Maxim Gorki begriff die pragmatische Denkweise
sehr gut, als er in einem seiner Pamphlete einem amerikanischen
Millionär die Feststellung in den Mund legt: .Es kommt hier
nicht auf die Methoden an, sondern auf das Resultat."! (1) Das
ist im wesentlichen das Grundprinzip des Pragmatismus, soweit es
überhaupt möglich ist, im Zusammenhang mit einer völlig
prinzipienlosen Philosophie von Prinzipien zu sprechen.
Pragmatisches Denken ist die Methode, Resultate zu erzielen,
ganz gleich mit welchen Mitteln. Da es dabei kein objektives Maß
der Wahrheit gibt, ist der Erfolg das einzige Kriterium. Ohne
Hemmungen ist alles erlaubt, solange es „wirksam* ist. Die
einzig wesentliche Frage ist: „Geschieht es zu meinem Vorteil?"
Wenn ja, wird es .wahr" und .gut" genannt, wenn nicht, ist es
.falsch" und .schlecht".
Präsident Eisenhower wendet dieses pragmatische .Prinzip" auf
den Einsatz von Atomwaffen an: „Meiner Meinung nach würde die
Anwendung der Atombombe auf folgender Grundlage erfolgen: Bringt
sie mir Vorteil oder nicht, wenn ich in einen Krieg gerate? ...
Wenn ich damit rechnen könnte, daß ich dabei gewinnen würde,
würde ich sie sofort anwenden..."(2) Entscheidet er nach
denselben Grundsätzen über die Frage, ob „ich in einen Krieg
gerate"? Die Philosophie des Pragmatismus läßt keine anderen zu.
Dieselbe Denkweise findet man in der formalen Philosophie von
William James und John Dewey. Dort tritt sie in fast endlosen
Spielarten auf, doch stets finden wir dieselben grundlegenden
Züge. In vielen Fällen ist sie getarnt, dennoch enthüllt sich
ihr Inhalt in seiner ganzen philiströsen Primitivität, sobald
man ihn der demagogischen Phrasen entkleidet.
Der Pragmatismus ist eine Abart des philosophischen
Idealismus. Spezieller gesagt, ist er eine besondere
Form des subjektiven Idealismus, der behauptet, daß nur
unser Bewußtsein wirklich existiert, die natürliche und
gesellschaftliche Welt aber nur in unseren
Sinnesempfindungen und Ideen, in unserem Willen und
unseren Emotionen existiert. Der Pragmatismus ist eine
Philosophie des subjektiven Idealismus, die sich aus den
konkreten historischen Bedingungen der Vereinigten
Staaten entwickelt hat. Hauptsächlich drei Philosophen
haben seine Form bestimmt: Charles S. Peirce, William
James und John Dewey. Peirce war sein Begründer, James
sein Propagandist und Dewey sein Hoherpriester.
Der Pragmatismus ist aber nun keinesfalls lediglich
ein akademisches Philosophiesystem, das sich Professoren
von der Harvardoder der Columbia-Universität ausgedacht
haben. In erster Linie stellt diese Denkweise die
Weltanschauung der kapitalistischen Klasse dar, und erst
in zweiter Linie bildet sie das Geistesprodukt der
bürgerlichen Ideologen. Die einmal formulierte
Philosophie wirkt ihrerseits wieder auf das allgemeine
Klassenbewußtsein und auf das Leben der Gesellschaft
zurück, der sie ursprünglich entstammte.
Die Philosophie ist keine isolierte Erscheinung, die
vom übrigen Leben abgeschnitten ist. Sie ist ein
integrierender Bestandteil der Ideologie, der sie als
Lebensanschauung und Denkweise einer Klasse zugrunde
liegt. Im „Achtzehnten- Brumaire des Louis Bonaparte"
sagt Marx über die Entstehung der Ideologie: „Auf den
verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen
Existenzbedingungen erhebt sich ein ganzer
Überbau verschiedener und eigentümlich gestalteter
Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und
Lebensanschauungen. Die ganze Klasse schafft und
gestaltet sie aus ihren materiellen Grundlagen heraus
und aus den entsprechenden gesellschaftlichen
Verhältnissen."(3) Pragmatismus ist der Name, mit dem
jetzt die spezielle Lebensanschauung und Denkweise
bezeichnet wird, die von der ganzen kapitalistischen
Klasse in den Vereinigten Staaten aus ihren materiellen
Grundlagen und ihren entsprechenden gesellschaftlichen
Verhältnissen heraus geschaffen wurde. Pragmatismus ist
zugleich der Name für die von den
Berufsphilosophenvorgenommene akademische Formulierung
der klassenbedingten Weltanschauung.
Die pragmatische Philosophie wurde, wenn auch nicht
unter diesem Namen, zum erstenmal im Jahre 1878 von
Charles Sanders Peirce formuliert. Peirce war der Sohn
eines Harvard-Professors und wohnte fast sein ganzes
Leben in Cambridge im Staate Massachusetts. Er lehrte an
der Harvard- und an der John-Hopkins-Universität,
regulär jedoch war er beim Küstenwachtdienst der
Vereinigten Staaten angestellt, wo er im
Vermessungsdienst arbeitete. Er war ein in Chemie und
Physik ausgebildeter'Wissenschaftler, der unter dem
Gewicht der Lehren von Charles Darwin, Charles Lyell und
der neuen wissenschaftlichen Evolutionslehre zur
Philosophie überging.
In zwei Aufsätzen, die in der Januar- und
Februarnummer 1878 des „Populär Science Monthly"
veröffentlicht wurden, entwickelte Peirce die Hauptthese
des Pragmatismus: „Man muß dabei in Betracht ziehen,
welche Wirkungen wir den Objekten unserer Vorstellung
zuschreiben und welche praktischen Folgen sie haben
mögen. Demnach ist also unsere Vorstellung von diesen
Wirkungen unsere Vorstellung von dem Objekt
schlechthin."(4) Bischof Berkeley hatte gesagt: „Sein
heißt perzipiert werden", das heißt wahrgenommen werden.
Peirce gibt dieser subjektiv-idealistischen Lehre eine
revidierte und speziell amerikanische Wendung, denn im
Wesen bedeutet die obige These: Sein heißt praktischen
Erfolg erzielen, oder: Sein heißt nützlich sein.
Ein Ding ist das, wofür es in der praktischen
menschlichen Tätigkeit „gut" ist. Wenn ein Objekt nicht
nützlich ist, ist es nicht existent. Ein Ding ist nur
die Art seiner Wirksamkeit in der Praxis.
Diese These enthält den Kern des subjektiven
Idealismus, denn sie erklärt das Objekt als abhängig und
nicht als unabhängig vom Menschen und leugnet somit die
objektive materielle Welt. Das heißt gleichzeitig, daß
es keine Wahrheit gibt, denn es gibt keine äußere Welt,
der Ideen im Bewußtsein entsprechen können. Ohne
Wahrheit gibt es keine Erkenntnis, keine Theorie, keine
Wissenschaft. Also kann eine Idee oder eine Theorie
nicht richtig oder falsch sein, sie kann nur nützlich
oder unnütz sein, und das einzige Kriterium ist der
Erfolg im praktischen Handeln.
So hatten die bürgerlichen Philosophen in den
Vereinigten Staaten schon 1878 ihre Philosophie in ein
System gebracht. Welches waren die ökonomischen,
politischen und geistigen Bedingungen, die dieser ersten
Formulierung des Pragmatismus den Weg ebneten?
Der politische und ökonomische Hintergrund
In seinem klassischen Werk über den Imperialismus
charakterisiert Lenin das Jahrzehnt von 1860 bis 1870
als das erste „der Hauptstadien der Geschichte der
Monopole". Es ist die Periode, in der „kaum merkbare
Ansätze zu Monopolen" zu finden sind. Dieses erste
Entwicklungsstadium des Monopols fällt zusammen mit der
höchsten „Stufe der Entwicklung der freien
Konkurrenz"(5). Durch den Prozeß der Konkurrenz selbst
hat die Konzentration des Kapitals den Punkt erreicht,
an dem das Monopol aufzutreten beginnt, obwohl es bis
jetzt „kaum merkbar" ist. Das zweite Entwicklungsstadium
der Monopole beginnt „nach der Krise von 1873", zu
dieser Zeit finden wir eine „weitgehende Entwicklung von
Kartellen, die aber noch Ausnahmen, keine dauernden,
sondern vorübergehende Erscheinungen sind"6. Die Jahre
von 1860 bis 1873 enthalten also die höchste Stufe der
freien Konkurrenz und das erste Stadium und den Beginn
des zweiten Stadiums im Aufkommen der Monopole.
Lenin hatte von der Entwicklung der Monopole in der
kapitalistischen Welt im allgemeinen gesprochen, aber
die Vereinigten Staaten waren davon nicht ausgenommen.
Die Periode zwischen 1860 und 1878, in der der
Pragmatismus entstand, war eine Periode rascher
ökonomischer Entwicklung und harter politischer Kämpfe.
Auf ökonomischem Gebiet war sie einerseits mit dem
Aufkommen der Monopole durch eine enorm erhöhte
Konzentration des Kapitals gekennzeichnet und anderseits
durch ein zahlenmäßig starkes Anwachsen des
Proletariats. Die Veränderungen in dieser Periode fanden
ihren politischen Ausdruck einerseits in der
Ausdehnung und Konsolidierung der Staatsgewalt in Händen
der kapitalistischen Klasse und in der brutalen
Einsetzung dieser organisierten Macht und Gewalt zur
Unterjochung der Arbeiter, der Farmer und Neger;
anderseits durch den zunehmenden militanten Widerstand
des Volkes mittels neuer Kampfformen, zu denen nationale
Gewerkschaften, nationale Farmerorganisationen und
unabhängige politische Parteien der Farmer und der
Arbeiter gehörten.
Die Pariser Kommune, das stärkste Ereignis dieser
Periode auf internationalem Gebiet nach dem
Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, wirkte mit
mächtigem Nachdruck auf die Kapitalisten wie auf die
Arbeiterklasse. Sie versetzte die kapitalistische Klasse
in Angst und Schrecken, da sie den unvermeidlichen
Untergang ihres Ausbeutungs- und Unterdrückungssystems,
.basierend auf dem Privateigentum an den
Produktionsmitteln, in konkreter Form aufzeigte.
Zugleich entzündete sie die Arbeiterklasse, indem sie
blitzartig die historische Mission des Proletariats und
seiner Verbündeten erhellte.
Diese ökonomische und politische Entwicklung hatte
weitreichende und tiefgreifende Auswirkungen auf die
bürgerliche Ideologie. Nachdem die kapitalistische
Klasse durch Ausschaltung der feudalen
SklaVenhaltermacht des Südens die volle Kontrolle über
den Staat an sich gerissen hatte, waren tatsächlich zum
ersten Mal in diesem Lande Bedingungen geschaffen
worden, die die Herausbildung einer scharf umrissenen
Klassenideologie der Kapitalisten nötig machten. Wie
wurde die ökonomische und politische Entwicklung der
letzten sechziger und der siebziger Jahre im Bereich der
Ideologie widergespiegelt? Welche ideologischen Aufgaben
hatten die bürgerlichen Philosophen zu lösen?
Betrachten wir zunächst, welche ideologische
Entwicklung wir nach der endgültigen Ergreifung der
politischen Macht durch die Kapitalistenklasse erwarten
können. Das Beispiel der früheren historischen
Entwicklung in Frankreich und England mag hier als
Wegweiser dienen. In seinem Nachwort zur zweiten Auflage
des „Kapitals" entwirft Marx in wenigen Sätzen ein Bild
der Ereignisse in diesen beiden Ländern.
„Die Bourgeoisie hatte in Frankreich und England
politische Macht erobert. Von da an gewann der
Klassenkampf, praktisch und theoretisch, mehr und mehr
ausgesprochne und drohende Formen.
Er läutete die Totenglocke der wissenschaftlichen
bürgerlichen Ökonomie. Es handelte sich jetzt nicht mehr
darum, ob dies oder jenes Theorem wahr sei, sondern ob
es dem Kapital nützlich oder schädlich, bequem oder
unbequem, ob polizeiwidrig oder nicht. An die Stelle
uneigennütziger Forschung trat bezahlte Klopffechterei,
an die Stelle unbefangner wissenschaftlicher
Untersuchung das böse Gewissen und die schlechte Absicht
der Apologetik."(7)
Obwohl Marx in diesem Fall besonders in Hinsicht auf
die ökonomische Lehre spricht, weist er zugleich auf den
Charakter der ganzen bürgerlichen Ideologie nach der
Inbesitznahme der Staatsmacht hin. Zweckdienliche
Apologetik tritt an die Stelle von wissenschaftlicher
Forschung; das Klasseninteresse verdrängt die Wahrheit.
Die bürgerlichen Apologeten pflegen zu behaupten, daß
dies zwar auf England und Frankreich zutreffen mag, die
Vereinigten Staaten aber eine „Ausnahme" bilden. Aber
für uns ist es klar, daß die kapitalistische Ideologie
in diesem Land keine Ausnahme bildet, daß sie sich nach
dem Bürgerkrieg auf neuer Ebene zu einer Apologetik
entwickelte. Für uns ist weiterhin klar, daß die
bürgerliche Apologetik der Vereinigten Staaten, die sich
nicht wie in England und Frankreich in der Periode des
Kapitalismus der freien Konkurrenz, sondern zur Zeit des
Aufkommens von Monopolen und imperialistischen Tendenzen
entwickelte, von Anfang an die gröbste und dekadenteste
Form der Apologetik war. So steht die Lehre von dem
„Ausnahmefall Amerika" sowohl in der Ideologie als auch
auf anderen Gebieten im völligen Widerspruch zu den
Tatsachen, ist sie das direkte Gegenteil der Wahrheit.
Denn die einzige „Ausnahme" hinsichtlich des
apologetischen Wesens der Ideologie besteht darin, daß
die apologetische Ideologie in ihrer amerikanischen
Erscheinungsform überhöht und übertrieben ist. Weit
davon entfernt, eine Ausnahme in den
Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus zu sein, bildete
sich in den Vereinigten Staaten in der Epoche des
Imperialismus der Monopolkapitalismus zu seiner
klassischen Form heraus.
Wie wir noch sehen werden, führten die bürgerlichen
Ideologen dieses Landes in den verschiedenen Bereichen
der Ideologie die Begriffe Zweckdienlichkeit und
Nützlichkeit als Surrogate für Wissenschaft und
Wahrheit ein. Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit wurden
aus bloßen Arbeitsbegriffen in umfassende philosophische
„Prinzipien" verwandelt, die die gesamte Ideologie
durchdrangen. So wurde das Wesen der Apologetik selbst,
die Marx als Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit für das
Kapital kennzeichnete, zur formulierten wie
nichtformulierten Philosophie der kapitalistischen
Klasse der Vereinigten Staaten. Man kann daher erkennen,
daß der Pragmatismus mit seiner Hauptlehre, „Sein heißt
nützlich sein", die dekadente bürgerliche Apologetik in
der Philosophie bildet. Tatsächlich ist der Pragmatismus
die Glorifizierung und Krönung der Apologetik.
Die Entstehungsgeschichte dieser Philosophie und wie
sie die gesamte Ideologie durchdringt, bildet das Thema
des Buches. Es ist die Geschichte der speziellen Form,
die dem Klasseninhalt der Apologetik mit ihren
Grundbegriffen der Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit
gegeben wird. Von ihrem Anbeginn bis heute ist der
Pragmatismus ihre Form. Die einzig wesentliche
Veränderung ist die Entwicklung von den im späten
neunzehnten Jahrhundert vorhandenen offenen und
unverblümten Versionen zu den verhältnismäßig getarnten
Formen der Gegenwart. Mit der Tarnung nimmt die Dekadenz
und Entartung zu. Der Grad der Tarnung ist zugleich eine
mehr oder weniger genaue Widerspiegelung der wachsenden
Organisiertheit und Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse
und ihrer Verbündeten.
Die Geschichte beginnt in Cambridge, Massachusetts,
im Jahre 1871, dem Jahr der Pariser Kommune.
Der „Metaphysische Klub"
Anfang der sechziger Jahre war in Cambridge eine
Anzahl von Männern beisammen, die eine Hauptrolle bei
der Formulierung der bürgerlichen Ideologie im Verlauf
der kommenden Jahrzehnte spielen sollten. Alle waren
einmal Lehrer oder gar Professoren an der
Harvarduniversität gewesen, und alle standen in engem
persönlichen und beruflichen Kontakt. Es gibt genügend
Beweise dafür, daß sie sich eine Reihe von Jahren, von
1871 bis 1874, in einer exklusiven und inoffiziellen
Diskussionsgruppe trafen, die Charles S. Peirce zufolge
der „Metaphysische Klub" genannt wurde, „ein Name, der
gewählt worden war, um alle die fernzuhalten, die sich
dadurch fernhalten ließen"(8).
Außer Peirce umfaßte die Gruppe Chauncey Wright.
Naturwissenschaftler, Philosoph und Psychologe, Oliver
Wendeil Hohnes, Joseph B. Warner und Nicholas St. John
Grcen, Rechtsanwalt, Richter beziehungsweise
Rechtswissenschaftler, John Fiske, Historiker, Francis
Ellingwood Abbot, protestantischer Pfarrer und Theologe,
und William James, ein Physiologe, der später Psychologe
und Philosoph werden sollte. Vier von ihnen sollten in
den kommenden Jahren auf ihren jeweiligen Gebieten eine
führende Rolle spielen. und zwar Peirce, Holmes, Fiske
und James. Doch auch die Beiträge der anderen in dieser
frühen Entwicklungsphasc waren keinesfalls unbedeutend.
Die beherrschende Figur in dieser Gruppe war faktisch
Chauncey Wright, denn von ihm stammt die Theorie,
die der pragmatischen Methode zugrunde liegt,
während der Methode selbst Nicholas St. John Green und
Charles Peirce ihre erste Form gaben. Welches war das
gemeinsame Problem, das diese Gruppe von Männern
zusammenführte? Während der ersten beiden Drittel des
neunzehnten Jahrhunderts hatte die theologische oder
religiöse Philosophie fast souverän geherrscht. Die
Ideologie der herrschenden Klasse im Norden wie im Süden
war von ihr völlig durchdrungen worden. Solange die
Sklaverei im Süden und die Landwirtschaft in beiden
Teilen des Landes vorherrschend waren, genügte die
Religion als Waffe. Doch als die kapitalistische
Entwicklung der Industrie nach dem Siege von 1865 einen
großen Sprung nach vorn machte und das Proletariat mit
seinen Formen des organisierten Kampfes sich
entsprechend entwickelte, konnte die Religion nicht mehr
die ausschließliche Stütze bleiben. Daher mußten
Theologie und Religionsphilosophie durch eine wirksamere
Form abgelöst werden, eine Form, die die Religion
bestehen ließ und sie verwertete, sich jedoch nicht
darauf beschränkte. Der Angriff der Entwicklungslehre
auf die Theologie beschleunigte den Formulierungsprozeß
einer ausgesprochenen bürgerlichen Philosophie in
demselben Maße, wie er den Prozeß der Befreiung der
Massen von der Religion beschleunigte. Die Chambridger
Gruppe sah sich dem allgemeinen Problem
gegenübergestellt: der doppelten Gefährdung der
traditionellen Religion. Einerseits drohte die
aufgerüttelte Arbeiterklasse und anderseits die
Wissenschaft, namentlich die Entwicklungslehre.
Mit ihrer „Lösung" dieses Problems formulierten die
Cambridger Intellektuellen faktisch die pragmatische
Lebensanschauung und Denkweise und führten somit eine
objektive historische Aufgabe aus.
Eine stürmische Diskussion war über die Cambridger im
Gange, einerseits von einer Handvoll Wissenschaftler,
die den Entwicklungsgedanken vertraten und von dem
Biologen Asa Gray von der Harvarduniversität geführt
wurden, und andererseits von der ganzen wütenden Meute
von Theologen und Pfaffen, die von Louis Agassiz, einem
anderen Wissenschaftler der Harvarduniversität, geführt
wurden. Es war eine Debatte, der sich weder einzelne
Personen noch Gruppen, noch Institutionen verschließen
konnten. Sie führte zu Kampfparteien in Kirchen und
Schulen, in Stadtversammlung an und in den
gesetzgebenden Körperschaften. Nachklänge der Debatte
waren noch Generationen später zu vernehmen; am
stärksten an die Öffentlichkeit gedrungen ist dabei der
Scopes-Prozeß in Tennessee gegen einen Lehrer, der 1925
angeklagt wurde, die Entwicklungstheorie gelehrt zu
haben.
Die Mitglieder des Metaphysischen Klubs standen den
mißlunge-nen Versuchen der sogenannten Naturtheologen,
die Entwicklungslehre in der kirchlichen Doktrin
aufgehen zu lassen, gegenüber, um dadurch die
Wissenschaft der Theologie unmittelbar zu unterstellen.
Beachtung verdienthierbei EdwardHitchcocks Versuch,
Ly ells Theorie von der Entstehung der Erde in
theologische Gewänder zu kleiden, und Paul Chadbournes
Versuch, dasselbe mit Darwins „Entstehung der Arten" zu
tun. Hitchcock, ein kalvinistischer Theologe, Präsident
des Amherst-College und Professor der „Geologie und
Naturtheologie", schrieb ein Buch „The Religion of
Geology and its Connected Science" (Die Religion der
Geologie und der damit verbundenen Wissenschaften), das
bis 1860 elf Auflagen erlebte. Darin brachte er die
These vor, daß „die Geologie unsere Erkenntnis von der
göttlichen Anordnung und Lenkung des Universums stark
erweitert hat" und daß das Mikroskop „der sechste
Schritt in der menschlichen Erkenntnis Jehovas"(9) ist.
Chadbourne schrieb das Buch „Relations of Natural
History and Natural Theology'' (Beziehungen zwischen der
Naturgeschichte und der Naturtheologie), worin er den
Entwicklungsgedanken der Lehre von den festen Arten und
der Schöpfung anzupassen suchte, indem er zeigte, er
folge dem „Plan der Schöpfung". Die Entwicklung zeigte
seiner Ansicht nach „die instinktmäßige Voraussicht, die
das Wachstumsgesetz der Pflanzen und Tiere ist"
und erwies „die Anwendung der Mittel und Zwecke. wie sie
dem Verstand des Menschen gerechtfertigt erscheint"(10).
Die Cambridger Gruppe erkannte die geistige, wenn
nicht gar die politische Unzulänglichkeit solcher
unverhohlenen Versuche, die neue Wissenschaft mit der
Theologie zu versöhnen. Dies geschah indessen nicht,
weil sie Verteidiger der Wissenschaft waren und deshalb
deren Unterordnung unter die Theologie übel aufnahmen.
Im Gegenteil, die Theologen machten der Wissenschaft zu
viele Zugeständnisse, denn sie akzeptierten die
Tatsache, daß Lyell und Darwin wirkliche Gesetze der
objektiven materiellen Welt entdeckt hatten. So hatte
zum Beispiel der Kalvinist Hitchcock die Meinung
vertreten, daß „die Geologie unsere Vorstellungen von
der Zeit, in der das materielle Universum bisher
existiert, erweitert hat"(11).
Die Alternative war die Bekämpfung des Materialismus
der Wissenschaft und der Arbeiterklasse unter dem
Deckmantel eines Angriffs auf jegliche „Methaphysik".
Mit diesem Begriff meinten sie nicht die Metaphysik nach
der Definition des dialektischen Materialismus, nämlich
die mechanistische Methode im Gegensatz zur
dialektischen Methode, sondern sie meinten im Gegenteil
jegliche Vorstellung, daß es eine objektive Abhängigkeit
der Ideen oder Theorien von einer unabhängig von der
menschlichen Erfahrung existierenden Realität gäbe. So
konnten sie den Kampf gegen die Konzeption von der
materiellen Welt unter dem Deckmantel eines Angriffs auf
die theologische Vorstellung einer geistigen, von der
Erfahrung des Menschen unabhängigen Welt führen. In dem
Begriff „Metaphysik" lag für sie also sowohl der
„Glaube" an die objektive materielle Welt als auch der
„Glaube" an die objektive geistige Welt. Mit Hilfe
dieser geschickten Formel konnte die bürgerliche
Philosophie den Anschein erwecken, auf Seiten der
Wissenschaft und der arbeitenden Massen in deren
Rebellion gegen die Religion zu stehen; dennoch konnte
sie gleichzeitig den Obskurantismus in einer weit
bösartigeren und entarteteren Form wieder einführen,
jenen Obskurantismus, den die Religion zu predigen
hatte. Diese Scherenoffensive ermöglichte es. zu
gleicher Zeit Wissenschaft, Theorie und Wahrheit zu
leugnen und diese Leugnung als Angriff auf die Theologie
zu tarnen. Den bürgerlichen Philosophen würde dadurch
ermöglicht werden, die Religion durch die Hintertür
wieder einzu-t(hmuggeln. da keine Wissenschaft zu ihrer
Bekämpfung mehr existieren würde.
Diese Formel entsprach durchaus den historischen
Ansprüchen der kapitalistischen Klasse, nachdem sie die
Macht ergriffen hatte und sich in ihrer unersättlichen
Gier nach immer größeren Profiten auf stürmischem
Vormarsch befand. Jetzt wurde eine systematische Theorie
und Methode benötigt, die den Materialismus mit Hilfe
eines demagogischen Angriffs auf die Theologie
bekämpfte. Die Theorie mußte die bürgerliche
Lebensanschauung formulieren, das heilst die Leugnung
jeder objektiven Notwendigkeit, die das Bestreben der
Klasse. Profile anzuhäufen und die Welt auf ewig zu
beherrschen, vereiteln könnte. Die Methode mußte die
Vorstellungen von der Zwcckdiehlichkeit und der
Nützlichkeit für die Klasse als Simogatc für objektives
wissenschaftliches Verständnis formulieren. Fs wurde die
Lehre gebraucht, daß der Zweck der Klasse alle Mittel
heiligt.
Die philosophischen Wurzeln des Pragmatismus
Chauncey Wright faßte die kapitalistische
Weltanschauung in die Theorie, die die methodische
Grundlage bilden sollte, auf der später der Pragmatismus
konstruiert wurde. Aber er griff sie nicht aus der
blauen Luft. Er machte Anleihen bei der klassischen
Philosophie Berkeleys, bei den Theorien der
Utilitaristen Stuart Mill, Jeremy Bentham und Alexander
Bain und bei Ernst Mach, Avenarius und Helmholtz, die
Lenin in seinem Buch „Materialismus und
Empiriokritizismus" als modern drapierte Philosophen des
Berkeleyschen subjektiven Idealismus entlarvte.
Als Hauptlehre predigte Wright, es gäbe keine
Notwendigkeit in Natur oder Gesellschaft. Mit der
Leugnung der Notwendigkeit leugnete er auch, daß es
notwendige Bewegungsgesetze im Univer-
sum gibt, daß die Realität strukturiert ist, daß die
Entwicklung von Natur und Gesellschaft nach allgemeinen
Bewegungsgesetzen verläuft. Wenn es keine objektive
Notwendigkeit gibt, kann die Wissenschaft nicht
entdecken, was gar nicht als Objekt der Entdeckung
existiert. Was also die Wissenschaft Gesetze der
Bewegung und der Entwicklung nennt, waren für Wright
lediglich die üblichen Gewohnheiten menschlichen
Verhaltens.
Alle Mitglieder des Metaphysischen Klubs waren Wright
für die Betonung dieser Lehre vom Niditbestehen einer
Notwendigkeit verpflichtet. Es war zumindest der
halbe Weg zur Lösung ihres Problems. Einige Mitglieder
waren sich dieser Verpflichtung völlig bewußt, wie aus
einem Vorschlag für ein Denkmal zu sehen ist, den Peirce
im Jahre 1875 beim Tode Wrights an William James
richtete. In einem Brief an James schrieb Peirce: „Sein
Andenken verdient es, denn er hat eine Menge für jeden
einzelnen von uns getan ... Ich meine dich, Frank Abbot
und mich selbst."(12) Was er für die Mitglieder getan
hat, faßte einer von ihnen, Oliver Wendeil Holmes,
fünfzig Jahre nach Wrights Tod zusammen: „Chauncey
Wright, ein fast vergessener Philosoph von wirklichem
Verdienst, lehrte mich in meiner Jugend, daß ich beim
Universum nicht von notwendig sprechen dürfe und
daß wir nicht wüßten, ob etwas notwendig ist oder
nicht."(13) Die Leugnung der Notwendigkeit zieht sich
beständig durch die Werke von Peirce, Holmes, Fiske und
James.
Wright selbst stellte es so dar: „Ein wirkliches
Schicksal oder eine wirkliche Notwendigkeit
sind tatsächlich nirgendwo im Universum manifestiert -
nur eine Regelmäßigkeit in der Erscheinung"(14) Um diese
Ablehnung der objektiven Notwendigkeit rational zu
begründen, mußte er sich auf den britischen Empirismus,
und besonders auf Berkeley, berufen. Er mußte die
gesamte Wissenschaft zu einer Angelegenheit von bloßen
Fakten ohne Gesetze erklären, und er mußte diese
Fakten auf nützliche praktische Instrumente reduzieren,
die sich auf die „speziellen Güter oder Zwecke des
menschlichen Lebens" beziehen und nichts mit einer
objektiven Wahrheit zu tun haben. „Die wahre
Wissenschaft", schreibt er, „hat nur mit
Tatsachenproblemen zu tun: Wenn die Tatsachen
determiniert und soweit wie möglich von moralischen
Vorurteilen frei sind, dann greift die praktische
Wissenschaft ein, um zu entscheiden, welche Gefühle und
Verhaltensregeln wir den Tatsachen gegenüber haben
sollten; doch die praktische Wissenschaft kennt
inhärente Postulate ebensowenig wie die spekulative
Wissenschaft. Ihre letzten Grundlagen sind die
besonderen Güter oder Zwecke des menschlichen
Lebens."(15) Die letzte Grundlage der Wissenschaft ist
nicht die Übereinstimmung mit der objektiven materiellen
Welt, sondern sie besteht nur in den praktischen
Wirkungen. Eine „Tatsache" ist nicht falsch oder
richtig, sondern nur nützlich oder nutzlos für die
menschliche Lebensführung.
Für Wright ist die Wissenschaft eine Wissenschaft der
Erkenntnisobjekte, und die Erkenntnisobjekte sind
Geisteszustände. Das ist rein subjektiver Idealismus,
reiner Berkeley, wie Wright sehr wohl wußte. In einem
1868 an Abbot geschriebenen Brief beantwortete er ihm
eine von diesem gestellte Frage: „Zweitens überraschen
sie mich durch die Frage, ob der Idealismus nicht ,die
direkte Negierung der objektiven Wissenschaft sei'. . .
In der positiven Wissenschaft oder dem Studium der
Erscheinungen und ihrer Gesetze gibt es nichts, womit
der Idealismus im Konflikt ist (siehe Berkeley). Die
Astronomie ist genauso eine reale Wissenschaft, eine
genauso treue Wiedergabe der Erscheinungen und ihrer
Gesetze, wenn Erscheinungen nur Geisteszustände sind,
wie nach der anderen Theorie."(16)
Abbot hatte natürlich recht, der Wright-Berkeleysche
Idealismus stellt wirklich „die direkte Negierung der
objektiven Wissenschaft" dar. Aber Wright versucht,
diese unwiderlegliche Tatsache durch die übliche
Unterscheidung zwischen „Erscheinung und Ding an sich"
zu verdecken, wobei „Erscheinung" Wirkungen auf Menschen
ausdrückt, das heißt, das Objekt ist das, worunter es
bekannt ist, oder ist das, wofür es benutzt wird. Auf
diese Weise wird das Erscheinungsobjekt lediglich als
Geisteszustand betrachtet. Da dies alles ist, was man
erkennen kann, ist es also bloßes Mutmaßen, ein „reales"
Objekt, ein Ding an sich, ein Noumenon, anzunehmen, das
hinter dem Geisteszustand besteht. Für den Idealisten
ist die Wissenschaft also eine Wissenschaft der
Geistesobjekte, der Erscheinungen, nicht der materiellen
Objekte, der realen Objekte, wie dies für den
Materialisten der Fall ist. Nach dieser einseitigen,
reaktionären Ansicht können die Menschen weiter nichts
erkennen als ihre eigenen Gedanken, die Geistesobjekte
oder Geisteszustände. die nur in ihrem eigenen
Bewußtsein existieren. Wright schafft in demselben Brief
an Abbot über diesen Punkt völlige Klarheit, wenn er
über „jene bedeutsame Lehre des Positivismus - die
Relativität der Erkenntnis", spricht, „daß die einzigen
unmittelbar bekannten Objekte wirklich Geisteszustände
sind, Wirkungen in uns. die wir entsprechend ihren
Zusammenhängen entweder einem Individuum oder einer
äußeren Welt zuschreiben, ohne eine weitere Möglichkeit.
mehr über ihre Subjekte zu wissen"(17).
Dies ist das Kernstück der Lehre, auf der der
Pragmatismus beruht. Es ist die Leugnung der
Wissenschaft durch die Leugnung der „äußeren Welt". Ist
die Wissenschaft lediglich die Wissenschaft von
„Geisteszuständen", von dem „Objekt" in seiner
Einwirkung auf den Menschen, dann gibt es keine
Möglichkeit zu objektiver Erkenntnis, das heißt zur
Erkenntnis äußerer materieller Objekte, wie sie
unabhängig von Bewußtsein und Erfahrung existieren. Die
Entwicklungslehre wird daher auf eine nur nützliche
Einteilung von Geisteszuständen eingeschränkt, und es
ist dabei nicht von Wahrheit oder Unwahrheit die Rede,
sondern lediglich davon, ob sie als Idee tatsächlich
nutzvoll ist oder den Interessen dient, indem sie zu
„den besonderen Bereichen oder Zwecken des menschlichen
Lebens" hinführt.
Die subjektiv-idealistische, positivistische Theorie
ist die rationale Begründung der bürgerlichen Leugnung
der Notwendigkeit in der Welt, im Leben und in der
Gesellschaft. Die Entwicklungsgesetze der Erde, die
Entwicklungsgesetze der Lebewesen, die
Entwicklungsgesetze der Gesellschaft sind ihres
objektiven Bezuges und der Wahrheit beraubt und sind nur
nützliche Methoden, die menschliche Erfahrung zu
organisieren. Das befreit die Bourgeoisie von der
Notwendigkeit, prinzipiell zu denken und zu handeln, und
ebnet ihrer Lehre von der Zweckdienlichkeit den Weg.
Die subjektiv-idealistische Theorie, die Wright bei
Berkeley, Hume und dem britischen Empirismus entlehnt
hat, trägt gleichfalls den vorgeblichen Angriff auf
jegliche Metaphysik voran. Denn wenn die Ideen im
Be.wußtsein kein äußeres Objekt besitzen, dem sie
entsprechen, dann haben auch die Ideen von Gott,
Unsterblichkeit, einer besonderen Schöpfung, eines
äußeren gottgegebenen Moralgesetzes usw. keinen
objektiven Bezug und sind im Verein mit anderen Ideen
lediglich nützliche Methoden zur Organisierung von
Geisteszuständen. Es sind Ideen, die für bestimmte
Zwecke „wirksam sind". Das also störte den Theologen
Abbot. Er nahm das ernst und machte sich darum Sorgen,
was in Wirklichkeit nur Tarnung des Hauptziels des
Angriffs war, des Angriffs auf Wissenschaft und
Materialismus. Wright beruhigte ihn, indem er sagte:
„Praktische Beweggründe sind tatsächlich die Basis des
Glaubens an die Lehren der Theologie."(18) Faktisch
unterrichtete Wright Abbot, daß das einzige Mittel, mit
dem Theologie und Religion das Volk weiterhin im Zaum
halten konnten, die Ausschaltung der Wissenschaft als
reale Erkenntnis der realen Welt sei. Auf diesem Wege
konnte der Aberglaube ohne Furcht vor Einwendungen durch
die wissenschaftliche Theorie wiedereingeführt werden.
Wright hatte bereits 1867 wegbahnend für das
Entstehen des pragmatischen Nützlichkeitsprinzips in
bezug auf Mittel und Zweck gewirkt. Diese Beseitigung
der Konzeption der Notwendigkeit und ihre Begründung mit
Hilfe der subjektiv-idealistischen Theorie hatte Wright
den anderen Mitgliedern des Metaphysischen Klubs
anzubieten.
Während die systematische Theorie des
Pragmatismus, die positivistische Ablehnung der
Notwendigkeit und die Bejahung des subjektiven
Idealismus dem britischen Empirismus entlehnt worden
waren, ist die systematische Formulierung der
pragmatischen Methode in erster Linie dem
deutschen Idealismus, und insbesondere Immanuel Kant,
entlehnt und in zweiter Linie dem Utilitarismus
Alexander Bains. Peirce brachte den Mitgliedern des
Klubs die Kantsche Konzeption von der praktischen
Erkenntnis, und Nicholas St. John Green vermittelte
ihnen die Lehren Bains.
In den Schlußkapiteln seiner „Kritik der reinen
Vernunft" führte Kant aus, wenn man keine wirkliche
Kenntnis erlangen könne, auf der das Handeln beruhen
solle, man aber handeln müsse, könne das Handeln nur auf
Glauben beruhen. Mit anderen Worten, wenn man
einen bestimmten Zweck oder ein bestimmtes Ziel
verfolgt, fber^nicht weiß, auf welchem Wege man es
unbedingt erreichen wird, müsse man sich vom
pragmatischen Glauben leiten lassen; die einzige
Möglichkeit ist zu glauben, daß mit einem
bestimmten Mittel ein gegebenes Ziel zu erreichen ist.
Kant definiert den pragmatischen Glauben in folgender
Weise:
„Der Arzt muß bei einem Kranken, der in Gefahr ist,
etwas tun, kennt aber die Krankheit nicht. Er sieht auf
die Erscheinungen und urteilt, weil er nichts Besseres
weiß, es sei die Schwindsucht. Sein Glaube ist selbst in
seinem eigenen Urteile bloß zufällig, ein anderer möchte
es vielleicht besser treffen. Ich nenne dergleichen
zufälligen Glauben, der aber dem wirklichen Gebrauche
der Mittel zu gewissen Handlungen zum Grunde liegt, den
pragmatischen Glauben." (19)
Für Kant gab es Möglichkeiten der sicheren
Erkenntnis, und deshalb war der pragmatische Glauben für
ihn nicht die einzige Grundlage des Handelns. Bei ihrer
Formulierung der klassengebundenen Lebensanschauung und
Denkweise war die Situation für die Mitglieder des
Metaphysischen Klubs anders. Ihrer Formulierung nach gab
es keine Notwendigkeit in der Welt, und da es in
Wirklichkeit keine objektive Welt gab, konnte es auch in
der Erkenntnis keine Gewißheit und faktisch
überhaupt keine Erkenntnis geben. Damit erklärt die
Theorie des Pragmatismus die Methode des pragmatischen
Glaubens zur einzig möglichen. Was für Kant eine
Ausnahme war, wurde für die Pragmatiker zum ehernen
Gesetz. Die Menschen sollen gezwungen werden, als
Grundlage des Handelns den Glauben an die Stelle der
Erkenntnis zu setzen. Der Pragmatismus ist tatsächlich
die Rückkehr zu früheren Formen der Unwissenheit, die
Wiedereinsetzung des Aberglaubens.
Diese Lehre Kants vermittelte Peirce als seinen
Beitrag zur systematischen Formulierung der bürgerlichen
Philosophie in den Vereinigten Staaten. Doch solche
Kombination von pragmatischem Glauben und Berkeleyschem
subjektivem Idealismus hatte die professionelle
Philosophie noch nicht erlebt.
Der pragmatische Glaube Kants, der seine Wurzeln im
subjektiven Idealismus Berkeleys hatte und sich im
Pragmatismus manifestierte, war die systematische,
formulierte Philosophie, die am vollkommensten der
Lebensanschauung und Denkweise der entstehenden
monopolkapitalistischen Klasse in den Vereinigten
Staaten entsprach.
Nach Jahren schrieb Peirce über die Art des Denkens
der Mitglieder des Metaphysischen Klubs: „Unser Denken
war entschieden britischer Prägung. Aus unserer ganzen
Schar bin ich allein auf dem Wege über Kant zum
Dreschplatz der Philosophie gekommen, und selbst meine
Ideen nahmen britischen Akzent an."2" Kurz, Kant wurde
zu einem Berkeleyaner und Berkeley zu einem Kantianer
gestempelt. Diese Ehe hält nun schon achtzig Jahre.
Auch Nicholas St. John Green machte die Gruppe mit
der pragmatischen Methode des Glaubens an die Mittel zum
Zweck bekannt. Hartnäckig bestand er darauf, daß Bains
Definition des Glaubens äußerst zutreffend sei. Danach
war Glaube „das, wonach man zu handeln bereit ist".
Peirce schrieb über Green: „Insbesondere betonte er oft,
wie wichtig es sei, Bains Definition des Glaubens
anzuwenden, nämlich ,das, wonach man zu handeln bereit
ist'. Der Pragmatismus ist kaum mehr als ein Folgesatz
dieser Definition, so daß ich geneigt bin, ihn für den
Großvater des Pragmatismus zu halten."(20) Kant und
Peirce hatten ausgeführt, daß Handeln ohne Erkenntnis
auf pragmatischem Glauben basieren müsse. Jetzt führen
Green und Bain aus, Glauben bedeute, „das, wonach man zu
handeln bereit ist". Zusammen mit der Peirce-Kantschen
Lehre des pragmatischen Glaubens und der
Wright-Berkeleyschen Lehre des subjektiven Idealismus
vervollständigt letzteres die systematische Anlage, die
für die Formulierung der Philisophie der
kapitalistischen Klasse der Vereinigten Staaten, für die
Ausarbeitung der formalen Philosophie des Pragmatismus
benötigt wird. Die Aufgabe, alle diese Elemente
zusammenzufassen, fiel zunächst Peirce zu.
Anmerkungen
1) M. Gorki, Aufsätze und Pamphlete, Moskau 1950, S. 76.
2) «New York Times' vom 12. März 1951.