Bitcoin (BTC) wurde von
Satoshi Nakamoto im Jahr 2009 als eine neue
elektronische oder besser virtuelle Währung vorgestellt,
die ein Äquivalent zum Bargeld im Internet1 sein soll.
Anstatt Kreditkarten oder Überweisungen zum Einkaufen im
Netz zu benutzen, installiert man eine Software auf
seinem Computer, den Bitcoin Client. Dieser erlaubt
dann, unter einem Pseudonym Bitcoins an andere Nutzer zu
senden, d.h. man gibt die Anzahl an Bitcoins und den
Empfänger ein und die Transaktion wird anschließend über
ein Peer-to-Peer-Netzwerk2 abgewickelt. Bitcoins können
zur Zeit auf ein paar hundert Websites zum Einkaufen
verwendet werden, darunter um Währungen, Web Hosting,
Web Space, Web Design, DVDs, Kaffee, Kleinanzeigen zu
kaufen. Auch kann man dank Bitcoin via Internet an
Wikileaks3 spenden oder Glücksspielseiten benutzen, was
praktisch sein kann, wenn diese im betreffenden Land
verboten sind. Was allerdings Bitcoin zumindest für
kurze Zeit große öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte,
war die Möglichkeit über eine Kleinanzeigenseite namens
„Silk-Road“4 verbotene Drogen zu kaufen.
Am 11. Februar 2012 kostete
1 BTC ungefähr $5,85 USD. Insgesamt wurden bis zu diesem
Zeitpunkt 8,31 Millionen BTC ausgestellt. An diesem Tag
wurden 0,3 Mio. BTC in 8.600 Transaktionen verwendet und
circa 800 Bitcoin-Clients waren im Netzwerk angemeldet.
Das zeigt, dass es mehr als eine bloße Idee oder nur ein
Vorschlag für ein neues Bezahlsystem ist, auch wenn
dessen Umfang noch sehr deutlich hinter dem gängiger
Währungen zurücksteht.
Es gibt drei
Eigenschaften von Bargeld, die Bitcoin versucht
nachzuahmen: Anonymität, Unmittelbarkeit und sehr kleine
bzw. das Fehlen von Transaktionsgebühren. Diese
Eigenschaften hat der aktuelle Onlinehandel mit
Kreditkarten oder Bankenüberweisungen nicht. Bitcoin ist
Peer-to-Peer in Reinform, genauso wie Bargeld im
Gebrauch Peer-to-Peer ist.
Was das Projekt aber
tatsächlich so ambitioniert macht, ist der Versuch, eine
neue Währung zu etablieren. Bitcoins sollen kein Weg
sein, Euros, Dollars oder Pfund zu transferieren, sie
sollen selbst als neues Geld verstanden werden. Sie
werden als BTC gehandelt und nicht als GBP oder EUR.
Vielmehr noch, Bitcoins sind sogar als Geld gedacht,
welches auf anderen Prinzipien aufbaut als das heute
übliche Geld. Am markantesten fällt das daran auf, dass
es keine „vertrauenswürdigen Dritten“ gibt, d.h. es gibt
keine Zentralbank. Weiterhin sind Bitcoins auf die
Anzahl von 21 Millionen insgesamt beschränkt – mehr
Bitcoins soll es nicht geben. Aus diesem Grund spricht
diese neue Währung marktradikale Liberale an, die zwar
den freien Markt schätzen, dem Staat bzw. dessen
Einmischung in den Markt allerdings skeptisch gegenüber
stehen.5
Bitcoin ist also der
Versuch, etwas Bekanntes, nämlich das Geld, unter einem
anderen Ansatz anzugehen und bietet dadurch einen neuen
Blick auf diese alltägliche Sache. Es muss durch den
Verzicht auf „vertrauenswürdige Dritte“ in seiner
Konstruktion einige technische Probleme oder Fragen
lösen, damit es als Geld auch wirklich brauchbar ist.
Damit verweist Bitcoin mit seinen technischen Probleme
auf die Eigenschaften, die eine Gesellschaft hat in der
die Wirtschaft über Geld abgewickelt wird.
Unter Verwendung von so
wenig Fachjargon wie möglich wollen wir versuchen zu
erklären, wie Bitcoin funktioniert und was uns dies
Funktionieren über eine Gesellschaft lehrt, in der
freier und gleicher Tausch die vorherrschende Form von
wirtschaftlicher Interaktion ist. Daraus folgt auch eine
Kritik an der Ideologie von marktradikalen Liberalen.
Als erstes kann man von Bitcoin lernen, dass die
Beschreibung des freien Marktes von Bitcoin-Anhängern
genauso falsch ist, wie die der meisten anderen Leute
auch. Die Behauptung nämlich, dass sich im Austausch
folgendes ausdrücke:
Gegenseitiger
Nutzen, Kooperation und Harmonie
Auf den ersten Blick mag
eine Wirtschaft, welche auf freiem und gleichem
Austausch beruht, wie eine harmonische Sache erscheinen.
Menschen produzieren Dinge in Arbeitsteilung und so
erhalten sowohl Kaffeebauer als auch Schuhmacher jeweils
Schuhe und Kaffee. Das vermittelnde Element, damit
Konsumenten zu diesen beiden Dingen kommen, ist das
Geld. Die Arbeit der Produzenten ist zu deren
gegenseitigen Nutzen oder auch zum Nutzen der ganzen
Gesellschaft. In den Worten eines Bitcoin Anhängers:
„Wenn wir beide
eigennützige rationale Wesen sind und wenn ich Dir mein
X für Dein Y anbiete und Du diesem Handel zustimmst,
dann bewerte ich Dein Y notwendigerweise mehr als mein X
und Du bewertest mein X mehr als Dein Y. Mit diesem
freiwilligen Handel haben wir beide etwas, dass wir als
wertvoller erachten, als das, was wir ursprünglich
hatten. Wir sind beide besser dran. Das ist nicht
ausbeuterisch, das ist kooperativ.“6
Die Bitcoin-Gemeinschaft
stimmt damit dem Konsens der Wirtschaftswissenschaft zu,
dass Kooperation Geld richtiggehend benötige:
„Eine Gemeinschaft
ist definiert durch die Kooperation ihrer Teilnehmer und
effiziente Kooperation benötigt ein Mittel des Tausches
(Geld)…“7
Sie stimmen also mit modernen Ökonomen darin überein,
dass freier und gleicher Austausch Kooperation bedeutet
und Geld ein Mittel ist, um beidseitigen Vorteil zu
ermöglichen. Sie malen eine Idylle des freien Marktes,
dessen negative Eigenschaften dem (wie sie meinen:
falschem) Eingreifen des Staates zugeschrieben werden;
manchmal auch den Banken und deren Monopolstellung8.
Bargeld
Einer dieser Eingriffe
des Staates ist die Bereitstellung von Geld und dagegen
richtet sich Bitcoin ja auch. Denn Bitcoin basiert
darauf, keine „vertrauenswürdigen Dritten“ zu benötigen
und damit keinen Staat, der Geld herausgibt und dieses
verwaltet. Stattdessen ist Bitcoin nicht nur
Peer-to-Peer in seinem Umgang mit Geld, sondern auch in
dessen Aufrechterhaltung und Erzeugung: Ganz so, als ob
es keine Europäische Zentralbank gäbe und alle Menschen
in der deutschen Wirtschaft gemeinschaftlich Geld
drucken und sich ebenso gemeinschaftlich um dessen
Verbreitung kümmern würden. Um dies zu bewerkstelligen,
müssen einige technische Hürden überwunden werden.
Manche sind trivial, andere nicht. Zum Beispiel muss
Geld teilbar sein, also zwei Fünfeuronoten müssen das
Gleiche sein wie eine Zehneuronote und jeder
gleichwertige Teil eines Geldes muss genauso gut sein
wie ein anderer, so dass es keinen Unterschied macht,
welchen Zehneuroschein ich nun in der Hand halte. Diese
Eigenschaft lässt sich recht einfach erreichen, wenn man
Zahlen auf Computern als Geld hat.
Jedoch sind die zwei
folgenden Eigenschaften des Geldes nicht ganz so einfach
zu bewerkstelligen:
Digitale
Signaturen: Garantien wechselseitigen Schadens
Wenn man mit physischem
Geld hantiert, also Bargeld, ist der Eigentumswechsel
offensichtlich. Wenn zum Beispiel Anna einen
Zehneuroschein an Bernd gibt, dann hat Bernd den Schein
und nicht Anna. Nach einem Austausch (oder auch Raub)
ist es offensichtlich, wer das Geld hat und wer nicht.
Es gibt für Anna nach dem Bezahlen keine Möglichkeit zu
behaupten, sie hätte Bernd das Geld nicht gegeben, weil
sie es nunmal getan hat. Umgekehrt kann aber Bernd vor
dem Händewechsel den Geldschein nicht einfach in seine
Tasche stecken ohne Annas Zustimmung, außer natürlich
mit Gewalt. Letzteres soll durch das Gewaltmonopol des
Staates verhindert werden. Wenn man seine Zahlungen über
Banken abwickelt, ist es die Bank, welche dieses
Verhältnis durchsetzt, in letzter Instanz aber auch
wieder die Polizei.
Online in einem
Peer-to-Peer-Netzwerk ist das natürlich nicht so
einfach. Eine Banknote ist nun durch nichts anderes
repräsentiert als durch eine Nummer oder eine
Zeichenkette. Nehmen wir mal an, 0xABCD sei eine 1 BTC
Note9. Man kann diese Zeichenkette ganz einfach
kopieren. Es gibt erst einmal keine Möglichkeit
nachzuweisen, dass jemand diese Zeichenkette nicht
irgendwo gespeichert hat und weiter benutzt oder anders
herum, dass jemand diese vielleicht auch gar nicht mehr
besitzt, sie mir aber als Bezahlung weiterreicht.
Weiterhin kann Bernd die Banknote (hier ausgedrückt
durch diese Zeichenkette) von Anna einfach kopieren,
wenn er sie gesehen hat. Der Eigentumswechsel ist also
schwierig: Wie kann man sicherstellen, dass Anna Bernd
den Bitcoin wirklich gezahlt hat?10
Damit hat man das erste
Problem an der Hand, welches virtuelle Währungen und
somit auch Bitcoin lösen müssen.
Um zu beweisen, dass Anna
wirklich die Zeichenkette 0xABCD an Bernd übergeben hat,
unterzeichnet sie digital einen Vertrag. Dieser gibt an,
dass die Zeichenkette nicht mehr ihr selbst, sondern ab
jetzt Bernd gehört. Eine digitale Signatur ist auch
nichts anderes als eine weitere Zeichenkette oder eine
große Zahl. Jedoch hat dieser spezielle kryptografische
und mathematische Eigenschaften, die sie – soweit man
weiß – unfälschbar machen. Also ähnlich wie Menschen
normalerweise Eigentum übertragen, zum Beispiel den
Titel auf ein Grundstück durch die Unterzeichnung eines
Vertrages verschriftlichen, wird das Eigentum am Geld im
Bitcoin-Netzwerk auch über Unterschriften unter
Verträgen transferiert. Nur eben digital. Die
Zeichenkette. die unsere Geldnote darstellen sollte, an
sich zählt nicht. Nur der Vertrag, der anzeigt wer die
Note gerade besitzt macht sie gültig. Dieses Verfahren
der digitalen Unterschriften ist inzwischen so weit
verbreitet, das es kaum Beachtung erfährt, nicht mal im
Designdokument von Bitcoin selbst.11
Die Frage nach dem
Eigentum an Bitcoins zeigt aber schon ein Problem mit
dem idyllischen Bild auf, welches Menschen von der
Wirtschaft mit und ohne Bitcoins haben. Es zeigt, dass
es bei einem Geschäft mit Bitcoins – oder allgemeiner:
bei jeglicher Art von Tausch – eben nicht damit getan
ist, dass Anna, die Kaffee macht, aber Schuhe haben
möchte, die wiederum Bernd hergestellt hat. Wenn es
nämlich wirklich so einfach wäre, würden sie sich
einigen, wie viel Kaffee und Schuhe sie benötigen und
würden dies dem jeweils anderen einfach zur Verfügung
stellen und jeder könnte glücklich werden mit Kaffee und
Schuhen.
Stattdessen aber tauscht
Anna ihre Dinge gegen die von Bernd – über das Geld
vermittelt. Sie benutzt also ihren Kaffee als einen
Hebel, um an Bernds Dinge zu kommen. Ihre Waren sind
ihre jeweiligen Mittel, um an die Produkte zu gelangen,
die sie konsumieren möchten oder müssen. Sie erzeugen
also ihre Produkte nicht für ihr eigenes Bedürfnis und
auch nicht direkt für das eines anderen. Vielmehr
verkaufen sie ihre Produkte, damit sie sich dann das
kaufen können, was sie tatsächlich brauchen. Bernd
benutzt also Annas Abhängigkeit von Schuhen, um an ihr
Geld zu gelangen und Anna macht das umgekehrt mit Bernd.
Daraus ergibt sich, dass man dem jeweils anderen so viel
seiner Mittel wie möglich versucht abzunehmen – was ich
nicht unmittelbar brauche, ist für mich immer noch
Material für künftige Tauschgeschäfte. Gleichzeitig
möchte man so viel der eigenen Mittel behalten möchte
wie möglich: billig kaufen, teuer verkaufen.
In anderen Worten
ausgedrückt. Dies ist keine harmonische Arbeitsteilung
für den gemeinschaftlichen Nutzen. Es wird eher versucht
im Austausch einen Vorteil zu erlangen, weil man es eben
muss. Mehr noch, der Vorteil der einen ist gleichzeitig
der Nachteil des anderen. Ein geringer Preis für Bernds
Schuhe bedeutet nämlich weniger Geld für Bernd und mehr
Geld für Anna, welches sie noch für andere Sachen
ausgeben kann. Das Geld löst diesen Interessenkonflikt
nicht, es vermittelt ihn. Damit ist es übrigens auch
nicht der Grund für den Konflikt. Der ist im Tausch
selbst schon angelegt. Die Tauschenden müssen zu einer
Einigung kommen, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht
lieber einfach das nehmen würden, was sie brauchen.
Dieses gesellschaftliche
Verhältnis gibt also Gründe ab zum Betrügen, Rauben und
Stehlen. Unter diesen Umständen ist es schon sehr
notwendig zu wissen, wer den Zehneuroschein besitzt und
wer nicht, weil es eben darum geht, ob man das bekommt,
was man braucht oder nicht.
Diese systematisch und
damit dauernd auftretenden Situationen, in denen des
einen Vorteil des anderen Nachteil ist, verlangen nach
einem Gewaltmonopol des Staates. Der Tausch als das
zentrale Mittel wirtschaftlicher Interaktion ist auf
breiter Basis überhaupt nur möglich, wenn die
Tauschpartner sich darauf beschränken: auf den
ausgemachten Tausch. Nähmen sie sich einfach mit Gewalt,
was sie wollten, würde das Tauschprinzip nicht mehr
funktionieren. Die marktradikalen Liberalen hinter
Bitcoin mögen staatliche Einmischung verabscheuen, ihre
Wirtschaft jedoch setzt sie voraus.
Wei Dai beschreibt die
Online-Gemeinschaft als
„eine Gemeinschaft, in der die Angst vor Gewalt
machtlos ist, da Gewalt unmöglich ist und Gewalt
unmöglich ist, weil ihre Teilnehmer nicht mit ihren
Realnamen oder ihrem Aufenthaltsort in Verbindung
gebracht werden können“.
Er erkennt damit nicht
nur an, dass die Menschen in der virtuellen Wirtschaft
durchaus Gründe haben sich gegenseitig zu schaden,
sondern auch, dass diese Wirtschaft nur ohne direkte
Gewalt der Teilnehmer läuft, weil Menschen gar nicht
richtig miteinander in Kontakt treten. Durch die
Staatsgewalt in der physischen Welt geschützt, können
sie im eingeschränkten Bereich des Internets miteinander
in Kontakt treten, ohne Angst vor Gewalt haben zu
müssen.
Online oder offline, es
sind ganz schön umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen nötig,
um diesen Laden am Laufen zu halten. Bei Bitcoin sind es
die „unknackbaren“ digitalen Signaturen, offline
hingegen kümmert sich der Staat mit seiner
Strafverfolgung z.B. darum, Dieben das Handwerk zu
legen. Und das alles, um eine so einfache Transaktion
wie den Transfer von Gütern vom Produzenten zum
Verbraucher zu sichern. Das verweist auf einen
grundsätzlichen Interessenkonflikt zwischen den
beteiligten Tauschparteien. Wenn das liberale Bild des
freien Marktes als eine harmonische Kooperation zum
Nutzen aller wahr wäre, bräuchte man keine
fälschungssicheren Signaturen. Die Bitcoin-Konstruktion,
also das marktradikale Projekt einer Alternative zum
Status Quo zeigt, dass diese Theorie falsch ist.
Man könnte dagegen
einwenden, dass es nun einmal immer schwarze Schafe
gäbe, die sich an der gesellschaftlichen Harmonie
versündigen würden. Dann würde sich allerdings die Frage
stellen, in welchem Verhältnis Aufwand (Polizei,
digitale Signaturen, etc.) und Nutzen (ein paar schwarze
Schafe) stehen. Der Aufwand, mit dem diese schwarzen
Schafe in die Schranken gewiesen werden sollen, zeigt
ziemlich anschaulich, dass man davon ausgeht, dass es
ganz schön viele wären, gäbe es diese Schranken nicht.
Dem mögen manche prinzipieller entgegenhalten, dass die
Menschen nun mal so seien, es läge quasi in unserer
Natur. Damit hat man aber erstens schon mal den Punkt
eingesehen, dass es mit der Harmonie hier nicht so weit
her ist. Zweitens ist der Satz „es ist halt so“ keine
Erklärung, auch wenn er so daher kommt; zu den Gründen,
warum Leute so aufeinander losgehen, wie sie hierzulande
aufeinander losgehen, stehen oben ein paar Argumente.
Kaufkraft
Mit digitalen
Unterschriften hat man erst einmal nur die Seite des
Geldes am Wickel, welche die Beziehung zwischen Anna und
Bernd betrifft. Aber wenn es um Geld geht, ist auch
Annas Beziehung zum Rest der Gesellschaft wichtig. Die
Frage ist nämlich, wie viel Kaufkraft Anna insgesamt
hat. Physisches Geld, also eine Banknote, kann Anna
nicht verwenden, um zwei verschiedene Leute auf einmal
zu bezahlen. Mehrfachausgeben desselben Geldscheins gibt
es nicht. Ihre Kaufkraft ist auf das beschränkt, was sie
an Geld besitzt.
Wenn es nun aber um
virtuelle Währungen geht, die mit digitalen
Unterschriften gesichert sind, hält jedoch Anna erst mal
nichts davon ab, viele Verträge auf einmal zu
unterschreiben, um ihr Eigentum mehrfach zu übertragen.
Sie kann das, weil sie selbst es ist, die unterschreibt.
In diesem Fall würde sie Verträge unterschreiben, die
besagen, dass 0xABCD nun gleichzeitig Bernd, Christian,
Eva und so weiter gehören.
Der zentrale technische
Durchbruch von Bitcoin ist, dieses Problem des
Mehrfachausgebens gelöst zu haben – und zwar ohne eine
Zentralbehörde zu brauchen. Das ist ein Fortschritt
gegenüber allen früheren Ansätzen für digitales Geld,
die auf irgendeiner Art von Zentralstelle aufbauten.
Diese stellte sicher, dass Anna ihr Geld nicht mehr als
einmal ausgeben kann, indem alle Transaktionen über
diese Zentralstelle abwickelt werden.
Das Problem wird im
Bitcoin-Netzwerk dadurch gelöst, dass alle Transaktionen
öffentlich sind. Also anstatt Annas Vertrag einfach an
Bernd zu schicken, wird dieser von Annas Software im
Netzwerk veröffentlicht. Anschließend unterschreibt die
Software eines anderen Teilnehmers im Netzwerk dass sie
diesen Vertrag gesehen hat. Jemand fungiert bei dieser
Unterschrift also als Notar, unterschreibt die
Unterschrift von Anna und bezeugt damit die Transaktion.
Ehrliche Zeugen unterschreiben nur das erstmalige
Ausgeben eines Bitcoins und verweigern ihre Unterschrift
bei weiteren Versuchen derselben Person, denselben
Bitcoin gegen die Regeln noch einmal ausgeben zu wollen.
Sie bestätigen, dass Anna das Geld, welches sie ausgibt,
auch tatsächlich besitzt. Die Unterschrift dieses Zeugen
wird auch wieder veröffentlicht. All diese eben
beschriebenen Vorgänge werden von der Software übrigens
im Hintergrund automatisch erledigt.
Allerdings könnte sich
Anna einfach mit Christian zusammentun und ihn bitten,
all ihre Verträge zu unterschreiben, egal ob sie ihr
Geld mehrfach ausgibt. Sie würde damit also ein falsches
Zeugnis von einem unehrlichen Zeugen bekommen. Dies wird
im Bitcoin-Netzwerk dadurch verhindert, dass ein Zeuge
zufällig für alle Transaktion zu einem bestimmten
Zeitpunkt gewählt wird. Also kann sich Anna gar keinen
Zeugen aussuchen. Diese zufällige Auswahl wird als eine
Art Lotterie organisiert. Die Teilnehmer konkurrieren um
das Recht, Zeuge für den aktuellen Zeitraum zu werden.
Als Einsatz müssen sie dafür Rechenzeit auf ihren
Computern zur Verfügung stellen. Diese wird dazu
verwendet, Lösungen für ein mathematisches Rätsel zu
finden. Dieses Rätsel ist so konstruiert, dass es die
beste Strategie ist, zufällige Lösungen auszuprobieren.
Wendet man dafür mehr Rechenzeit auf, erhöht man seine
Chance, ausgewählt zu werden. Um jedoch eine ordentliche
Wahrscheinlichkeit zu haben als Zeuge ausgewählt zu
werden und zu gewinnen, bräuchte man so viel Rechenzeit,
wie ungefähr der Rest des Bitcoin-Netzwerks zusammen.
Eine Nebenwirkung von
diesem Ansatz ist natürlich, dass viele Computer im
Bitcoin-Netzwerk Rechenzeit für das Lösen dieser
Aufgaben verschwenden, nur um die Lotterie zu gewinnen.
Wie dem auch sei, Anna und Christian müssten erhebliche
Rechenzeit aufwenden, um diese Lotterie zu gewinnen. Zu
viel, als dass es sich lohnen würde – zumindest ist das
die Hoffnung. Betrug in diesem Sinne ist somit
unwahrscheinlich, weil ehrliche, nämlich zufällig
ausgewählte, Zeugen Fälschungen zurückweisen werden.
Falschgeld
Was aber ist nun
eigentlich Falschgeld und warum ist das eigentlich so
schlimm? So schlimm, dass erheblicher Aufwand dafür
betrieben und Rechenzeit verschwendet wird, um sein
Aufkommen zu verhindern? Unmittelbar verhält sich
Falschgeld nicht viel anders als echtes Geld: Man kann
damit Dinge kaufen und Rechnungen bezahlen. Das ist ja
genau das Problem. Es ist erst einmal von echtem Geld
nicht zu unterscheiden, andernfalls würden Leute es ja
auch nicht akzeptieren. Mit normalem Geld und Falschgeld
zusammen steht allerdings mehr Geld derselben Warenmenge
gegenüber, der Wert des Geldes könnte also sinken.
Was ist also dieser Wert
des Geldes? Was bedeutet es, dass Geld Wert hat? Es
bedeutet Kaufkraft zu haben und damit Zugriffsmacht auf
den gesellschaftlichen Reichtum. Erinnern wir uns, dass
Anna und Bernd beide ihr mehr oder weniger armseliges
Eigentum haben. Wollen sie was damit anfangen, treten in
ein Tauschverhältnis zueinander; sie geben ihre Dinge
nicht einfach her, nur weil jemand anders sie braucht.
Sie bestehen auf ihrem Recht, über ihr eigenes privates
Eigentum zu verfügen. Unter diesen Umständen nun ist
Geld die einzige Möglichkeit, um an des anderen Dinge zu
kommen. Geld „überzeugt“ die andere Seite, dieser
Transaktion zuzustimmen. Zugriff auf Privateigentum
eines anderen zu erlangen, ist auf der Basis von
staatlicher Privateigentumsgarantie nur möglich, indem
man sein eigenes zum Tausch anbietet. Auf wie viel
Reichtum jemand in der Gesellschaft zugreifen kann, wird
dabei in Geld gezählt. Damit wird Privateigentum als
solches gemessen. Es wird darin ausgedrückt, von wie
viel Reichtum als solchem jemand Gebrauch machen kann.
Also nicht nur Kaffee oder Schuhe, sondern Kaffee,
Schuhe, Gebäude, Dienstleistungen, Arbeitskraft, fast
alles. Auf der anderen Seite wird in Geld aber auch
angegeben, wie viel Reichtum mein Kaffee wert ist.
Kaffee ist nicht nur Kaffee, sondern ein Mittel Zugang
zu all den anderen Waren auf dem Markt zu bekommen. Er
wird gegen Geld eingetauscht, so dass man damit Sachen
kaufen kann. Der Preis von Kaffee drückt aus, auf wie
viel Kram ganz generell – und eben nicht nur Kaffee –
man zugreifen kann. Ganz klar, dass unter diesen
sozialen Umständen, also dem freien und gleichen Tausch,
diejenigen, die nichts haben, auch nichts bekommen.
Alles in allem zeigt das Geld auf meinem Konto an, wie
viel ich mir leisten kann – also die Grenze meiner
Zugriffsmacht. Denn es zeigt nicht nur an, was ich mit
leisten kann, sondern auch, was jenseits der Macht in
meinem Geldbeutel liegt. Anders ausgedrückt: von wie
viel Reichtum ich ausgeschlossen bin.
Geld ist Macht, die man
in seiner Tasche tragen kann. Es drückt aus, wie viel
Kontrolle über Land, Menschen, Maschinen, Produkte usw.
ich habe. Daher macht eine Fälschung den Zweck des
Geldes zunichte. Es verwandelt diese Grenze, diese Größe
in eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten. Alles ist
im Prinzip verfügbar – und zwar nur, weil ich es will.
Wenn jeder unendliche Macht hätte, verlöre Macht ihre
Bedeutung. Es würde nicht zahlungskräftige Nachfrage
zählen, sondern einfach die Tatsache, dass Bedarf
besteht.
Zusammengefasst ist Geld
ein Ausdruck von bestimmten sozialen Verhältnissen und
nicht von Kooperation ganz generell. Solche sozialen
Verhältnisse nämlich, in denen Privateigentum die
Bedürfnisse von den Mitteln ihrer Befriedigung trennt.
Damit Geld diese Qualität des Privateigentums vermitteln
kann, ist es zwingend erforderlich, dass ich nur das
ausgeben kann, was ich auch besitze. Diese Qualität und
die damit einhergehende Ignoranz und Brutalität
gegenüber den Bedürfnissen muss gewaltsam von Staat und
Polizei durchgesetzt werden. Im Internet, wo es
schwierig ist, jemandes habhaft zu werden, wird dies
durch ein sorgfältig ausgearbeitetes Protokoll von
Zeugen, Zufälligkeit und schweren mathematischen
Problemen gelöst.
Der Wert von Geld
Es bleiben zwei Probleme
übrig:
1.Wie kommt neues Bitcoin
Geld in die Welt (bis jetzt haben wir ja nur den
Transfer behandelt)?
2.Wie werden die
Teilnehmer überzeugt Rechenzeit aufzuwenden um
Transaktionszeuge zu werden?
Letzteres Problem wird im
Bitcoin-Protokoll durch das Erste gelöst. Um die
Teilnehmer nämlich dazu zu bewegen, Rechenzeit zur
Überprüfung von Transaktionen bereitzustellen, werden
diese mit einer bestimmten Anzahl an Bitcoins belohnt,
wenn sie als Zeuge gezogen werden. Momentan bekommen sie
jedes Mal, wenn sie gezogen werden, 50 BTC und darüber
hinaus noch Transaktionsgebühren für jedes Geschäft,
dass sie bezeugen. Das ist die Antwort auf die Frage,
wie neue Bitcoins erzeugt werden: Sie werden „abgebaut“,
wie das Lotteriegewinnen im Bitcoin-Netzwerk heißt.
Im Bitcoin-Netzwerk
„fällt“ das Geld also „einfach vom Himmel“, indem
Computer ziemlich sinnlose mathematische Rätsel lösen.
Entscheidend ist, dass sich das mathematische Rätsel nur
mit erheblichem Aufwand lösen lässt. Worauf es
letztendlich ankommt, wenn es darum geht, ob Bitcoin als
Geld zählt: Händler müssen sich auf Bitcoin als Geld
beziehen und es auch so benutzen. Wie es auf die Welt
kam, ist dabei zweitrangig.12
Fazit
Ein systematischer
Gegensatz von Interessen, der resultierende Ausschluss
vom Reichtum, die Unterwerfung von allem unter das
kapitalistische Wachstum – so sieht eine Gesellschaft
aus, in der Tausch, Geld und Privateigentum die
Produktion und den Konsum bestimmen. Das ändert sich
auch nicht, wenn dieses Geld seine Substanz in Gold oder
Bitcoins statt in Geldscheinen und herkömmlichen
Währungen. Armut hat ihren systematischen Grund in
Tausch, Geld und Wirtschaftswachstum überhaupt. Das mag
die marktradikalen Liberalen nicht stören, aber das
sollte durchaus auf Kritik von Linken stoßen, die sich
zum Teil auch für Bitcoin begeistern.
Junge Linke gegen
Kapital und Nation
Fußnoten:
1) Das zentrale Dokument
über Bitcoin, in dem die Idee dieser digitalen Währung
beschrieben wird, ist „Bitcoin: A Peer-to-Peer
Electronic Cash System“ von Satoshi Nakamoto. Einige
Details des Netzwerks sind jedoch nirgends in der
Literatur explizit beschrieben, sondern nur im
offiziellen Bitcoin-Client eingebaut. So weit wir
wissen, gibt es keine offizielle Spezifikation außer:
https://en.bitcoin.it/wiki/Protocol_specification
2) Als Peer-to-peer-Netzwerk wird ein Netzwerk
bezeichnet, in dem die Teilnehmer sich direkt verbinden
ohne die Notwendigkeit zentraler Server (wobei einige
Funktionen dennoch einen Server benötigen können).
Berühmte Beispiele einer solchen Technik sind Napster,
BitTorrent oder auch Skype.
3) Vermutlich auf Druck der US-Regierung haben alle
großen Online-Bezahlsysteme die Zahlungen an Wikileaks
eingestellt
(http://www.bbc.co.uk/news/business-11938320). Auch das
Benutzen von Kreditkarten für Online-Spielplattformen
ist meist von deren Herausgebern verboten.
4) Nach der Veröffentlichung eines Artikels auf einer
amerikanischen Newsplattform
(http://gawker.com/5805928/the-underground-website-where-you-can-buy-any-drug-imaginable)
wurden zwei US-Senatoren darauf aufmerksam und baten den
Kongress die Seite abzuschalten. Bis jetzt scheinen
allerdings scheinen diese Versuche nicht wirklich
erfolgreich gewesen zu sein.
5) Eine Strömung, die vor allem in den USA Anhänger
findet, wo sie als „Libertarians“ bekannt sind. Im
deutschsprachigen Raum sind solche Ideen vor allem in
der Hacktivism-Szene verbreitet.
6) Übersetzt von
(https://forum.bitcoin.org/index.php?topic=5643.0;all):
„If we’re both self-interested rational creatures and if
I offer you my X for your Y and you accept the trade
then, necessarily, I value your Y more than my X and you
value my X more than your Y. By voluntarily trading we
each come away with something we find more valuable, at
that time, than what we originally had. We are both
better off. That’s not exploitative. That’s
cooperative.”
7) Übersetzt von: “A community is defined by the
cooperation of its participants, and efficient
cooperation requires a medium of exchange (money)…” Wei
Dai, „bmoney.txt“(http://weidai.com/bmoney.txt). In
diesem Text wird die grundsätzliche Idee, auf der
Satoshi Nakamoto’s Bitcoin-Protokoll aufbaut, zum ersten
Mal beschrieben.
8) „The real problem with Bitcoin is not that it will
enable people to avoid taxes or launder money, but that
it threatens the elites’ stranglehold on the creation
and distribution of money. If people start using
Bitcoin, it will become obvious to them how much their
wage is going down every year and how much of their
savings is being stolen from them to line the pockets of
banksters and politicians and keep them in power by
paying off with bread and circuses those who would
otherwise take to the streets.“
(http://undergroundeconomist.com/post/6112579823)
9) Wir sind uns bewusst, dass Bitcoin durch nichts
anderes als durch die Liste der Transaktionen
repräsentiert wird. Zur einfacheren Präsentation hier
nehmen wir aber einfach an, dass es so ein eindeutiges
Merkmal gibt wie die Seriennummer auf einem Euroschein.
10) „Commerce on the Internet has come to rely almost
exclusively on financial institutions serving as trusted
third parties to process electronic payments. [...]
Completely non-reversible transactions are not really
possible, since financial institutions cannot avoid
mediating disputes. [...] With the possibility of
reversal, the need for trust spreads. Merchants must be
wary of their customers, hassling them for more
information than they would otherwise need. A certain
percentage of fraud is accepted as unavoidable. These
costs and payment uncertainties can be avoided in person
by using physical currency, but no mechanism exists to
make payments over a communications channel without a
trusted party.” Satoshi Nakomoto, „Bitcoin: A
Peer-to-Peer Electronic Cash System“, 2009.
11) Für eine Einführung in das Thema kryptografisches
Geld siehe Burton Rosenberg (Ed.), „Handbook of
Financial Cryptography and Security“, 2011.
12) Manchen, die „Das Kapital“ von Marx gelesen haben,
könnte jetzt einfallen, dass dies implizieren würde, das
Bitcoin auf einem Wertkonzept aufbaue, dessen Substanz
nicht vergegenständlichte abstrakt menschliche Arbeit
sei. Viel eher würde es auf dem Wert von abstrakter
Computerarbeit oder etwas ganz anderem beruhen. Dieser
Einwand beruht jedoch auf einem Missverständnis. Mit
Rechenzeit verdient man, wenn man Glück hat, 50 BTC.
Dies ist jedoch nur eine bedeutungslose Nummer. Was man
mit 50 BTC anstellen kann, wie viel Verfügungsmacht oder
Befehlsgewalt über sozialen Reichtum diese
repräsentieren, ist eine ganz andere Sache. 50 BTC haben
Wert, weil sie auf gesellschaftlichen Reichtum zugreifen
und nicht, weil ein Computer zufällig die richtige
Nummer ausgewählt hat. Für die Wertbestimmung ist es
nicht zuerst wichtig, wie das Geld in die Gesellschaft
kommt, sondern als was es in dieser gilt.
Editorische Hinweise
Den Text
erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe.