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Quelle: www.wsws.org 

OSZE-Gipfel in Istanbul
Vertrag über Ölleitung verschärft internationale Spannungen

Von Patrick Richter

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Am Rande des sogenannten Friedensgipfels der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Istanbul, auf dem sich am 18. und 19. November die Vertreter der 55 Mitgliedsnationen auf drei Friedens- bzw. Abrüstungsabkommen einigten, kam es zum Abschluss eines der politisch explosivsten Pipelineprojekte dieser Dekade. Dieses Projekt wird im Gegensatz zu den heuchlerischen Friedensbekundungen und Absprachen über die Einhaltung der Menschenrechte neue Konflikte zwischen Russland und den USA, aber auch zwischen den USA und Europa heraufbeschwören.

Kaukasusregion

Die Präsidenten Aserbaidshans, Haidar Alijew, Georgiens, Eduard Schewardnadse, und der Türkei, Süleyman Demirel, unterzeichneten in Anwesenheit von US-Präsident Bill Clinton einen Vertrag über den beabsichtigten Bau einer 1.700 km langen Erdölleitung von der aserbaidshanischen Hauptstadt Baku durch Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan und einer ebenfalls von Baku parallel dazu verlaufenden Erdgasleitung in die Türkei.

Baubeginn der Erdölleitung soll nach Überwindung der Finanzierungs- und Beteiligungsprobleme im Jahr 2001, und die Inbetriebnahme im Jahr 2004 sein. Die Kapazität der Leitung soll sich auf eine Million Barrel (1 Barrel entspricht 159 Litern) pro Tag belaufen. Für die Gasleitung, bei der sich die Finanzierung wegen der geringeren Länge einfacher gestaltet, ist schon für nächstes Jahr ein Beginn der Bauarbeiten beabsichtigt. Im Jahr 2000 soll sie auch schon betriebsbereit sein.

Die Vertragsunterzeichnung wurde in Washington als Höhepunkt der fünftägigen Reise Clintons in die Türkei - es ist das erste Mal, dass ein US-Präsident so lange dieses Land besucht hat - und der langjährigen Bemühungen des Pentagon bezeichnet, eine Erdölpipeline außerhalb der Einflusszonen Russlands und des Irans von Zentralasien in den Westen zu errichten. Mit ihr scheint der Kampf um den Abtransport des Löwenanteils des Öls aus der Region zunächst besiegelt zu sein.

Die Leitung ist von enormer politischer Bedeutung. Sie stellt eine weitere Etappe hin zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland dar. Im März diesen Jahres waren im Rahmen der Osterweiterung die ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages, Ungarn, Tschechien und Polen, in die NATO aufgenommen worden, womit das Militärbündnis direkt an die Grenzen der früheren Sowjetunion vorrückte. Mit dem Krieg gegen Jugoslawien unterstrichen die USA ihren Anspruch auf Hegemonie in der Region.

Gleichzeitig wachsen die Konflikte zwischen den USA und Europa um die Aufteilung der Ressourcen und Einflussgebiete der ehemaligen Sowjetunion.

In Russland wird das Pipeline-Abkommen als schwerer Einfall in dessen traditionelle Einflussgebiete im Kaukasus und in Zentralasien angesehen. Mittlerweile wird laut erwogen, ob es als eine "direkte Bedrohung seitens Amerikas" anzusehen sei. Das weitere Hochkochen nationalistischer Stimmungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Tschetschenienkrieg, ist damit vorprogrammiert.

Washington ist der Hauptdrahtzieher des Projektes, mit dem das Öl des kaspischen Raumes unter amerikanischer Kontrolle auf den Weltmarkt gelangen soll. In der Region um das kaspische Meer werden die weltweit größten noch unerschlossenen Erdöl- und Erdgasressourcen vermutet, die diejenigen Alaskas bei weitem übersteigen und in etwa mit denen der Nordsee vergleichbar sind.

Schätzungen über vorhandenes Öl schwanken zwischen 3 und 28 Milliarden Tonnen, wobei 10 Milliarden als wahrscheinlich angesehen werden. Das entspricht etwa 7 Prozent der Welterdölreserven. Die Gasvorkommen werden auf 8 bis 18 Billionen Kubikmeter beziffert - 6 bis 13 Prozent der Weltreserven.

Insbesondere für das immer stärker energieabhängige Europa wird die Kontrolle über die sich verknappenden Energievorräte kritisch. Ab 2030 wird Europas Energiebedarf nur zu etwa 70 Prozent gedeckt sein. Norwegen wird das Erdöl in etwa 14 Jahren ausgehen, Großbritannien schon in 10 Jahren.

Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter erklärte am Vortag des Vertragsabschlusses gegenüber den Medien, dass die US-Regierung mit ihrer Politik vier grundlegende Ziele verfolge: Den Schutz der Souveränität und Unabhängigkeit der neuen Staaten der Kaspischen Region; mehr Sicherheit für die Energieversorgung der Vereinigten Staaten; die Förderung kommerzieller Chancen für amerikanische Unternehmen; und die Errichtung eines neuen Beziehungsnetzes, das die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der neuen Staaten unterstütze.

Anliegen des Projektes ist es, die "wirtschaftliche Unabhängigkeit" der neuen Staaten durch Aufbrechen der traditionellen russischen Kontrolle über die Ölleitungen aus der Region zugunsten amerikanischer Konzerne sicherzustellen. Letztere sind, wie zum Beispiel in Aserbaidshan oder Kasachstan, zum Teil zu mehr als 50 Prozent an den Förderlizenzen beteiligt und wollen ihre investierten Milliardensummen durch Zugang zum Weltmarkt realisieren.

Die politische und wirtschaftliche Sicherheit der Region und dieser Staaten ist dabei alles andere als gesichert. Die Bevölkerung wird von den Ölmilliarden keinen Pfennig sehen, die statt dessen in die Taschen der internationalen Ölkonzerne und lokaler Regierungs- und Mafiastrukturen fließen.

Experten zufolge werden die sozialen Spannungen weiter zunehmen und die Explosivität dieser multiethnischen Region wird sich vervielfachen. Wer kann heute schon vorhersagen, welcher neue Warlord demnächst - unterstützt von einer fremden Macht oder auf eigene Rechnung - mit Hilfe nationaler, ethnischer oder religiöser Stimmungen Anspruch auf die Ölgelder erheben wird.

Mit der Festlegung auf die Route Baku-Ceyhan kommt eine langjährige Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Regierungen und den internationalen Ölkonzernen über die politisch und ökonomisch optimale Streckenführung zum Abschluss. Jetzt geht es nicht mehr um die Weiterleitung des sogenannten "Early Oil" ("frühen Öls"), sondern um das eigentliche Geschäft.

Bis zum Ende der Sowjetunion gab es aus den bis dahin vom Weltmarkt isolierten Regionen Zentralasiens und des Kaukasus keinen direkten Zugang zu den internationalen Verbrauchern. Deshalb konnten die unabhängig gewordenen ehemaligen Sowjetrepubliken ihr Öl und Gas lediglich über die alten Pipelines durch das Territorium des heutigen Russlands verkaufen. Russland nutzte seine Position und bezahlte weit unter Weltmarkttarif.

Bereits 1994 kam es zum Vertragsabschluss zwischen Aserbaidshan und einem Konsortium internationaler Ölgesellschaften über die Erforschung und spätere Ausbeutung der dortigen Ölquellen. 1995 entschied sich dieses Konsortium für den Bau einer Leitung von Baku zum georgischen Schwarzmeerhafen Supsa, die im April 1999 fertiggestellt wurde und eine Kapazität von 115.000 Barrel pro Tag hat. Die zweite Leitung von Baku zum russischen Hafen Noworossisk ist gegenwärtig wegen des Krieges in Tschetschenien unterbrochen und kann 100.000 Barrel täglich transportieren. Beide Leitungen dienten als Test und transportieren das "Early Oil".

1996 wurde im Rahmen der Gore-Tschernomyrdin-Kommission, die als direkte Verhandlungsebene zwischen dem amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore und dem damaligen russischen Premierminister Wiktor Tschernomyrdin geschaffen wurde, die gegenwärtig im Bau befindliche nördliche Leitung beschlossen. Sie verläuft vom kasachischen Tengisfeld, das am nordöstlichen Ufer des kaspischen Meeres liegt, nördlich am Kaspischen Meer vorbei durch Russland nach Noworossisk. Sie ist, wie die Leitung durch Tschetschenien, ein Zugeständnis an Russland.

1998 wurde in Ankara eine Erklärung zwischen Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Aserbaidshan und Georgien unterzeichnet, die die Weiterleitung des Öls durch das Kaspische Meer hindurch über die Leitung von Baku nach Ceyhan vorsieht. In dieser Erklärung wurde ebenfalls die Gasleitung in die Türkei fixiert.

Hauptproblem für Washington ist neben Russland der Iran, der immer noch mit Sanktionen belegt ist, aber wegen seiner geografischen Lage, seiner technisch günstigen Infrastruktur und seinem gut ausgebauten Pipelinenetz die vom Profitstandpunkt aus gesehen beste Variante für Pipelines aus der Region bietet. Der Bau einer Leitung durch dieses Land wurde daher insbesondere von den Ölkonzernen favorisiert.

Bis zum Baubeginn der Pipeline von Baku nach Ceyhan muss jetzt noch die Finanzierung dieses vergleichsweise teueren Vorhabens sichergestellt werden. Bisher wird von Kosten in Höhe von 2,4 Milliarden Dollar ausgegangen, wobei allein für den türkischen Teil der Leitung 1,4 Milliarden veranschlagt werden.

Die Ölfirmen wollen sich auf diese Kosten nur einlassen, wenn die Rentabilität der Leitung gewährleistet ist und tatsächlich die Tageskapazität von einer Million Barrel erreicht wird. Die Produktion des aserbaidshanischen Öls würde dazu bei weitem nicht ausreichen, so dass vor allem Öl aus Kasachstan und Turkmenistan über das Kaspische Meer nach Baku zur Weiterleitung transportiert werden muss.

Die endgültige Entscheidung über den Bau dieser Pipeline fällt im Oktober nächsten Jahres. Bis dahin wird die US-Regierung alle Anstrengungen unternehmen, um die Bedenken der Ölkonzerne zu zerstreuen und die Auslastung der Leitung sicherzustellen. So ist bereits für den 20. Dezember der kasachische Präsident Nursultan Naserbajew nach Washington eingeladen. Neben rituellen Belehrungen wegen des Verkaufs von 40 Mig-Kampfjets an Nordkorea soll die Lieferung von Öl nach Aserbaidshan das wichtigste Thema des Treffens werden.

Als Hauptpartner in diesem Machtkampf wurde die strategisch zentral gelegene Türkei ausersehen. Sie befindet sich buchstäblich im Mittelpunkt aller Konfliktherde der Region: Kaukasus, Naher Osten, Persischer Golf, Zypern und nicht zuletzt Libyen. Von der Osttürkei aus werden fast täglich amerikanische Luftschläge gegen den Irak geführt, um dessen Ölressourcen weiterhin vom Weltmarkt fernzuhalten.

Die Türkei, die selbst über keine Öl- oder Gasvorkommen verfügt, sieht in diesem Projekt große Möglichkeiten, ihre eigene Stellung in der Region aggressiv auszubauen. Den verunsicherten Ölfirmen bot Staatspräsident Demirel großzügig an, für jegliche Überschreitung der Kosten für den türkischen Teil der Leitung vollständig aufzukommen.

In diesem Zusammenhang muss auch der beabsichtigte Kauf von mindestens 260 Kampfpanzern durch die Türkei gesehen werden. Pressemeldungen zufolge kann diese Zahl bis auf 1000 erhöht werden. Die Türkei, die bereits jetzt über mehr Panzer verfügt als Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien zusammen, wird gemäß den Plänen der Regierung vielleicht den größten Panzerkauf der letzten Jahrzehnte tätigen.

Die Tatsache, dass der OSZE-Gipfel in einem Land stattfand, in dem seit Jahrzehnten die Menschenrechte notorisch mit Füßen getreten werden, lässt die eigentliche Machtpolitik hinter den scheinheiligen Friedens- und Menschenrechtsbeschwörungen immer deutlicher hervortreten. Es hat auch niemand weiter Anstoß daran genommen, dass die "Friedensstadt" Istanbul vielleicht in einem halben Jahr Schauplatz der Hinrichtung von Abdullah Öcalan, dem Vorsitzenden der verbotenen kurdischen PKK sein wird.

Hier formieren sich neue Machtblöcke, die sich auf dem Gipfel gegenseitig das Recht eingeräumt haben, im Fall von "Menschenrechtsverletzungen" in die inneren Angelegenheit anderer Mitgliedstaaten einzugreifen. Dass die "Menschenrechte" dabei nur als Vorwand für die Durchsetzung eigener Machtinteressen dienen, ist spätestens im Kosovo-Konflikt deutlich geworden.

Die auf dem Gipfel verabschiedeten Vereinbarungen bilden die Agenda einer Neuauflage des "Great Game" vom Anfang des Jahrhunderts. Damals gingen dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter den Großmächten Auseinandersetzungen um die Aufteilung der Ölreserven in eben jenem Kaspischen Raum voraus.

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