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Aufruf zur Freilassung 
der letzten Gefangenen aus der RAF

Eine Erklärung zum 9. November 1999
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Der 9. November ist der 25. Todestag von Holger Meins. Das soll nicht vergessen werden, auch wenn dieser Tag an noch so viele andere Ereignisse erinnert. Holger Meins starb an den Folgen eines Hungerstreiks, mit dem die RAF-Gefangenen die Isolationshaft bekämpfen wollten. Vieles deutet darauf hin, dass es sich hier um einen "staatlich kalkulierten Tod" handelte. Der damalige Anwalt von Holger Meins, Otto Schily, nannte die Isolationshaft "legale Folter" und "Verwesung bei lebendigem Leib". Dies geschah zu einer Zeit, in der nicht nur Studenten glaubten, für die westlichen Gesellschaften gäbe es nur die Alternative Sozialismus oder Barbarei, und ein neuer Faschismus in Deutschland sei nur durch revolutionären Kampf zu verhindern. Zu den damaligen Revolutionären gehörten neben Mitgliedern der RAF auch viele Menschen, die heute staatstragenden Professionen nachgehen, u. a. der heutige Außenminister, der heutige Innenminister und ein bisschen auch der heutige Bundeskanzler. Deren Einschätzung des "kapitalistischen Unterdrückungszusammenhangs" unterschied sich damals kaum von den Überzeugungen der RAF. Es war ein schmaler Grat, der die militanten Revolutionäre von anderen Linksradikalen trennte. Damals schien es eine notwendige Folge humanistischen Denkens, sich dem wissenschaftlichen Sozialismus zu verschreiben und für die revolutionäre Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft zu kämpfen. Wenn Heiner Müller nicht nur ironisch sagte "Der Molotowcocktail ist das letzte bürgerliche Bildungserlebnis", konnte er mit mehr als nur klammheimlicher Zustimmung rechnen. Heute ist das Geschichte und ohne politische Relevanz. Die fortschreitende Globalisierung, das Ende des Ostblocks, der neue Rechtsradikalismus und nicht zuletzt die Erfahrungen der militanten Bewegungen selbst haben die damaligen Überzeugungen und Strategien relativiert. Die RAF ist spätestens nach ihrer Selbstauflösung kein Thema mehr. Und so kommt es, dass auch die Häftlinge der RAF, die z. T. seit über 20 Jahren im Knast sitzen, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind. Man hat sie einfach vergessen. Die ehemaligen Mitstreiter und Anwälte, die jetzt zu den politischen Entscheidungsträgern des Staates gehören, schweigen zu diesem Thema, vielleicht, weil sie nicht an ihre eigene Vergangenheit erinnert werden wollen. Das führt dazu, dass Entlassungsverfahren, die in Deutschland jedem langzeitinhaftierten Kriminellen zustehen und die auch lebenslänglich Verurteilten nach zwölf oder 15 Jahren die Freiheit wiedergeben, für diese Häftlinge nicht angewandt werden. Diese offensichtliche Strafverschärfung für Verbrechen mit einer moralisch- politischen Motivation entspricht zwar der marktwirtschaftlichen Denkweise, die nur den privaten Egoismus gelten lässt, ist aber durch kein Gesetz begründet und widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz. Die Unterzeichner fordern die Freilassung der noch einsitzenden Häftlinge der RAF, von denen viele seit Jahren schwer krank sind. Es ist dies ein Gebot des Resthumanismus, ohne den auch diese Gesellschaft nicht existieren kann. Eigentlich ist die Forderung 25 Jahre nach dem Tod von Holger Meins und in einer völlig veränderten Situation nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit.

ErstunterzeichnerInnen:  Anna Badora (Generalintendantin, Düsseldorfer Schauspielhaus), Martin Baucks (Künstlerische Leitung, Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin), Claudia Bauer (Künstlerische Leiterin, Theaterhaus Jena), Frank Baumbauer (Intendant, Deutsches Schauspielhaus Hamburg), Sebastian Baumgarten (Oberspielleiter Musiktheater Staatstheater Kassel), Thomas Bischoff (Regisseur, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin), Michael Börgerding (Dramaturg, Schauspielhaus Hannover), Res Bosshart (Künstler. Leiter, Kampnagel Hamburg), Frank Castorf (Intendant, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin), Roberto Ciulli (Intendant, Theater an der Ruhr, Mülheim), Volkmar Clauß (Intendant, Theater der Stadt Heidelberg), Michael Eberth (Chefdramaturg, Düsseldorfer Schauspielhaus), Ralf Fiedler (Chefdramaturg, Staatstheater Kassel), Henning Fülle (Dramaturg, Kampnagel Hamburg), Dietmar Goergen (Chefdramaturg, Theater der Landeshauptstadt Magdeburg), Wilhelm Großmann (Programmdirektor Podewil Berlin), Reinhard Hauff (Leiter Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin), Leander Haußmann (Intendant, Schauspielhaus Bochum), Carl G. Hegemann (Dramaturg, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin), Nele Hertling (Intendantin, Hebbel-Theater Berlin), Jens Hillje (Künstlerische Leitung, Schaubühne am Lehniner Platz Berlin), Knut Hirche (Intendant, Kammertheater Neubrandenburg), Max K. Hoffmann (Generatintendant, Theater der Landeshauptstadt Magdeburg), Gisela Kahl (Chefdramaturgin, Staatstheater Cottbus), Ulrich Khuon (Intendant, Schauspielhaus Hannover), Zebu Kluth (Künstlerischer Leiter, Theater am Halleschen Ufer Berlin), Johann Kresnik (Leiter Choreographisches Theater an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin), Frank Kroll (Chefdramaturg, Theaterhaus Jena), Jürgen Kruse (Künstler. Leitung, Schauspielhaus Bochum), Harry Kupfer (Opemdirektor, Komische Oper Berlin), Thomas Langhoff (Intendant, Deutsches Theater Berlin), Matthias Lilienthal, Volker Ludwig (Direktion, GRIPS Theater Berlin), Peter Lund (Künstler. Leiter, Neuköllner Oper Berlin), Joachim Lux (Dramaturg, Burgtheater Wien), Paula Bettina Mader (Intendantin, Thalia Theater Halle), Eva-Maria Magdon (Dramaturgin, Ukkermärkische Bühnen Schwedt), Christoph Marthaler, Ingo Metzmacher (Musikalische Leitung, Hamburgische Staatsoper), Heike Müller-Merten (Chefdramaturgin, Staatsschauspiel Dresden), Bert Neumann (Chefbühnenbildner, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin), Christoph Nix (Intendant, Staatstheater Kassel), Andreas Oberbach (Stellv. des Intendanten, Theater Heilbronn), Piet Oltmanns (Chefdramaturg, Vorpommersche Landesbühne Anklam), Thomas Ostermeier (Künstlerische Leitung, Schaubühne am Lehniner Platz Berlin), Stefan Otteni (Künstlerische Leitung, Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin), Matthias Pees (Dramaturg, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin), Armin Petras (Schauspieldirektor, Staatstheater Kassel), Michael Propfe (Stellv. Intendant, Schauspiel Staatstheater Stuttgart), Michael Raabe (Künstler. Betriebsdirektor, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin), Oliver Reese (Chefdramaturg, Maxim Gorki Theater Berlin), Roman Rösener (Geschäftsführer, Theaterhaus Jena), Jochen Sandig (Künstlerische Leitung, Schaubühne am Lehniner Platz Berlin), Friedrich Schirmer (Intendant, Schauspiel Staatstheater Stuttgart), Christoph Schlingensief (Regisseur, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin), Manuel Schöbel (Intendant, carrousel Theater Berlin), Udo Schoen (Intendant, Theater der Stadt Aalen), Christoph Schroth (Intendant, Staatstheater Cottbus), Nils Steinkrauss (Dramaturg, Neuköllner Oper Berlin), Klaus Stephan (Intendant Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau), Reinhold Stövesand (Intendant, Mitteldeutsches Landestheater Wittenberg), Marion Tiedtke (Dramaturgin, Burgtheater Wien), Sasha Waltz (Künstlerische Leitung, Schaubühne am Lehniner Platz Berlin), Martin Vöhringer (Dramaturg, Theater der Stadt Aalen), Knut Weber (Intendant Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen), Wolfgang Wiens (Dramaturg, Burgtheater Wen), Bernd Wilms (Intendant, Maxim Gorki Theater Berlin), Hermann Wündrich (Dramaturg, Schauspiel Bonn), Udo Zimmermann (Intendant, Oper Leipzig)

Wer diesen Aufruf unterstützen will, sollte eine entsprechende Mitteilung an folgende Adresse senden: Libertad! (Berlin), Yorckstr. 59, 10965 Berlin, Fax: 030/78899902.

Quelle:  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis Nr. 433 / 16.12.1999.

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