschaftswahl im April 2012 (erste Runde) zur Wahl seiner Kandidatin Marine Le Pen aufgerufen. Vor den Parlamentswahlen 2012 war Marine Le Pen im Gegenzug denn auch bereit, Bompard als Kandidaten ihres Wahlbündnisses unter dem Listennamen Rassemblement bleu marine („Marineblaue Sammlung“) antreten zu lassen. In dessen Rahmen hatte der FN in diesem Jahr sowohl parteieigene Kandidaten als auch parteilose Bewerber wie den Anwalt Gilbert Collard, als prominentesten unter ihnen und eine Handvoll Mitglieder rechtskonservativer verbündeter Kräfte aufgestellt. Doch ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, hatte sich dem Vorhaben widersetzt: In seinen Augen ist und bleibt, wer ihn einmal zuverraten wagte, für den Rest seiner Lebenszeit einVerräter“. Jacques Bompard hatte Jean-Marie Le Pen in der Vergangenheit wiederholt öffentlich herausgefordert, u.a. durch ein Interview in der Pariser Abendzeitung Le Monde vom 31. August 2004; vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd1004/t331004.html.

Extreme Rechte erstmals seit 1998 wieder im Parlament repräsentiert

Bompard war bereits zwischen 1986 und 88, als (unter dem damals geltenden Verhältniswahlrecht) 35 Abgeordnete den Front National in der Nationalversammlung vertraten und er dort Fraktionsstärke aufwies, Parlamentarier gewesen. Neben ihm zogen in diesem Jahr nun auch zwei neue Abgeordnete für den FN ein: Gilbert Collard und Marion Maréchal-Le Pen.

Zuletzt war der FN unter dem Mehrheitswahlrecht, das seit 1988 gilt, zwei mal mehr oder minder kurzfristig mit einzelnen Abgeordneten im Parlament vertreten gewesen. Bei der Parlamentswahl im Juni 1988 hatte es eine FN-Abgeordnete mit Mehrheit in ihrem Wahlkreis ins Parlament geschafft: Yann Piat, gewählt in Südostfrankreich. Doch sie innerhalb weniger Monate infolge antisemitischer Aussprüche Jean-Marie Le Pens aus dem FN aus, und zu einer rechtsliberalen Partei unter. (1989 wurde sie, vor dem Hintergrund von Konflikten mit Mafiainteressen an der Côte d’Azur, durch Schüsse ermordet.) Im Dezember 1989 zog für die verbleibende gute Hälfte der Legislaturperiode eine neue FN-Abgeordnete, Marie-France Stirbois, über einen Wahlkreis in Dreux ins französische Parlament ein. Dort hatte eine Parlamentswahl im einzelnen Wahlkreis nachgeholt werden müssen, weil der Inhaber des Sitzes verstorben war; Stirbois erhielt in einer damaligen politischen Ausnahmesituation über 61 % der Stimmen. Bei der darauffolgenden Wahl verschwand sie wieder aus der Nationalversammlung. Bei der übernächsten Wahl zum französischen Parlament, Ende Mai und Anfang Juni 1997, wurde der damalige FN-Bürgermeister von Toulon – Jean-Marie Le Chevallier – als einziger Vertreter der extremen Rechten unter dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Doch seine Wahl wurde 1998 wegen Verletzung der Regeln des Wahlkampfgesetzes annulliert. 1999 trat er ferner aus dem Front National aus. Seitdem war die rechtsextreme Partei, seit nunmehr vierzehn Jahren, gar nicht im nationalen Parlament vertreten.

Jean-Marie Le Pens Enkelin

Symbolisch bedeutungsvoll für den Front National ist insbesondere sein Wahlerfolg im südostfranzösischen Carpentras. Dort wurde die 22jährige Jurastudentin Marion Maréchal-Le Pen zur jüngsten Abgeordneten, die das französische Parlament unter der Fünften Republik jemals aufwies, gewählt. Nach derEnkelin des Duce“, Alessandra Mussolini neofaschistische italienische Abgeordnete für den Raum Neapel, in der aktiven Politik seit 1993/94 – ist nun auch die Enkelin Jean-Marie Le Pens auf der politischen Bühne präsent. Also die dritte Generation an Le Pens. In den Augen des alternden Jean-Marie Le Pen (er wird am morgigen Mittwoch 84jährig) übrigens ein Nachweis dafür, dass seine Familie so wörtlich von guter Rasse sei; vgl. http://www.lemonde.fr/ und http://actu.orange.fr  . Marion Maréchal-Le Pen ist nicht die Tochter der Parteivorsitzenden Marine Le Pen, sondern ihre Nichte. Die Mutter ist Jean-Marie Le Pens mittlere Tochter Yann, eine der beiden älteren Schwestern der jetzigen Parteichefin. Ihr Vater ist der frühere Chef des FN-Jugendverbands FNJ (1995 Erfinder des Slogans Nicht rechts, nicht links, sondern französisch) und inzwischen aus der Politik zurückgezogen sowie von Yann Le Pen wieder geschieden.

Auch Jean-Marie Le Pen selbst war dereinst, am 02. Januar 1956, im Alter von 27 Jahren zum damals jüngsten Abgeordneten der Nationalversammlung – noch unter der Vierten Republik – gewählt worden. Der junge Le Pen zählte zur damaligen Parlamentarier-Riege der kleinbürgerlichen Anti-Steuer-Protestpartei der „Poujadisten“.

Aber noch ein anderer Aspekt, neben der weiteren Absicherung der dynastischen Erbfolge Jean-Marie Le Pens (nachdem seine Tochter Marine Le Pen im Januar 2011 den Parteivorsitz von ihm übernahm), spielt eine wichtige symbolische Rolle für den Front National. In der Nacht vom 08. zum 09. Mai 1990 war der jüdische Friedhof der südostfranzösischen Stadt auf spektakuläre Weise geschändet: Der Leichnam eines wenige Tage zuvor beerdigten 83Jährigen, Félix Germon, wurde auf dem Stil eines Sonnenschirms gepfählt oder aufgespießt. Die Nachricht von der antisemitisch motivierten Schändung löste größere Proteste aus, und in Paris eine Demonstration mit 200.000 Menschen (und Staatspräsident François Mitterrand persönlich vorneweg). In breiten Kreisen wurde der Front National angeprangert. Dieser behauptete stets, die „nationale Rechte“ werde völlig zu Unrecht mit der Tat in Verbindung gebracht, die Schändung habe vielmehr andere Hintergründe – Satanisten, generelle Religionsfeinde, Mutproben oder Provokation des Mossad – und die Denunzierung der Partei sei ein „staatliches Komplott gegen den Front National“. Die Täter wurden Ende Juli 1996 identifiziert, nachdem einer von ihnen sich bei der Polizei gestellt hatte, und später verurteilt: Es handelte sich um rechtsextreme Skinheads (wenngleich ohne Parteibuch des FN). Zuvor, vor der Dingfestmachung der Täter, hatte der FN allerdings am 11. 11. 1995 noch eine große „Wahrheitsdemonstration“ in Carpentras mit frankreichweiter Mobilisierung veranstaltet.

Nunmehr betrachtet und präsentiert der FN offen die Wahl seiner Kandidatin „ausgerechnet“ in Carpentras als eine symbolische „Wiedergutmachung“. Die frisch gewählte Abgeordnete, Marion Maréchal-Le Pen, selbst erklärte der Presse, ihr Opa habe sie zum Antreten gerade in dieser Stadt gedrängt, „weil unser (Familien-)Name dort in den Schmutz gezogen worden ist“. Nunmehr stellt die extreme Rechte es so hin, als sei „der Schandfleck gereinigt“ und sie selbst moralisch rehabilitiert.

Die Wahl ihrer jungen Abgeordneten verdankt die extreme Rechte dort einer Dreieckskonstellation: Entgegen den Anordnungen der „sozialistischen“ Parteiführung in Paris – welche ihre Kandidatin Catherine Arkilovitch dringend zum Rückzug nach dem ersten Wahlgang aufforderte – hielt diese Bewerberin an ihrer Kandidatur für die Stichwahl fest. Arkilovitch hatte in der ersten Runde als drittplatzierte Kandidatin abgeschnitten. Laut den Regeln ihrer Parteiführung hätte sie deswegen zwischen den beiden Durchgängen den Weg für ihren konservativen Gegenkandidaten frei machen, und zur Wahl der bürgerlichen Rechten gegen den FN aufrufen sollen. Dies verweigerte Arkilovitch jedoch, die deswegen umgehend aus der Partei ausgeschlossen wurde.

Dabei handelte Arkilovitch jedoch nicht unbedingt oder überwiegend aus persönlichem Größenwahn, sie wurde vielmehr stark durch die örtliche Parteibasis in diesem Sinne bedrängt. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Da war die Weigerung der zentralen Parteiführung der UMP, in ähnlicher Weise ihre Kandidaten zugunsten von besserplatzierten sozialdemokratischen Bewerber/inne/n zurückzuziehen, wo es aussichtsreichen rechtsextremen Kandidaturen den Weg zu versperren gält. (Im Namen einer Linie „weder Linke noch Front National“ hielt die UMP ihre Kandidaten überall aufrecht, wo sie konnte.) Da war aber auch das Profil des örtlichen Kandidaten der UMP, Jean-Michel Ferrand, welcher selbst dem Rechtsaußenflügel seiner Partei – der Abgeordnetengruppe Droite populaire – angehörte. (Die Droite populaire firmierte als eine Art Brücke der Konservativen zum FN, wurde jedoch durch die jüngste Parlamentswahl ramponiert: 19 ihrer 39 Parlamentsabgeordneten und Kandidaten auf ihre Wiederwahl fielen dieses Mal durch.) Da war zum Dritten der Wunsch der Sozialdemokratie, „endlich“ in diesem traditionell konservativ geprägten Bezirk politisch zu existieren, und nicht sofort nach dem ersten Wahlgang wieder quasi spurlos von der Bildfläche zu verschwinden.

Im Gegensatz zur örtlichen Kandidatin der Sozialdemokratie riefen jedoch ihr eigener Ersatzkandidat, Roland Davau, und das links neben der Sozialdemokratie angesiedelte Linksbündnis Front de gauche gleichermaßen zur Wahl des UMP-Bewerbers auf. „Um den Einzug der Kandidatin des FN ins Parlament zu verhindern.“ Catherine Arkilovitchs Stimmenanteil zwischen den beiden Wahlgängen blieb weitgehend gleich (21,98 % in der ersten Runde und 22,08 % in der Stichwahl), während der UMP-Kandidat nach dem Wegfall der kleineren Kandidat/inn/en aus der ersten Runde von gut 30 auf gut 35 Prozent zulegen konnte. Doch Marion Maréchal-Le Pen ihrerseits kletterte zwischen den beiden Wahlgängen von knapp 35 Prozent auf über 42 Prozent. Möglicherweise konnte sie dabei auch bisherige Nichtwähler/innen aus der ersten Runde zu ihren Gunsten mobilisieren.

Aus Sicht Arkilovitchs kann man eher von einer gewissen persönlich-politischen Tragik sprechen: Die Kandidatin, die selbst aus einer jüdischen Familie kommt, erlebte sehr schwere Tage. Sie war sich der Verantwortung, dass „ausgerechnet sie“ - infolge ihrer Aufrechterhaltung in der Stichwahl - für die Wahl einer FN-Kandidatin verantwortlich gemacht werden könnte, durchaus bewusst. Da sie Morddrohungen erhalten habe, so ihre Angaben, floh sie momentan aus der Stadt.

Gilbert Collard, aufmerksamkeitssüchtiger Anwalt & Abgeordneter

Im Zusammenhang mit der o.g. Carpentras-Affäre spielte auch der kamera- und mikrophongeile Marseiller Anwalt Gilbert Collard eine wichtige Rolle. Damals, in den frühen 1990er Jahren und auf dem Höhepunkt der Affäre, vertrat er eine der Nebenklägerparteien, die als Zivilkläger gegen die unbekannten Urheber der Friedhofschändung auftraten. Er warf dabei wiederholt mit wüsten Behauptungen auf sich, die darauf hinausliefen, dass die in den meisten Fällen vermutete Urheberschaft der Friedhofsschändung (rechte Antisemiten) eine „falsche Spur“ sei und dass die Tat andere Hintergründe habe: Es handele sich um „Rollenspiele“, eine Art Mutprobe für Sprösslinge aus der örtlichen „besseren Gesellschaft“, die aus genau diesem Grunde vertuscht würde. 1995 wedelte er im französischen Fernsehen mit einem verschlossenen DIN4-Umschlag und behauptete, darin befänden sich unwiderlegbare Beweise, und „die Wahrheit“ würde nun „innerhalb weniger Wochen“ definitiv bekannt werden. Dadurch half er dem FN damals beträchtlich, obwohl dies seinerzeit nicht seine hauptsächliche Absicht war.

Der medienträchtige Gilbert Collard war in seinem Leben schon alles Mögliche und Erdankbare gewesen: Trotzkist in seiner Jugend, später Sozialdemokrat, nebenbei auch Antirassist (die antirassistische Bewegung MRAP schloss ihn 1990 aus, weil er einen Holocaustleugner gerichtlich verteidigte und sich dabei fälschlich ein Amt als Marseiller Vorsitzender – das er nicht innehatte – andichtete). Dann auch Rechtsliberaler, Kommunalparlamentarier in Vichy, Freund des Law & Order-Innenministers Charles Pasqua. Und er unterstützte im Laufe seines politischen Lebens u.a. den „sozialistischen“ Präsidenten François Mitterrand, den bürgerlichen Präsidenten Jacques Chirac, den linksnationalistischen früheren Innenminister und Präsidentschaftskandidat (2002) Jean-Pierre Chevènement, zuletzt auch Präsident Nicolas Sarkozy bei seiner Wahl 2007. Noch später, im Juni 2011, fand man ihn als Vorsitzenden des Unterstützungskomitees Marine Le Pens für die Präsidentschaftswahl wieder.

Nun ist er Abgeordneter des Front National, der zweite neben Marion Maréchal-Le Pen. Er wurde in einer Stichwahl zu dritt gewählt, wobei der UMP-Kandidat Etienne Mourut nach dem ersten Wahlgang zu Wochenanfang tagelang in aller Öffentlichkeit gezögert hatte, ob er nicht seine Beerbung zurückziehen und Collard unterstützen solle. (Er trat letztendlich an, doch nach diesem tagelang inszenierten Zögern fiel er in der Stichwahl auf nur noch 15,63 %, nachdem er zuvor 23,89 % in der ersten Runde holte.)

Bislang besitzt Collard jedoch offiziell kein Parteibuch des FN, und er möchte laut eigenen Angaben vom gestrigen Donnerstag (20. Juni 12) der Partei auch nicht beitreten. Am Wahlabend vom vergangenen Sonntag kündigte er an, er wollte als Abgeordneter (des südfranzösischen Bezirks Gard) einen ständigen „demokratischen Störenfried“ abgeben. Er wolle aber auch in seinem publicityträchtigen Anwaltsberuf weiterarbeiten – weil er, wie er vor den TV-Kameras erklärte, dadurch „finanziell unabhängig bleibe und es mir leisten kann, von den Sitzungen ausgeschlossen zu werden und meine Bezüge zu verlieren“, falls er den Etablierten etwa unangenehm auffalle. Dabei dürfte auch die Parteiführung an Gilbert Collard wohl zukünftig nicht nur ihren Gefallen haben.

Sonstige FN-Kandidaturen

Auffällig bei der diesjährigen Parlamentswahl ist, dass auch sonstige Kandidaturen aus der extremen Rechten – neben den bisher genannten – zumindest vom Stimmenanteil her höchst erfolgreich waren, und zum Teil noch höhere Ergebnisse erhielten als jene der letztendlich gewählten Abgeordneten. Nur hatten es Abgeordnete, die nicht in einer Dreierkonstellation in die Stichwahl einzogen, sondern in einem „Duell“ mit nur einem/r weiteren Bewerber/in, es eben schwerer, weil sie eine absolute Mehrheit (statt nur einer relativen) benötigt hätten. Deshalb konnte das Mehrheitswahlrecht in diesem Jahr die zum Teil außerordentlich hohen Wahlergebnisse der Rechtsextremen oftmals verschleiern, zumindest dort, wo sie sich nicht in Parlamentsmandaten niederschlugen.

Dazu trug auch bei, dass die Stimmbeteiligung in diesem Jahr derart niedrig war (fast 43 % der Stimmberechtigten enthielten sich in der ersten Runde der Parlamentswahl, fast 44 % in der zweiten). Denn die Frage, welche Kandidat/inn/en in die Stichwahl einziehen konnten, entscheidet sich an der Frage ihres Stimmenanteils im ersten Wahlgang. Der notwendige Anteil von 12,5 %, um in die Stichwahl gehen zu können, bemisst sich an der Gesamtzahl der in die Wähler/innen/listen eingetragenen Wahlberechtigten, nicht der tatsächlich abgegebenen Stimmen – beträgt also die Wahlbeteiligung nur die Hälfte, dann steigt die erforderliche Stimmenzahl dafür auf einen Anteil von 25 %. Aus diesem Grund war in diesem Jahr, aufgrund des Kontextes einer insgesamt niedrigen Stimmbeteiligung, der Einzug in die Stichwahl dem FN vielerorts versperrt. Denn meistens hätte er dafür über 20 Prozent der Stimmen benötigt. Er schaffte diesen Einzug letztlich in 61 Wahlkreisen (von insgesamt 577), und verpasste ihn anderswo. Ein beachtliches Potenzial wurde dadurch in diesem Jahr „unsichtbar“ gehalten.

Einige ausgewählte Ergebnisse: Im lothringischen Forbach erhielt der 30jährige FN-Kandidat und Berater Marine Le Pens, der Elitehochschulen-Absolvent Florian Philippot (bei manchen in der Partei als „Technokrat“ unbeliebt), in der Stichwahl mit einem Sozialdemokraten 46,3 %. Im dritten Wahlkreis von Marseille – der einen Teil der Nord-Stadtteile umfasst – holte der dortige FN-Bewerber Stéphane Ravier sogar 49,01 %. Er verfehlte damit den Wahlkreis, der an die Sozialdemokratie ging, nur knapp.

Im nordostfranzösischen Wahlkreis um Hénin-Beaumont scheiterte Parteichefin Marine Le Pen mit 49,89 Prozent der Stimmen nur knapp gegen den sozialdemokratischen Bewerber Philippe Kemel mit 50,11 Prozent. Nur 114 Stimmen trennen die beiden Kontrahenten. Eine durch Marine Le Pen geforderte, erneute Auszählung der Stimmen unterblieb und wurde im Laufe des Abends vom Präfekten (Vertreter des Zentralstaats im Département) unterbunden. Der Front National möchte nun das Verfassungsgericht zu Kontrollzwecken anrufen. Unterdessen setzte Marine Le Pen am Wahlabends bereits die Segel auf die Vorbereitung Kommunalwahlen in gut anderthalb Jahren, die im März 2014 stattfinden. Dafür macht sie sich ausnehmend gute Hoffnungen, nunmehr „endlich“ Hénin-Beaumont einzunehmen: In der Stadt selbst (die bei der Umbildung des Parlaments-Wahlkreises 2009 mit zwei eher sozialdemokratisch dominierten Kommunen zusammengelegt worden) erhielt Marine Le Pen am vergangenen Sonntag eine deutlich Mehrheit. Über 55 Prozent. Unterdessen wurde am heutigen Donnerstag, den 21. Juni 12 ein Strafverfahren gegen Marine Le Pens Gegenkandidaten in Hénin-Beaumont vom Linksbündnis, Jean-Luc Mélenchon (zu ihm und Hénin-Beaumont vgl. auch neben stehenden Artikel über die politische Linke), eingeleitet. Wegen öffentlicher „Beleidigung“ der rechtsextremen Politikerin: Er hatte Marine Le Pen als „Faschistin“ bezeichnet.

In der Regel wuchs der Anteil des FN vor allem dort, wo er sich im zweiten Wahlgang sozialistischen Bewerber/inne/n gegenüber sah, auf ein sehr hohes Niveau (auch wenn er nicht gewann). Dies deutet daraufhin, dass sich in diesen Fällen ein doch beträchtlicher Anteil des bürgerliche und konservativen Wählerpotenzials hinter die Kandidaturen der extremen Rechten stellte. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in einer Umfrage in den Tagen zwischen den beiden Durchgängen der Parlamentswahl stattliche 66 Prozent der befragten Wähler/innen der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP erklärten, sie träten für örtliche Wahlbündnisse der politischen Rechten unter Einschluss des FN ein. Also zwei Drittel. Allerdings verloren jene UMP-Kandidat/inn/en, die sich am stärksten und offensten in Richtung Front National aus dem Fenster hängten – wie Nadine Morano im lothringischen Toul (vgl. ausführlich unten), Brigitte Barèges in Südwestfrankreich, oder die berüchtigte Bürgermeisterin von Aix-en-Provence: Maryse Joissains – in der Regel in ihren Wahlkreisen. Ihnen liefen die Wähler/innen der moderaten Rechten und der „Mitte“ oft davon.

Konservativer Bürgerblock: Aus der Bündnisdiskussion mit einem blauen Auge davongekommen

Zwar lehnen es die Protagonisten jener Kräfte in der UMP, die vor den Stichwahlen offen an rechtsextreme Wähler (und „ihre“ Partei) appellierten, nun ab, ihren Rechtsdrall als Ursache der Niederlage zu betrachteten. Eine solche Lehre aus dem Wahlausgang zu ziehen, verweigern sie explizit. Die Rechtsaußenplattform innerhalb der UMP unter dem Namen ,Droite populaire’, die allerdings 19 ihrer bislang 39 Abgeordneten im Parlament verloren hat, gab etwa zu Protokoll, „der Rechtsruck“ (la droitisation) ihrer Partei – von dem derzeit unterschiedliche Protagonisten in der UMP als mögliche Ursache von Problemen bei den Wahlen sprechen – sei auf keinen Fall ein Grund ihrer Niederlage. Vielmehr, behauptet die Droite populaire, wäre die Niederlage bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahen ohne diese droitisation (von droite = rechts) nach den fünf Jahren an der Regierung noch viel derber ausgefallen: „Sarkozy wäre dann nicht einmal in die Stichwahl gekommen“, behaupteten ihre Protagonisten. Und der Sprecher dieses Rechtsaußenflügels der UMP, der Lyoner Abgeordnete Philippe Meunier, wird in ,Libération’ (vom 20. 06. 12) mit den Worten zitiert, als eines der Themen der nahen Zukunft müsse man verstärkt gegen die „Kolonisierung (Frankreichs) durch Einwanderer“ ankämpfen.

Dennoch prägt diese Rechtsaußenfraktion nicht das Gesamtbild der Partei nach außen hin. Durch ihren Kurs des „Weder – noch“ (Weder Wahlaufrufe zugunsten sozialdemokratischer Kandidat/inn/en, um rechtsextreme Bewerber in der Stichwahl am Wahlsieg zu hindern, noch umgekehrt) hat es die UMP-Parteiführung taktisch immerhin vermocht, eine Zerreißprobe zu verhindern. In den Medien, vor allem in der eher linksliberalen Printpresse, wurde diese Position zwar scharf angegriffen; denn die konservative Führungsriege verweigerte dadurch ihre Zustimmung zu einer „republikanischen Frontbildung“ (einem ,front républicain’) gegen die Neofaschisten, welch letztere dadurch tendenziell als eine gewöhnliche „Partei wie die anderen“ dastehen. Allerdings konnte die UMP-Spitze dadurch eine Zerreißprobe unter ihren Anhängern und Wähler/inne/n vermeiden. Denn im Falle eines Wahlaufrufs zugunsten der Rechtsextremen gegen die Sozialdemokratie – für den es jedoch im Augenblick eine starke Zustimmung in Teilen der UMP-Wählerschaft gäbe, laut einer Umfrage von vergangener Woche potenziell in Höhe von 66 % - oder umgekehrt würde je der solchen Optionen entgegen gesetzte Teil der bürgerlichen Wählerschaft verschreckt oder vergrätzt.

Deswegen behielt die UMP ihre Kandidaten in der Stichwahl ÜBERALL aufrecht, auch dort, wo sie in von vornherein aussichtsloser Position standen (d.h. in dritter Position unter drei Kandidaten, die in die Stichwahl kamen).: Dies erlaubte es, ihre eigene Wählerschaft zu „fixieren“ – also quasi fest anzubinden - und die Fragestellung zu vermeiden, wohin diese Wähler/innen sich mangels eigener Kandidatur orientieren könnten. Ähnlich verfuhr ja auch der FN selbst, der seine Kandidaturen – zwecks „Fixierung“ der Wählerschaft auf die eigene Partei – auch überall dort aufrecht hielt, wo es eben rein rechnerisch nach dem ersten Wahlgang ging. Also in rund 60 Fällen. Auch dort, wo es im Einzelfall nicht auch nur den Hauch einer Siegeschance gab. (Zwei FN-Kandidaten zogen sich ja dann mit Genehmigung der Parteiführung zugunsten einer Rücksichtsnahme auf die Konservativen zurück, in den südfranzösischen Bezirken Gard und Pyrénées-Orientales. Eine dritte rechtsextreme Kandidatin zog sich ferner ohne Zustimmung ihrer Parteiführung zugunsten der UMP zurück, im südostfranzösischen Vaucluse.)

In einem Einzelfall zog sich ein UMP-Kandidat, welcher in die Stichwahl einziehen konnte, dennoch vor dem zweiten Wahlgang zurück, explizit zugunsten des FN: Roland Chassain in Arles. Er handelte jedoch ohne Erlaubnis seiner Parteiführung. (Und gab seinen Wähler/inne/n den Auftrag, den Einzug des sozialistischen Regionalpräsidenten in Südostfrankreich – Michel Vauzelles – in die Nationalversammlung zu „verhindern“. Dies ging nur, indem sie für die FN-Kandidatin Valérie Laupies stimmten. Diese scheiterte jedoch letztendlich, und Vauzelles kam durch.) Ihm droht nun der Ausschluss aus der UMP, für den sich sowohl der aktuelle Parteichef – ihr Generalsekretär Jean-Fraçois Copé – als auch der frühere Premier François Fillon aussprachen. Also beide wichtigen Anwärter auf den künftigen Vorsitzendenposten, der in Bälde neu geschaffen wird (nach der Wahl des früheren UMP-Vorsitzenden Nicolas Sarkozy zum Staatspräsidenten hatte es ab 2007 keinen Vorsitzenden mehr gegeben, sondern „nur“ Generalsekretäre) und um dessen Besetzung sich ein Ringen, Hauen und Stechen abzeichnet.

Die Aufrechterhaltung der sozialistischen Kandidatin Catherine Arkilovitch in Carpentras – wie man immer man dieses Verhalten, und ihre Beweggründe, nun bewerten mag -, welche die Wahl von Marion Maréchal-Le Pen zur Abgeordneten objektiv erleichterte, ist in dieser Situation quasi ein Himmelsgeschenk für die UMP. Denn sie kann Vorwürfe bezüglich ihrer schrägen Positionierung gegenüber dem FN potenziell dadurch kontern, dass sie darauf verweist, nicht die Konservativen seien für die Wahl dieser rechtsextremen Parlamentarierin mit verantwortlich. Bislang schoss die UMP noch nicht besonders stark mit diesem Argument um sich, sondern ist zu sehr mit ihren eigenen Querelen beschäftigt. Aber prinzipiell verfügt sie nun vermeintlich über eine wunderbare Parade...

Und doch sind die KollaborateurInnen mit den Neofaschisten in ihren Reihen allzu sichtbar, als dass die UMP zu dem Thema eine gar zu große Röhre führen dürfte. Am Beispiel der besonders bekannt gewordenen Schandpolitikerin Nadine Morano sei es aufgezeigt...

Zum Beispiel Nadine Morano

Auf ihre Niederlage am Sonntag stießen in ganz Frankreich Menschen, unabhängig vom sonstigen Wahlausgang, extra an. Im lothringischen Toul scheiterte die frühere Staatssekretärin und Vizeministerin (ministre déléguée) für Soziales, Nadine Morano, bei ihrem Versuch, sich erneut in die französische Nationalversammlung wählen zu lassen. Die 1963 in Nancy geborene Politikerin der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP unterlag mit gut 44 Prozent der Stimmen gegen ihren sozialistischen Gegenkandidaten Dominique Potier. Aber an mangelnder Bereitschaft, alles für ihren Sieg zu tun, lag es nicht. Insbesondere hatte Morano derart offen, wie es bürgerliche Politiker selten tun, um die Stimmen des rechtsextremen Front National (FN) gebuhlt und gemeinsame Werte mit dessen Wählern beschworen. Dabei nannte sie als solche Werte die Ablehnung desAusländerwahlrechts sowie jene vongaloppierenden Staatsausgaben“.

Morano zählt nicht nur zu den präferierten Hassfiguren vieler Linker. Sie gilt auch, und aus guten Gründen, in breiten Kreisen als eine der dümmsten und primitivsten Politikerinnen des Landes. Ihre Puppenfigur bei der Satiresendung Les Guignols de l’info ist seit Jahren eine Fischverkäuferin, repräsentiert also eine Berufsgruppe, die sich im Sprichwort nicht durch Intelligenz, sondern durch Lautstärke auszeichnet. Die unter Ex-Präsident Nicolas Sarkozy zuerst für die Familienpolitik und später für Berufsausbildung zuständige Vize-Sozialministerin machte auch im richtigen Leben immer wieder durch ihre Sprüche auf sich aufmerksam. Besonders berüchtigt wurde ihr Auftritt im Dezember 2009 im Städtchen Charmes in den Vogesen. Im Rahmen der durch die Regierung verordneten „Debatte über nationale Identität“ trat sie bewusst in diesem Geburtsort des nationalistischen und antisemitischen Schriftstellers Maurice Barrès auf. Und definierte dort munter drauf los, was sie unter Nationalidentität versteht: „Ich fordere den jungen Muslim auf, er soll Frankreich lieben, er soll seine verkehrt herum aufgesetzte Schildmütze absetzen, keinen Jugendslang sprechen und sich einen Job suchen.“

Am vergangenen Freitag (den 15. Juni 12) nun erfolgte der Gipfel der Peinlichkeit. Morano hatte sich, wie sich herausstellte, durch den Komiker und Stimmenimitator Gérald Dahan hereinlegen lassen. Dieser hatte sie angerufen und sich, mit breitem südwestfranzösischem Akzent, als der Vizechef des FN – Louis Aliot, Lebensgefährte von Marine Le Pen – ausgegeben. Und Morano legte auch prompt drauf los. Und agitierte den rechtsextremen Politiker: „Ich will nicht, dass mein Land wie der Libanon wird!“, vor lauter Multikulturalismus, rief sie aus. Über Marine Le Pen merkte sie an, diese verfüge „über sehr viel Talent“. Über den Reste, schlug sie Aliot vor, wolle man „ein anderes Mal reden, ich stecke gerade im Wahlkampf“.

Da platzte sogar dem konservativen Ex-Premierminister François Fillon, der einen Tag zuvor Morano noch in ebendiesem Wahlkampf vor Ort unterstützt hatte, die Hutschnur: „Mit den Führungsleuten des FN redet man nicht“, und „sie hätte auflegen sollen“, befand er. Zu ihrer Wiederwahl genützt hat es Morano nichts, aber die Parteiführung des FN hatte sie trotz ihrer Bemühungen in den Tagen zuvor auch nicht unterstützt: In ihren Augen war die Bekehrung zu „gemeinsamen Werten“ nicht ehrlich genug.

Nadine Morano ging unterdessen am gestrigen Donnerstag, den 21. Juni 12 zum Gegenangriff über und attackierte den früheren Premier François Fillon im Bureau politique, also im Parteivorstand der UMP. Während andere über Gänseblümchenfelder gingen, lief ich über Minenfelder so lautete ihre Metapher, um auszudrücken, ihre Wiederwahl sei von vornherein schwieriger gewesen, als bspw. der Wahlantritt Fillons in dem von ihm ausgesuchten bürgerlichen Pariser Wahlkreis. Ich war vom ,Ni ni (Anm.: Weder Bündnis mit der Sozialdemokratie, noch mit dem Front National) von Anfang an nicht überzeugt“, fügte Morano an derselben Stelle hinzu, aber ich wollte zwischen den Wahlgängen keinen zusätzlichen Unfrieden in der Partei stiften“. Dies bedeutet, dass ihr schon die doppelte Ablehnung (jene eines Aufrufs, sozialdemokratisch zu stimmen, um rechtsextremen Kandidaten zu verhindern, und umgekehrter Wahlbbündnisse) zu viel war, und sie sich gerne viel offener an die extreme Rechte hätte annähern können. Am heutigen Freitag früh attackierte sie François Fillon daraufhin erneut. In einem TV-Interview, das am frühen Vormittag ausgestrahlt wurde, griff sie Fillon als angeblichen Feigling hart an: Mut war noch nie eine seiner Stärken.“ Vgl. dazu http://link.brightcove.com/services/

Die Bündnisdiskussion gegenüber den Braunen ist für den konservativen Bürgerblock in Frankreich also auf Dauer nicht ausgestanden. Im Augenblick erlauben es ihm die Art & Weise des Wahlausgangs, sowie die Niederlage der offen an die extreme Rechte appellierenden Parlamentskandidaten, jedoch offene Brüche an der Stelle zu vermeiden. Also die Frage vorläufig unter den Teppich gekehrt bleiben. Und die UMP kann sich vorläufig völlig auf ihren inneren Machtkampf – das Ringen um den Parteivorsitz zwischen Jean-François Copé, François Fillon (er befindet sich freilich im Abwind) und eventuell auch Alain Juppé – konzentrieren. Zwischen diesen zwei bzw. Bewerbern um den Chefsessel gibt es untereinander keine beträchtlichen, gravierenden strategischen Differenzen, auch wenn der (eher im Niedergang befindliche) Ex-Premierminister Fillon eine eher moderatere Position einnimmt. Doch die wahren Strategiefragen kommen erst später, wenn sie denn aufs Tapet kommen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.