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Quelle: konkret Heft 12/99

Der »Musikantenstadl« in Peking

Servus Kina!

von Joachim Rohloff
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Der Chinese hatte es in den letzten fünftausend Jahren nicht eben leicht: zuerst die ewigen Kriege und die strenge Moral, dann der Mauerbau, die Engländer und gleich darauf die Japaner, schließlich der Kommunismus und die alljährlichen Naturkatastrophen. Um auch ihm einmal eine Gaudi zu verschaffen, reisten Karl Moik und der »Musikantenstadl« im Oktober nach Peking. Die Show übertrugen der ORF und »Sissy-TV«? Nein, der ORF und CCTV, das staatliche chinesische Fernsehen. »Servus Kina! Wir stellen unsere Sendung unter das Motto: Laßt uns alle Freunde werden!«

Damit auch dieser Stadl nicht vorübergehe, ohne daß die Palatschinkenpolka, der Haidermarsch und der Kaiserschmarrn erklungen wären, reisten mit: das Stadlorchester, das Stadlballett, die Wiener Sängerknaben, Dagmar Koller, Karel Gott, Hansi Hinterseer, die Mooskirchner und die Klostertaler sowie diverse weitere volkstümliche Künstler. Und weil sie halt immer dabeisein müssen, reisten 4.000 Stadl-Fans hinterher. Das billigste Ticket kostete 5.100 DM. Wenn man sie gesehen hat auf dem Platz vorm Mittagstor in der Verbotenen Stadt, den Deutschen und seinen Landsmann aus Österreich, zwischen Jahrmarktsbuden im Pagodenstil an ihren Biertischen, mit Gesichtern, als hätten sie nicht eine Gaudi, sondern Darmkrebs, so wird man ausnahmsweise dem Minister Eichel zustimmen: Wer sich so etwas leistet, dem muß die Rente ganz entschieden gekürzt werden. Karl Moik singt kinesisch, dazu tanzt ein kinesisches Ballett einen Wiener Walzer. Es folgen die Wiener Sängerknaben: Wie geht's, wie steht's, schon lange nicht geseh'n. Emsig wie die Bienen summsumm, und schon wird der erste Fernsehwastl fällig. Das chinesische Rundfunknationalorchester unter der Leitung von Herrn Pong muß aus Gründen der Völkerfreundschaft überstanden werden. Ulrich Herkenhoff, »ein Traummusiker«, spielt Mozarts »Alla Turca« auf der Panflöte, begleitet vom Stadlorchester mit einem Satz kinesischer Streicherinnen. Das klingt wie James Last, und warum auch nicht? Es ist halt »einmal ein bissel anders, ein bissel verpoppt, aber ich glaube, der Wolfgang, der gute, der selige, der würd' sich sogar drüber freuen«.

Als die Show sich langsam ihrem Höhepunkt nähert, dem Auftritt der Klostertaler, beginnt man zu ahnen, welche zivilisatorische Mission den Moik nach Peking trieb: Er sollte des Kinesen wohlbegründetes Vorurteil bestätigen, alle Langnasen seien Barbaren. Denn es heben nun die Klostertaler an, und die Klostertaler sind eine Gruppe überaus schmieriger Männer. Und sie heben also an: »Glaub einfach an deine Kraft, und alles ist okay, alles ist okay, alles ist okay. Dann hast du so viel geschafft, und alles ist okay, alles ist okay, und des is schee.« Es gibt noch eine Strophe, in welcher das Wortgeschwür »Klostertaler Power pur« vorkommt, postwendend ruft Karl Moik ihnen hinterdrein: »Das war jetzt Lebensfreude pur!« Wer ihnen aber drei Minuten lang mit beiden Ohren zuschaut, möchte es wohl bereuen, daß er sich nicht rechtzeitig erschossen hat.

Zu einem Walzer von Johann Strauß tanzt die Solistin des Stadlballetts, die mit einem wahrhaftigen Chinesen verheiratet ist, in einem morgenländischen Bauchtanzkostüm: Bikini mit Schleiern und so. Warum auch nicht, der Johann würd' sich sogar drüber freuen. »Der Tekilla«, behauptet Stefanie Hertel, während Stefan Mross in regelrechten Abständen immer dieselben fünf Töne aus seiner Trompete bläst, zwinge sie zum Mambo. Und warum auch nicht? Denn »er kam vielleicht aus Mexiko, aus Rio oder irgendwo, er könnte auch aus Puerto Rico sein«. Oder aus Chemnitz. Der Mambo. Und an ihm ist schließlich selbst Robert Mitchum gescheitert.

Gewiß durften auch chinesische Künstler mitwirken und, wie man es vom Kinesen gewöhnt ist, ihre überragende Virtuosität vorführen. Der »Wilhelm Tell« beispielsweise, den Qi Qi in sein Xylophon hämmerte, klang verdammt nach Weltrekord. Die üblichen Shaolin-Mönche, das übliche Quianjin-Akrobatik-Ensemble und »unsere Spatzlern aus Kina«, der CCTV-Kinderchor nämlich, enttäuschten nicht. Die Schlagerschnepfe Zhou Yan Hong erinnerte auf ihrem Floß in Guilin allerdings fatal an die »Lenor«-Reklame der siebziger Jahre. Hätte Moik doch Sally Yip mit ihrer kantonesischen Version von Madonnas »Material Girl« (WEA 2292-56225-2) eingeladen!

Zum Zeichen, daß man uns die Tsingtao-Expedition nicht mehr verübelt, spielte das Rundfunknationalorchester den Radetzkymarsch. Karl Moik hatte ein traditionelles kinesisches Seidengewand angelegt, die einheimische Zweitmoderatorin ein Dirndl. So einfach geht Völkerfreundschaft.

Was aber hatte der Kinese von alledem? Weiß er überhaupt, was eine Gaudi ist? Oder hält er das Schunkeln womöglich für eine Art europäisches Tai Chi im Sitzen? Achthundert Millionen Mann hoch soll er vorm Empfänger gehockt haben. Und da in Kina bekanntlich kein Fahrrad umfällt, ohne daß die Kommunistische Partei dahintersteckt, vermutete der Korrespondent der »Taz« sogleich ein Manöver des Politbüros. In der Verbotenen Stadt einen deutsch-österreichischen Stadl zu dulden, sei ein Affront gegen die USA. Denn Hollywood habe nie gedurft. Man suche nach Verbündeten, wo immer man sie finde, und tatsächlich folgte der Musi schon in den ersten Novembertagen unser deutscher Kanzler. Der Korrespondent der »FAZ« unterzeichnet sich zwar chinesisch, muß aber den Journalismus in Deutschland gelernt haben. Er kennt eine Familie Zhang, die ihm nun alle Meinungen vortrug, wie er sie brauchte. So beschloß Vater Zhang unterm Eindruck der Klostertaler, das Absingen revolutionärer Lieder im Rentnerchor endlich einzustellen: »Die Rote Fahne schwingt hoch«, das Lieblingslied des Parteichefs Jiang Zemin, das überall und bei jeder Gelegenheit gesungen werden muß, falle ihm schon seit langem auf die Nerven. Nun wolle er nur noch aus Spaß an der Freude singen, schöne Lieder zur Unterhaltung. Daß die Marktwirtschaft auf kürzestem Wege zur Demokratie führt, lesen wir wöchentlich in der »Zeit«. Wer Karl Moik in Peking sah, weiß nun auch, daß die Volksmusik diktatorische Strukturen sprengt. Früher gab es »nichts als Mao, Mao, Mao«, sagte Mutter Zhang. »Man hätte nicht warten sollen, bis Karl nach Peking kam. Vielleicht sollte sich die Partei mehr Gedanken machen.«

Eine ältere Dame, die ihrem Hansi Hinterseer während seines Auftritts eine Rose schenkte und ihm ins Ohr flüsterte, habe Vatern Zhang tief beeindruckt. So etwas gebe es im chinesischen Fernsehen leider nicht, dort sei die Distanz zwischen Künstlern und Publikum unüberwindlich. Die alte konfuzianische Lebensregel, daß man den Ochsen vorm Pflug nicht neckt und den Sänger auf der Bühne nicht mit Unterwäsche bewirft, wird also im neuen China wohl den Gelben Fluß hinuntergehen.

Sohn Zhang hatte einige Jahre im Westen verbracht, deshalb war ihm »manch kulturelles Mißverständnis aufgefallen. Doch solche Umstände führen ja nicht immer zu Problemen, sondern können kreative Kraft entfalten. So hat Sartre zwar Heidegger mißverstanden, aber trotzdem davon profitiert. In China macht das Lied ›An der blauen Donau‹ nun nicht Wien bekannt, sondern die Donau.« So einfach, scheint es, geht Völkerverständigung denn doch nicht. Sollte nach Karl Marx und Karl Moik am Ende etwa Karl May recht bekommen, der seit den Tagen des Boxeraufstands den Kinesen für grausam und undurchschaubar hielt? Wenn man ihm Donau sagt, versteht er nicht Wien, sondern Donau. 

O ewig rätselhaftes Reich der Mitte!

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