Kommentare
zum
Zeitgeschehen
Grünenparteitag nimmt Kurs
auf Regierung, Militarismus
und Krieg
von Jan Ritter
und Max Linhof
12/2020
trend
onlinezeitung
Der Parteitag
der Grünen am vergangenen Wochenende stand
ganz im Zeichen der Vorbereitung auf eine
mögliche Regierungsbeteiligung nach den
nächsten Bundestagswahlen im Herbst 2021.
Dazu verpassten sich die ehemaligen
Pazifisten ein neues Grundsatzprogramm, das
nur eine Schlussfolgerung zulässt: eine
mögliche grüne Bundesregierung oder gar
Kanzlerschaft würde die rechte
militaristische Politik der großen Koalition
fortsetzen und weiter ausbauen.
Die World
Socialist Web Site hat das
Grundsatzprogramm mit dem Titel „‘... zu
achten und zu schützen …‘ Veränderung
schafft Halt“, bereits in einem früheren
Artikel ausführlich analysiert. Hinter
den üblichen Phrasen über „Ökologie“,
„Gerechtigkeit“ und „Gemeinwohlökonomie“
verbirgt sich ein rechtes bürgerliches
Programm für Polizeistaatsaufrüstung, neue
Angriffe auf die Arbeiterklasse und eine
deutsch-europäische Großmachtpolitik. Auf
dem Parteitag wurde es mit ein paar
kosmetischen Änderungen und ohne
nennenswerte Opposition durchgewunken.
Der gesamte
Parteitag war darauf ausgerichtet, die
Grünen als willige und effektive Kraft für
die Durchsetzung der Interessen der
herrschenden Klasse zu promoten. In ihren
Reden präsentierten sich die wiedergewählten
Parteichefs Robert Habeck und Annalena
Baerbock als aggressive Verteidiger der
kapitalistischen Ordnung, des bürgerlichen
Staats und seiner bewaffneten Formationen in
Armee und Polizei.
Baerbock
stellte bereits in ihrer Eröffnungsrede am
Freitag klar, dass die Grünen auch in der
Klimafrage nichts tun werden, was der
Wirtschaft und dem Finanzkapital schaden
könnte: „Fürchtet euch nicht, diese
Klima-Revolution ist in etwa so verrückt wie
ein Bausparvertrag. Das Wirtschaftssystem
neu aufzustellen, bedeutet keinen Umsturz,
sondern ist purer Selbstschutz.“
Habeck
unterstrich, dass die Grünen zu allem bereit
sind, um die Interessen des deutschen
Kapitalismus und Imperialismus nach innen
und außen durchzusetzen. „Macht“ sei im
Kosmos der Grünen kein „Igitt-Begriff“ mehr,
betonte er. „Wir gehen so weit wie wir
können und so weit wie es nötig ist.“
Vor Beginn
des Parteitags hatte bereits Katrin
Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende im
Bundestag, offen verkündet, dass die Grünen
keine pazifistische, sondern eine
militaristische Partei sind.
„Die Grünen
haben auch pazifistische Wurzeln, waren aber
noch nie eine pazifistische Partei“, stellte
sie gegenüber der Rheinischen Post
klar. Man habe „die Erfahrung gemacht, dass
ein Mandat der Vereinten Nationen blockiert
werden kann und dann wichtige Hilfe in
Kriegsregionen mitunter nicht möglich wäre“.
Um die „Weltgemeinschaft“ vor solch „einem
Dilemma“ zu schützen, brauche man „eine
funktionierende Antwort für den Fall einer
Blockade“.
Die
Botschaft ist unmissverständlich:
Deutschland und seine europäischen
Verbündeten müssen zur Not andere Länder
auch ohne ein UN-Mandat überfallen, um unter
dem Deckmantel humanitärer Phrasen ihre
wirtschaftlichen und geostrategischen
Interessen durchzusetzen.
Das neue
Grundsatzprogramm der Grünen macht daraus
keinen Hehl: „Die Anwendung militärischer
Kriegsgewalt bringt immer massives Leid mit
sich. Wir wissen aber auch, dass die
Unterlassung in einzelnen Fällen zu größerem
Leid führen kann“, heißt es dort.
„Handlungsleitend in der internationalen
Sicherheitspolitik“ sei „das erweiterte
VN-Konzept der Schutzverantwortung
(Responsibility to Prevent, Protect,
Rebuild), das uns als internationale
Gemeinschaft verpflichtet, Menschen vor
schwersten Menschenrechtsverletzungen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu
schützen.“
Tatsächlich
dienen internationale Kriegseinsätze, die
mit dem Konzept der „Schutzverantwortung“
gerechtfertigt werden, nicht der
Durchsetzung von Menschenrechten, sondern
imperialistischen Interessen. In Libyen
organisierte die Nato unter dem Deckmantel
von „Responsibility to Protect“ im Jahr 2011
ein Flächenbombardement, schürte einen
Bürgerkrieg und ermordete das
Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi, um sich
die Rohstoffe des Landes und
geostrategischen Einfluss auf Kosten
zehntausender Menschenleben zu sichern.
Um die
Interessen des deutschen Imperialismus im
Wettstreit mit den anderen Großmächten
durchsetzen zu können, plädieren die Grünen
für eine massive Aufrüstung des europäischen
Imperialismus unter deutscher Führung.
„Die EU
muss weltpolitikfähig werden“, heißt es im
Grundsatzprogramm. Dazu sollten „die
verstärkte Zusammenarbeit der Streitkräfte
in der EU ausgebaut und militärische
Fähigkeiten [...] gebündelt werden. Sie
brauchen dafür eine geeignete Ausstattung,
den Ausbau von EU-Einheiten sowie eine
Stärkung des gemeinsamen europäischen
Hauptquartiers.“ Europäische Außen- und
Sicherheitspolitik müsse „strategisch,
vorausschauend, umfassend und schnell
handlungsfähig sein“.
Auch wenn
die Grünen auf dem Parteitag bemüht waren,
ihr aggressives Programm immer wieder hinter
leeren Floskeln und Identitätspolitik zu
verschleiern, kam die Botschaft an. „Keine
strikte Ablehnung der Gentechnik mehr, ein
klares Bekenntnis zur Marktwirtschaft oder
auch, dass ein Bundeswehreinsatz ohne
UN-Mandat nicht mehr grundsätzlich
ausgeschlossen wird... Dazu kommt ein klares
Bekenntnis zu Staat und Polizei“, hieß es
einem Kommentar des ARD-Hauptstadtstudios
unter dem Titel „Konsequent im Streben nach
Macht“.
Professor
Dr. Carlo Masala von der Universität der
Bundeswehr München pries gegenüber
tagesschau.de die militaristische
Ausrichtung einer möglichen schwarz-grünen
Bundesregierung: „Ich glaube, dass wenn
Grüne und CDU eine Koalition eingehen
sollten, dass die Bundeswehr und die
Aufgaben der Bundeswehr und die Finanzierung
der Bundeswehr kein Punkt sind, an dem diese
Koalitionsverhandlungen scheitern werden.“
Das
Ambiente des Online-Parteitags – ein
Wohnzimmer, das die Parteiführung im
Berliner Tempodrom eingerichtet hatte –
versinnbildlichte die scharfe
Rechtsentwicklung der Grünen seit ihrer
Gründung 1980 und der wohlhabenden
Mittelschichten für die sie sprechen.
„Das
Wohnzimmer ist, wie die Partei wirkt“,
brachte es der Spiegel auf den
Punkt. „Ein bisschen spießig, die
Bürgerlichkeit zelebrierend, Erinnerungen an
die rebellische Jugend haben sie an die Wand
genagelt, daneben die Andenken an die
Ankunft in der Bourgeoisie, das sind die
Bilder der Wahlerfolge in Bayern 2018 und
bei der Europawahl 2019, als die Grünen das
erste Mal bei einer bundesweiten Wahl über
20 Prozent der Stimmen erreichten.“
Tatsächlich
sind die Grünen spätestens im Zuge ihrer
ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene
von 1998 bis 2005 vollständig in der
Bourgeoisie angekommen. Damals haben sie mit
den Hartz IV-Reformen heftige soziale
Angriffe und mit der Beteiligung am
Kosovo-Krieg Deutschlands ersten
Kampfeinsatz seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs gegen massiven Widerstand
durchgesetzt.
Auch vor
diesem Hintergrund muss die im
Grundsatzprogramm geforderte massive
Aufrüstung des Staats und der Polizei als
Warnung verstanden werden. Sie zielt darauf
ab, die wachsende Opposition gegen soziale
Ungleichheit, Militarismus und Krieg und die
tödliche Durchseuchungspolitik der
herrschenden Klasse zu unterdrücken. Die
Reaktion der grün-geführten Landesregierung
Baden-Württembergs auf die sogenannte „Gewaltnacht
von Stuttgart“ und die
drakonischen Strafen, die Anfang dieses
Monats deshalb verhängt wurden, sind nur ein
Vorgeschmack auf das, was die Grünen planen.
Im Kapitel
„Demokratie stärken – Rechtsstaat und
Sicherheit“ heißt es im aggressiven „Law and
Order“-Ton: „Polizei und Sicherheitsorgane
garantieren die Sicherheit im Innern. Als
sichtbarer Arm des staatlichen
Gewaltmonopols ist die Polizei in besonderer
Weise Hüterin und Verteidigerin von
Rechtsstaat und wehrhafter Demokratie. Dafür
braucht sie eine gute Ausstattung und
ausreichend Personal – in der Stadt wie auf
dem Land.“
Die Grünen
spüren instinktiv, dass die Corona-Pandemie
die wirtschaftliche, soziale und politische
Krise des kapitalistischen Systems
beschleunigt hat und fürchten den Ausbruch
sozialer Kämpfe. Die Pandemie wirke wie ein
Katalysator, warnte Habeck. „Sie verstärkt
Fliehkräfte, vergrößert soziale Kluften, sie
steigert die Gereiztheit. Der öffentliche
Raum schrumpft.“ Dann erklärte er: „Covid-19
traf uns scheinbar überraschend. In Wahrheit
jedoch war es eine Pandemie mit Ansage.“ Es
habe genug Studien und Warnungen gegeben.
Das stimmt.
Aber es ist eine Tatsache, dass die Grünen
diese Studien und Warnungen genauso
ignoriert haben wie alle anderen
Bundestagsparteien. Stattdessen haben sie
überall dort, wo sie (mit)regieren, heftige
Kürzungen in den kritischen Bereichen
Pflege, Bildung und Soziales durchgesetzt.
Nun sprechen sie sich wie alle anderen
Bundestagsparteien vehement gegen die
notwendige Schließung der Schulen und der
nicht lebensnotwendigen Produktion aus.
Der
Klassencharakter dieser Politik ist
offensichtlich. Nachdem der Bundestag Ende
März die milliardenschweren „Corona-Notpakete“
mit den Stimmen von Linkspartei und Grünen
verabschiedet hat, sollen die riesigen
Summen, die vor allem den Großunternehmen,
Banken und Superreichen zu Gute kamen,
wieder aus der Arbeiterklasse herausgepresst
werden. Dafür sind auch Habeck, Baerbock und
Co. bereit, die Gesundheit und das Leben von
Hunderttausenden zu opfern.
Arbeiter
und Jugendliche, die die tödliche
Durchseuchungspolitik stoppen wollen,
Militarismus, Kapitalismus und Krieg
ablehnen und den Klimawandel bekämpfen
wollen, müssen verstehen, dass die Grünen
kein kleineres Übel, sondern ihre schärfsten
Gegner sind. Sie müssen sich einer
internationalen sozialistischen Perspektive
zuwenden und die Sozialistische
Gleichheitspartei als progressive
Alternative zu den etablierten
kapitalistischen Parteien aufbauen.
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