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Die Meinung des GegenStandpunkt-Verlags innerhalb des Lora-Magazins
vom 15. November 1999


Wie der Rechtsstaat mittels Freiheitsberaubung für Egon Krenz die DDR als Totschlagsdelikt abwickelt
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Der letzte Staatsratsvorsitzende der Deutschen Demokratischen Republik, Egon Krenz, ist letzte Woche von der kompetenten Oberjustiz der Bundesrepublik Deutschland endgültig ins Gefängnis entlassen worden. Neben der sehr breiten allgemeinen Zustimmung beim staatstragenden Segment der öffentlichen Meinung gibt es das kritische Bedenken nicht nur beim Betroffenen, daß hier eine "Siegerjustiz" gar nicht Recht gesprochen, sondern vor allem Rache geübt hätte.

Nichts ist weiter entfernt von der wie immer bitteren Wahrheit: Denn erstens ist das Recht kein Gegensatz zur, sondern das Attribut der siegreichen Gewalt; und zweitens ist sein Urteil weitaus härter als die bloße Vergeltung an der partikularen Person: In der Verknastung des mittlerweile zum BRD-Bürger eingemeindeten letzten DDR-Staatsratsvorsitzenden fällt der Rechtsstaat das unbedingte Verdikt über den einkassierten DDR-Staat, daß der in dem Sinne gar kein Staat war, sondern ein als Staatswesen maskiertes "Verbrechen". Es geht also nur insofern um Krenz, als mittels höchstinstanzlich verfügter Freiheitsberaubung für seine Person die DDR rechtskräftig abgewickelt und die "freiheitlich demokratische Grundordnung" von BRD und NATO nach- und endgültig gegen sie ins Recht gesetzt wird. Das hat auch der ansonsten gerne als Justizkritiker sich profilierende Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" in einer ziemlich geifernd geratenen Warnung vor "Gnade" oder gar "Erbarmen" für Krenz oder Schabowski gemerkt. Er stellt rechtsdogmatisch klar, daß es

"bei der Bestrafung nicht um die Resozialisierung des Herrn Krenz, sondern um den Geltungsanspruch der fundamentalen Grund- und Menschenrechte (geht)."

Das wenigstens hat auch der Verurteilte in seiner Urteilsschelte gemerkt, daß es den Richtern des neuen großdeutschen Justizwesens nicht um ihn ging, sondern mit seiner Verurteilung um ein Verdikt gegen die DDR, der er noch kurzzeitig vorstehen durfte, um sie zu verraten & zu verkaufen, womit seine Mitangeklagten, die Schabowskis und Genossen als Kronzeugen noch strafmildernde Punkte einzuheimsen versuchten. Krenz, davon zeugen noch die hämischen, im wahrsten Wortsinne menschenverachtenden Charakterstudien, mit denen liberale Blätter wie die "Süddeutsche Zeitung" vom letzten Donnerstag mit dem höchstrichterlichen Spruch im Rücken auf dem Verlierer herumgetrampelt haben, hat zumindest nicht so ostentativ die Sache desavouiert, für die er einmal – wie alle Politiker – stolz die Verantwortung getragen hat. Objektiv allerdings schon: In seiner Beschwerde, mit seiner Verurteilung werde Recht "gebeugt" und dagegen müsse das Bundesverfassungsgericht und auch noch der europäische Menschenrechtsgerichtshof angerufen werden, gibt Krenz Auskunft über den ziemlich jämmerlichen Zustand des "Sozialismus", der in der DDR "real" gewesen sein soll: Selbst ein freiwillig kapituliert habender "Führer der Arbeiterklasse" muß nicht gleich so weit gehen, auf der korrekten Anwendung des bürgerlichen Rechts herumzureiten, statt es zu kritisieren.

Dabei ist die Absicht der dritten (Staats)gewalt nicht sonderlich schwer erkennbar: Bei der Beurteilung von Staatsakten des DDR-Souveräns als Taten einer kriminellen Vereinigung wird im authentischen Sinne der bürgerlichen Legalität nicht Recht politisch mißbraucht, vielmehr schlägt der Rechtsstaat politisch mit ihm zu! Mittel der Politik ist das Recht eben dadurch, daß es als Produkt der Interessen staatlicher Ordnung auf die Welt kommt, in Kraft tritt und sich fortentwickelt, damit es dann in völliger Unabhängigkeit sein Werk tut. Ganz ohne Weisung aus dem Kanzleramt kommt so die bundesdeutsche Rechtspflege aus einem ihr ureigenen politischen Bedürfnis darauf, zur Wahrung des "Rechtsfriedens" die DDR als Kette von Rechtsbrüchen, also als "Unrecht" aufzuarbeiten. Unmittelbar nach dem Anschluß von 1991, womit sich ihr Hoheits- und Zuständigkeitsbereich bis an Oder und Neisse ausgedehnt hat, arbeitet sie zielstrebig an einer juristischen Konstruktion, mit der das "staatshoheitliche Handeln" von immer höheren DDR-Funktionsträgern nachträglich kriminalisiert werden kann.

Den Erfolg dieser Bemühungen gesamtdeutscher Rechtspflege feiert der Prantl von der "Süddeutschen" heute mit der Behauptung: "Es gibt kein politisches Totschlagsprivileg." Das ist einerseits dreist gelogen, weil erst unlängst die Herren Schröder, Scharping und Fischer die Aeroplane der Bundeswehrmacht nach Serbien geschickt haben, und zwar mit dem politischen Auftrag zum Totschlagen – was denn sonst!? Juristisch gesehen geht die Sottise andererseits voll in Ordnung und steht seit letzter Woche im Range eines Rechtsguts. Mit ihren Entscheidungen schafft die Judikative ein Recht, mit dem dann die ganze Politik in der Ex-DDR justiziabel gemacht und entsprechend behandelt wird.

Das ist auch die Endlösung des Systemvergleichs: Der Kapitalismus hat nicht bloß gewonnen, sondern auch noch recht gehabt. Und jedwede Regung zur theoretischen Verteidigung des praktisch untergegangenen "Realen Sozialismus" setzt sich fast schon dem Verdacht einer versuchten Rechtsbeugung aus, weil die unabhängige Justiz in seltener politischer Unverfrorenheit den damaligen Gegensatz der Systeme so aufarbeitet, daß sich jetzt die Vertreter des einen vor den Prinzipien des andern zu verteidigen haben. Dabei sind sie selbstverständlich chancenlos, und auf Gnade vor Recht können sie laut Amateur-Scharf-Richter Prantl nur bei totaler, also auch gesinnungsmäßiger Unterwerfung hoffen: "Gnade", dekretiert er in der SZ von heute, "darf sich nicht, wie eine Amnestie, ausgießen gleichermaßen über Einsichtige und Uneinsichtige, Schuldbewußte und Unbelehrbare."

Dabei ist der Genosse Krenz in der Systemfrage durchaus geständig geworden. Kein Wort gegen den "Alleinvertretungsanspruch" des westdeutschen NATO-Frontstaats mit seiner Nichtanerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft, also eine politische Erklärung für die Art und Weise der Grenzsicherung, die die Leichen produziert hat, die jetzt ausschließlich den verantwortlichen Politikern der DDR als Totschläge vorgehalten werden. Nicht die Spur einer Kritik an der Unverschämtheit eines Gerichts, das offenbar davon ausgeht, im Freien Westen würden Staatsgrenzen ausschließlich mit Luftballons gesichert. Selbst die Hinweise vor Gericht auf die beinharten und durchaus auch subversiven Bemühungen der BRD, dem anderen deutschen Staat das Volk abspenstig zu machen, ebenso wie den Verweis auf die eingeschränkte Souveränität der DDR bezüglich des Regimes an der Grenze zum NATO-Westen, alles bringt der Bürger Krenz ausschließlich zu seiner juristischen Entlastung vor. Dafür, daß ihn persönlich keine "strafrechtlich relevante Schuld" trifft. Krenz: "Es kommt darauf an, was ich verändern konnte. Und das war: Nichts."

In dieser Form bestätigt der letzte Staatschef der DDR, daß der obsiegende BRD-Rechtsstaat mit seiner Anklage Recht hat: zwar nicht gegen ihn persönlich, dafür aber umso mehr gegen den von ihm repräsentierten "Unrechtsstaat". Das besonders Ärgerliche an diesem wie an anderen realen Sozialisten aus dem ersten deutschen "Arbeiter- und Bauernstaat" ist: Sie haben nicht nur aufgegeben, sondern machen sich nachträglich noch zum Beweismittel für den Klassenfeind, der nicht nur sein Recht durchsetzt, sondern damit auch noch den Beweis erbringen will, daß seine politische Herrschaft samt ihrer Rechtsordnung immer und überall recht hat.

Lora-Magazin jeden Montag ca. 18:45  bei Lora München UKW 92,4

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