Die Wurzeln des Pragmatismus

von Harry K. Wells

5/6-12

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Maxim Gorki begriff die pragmatische Denkweise sehr gut, als er in einem seiner Pamphlete einem amerikanischen Millionär die Feststellung in den Mund legt: .Es kommt hier nicht auf die Methoden an, sondern auf das Resultat."! (1) Das ist im wesentlichen das Grundprinzip des Pragmatismus, soweit es überhaupt möglich ist, im Zusammenhang mit einer völlig prinzipienlosen Philosophie von Prinzipien zu sprechen.

Pragmatisches Denken ist die Methode, Resultate zu erzielen, ganz gleich mit welchen Mitteln. Da es dabei kein objektives Maß der Wahrheit gibt, ist der Erfolg das einzige Kriterium. Ohne Hemmungen ist alles erlaubt, solange es „wirksam* ist. Die einzig wesentliche Frage ist: „Geschieht es zu meinem Vorteil?" Wenn ja, wird es .wahr" und .gut" genannt, wenn nicht, ist es .falsch" und .schlecht".

Präsident Eisenhower wendet dieses pragmatische .Prinzip" auf den Einsatz von Atomwaffen an: „Meiner Meinung nach würde die Anwendung der Atombombe auf folgender Grundlage erfolgen: Bringt sie mir Vorteil oder nicht, wenn ich in einen Krieg gerate? ... Wenn ich damit rechnen könnte, daß ich dabei gewinnen würde, würde ich sie sofort anwenden..."(2) Entscheidet er nach denselben Grundsätzen über die Frage, ob „ich in einen Krieg gerate"? Die Philosophie des Pragmatismus läßt keine anderen zu.

Dieselbe Denkweise findet man in der formalen Philosophie von William James und John Dewey. Dort tritt sie in fast endlosen Spielarten auf, doch stets finden wir dieselben grundlegenden Züge. In vielen Fällen ist sie getarnt, dennoch enthüllt sich ihr Inhalt in seiner ganzen philiströsen Primitivität, sobald man ihn der demagogischen Phrasen entkleidet.

Der Pragmatismus ist eine Abart des philosophischen Idealismus. Spezieller gesagt, ist er eine besondere Form des subjektiven Idealismus, der behauptet, daß nur unser Bewußtsein wirklich existiert, die natürliche und gesellschaftliche Welt aber nur in unseren Sinnesempfindungen und Ideen, in unserem Willen und unseren Emotionen existiert. Der Pragmatismus ist eine Philosophie des subjektiven Idealismus, die sich aus den konkreten historischen Bedingungen der Vereinigten Staaten entwickelt hat. Hauptsächlich drei Philosophen haben seine Form bestimmt: Charles S. Peirce, William James und John Dewey. Peirce war sein Begründer, James sein Propagandist und Dewey sein Hoherpriester.

Der Pragmatismus ist aber nun keinesfalls lediglich ein akademisches Philosophiesystem, das sich Professoren von der Harvardoder der Columbia-Universität ausgedacht haben. In erster Linie stellt diese Denkweise die Weltanschauung der kapitalistischen Klasse dar, und erst in zweiter Linie bildet sie das Geistesprodukt der bürgerlichen Ideologen. Die einmal formulierte Philosophie wirkt ihrerseits wieder auf das allgemeine Klassenbewußtsein und auf das Leben der Gesellschaft zurück, der sie ursprünglich entstammte.

Die Philosophie ist keine isolierte Erscheinung, die vom übrigen Leben abgeschnitten ist. Sie ist ein integrierender Bestandteil der Ideologie, der sie als Lebensanschauung und Denkweise einer Klasse zugrunde liegt. Im „Achtzehnten- Brumaire des Louis Bonaparte" sagt Marx über die Entstehung der Ideologie: „Auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenzbedingungen erhebt sich ein ganzer Überbau verschiedener und eigentümlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und Lebensanschauungen. Die ganze Klasse schafft und gestaltet sie aus ihren materiellen Grundlagen heraus und aus den entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen."(3) Pragmatismus ist der Name, mit dem jetzt die spezielle Lebensanschauung und Denkweise bezeichnet wird, die von der ganzen kapitalistischen Klasse in den Vereinigten Staaten aus ihren materiellen Grundlagen und ihren entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen heraus geschaffen wurde. Pragmatismus ist zugleich der Name für die von den Berufsphilosophenvorgenommene akademische Formulierung der klassenbedingten Weltanschauung.

Die pragmatische Philosophie wurde, wenn auch nicht unter diesem Namen, zum erstenmal im Jahre 1878 von Charles Sanders Peirce formuliert. Peirce war der Sohn eines Harvard-Professors und wohnte fast sein ganzes Leben in Cambridge im Staate Massachusetts. Er lehrte an der Harvard- und an der John-Hopkins-Universität, regulär jedoch war er beim Küstenwachtdienst der Vereinigten Staaten angestellt, wo er im Vermessungsdienst arbeitete. Er war ein in Chemie und Physik ausgebildeter'Wissenschaftler, der unter dem Gewicht der Lehren von Charles Darwin, Charles Lyell und der neuen wissenschaftlichen Evolutionslehre zur Philosophie überging.

In zwei Aufsätzen, die in der Januar- und Februarnummer 1878 des „Populär Science Monthly" veröffentlicht wurden, entwickelte Peirce die Hauptthese des Pragmatismus: „Man muß dabei in Betracht ziehen, welche Wirkungen wir den Objekten unserer Vorstellung zuschreiben und welche praktischen Folgen sie haben mögen. Demnach ist also unsere Vorstellung von diesen Wirkungen unsere Vorstellung von dem Objekt schlechthin."(4) Bischof Berkeley hatte gesagt: „Sein heißt perzipiert werden", das heißt wahrgenommen werden. Peirce gibt dieser subjektiv-idealistischen Lehre eine revidierte und speziell amerikanische Wendung, denn im Wesen bedeutet die obige These: Sein heißt praktischen Erfolg erzielen, oder: Sein heißt nützlich sein. Ein Ding ist das, wofür es in der praktischen menschlichen Tätigkeit „gut" ist. Wenn ein Objekt nicht nützlich ist, ist es nicht existent. Ein Ding ist nur die Art seiner Wirksamkeit in der Praxis.

Diese These enthält den Kern des subjektiven Idealismus, denn sie erklärt das Objekt als abhängig und nicht als unabhängig vom Menschen und leugnet somit die objektive materielle Welt. Das heißt gleichzeitig, daß es keine Wahrheit gibt, denn es gibt keine äußere Welt, der Ideen im Bewußtsein entsprechen können. Ohne Wahrheit gibt es keine Erkenntnis, keine Theorie, keine Wissenschaft. Also kann eine Idee oder eine Theorie nicht richtig oder falsch sein, sie kann nur nützlich oder unnütz sein, und das einzige Kriterium ist der Erfolg im praktischen Handeln.

So hatten die bürgerlichen Philosophen in den Vereinigten Staaten schon 1878 ihre Philosophie in ein System gebracht. Welches waren die ökonomischen, politischen und geistigen Bedingungen, die dieser ersten Formulierung des Pragmatismus den Weg ebneten?

Der politische und ökonomische Hintergrund

In seinem klassischen Werk über den Imperialismus charakterisiert Lenin das Jahrzehnt von 1860 bis 1870 als das erste „der Hauptstadien der Geschichte der Monopole". Es ist die Periode, in der „kaum merkbare Ansätze zu Monopolen" zu finden sind. Dieses erste Entwicklungsstadium des Monopols fällt zusammen mit der höchsten „Stufe der Entwicklung der freien Konkurrenz"(5). Durch den Prozeß der Konkurrenz selbst hat die Konzentration des Kapitals den Punkt erreicht, an dem das Monopol aufzutreten beginnt, obwohl es bis jetzt „kaum merkbar" ist. Das zweite Entwicklungsstadium der Monopole beginnt „nach der Krise von 1873", zu dieser Zeit finden wir eine „weitgehende Entwicklung von Kartellen, die aber noch Ausnahmen, keine dauernden, sondern vorübergehende Erscheinungen sind"6. Die Jahre von 1860 bis 1873 enthalten also die höchste Stufe der freien Konkurrenz und das erste Stadium und den Beginn des zweiten Stadiums im Aufkommen der Monopole.

Lenin hatte von der Entwicklung der Monopole in der kapitalistischen Welt im allgemeinen gesprochen, aber die Vereinigten Staaten waren davon nicht ausgenommen.

Die Periode zwischen 1860 und 1878, in der der Pragmatismus entstand, war eine Periode rascher ökonomischer Entwicklung und harter politischer Kämpfe. Auf ökonomischem Gebiet war sie einerseits mit dem Aufkommen der Monopole durch eine enorm erhöhte Konzentration des Kapitals gekennzeichnet und anderseits durch ein zahlenmäßig starkes Anwachsen des Proletariats. Die Veränderungen in dieser Periode fanden ihren politischen Ausdruck einerseits in der Ausdehnung und Konsolidierung der Staatsgewalt in Händen der kapitalistischen Klasse und in der brutalen Einsetzung dieser organisierten Macht und Gewalt zur Unterjochung der Arbeiter, der Farmer und Neger; anderseits durch den zunehmenden militanten Widerstand des Volkes mittels neuer Kampfformen, zu denen nationale Gewerkschaften, nationale Farmerorganisationen und unabhängige politische Parteien der Farmer und der Arbeiter gehörten.

Die Pariser Kommune, das stärkste Ereignis dieser Periode auf internationalem Gebiet nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, wirkte mit mächtigem Nachdruck auf die Kapitalisten wie auf die Arbeiterklasse. Sie versetzte die kapitalistische Klasse in Angst und Schrecken, da sie den unvermeidlichen Untergang ihres Ausbeutungs- und Unterdrückungssystems, .basierend auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln, in konkreter Form aufzeigte. Zugleich entzündete sie die Arbeiterklasse, indem sie blitzartig die historische Mission des Proletariats und seiner Verbündeten erhellte.

Diese ökonomische und politische Entwicklung hatte weitreichende und tiefgreifende Auswirkungen auf die bürgerliche Ideologie. Nachdem die kapitalistische Klasse durch Ausschaltung der feudalen SklaVenhaltermacht des Südens die volle Kontrolle über den Staat an sich gerissen hatte, waren tatsächlich zum ersten Mal in diesem Lande Bedingungen geschaffen worden, die die Herausbildung einer scharf umrissenen Klassenideologie der Kapitalisten nötig machten. Wie wurde die ökonomische und politische Entwicklung der letzten sechziger und der siebziger Jahre im Bereich der Ideologie widergespiegelt? Welche ideologischen Aufgaben hatten die bürgerlichen Philosophen zu lösen?

Betrachten wir zunächst, welche ideologische Entwicklung wir nach der endgültigen Ergreifung der politischen Macht durch die Kapitalistenklasse erwarten können. Das Beispiel der früheren historischen Entwicklung in Frankreich und England mag hier als Wegweiser dienen. In seinem Nachwort zur zweiten Auflage des „Kapitals" entwirft Marx in wenigen Sätzen ein Bild der Ereignisse in diesen beiden Ländern.

„Die Bourgeoisie hatte in Frankreich und England politische Macht erobert. Von da an gewann der Klassenkampf, praktisch und theoretisch, mehr und mehr ausgesprochne und drohende Formen.

Er läutete die Totenglocke der wissenschaftlichen bürgerlichen Ökonomie. Es handelte sich jetzt nicht mehr darum, ob dies oder jenes Theorem wahr sei, sondern ob es dem Kapital nützlich oder schädlich, bequem oder unbequem, ob polizeiwidrig oder nicht. An die Stelle uneigennütziger Forschung trat bezahlte Klopffechterei, an die Stelle unbefangner wissenschaftlicher Untersuchung das böse Gewissen und die schlechte Absicht der Apologetik."(7)

Obwohl Marx in diesem Fall besonders in Hinsicht auf die ökonomische Lehre spricht, weist er zugleich auf den Charakter der ganzen bürgerlichen Ideologie nach der Inbesitznahme der Staatsmacht hin. Zweckdienliche Apologetik tritt an die Stelle von wissenschaftlicher Forschung; das Klasseninteresse verdrängt die Wahrheit.

Die bürgerlichen Apologeten pflegen zu behaupten, daß dies zwar auf England und Frankreich zutreffen mag, die Vereinigten Staaten aber eine „Ausnahme" bilden. Aber für uns ist es klar, daß die kapitalistische Ideologie in diesem Land keine Ausnahme bildet, daß sie sich nach dem Bürgerkrieg auf neuer Ebene zu einer Apologetik entwickelte. Für uns ist weiterhin klar, daß die bürgerliche Apologetik der Vereinigten Staaten, die sich nicht wie in England und Frankreich in der Periode des Kapitalismus der freien Konkurrenz, sondern zur Zeit des Aufkommens von Monopolen und imperialistischen Tendenzen entwickelte, von Anfang an die gröbste und dekadenteste Form der Apologetik war. So steht die Lehre von dem „Ausnahmefall Amerika" sowohl in der Ideologie als auch auf anderen Gebieten im völligen Widerspruch zu den Tatsachen, ist sie das direkte Gegenteil der Wahrheit. Denn die einzige „Ausnahme" hinsichtlich des apologetischen Wesens der Ideologie besteht darin, daß die apologetische Ideologie in ihrer amerikanischen Erscheinungsform überhöht und übertrieben ist. Weit davon entfernt, eine Ausnahme in den Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus zu sein, bildete sich in den Vereinigten Staaten in der Epoche des Imperialismus der Monopolkapitalismus zu seiner klassischen Form heraus.

Wie wir noch sehen werden, führten die bürgerlichen Ideologen dieses Landes in den verschiedenen Bereichen der Ideologie die Begriffe Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit als Surrogate für Wissenschaft und Wahrheit ein. Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit wurden aus bloßen Arbeitsbegriffen in umfassende philosophische „Prinzipien" verwandelt, die die gesamte Ideologie durchdrangen. So wurde das Wesen der Apologetik selbst, die Marx als Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit für das Kapital kennzeichnete, zur formulierten wie nichtformulierten Philosophie der kapitalistischen Klasse der Vereinigten Staaten. Man kann daher erkennen, daß der Pragmatismus mit seiner Hauptlehre, „Sein heißt nützlich sein", die dekadente bürgerliche Apologetik in der Philosophie bildet. Tatsächlich ist der Pragmatismus die Glorifizierung und Krönung der Apologetik.

Die Entstehungsgeschichte dieser Philosophie und wie sie die gesamte Ideologie durchdringt, bildet das Thema des Buches. Es ist die Geschichte der speziellen Form, die dem Klasseninhalt der Apologetik mit ihren Grundbegriffen der Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit gegeben wird. Von ihrem Anbeginn bis heute ist der Pragmatismus ihre Form. Die einzig wesentliche Veränderung ist die Entwicklung von den im späten neunzehnten Jahrhundert vorhandenen offenen und unverblümten Versionen zu den verhältnismäßig getarnten Formen der Gegenwart. Mit der Tarnung nimmt die Dekadenz und Entartung zu. Der Grad der Tarnung ist zugleich eine mehr oder weniger genaue Widerspiegelung der wachsenden Organisiertheit und Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten.

Die Geschichte beginnt in Cambridge, Massachusetts, im Jahre 1871, dem Jahr der Pariser Kommune.

Der „Metaphysische Klub"

Anfang der sechziger Jahre war in Cambridge eine Anzahl von Männern beisammen, die eine Hauptrolle bei der Formulierung der bürgerlichen Ideologie im Verlauf der kommenden Jahrzehnte spielen sollten. Alle waren einmal Lehrer oder gar Professoren an der Harvarduniversität gewesen, und alle standen in engem persönlichen und beruflichen Kontakt. Es gibt genügend Beweise dafür, daß sie sich eine Reihe von Jahren, von 1871 bis 1874, in einer exklusiven und inoffiziellen Diskussionsgruppe trafen, die Charles S. Peirce zufolge der „Metaphysische Klub" genannt wurde, „ein Name, der gewählt worden war, um alle die fernzuhalten, die sich dadurch fernhalten ließen"(8).

Außer Peirce umfaßte die Gruppe Chauncey Wright. Naturwissenschaftler, Philosoph und Psychologe, Oliver Wendeil Hohnes, Joseph B. Warner und Nicholas St. John Grcen, Rechtsanwalt, Richter beziehungsweise Rechtswissenschaftler, John Fiske, Historiker, Francis Ellingwood Abbot, protestantischer Pfarrer und Theologe, und William James, ein Physiologe, der später Psychologe und Philosoph werden sollte. Vier von ihnen sollten in den kommenden Jahren auf ihren jeweiligen Gebieten eine führende Rolle spielen. und zwar Peirce, Holmes, Fiske und James. Doch auch die Beiträge der anderen in dieser frühen Entwicklungsphasc waren keinesfalls unbedeutend. Die beherrschende Figur in dieser Gruppe war faktisch Chauncey Wright, denn von ihm stammt die Theorie, die der pragmatischen Methode zugrunde liegt, während der Methode selbst Nicholas St. John Green und Charles Peirce ihre erste Form gaben. Welches war das gemeinsame Problem, das diese Gruppe von Männern zusammenführte? Während der ersten beiden Drittel des neunzehnten Jahrhunderts hatte die theologische oder religiöse Philosophie fast souverän geherrscht. Die Ideologie der herrschenden Klasse im Norden wie im Süden war von ihr völlig durchdrungen worden. Solange die Sklaverei im Süden und die Landwirtschaft in beiden Teilen des Landes vorherrschend waren, genügte die Religion als Waffe. Doch als die kapitalistische Entwicklung der Industrie nach dem Siege von 1865 einen großen Sprung nach vorn machte und das Proletariat mit seinen Formen des organisierten Kampfes sich entsprechend entwickelte, konnte die Religion nicht mehr die ausschließliche Stütze bleiben. Daher mußten Theologie und Religionsphilosophie durch eine wirksamere Form abgelöst werden, eine Form, die die Religion bestehen ließ und sie verwertete, sich jedoch nicht darauf beschränkte. Der Angriff der Entwicklungslehre auf die Theologie beschleunigte den Formulierungsprozeß einer ausgesprochenen bürgerlichen Philosophie in demselben Maße, wie er den Prozeß der Befreiung der Massen von der Religion beschleunigte. Die Chambridger Gruppe sah sich dem allgemeinen Problem gegenübergestellt: der doppelten Gefährdung der traditionellen Religion. Einerseits drohte die aufgerüttelte Arbeiterklasse und anderseits die Wissenschaft, namentlich die Entwicklungslehre.

Mit ihrer „Lösung" dieses Problems formulierten die Cambridger Intellektuellen faktisch die pragmatische Lebensanschauung und Denkweise und führten somit eine objektive historische Aufgabe aus.

Eine stürmische Diskussion war über die Cambridger im Gange, einerseits von einer Handvoll Wissenschaftler, die den Entwicklungsgedanken vertraten und von dem Biologen Asa Gray von der Harvarduniversität geführt wurden, und andererseits von der ganzen wütenden Meute von Theologen und Pfaffen, die von Louis Agassiz, einem anderen Wissenschaftler der Harvarduniversität, geführt wurden. Es war eine Debatte, der sich weder einzelne Personen noch Gruppen, noch Institutionen verschließen konnten. Sie führte zu Kampfparteien in Kirchen und Schulen, in Stadtversammlung an und in den gesetzgebenden Körperschaften. Nachklänge der Debatte waren noch Generationen später zu vernehmen; am stärksten an die Öffentlichkeit gedrungen ist dabei der Scopes-Prozeß in Tennessee gegen einen Lehrer, der 1925 angeklagt wurde, die Entwicklungstheorie gelehrt zu haben.

Die Mitglieder des Metaphysischen Klubs standen den mißlunge-nen Versuchen der sogenannten Naturtheologen, die Entwicklungslehre in der kirchlichen Doktrin aufgehen zu lassen, gegenüber, um dadurch die Wissenschaft der Theologie unmittelbar zu unterstellen.

Beachtung verdienthierbei EdwardHitchcocks Versuch, Ly ells Theorie von der Entstehung der Erde in theologische Gewänder zu kleiden, und Paul Chadbournes Versuch, dasselbe mit Darwins „Entstehung der Arten" zu tun. Hitchcock, ein kalvinistischer Theologe, Präsident des Amherst-College und Professor der „Geologie und Naturtheologie", schrieb ein Buch „The Religion of Geology and its Connected Science" (Die Religion der Geologie und der damit verbundenen Wissenschaften), das bis 1860 elf Auflagen erlebte. Darin brachte er die These vor, daß „die Geologie unsere Erkenntnis von der göttlichen Anordnung und Lenkung des Universums stark erweitert hat" und daß das Mikroskop „der sechste Schritt in der menschlichen Erkenntnis Jehovas"(9) ist. Chadbourne schrieb das Buch „Relations of Natural History and Natural Theology'' (Beziehungen zwischen der Naturgeschichte und der Naturtheologie), worin er den Entwicklungsgedanken der Lehre von den festen Arten und der Schöpfung anzupassen suchte, indem er zeigte, er folge dem „Plan der Schöpfung". Die Entwicklung zeigte seiner Ansicht nach „die instinktmäßige Voraussicht, die das Wachstumsgesetz der Pflanzen und Tiere ist" und erwies „die Anwendung der Mittel und Zwecke. wie sie dem Verstand des Menschen gerechtfertigt erscheint"(10).

Die Cambridger Gruppe erkannte die geistige, wenn nicht gar die politische Unzulänglichkeit solcher unverhohlenen Versuche, die neue Wissenschaft mit der Theologie zu versöhnen. Dies geschah indessen nicht, weil sie Verteidiger der Wissenschaft waren und deshalb deren Unterordnung unter die Theologie übel aufnahmen. Im Gegenteil, die Theologen machten der Wissenschaft zu viele Zugeständnisse, denn sie akzeptierten die Tatsache, daß Lyell und Darwin wirkliche Gesetze der objektiven materiellen Welt entdeckt hatten. So hatte zum Beispiel der Kalvinist Hitchcock die Meinung vertreten, daß „die Geologie unsere Vorstellungen von der Zeit, in der das materielle Universum bisher existiert, erweitert hat"(11).

Die Alternative war die Bekämpfung des Materialismus der Wissenschaft und der Arbeiterklasse unter dem Deckmantel eines Angriffs auf jegliche „Methaphysik". Mit diesem Begriff meinten sie nicht die Metaphysik nach der Definition des dialektischen Materialismus, nämlich die mechanistische Methode im Gegensatz zur dialektischen Methode, sondern sie meinten im Gegenteil jegliche Vorstellung, daß es eine objektive Abhängigkeit der Ideen oder Theorien von einer unabhängig von der menschlichen Erfahrung existierenden Realität gäbe. So konnten sie den Kampf gegen die Konzeption von der materiellen Welt unter dem Deckmantel eines Angriffs auf die theologische Vorstellung einer geistigen, von der Erfahrung des Menschen unabhängigen Welt führen. In dem Begriff „Metaphysik" lag für sie also sowohl der „Glaube" an die objektive materielle Welt als auch der „Glaube" an die objektive geistige Welt. Mit Hilfe dieser geschickten Formel konnte die bürgerliche Philosophie den Anschein erwecken, auf Seiten der Wissenschaft und der arbeitenden Massen in deren Rebellion gegen die Religion zu stehen; dennoch konnte sie gleichzeitig den Obskurantismus in einer weit bösartigeren und entarteteren Form wieder einführen, jenen Obskurantismus, den die Religion zu predigen hatte. Diese Scherenoffensive ermöglichte es. zu gleicher Zeit Wissenschaft, Theorie und Wahrheit zu leugnen und diese Leugnung als Angriff auf die Theologie zu tarnen. Den bürgerlichen Philosophen würde dadurch ermöglicht werden, die Religion durch die Hintertür wieder einzu-t(hmuggeln. da keine Wissenschaft zu ihrer Bekämpfung mehr existieren würde.

Diese Formel entsprach durchaus den historischen Ansprüchen der kapitalistischen Klasse, nachdem sie die Macht ergriffen hatte und sich in ihrer unersättlichen Gier nach immer größeren Profiten auf stürmischem Vormarsch befand. Jetzt wurde eine systematische Theorie und Methode benötigt, die den Materialismus mit Hilfe eines demagogischen Angriffs auf die Theologie bekämpfte. Die Theorie mußte die bürgerliche Lebensanschauung formulieren, das heilst die Leugnung jeder objektiven Notwendigkeit, die das Bestreben der Klasse. Profile anzuhäufen und die Welt auf ewig zu beherrschen, vereiteln könnte. Die Methode mußte die Vorstellungen von der Zwcckdiehlichkeit und der Nützlichkeit für die Klasse als Simogatc für objektives wissenschaftliches Verständnis formulieren. Fs wurde die Lehre gebraucht, daß der Zweck der Klasse alle Mittel heiligt.

Die philosophischen Wurzeln des Pragmatismus

Chauncey Wright faßte die kapitalistische Weltanschauung in die Theorie, die die methodische Grundlage bilden sollte, auf der später der Pragmatismus konstruiert wurde. Aber er griff sie nicht aus der blauen Luft. Er machte Anleihen bei der klassischen Philosophie Berkeleys, bei den Theorien der Utilitaristen Stuart Mill, Jeremy Bentham und Alexander Bain und bei Ernst Mach, Avenarius und Helmholtz, die Lenin in seinem Buch „Materialismus und Empiriokritizismus" als modern drapierte Philosophen des Berkeleyschen subjektiven Idealismus entlarvte.

Als Hauptlehre predigte Wright, es gäbe keine Notwendigkeit in Natur oder Gesellschaft. Mit der Leugnung der Notwendigkeit leugnete er auch, daß es notwendige Bewegungsgesetze im Univer-

sum gibt, daß die Realität strukturiert ist, daß die Entwicklung von Natur und Gesellschaft nach allgemeinen Bewegungsgesetzen verläuft. Wenn es keine objektive Notwendigkeit gibt, kann die Wissenschaft nicht entdecken, was gar nicht als Objekt der Entdeckung existiert. Was also die Wissenschaft Gesetze der Bewegung und der Entwicklung nennt, waren für Wright lediglich die üblichen Gewohnheiten menschlichen Verhaltens.

Alle Mitglieder des Metaphysischen Klubs waren Wright für die Betonung dieser Lehre vom Niditbestehen einer Notwendigkeit verpflichtet. Es war zumindest der halbe Weg zur Lösung ihres Problems. Einige Mitglieder waren sich dieser Verpflichtung völlig bewußt, wie aus einem Vorschlag für ein Denkmal zu sehen ist, den Peirce im Jahre 1875 beim Tode Wrights an William James richtete. In einem Brief an James schrieb Peirce: „Sein Andenken verdient es, denn er hat eine Menge für jeden einzelnen von uns getan ... Ich meine dich, Frank Abbot und mich selbst."(12) Was er für die Mitglieder getan hat, faßte einer von ihnen, Oliver Wendeil Holmes, fünfzig Jahre nach Wrights Tod zusammen: „Chauncey Wright, ein fast vergessener Philosoph von wirklichem Verdienst, lehrte mich in meiner Jugend, daß ich beim Universum nicht von notwendig sprechen dürfe und daß wir nicht wüßten, ob etwas notwendig ist oder nicht."(13) Die Leugnung der Notwendigkeit zieht sich beständig durch die Werke von Peirce, Holmes, Fiske und James.

Wright selbst stellte es so dar: „Ein wirkliches Schicksal oder eine wirkliche Notwendigkeit sind tatsächlich nirgendwo im Universum manifestiert - nur eine Regelmäßigkeit in der Erscheinung"(14) Um diese Ablehnung der objektiven Notwendigkeit rational zu begründen, mußte er sich auf den britischen Empirismus, und besonders auf Berkeley, berufen. Er mußte die gesamte Wissenschaft zu einer Angelegenheit von bloßen Fakten ohne Gesetze erklären, und er mußte diese Fakten auf nützliche praktische Instrumente reduzieren, die sich auf die „speziellen Güter oder Zwecke des menschlichen Lebens" beziehen und nichts mit einer objektiven Wahrheit zu tun haben. „Die wahre Wissenschaft", schreibt er, „hat nur mit Tatsachenproblemen zu tun: Wenn die Tatsachen determiniert und soweit wie möglich von moralischen Vorurteilen frei sind, dann greift die praktische Wissenschaft ein, um zu entscheiden, welche Gefühle und Verhaltensregeln wir den Tatsachen gegenüber haben sollten; doch die praktische Wissenschaft kennt inhärente Postulate ebensowenig wie die spekulative Wissenschaft. Ihre letzten Grundlagen sind die besonderen Güter oder Zwecke des menschlichen Lebens."(15) Die letzte Grundlage der Wissenschaft ist nicht die Übereinstimmung mit der objektiven materiellen Welt, sondern sie besteht nur in den praktischen Wirkungen. Eine „Tatsache" ist nicht falsch oder richtig, sondern nur nützlich oder nutzlos für die menschliche Lebensführung.

Für Wright ist die Wissenschaft eine Wissenschaft der Erkenntnisobjekte, und die Erkenntnisobjekte sind Geisteszustände. Das ist rein subjektiver Idealismus, reiner Berkeley, wie Wright sehr wohl wußte. In einem 1868 an Abbot geschriebenen Brief beantwortete er ihm eine von diesem gestellte Frage: „Zweitens überraschen sie mich durch die Frage, ob der Idealismus nicht ,die direkte Negierung der objektiven Wissenschaft sei'. . . In der positiven Wissenschaft oder dem Studium der Erscheinungen und ihrer Gesetze gibt es nichts, womit der Idealismus im Konflikt ist (siehe Berkeley). Die Astronomie ist genauso eine reale Wissenschaft, eine genauso treue Wiedergabe der Erscheinungen und ihrer Gesetze, wenn Erscheinungen nur Geisteszustände sind, wie nach der anderen Theorie."(16)

Abbot hatte natürlich recht, der Wright-Berkeleysche Idealismus stellt wirklich „die direkte Negierung der objektiven Wissenschaft" dar. Aber Wright versucht, diese unwiderlegliche Tatsache durch die übliche Unterscheidung zwischen „Erscheinung und Ding an sich" zu verdecken, wobei „Erscheinung" Wirkungen auf Menschen ausdrückt, das heißt, das Objekt ist das, worunter es bekannt ist, oder ist das, wofür es benutzt wird. Auf diese Weise wird das Erscheinungsobjekt lediglich als Geisteszustand betrachtet. Da dies alles ist, was man erkennen kann, ist es also bloßes Mutmaßen, ein „reales" Objekt, ein Ding an sich, ein Noumenon, anzunehmen, das hinter dem Geisteszustand besteht. Für den Idealisten ist die Wissenschaft also eine Wissenschaft der Geistesobjekte, der Erscheinungen, nicht der materiellen Objekte, der realen Objekte, wie dies für den Materialisten der Fall ist. Nach dieser einseitigen, reaktionären Ansicht können die Menschen weiter nichts erkennen als ihre eigenen Gedanken, die Geistesobjekte oder Geisteszustände. die nur in ihrem eigenen Bewußtsein existieren. Wright schafft in demselben Brief an Abbot über diesen Punkt völlige Klarheit, wenn er über „jene bedeutsame Lehre des Positivismus - die Relativität der Erkenntnis", spricht, „daß die einzigen unmittelbar bekannten Objekte wirklich Geisteszustände sind, Wirkungen in uns. die wir entsprechend ihren Zusammenhängen entweder einem Individuum oder einer äußeren Welt zuschreiben, ohne eine weitere Möglichkeit. mehr über ihre Subjekte zu wissen"(17).

Dies ist das Kernstück der Lehre, auf der der Pragmatismus beruht. Es ist die Leugnung der Wissenschaft durch die Leugnung der „äußeren Welt". Ist die Wissenschaft lediglich die Wissenschaft von „Geisteszuständen", von dem „Objekt" in seiner Einwirkung auf den Menschen, dann gibt es keine Möglichkeit zu objektiver Erkenntnis, das heißt zur Erkenntnis äußerer materieller Objekte, wie sie unabhängig von Bewußtsein und Erfahrung existieren. Die Entwicklungslehre wird daher auf eine nur nützliche Einteilung von Geisteszuständen eingeschränkt, und es ist dabei nicht von Wahrheit oder Unwahrheit die Rede, sondern lediglich davon, ob sie als Idee tatsächlich nutzvoll ist oder den Interessen dient, indem sie zu „den besonderen Bereichen oder Zwecken des menschlichen Lebens" hinführt.

Die subjektiv-idealistische, positivistische Theorie ist die rationale Begründung der bürgerlichen Leugnung der Notwendigkeit in der Welt, im Leben und in der Gesellschaft. Die Entwicklungsgesetze der Erde, die Entwicklungsgesetze der Lebewesen, die Entwicklungsgesetze der Gesellschaft sind ihres objektiven Bezuges und der Wahrheit beraubt und sind nur nützliche Methoden, die menschliche Erfahrung zu organisieren. Das befreit die Bourgeoisie von der Notwendigkeit, prinzipiell zu denken und zu handeln, und ebnet ihrer Lehre von der Zweckdienlichkeit den Weg.

Die subjektiv-idealistische Theorie, die Wright bei Berkeley, Hume und dem britischen Empirismus entlehnt hat, trägt gleichfalls den vorgeblichen Angriff auf jegliche Metaphysik voran. Denn wenn die Ideen im Be.wußtsein kein äußeres Objekt besitzen, dem sie entsprechen, dann haben auch die Ideen von Gott, Unsterblichkeit, einer besonderen Schöpfung, eines äußeren gottgegebenen Moralgesetzes usw. keinen objektiven Bezug und sind im Verein mit anderen Ideen lediglich nützliche Methoden zur Organisierung von Geisteszuständen. Es sind Ideen, die für bestimmte Zwecke „wirksam sind". Das also störte den Theologen Abbot. Er nahm das ernst und machte sich darum Sorgen, was in Wirklichkeit nur Tarnung des Hauptziels des Angriffs war, des Angriffs auf Wissenschaft und Materialismus. Wright beruhigte ihn, indem er sagte: „Praktische Beweggründe sind tatsächlich die Basis des Glaubens an die Lehren der Theologie."(18) Faktisch unterrichtete Wright Abbot, daß das einzige Mittel, mit dem Theologie und Religion das Volk weiterhin im Zaum halten konnten, die Ausschaltung der Wissenschaft als reale Erkenntnis der realen Welt sei. Auf diesem Wege konnte der Aberglaube ohne Furcht vor Einwendungen durch die wissenschaftliche Theorie wiedereingeführt werden.

Wright hatte bereits 1867 wegbahnend für das Entstehen des pragmatischen Nützlichkeitsprinzips in bezug auf Mittel und Zweck gewirkt. Diese Beseitigung der Konzeption der Notwendigkeit und ihre Begründung mit Hilfe der subjektiv-idealistischen Theorie hatte Wright den anderen Mitgliedern des Metaphysischen Klubs anzubieten.

Während die systematische Theorie des Pragmatismus, die positivistische Ablehnung der Notwendigkeit und die Bejahung des subjektiven Idealismus dem britischen Empirismus entlehnt worden waren, ist die systematische Formulierung der pragmatischen Methode in erster Linie dem deutschen Idealismus, und insbesondere Immanuel Kant, entlehnt und in zweiter Linie dem Utilitarismus Alexander Bains. Peirce brachte den Mitgliedern des Klubs die Kantsche Konzeption von der praktischen Erkenntnis, und Nicholas St. John Green vermittelte ihnen die Lehren Bains.

In den Schlußkapiteln seiner „Kritik der reinen Vernunft" führte Kant aus, wenn man keine wirkliche Kenntnis erlangen könne, auf der das Handeln beruhen solle, man aber handeln müsse, könne das Handeln nur auf Glauben beruhen. Mit anderen Worten, wenn man einen bestimmten Zweck oder ein bestimmtes Ziel verfolgt, fber^nicht weiß, auf welchem Wege man es unbedingt erreichen wird, müsse man sich vom pragmatischen Glauben leiten lassen; die einzige Möglichkeit ist zu glauben, daß mit einem bestimmten Mittel ein gegebenes Ziel zu erreichen ist. Kant definiert den pragmatischen Glauben in folgender Weise:

„Der Arzt muß bei einem Kranken, der in Gefahr ist, etwas tun, kennt aber die Krankheit nicht. Er sieht auf die Erscheinungen und urteilt, weil er nichts Besseres weiß, es sei die Schwindsucht. Sein Glaube ist selbst in seinem eigenen Urteile bloß zufällig, ein anderer möchte es vielleicht besser treffen. Ich nenne dergleichen zufälligen Glauben, der aber dem wirklichen Gebrauche der Mittel zu gewissen Handlungen zum Grunde liegt, den pragmatischen Glauben." (19)

Für Kant gab es Möglichkeiten der sicheren Erkenntnis, und deshalb war der pragmatische Glauben für ihn nicht die einzige Grundlage des Handelns. Bei ihrer Formulierung der klassengebundenen Lebensanschauung und Denkweise war die Situation für die Mitglieder des Metaphysischen Klubs anders. Ihrer Formulierung nach gab es keine Notwendigkeit in der Welt, und da es in Wirklichkeit keine objektive Welt gab, konnte es auch in der Erkenntnis keine Gewißheit und faktisch überhaupt keine Erkenntnis geben. Damit erklärt die Theorie des Pragmatismus die Methode des pragmatischen Glaubens zur einzig möglichen. Was für Kant eine Ausnahme war, wurde für die Pragmatiker zum ehernen Gesetz. Die Menschen sollen gezwungen werden, als Grundlage des Handelns den Glauben an die Stelle der Erkenntnis zu setzen. Der Pragmatismus ist tatsächlich die Rückkehr zu früheren Formen der Unwissenheit, die Wiedereinsetzung des Aberglaubens.

Diese Lehre Kants vermittelte Peirce als seinen Beitrag zur systematischen Formulierung der bürgerlichen Philosophie in den Vereinigten Staaten. Doch solche Kombination von pragmatischem Glauben und Berkeleyschem subjektivem Idealismus hatte die professionelle Philosophie noch nicht erlebt.

Der pragmatische Glaube Kants, der seine Wurzeln im subjektiven Idealismus Berkeleys hatte und sich im Pragmatismus manifestierte, war die systematische, formulierte Philosophie, die am vollkommensten der Lebensanschauung und Denkweise der entstehenden monopolkapitalistischen Klasse in den Vereinigten Staaten entsprach.

Nach Jahren schrieb Peirce über die Art des Denkens der Mitglieder des Metaphysischen Klubs: „Unser Denken war entschieden britischer Prägung. Aus unserer ganzen Schar bin ich allein auf dem Wege über Kant zum Dreschplatz der Philosophie gekommen, und selbst meine Ideen nahmen britischen Akzent an."2" Kurz, Kant wurde zu einem Berkeleyaner und Berkeley zu einem Kantianer gestempelt. Diese Ehe hält nun schon achtzig Jahre.

Auch Nicholas St. John Green machte die Gruppe mit der pragmatischen Methode des Glaubens an die Mittel zum Zweck bekannt. Hartnäckig bestand er darauf, daß Bains Definition des Glaubens äußerst zutreffend sei. Danach war Glaube „das, wonach man zu handeln bereit ist". Peirce schrieb über Green: „Insbesondere betonte er oft, wie wichtig es sei, Bains Definition des Glaubens anzuwenden, nämlich ,das, wonach man zu handeln bereit ist'. Der Pragmatismus ist kaum mehr als ein Folgesatz dieser Definition, so daß ich geneigt bin, ihn für den Großvater des Pragmatismus zu halten."(20) Kant und Peirce hatten ausgeführt, daß Handeln ohne Erkenntnis auf pragmatischem Glauben basieren müsse. Jetzt führen Green und Bain aus, Glauben bedeute, „das, wonach man zu handeln bereit ist". Zusammen mit der Peirce-Kantschen Lehre des pragmatischen Glaubens und der Wright-Berkeleyschen Lehre des subjektiven Idealismus vervollständigt letzteres die systematische Anlage, die für die Formulierung der Philisophie der kapitalistischen Klasse der Vereinigten Staaten, für die Ausarbeitung der formalen Philosophie des Pragmatismus benötigt wird. Die Aufgabe, alle diese Elemente zusammenzufassen, fiel zunächst Peirce zu.

Anmerkungen

1) M. Gorki, Aufsätze und Pamphlete, Moskau 1950, S. 76.

2) «New York Times' vom 12. März 1951.

3) Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften, Dietz Verlag:, Berlin 1957, Bd. I, S. 250.

4) Charles S. Peirce, „How to Make Our Ideas Clear"; „Populär Science Monthly", Januar 1878. Aufgenommen in „Chance, Love and Logic", New York 1949, S. 45.

5) W. I. Lenin, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus", Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 24.

6)  Ebenda.

7) Karl Marx, „Das Kapital", Dietz Verlag, Berlin 1955, I. Bd., S. 13.

8) Zitiert in Philip P.Wiener, „Evolution and the Founders of Modern Pragmatism", Cambridge, Mass., 1949.

9) Ebenda, S. 11.

10) Ebenda, S. 14.

11) Ebenda, S. 11.

12) Ebenda, S. 41/42.

13) Ebenda, S. 174.

14) "Leiters of Chauncey Wright", Cambridge, Mass., 1878, S. 111.

15) Ebenda, S. 111/112.

16) Ebenda, S. 132.

 17) Ebenda S. 131,

18) Ebenda, S. 133

19) Immanuel Kant, „Kritik der reinen Vernunft"; Immanuel Kants Werke, Bd. III, Berlin 1913, S. 552.

20) Philip P. Wiener, „Evolution and the Founders of Modern Pragmatism", S. 19. «Ebenda.

 

Editorische Hinweise

Harry K. Wells, Der Pragmatismus eine Philiosphie des Imperialismus, Berlin 1957, S.11-27

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