Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Wo rechtsextreme „Islamkritik“
gewalttätig wird
84jähriger begeht Terrorangriff auf Moschee im südfranzösischen Bayonne12/2019
trend
onlinezeitungAuf den ersten Blick mag es anekdotisch, ja amüsant klingen: Ein 84jähriger, der in seinem Heimatdorf unter anderem als exzentrisch wirkender Künstler auffällig geworden war, wurde am vorletzten Montag unter Terrorverdacht festgenommen. Unter anderem hatte er einen Personenkraftwagen in Brand gesteckt. Hört man nur diese Informationen, könnte man an einen beinahe liebenswürdigen, verwirrten Terror-Opa denken, dem man die Autozündelei beinahe nachsehen – zahlt ja die Versicherung – oder jedenfalls mildernden Umständen zuschreiben würde.
Die Realität hingegen, verfügt man über die vollständigen Informationen, hat überhaupt nichts Amüsantes an sich. Den Brand an das Auto legte der 1935 geborene Claude Sinké, als sich der Insasse in seinem Wagen befand, offensichtlich darauf abzielend oder zumindest in Kauf nehmen, dass die Person mit verbrennt. Zuvor hatte er aus einer mitgeführten Handfeuerwaffe auf das ebenfalls betagte Opfer – von dem 78jährigen wurde in der Öffentlichkeit nur der Vorname bekannt, Amar – geschossen und auf das Genick gezielt. Amar wurde schwerverletzt in eine Klinik eingeliefert und war halbseitig gelähmt, da ein Nerv im Halswirbel getroffen worden war. Noch davor hatte der Täter auf einen 74jährigen, den er auf einem Stuhl sitzend angetroffen hatte, gefeuert.
Tatort war die vorwiegend von berberischen Nordafrikanern besuchte Moschee in einem Stadtteil des südwestfranzösischen Bayonne. Dort legte Claude Sinké auch Feuer an eine schwere hölzerne Eingangstür, die schwarze Brandspuren davontrug – es konnte jedoch gelöscht werden, bevor es auf das übrige Gebäude übergriff. Auch auf eintreffende Polizisten zielte Sinké mit seiner Handfeuerwaffe. In seiner Wohnung wurden wenig später weitere Schusswaffen, aber auch Granaten gefunden. Der Täter hatte auch eine Butangasflasche präpariert, offensichtlich in der Ansicht, die Moschee in die Luft zu sprengen. Aufgrund des frühzeitigen Eintreffens der Polizei kam diese jedoch nicht zum Einsatz.
Umso unverständlicher erscheint es vor diesem Hintergrund, dass die Staatsanwaltschaft entschloss, nur wegen gewöhnlicher Straftatbestände wie Körperverletzung, nicht jedoch wegen Terrordelikten zu ermitteln. Nicht nur der Anwalt des halbgelähmten Opfers, Méhana Mouhou, empört sich darüber und argumentiert, hätte ein Täter mit muslimischem Hintergrund in vergleichbarer Weise eine Kirche attackiert, würde der Tatvorwurf längst auf Terrorismus lauten.
Von Claude Sinké ist bekannt, dass er vor Jahrzehnten einmal Militär war und sich später auf das Anfertigen von Skulpturen verlegte. Letztere hatten oft die Flagge eines bestimmten Landes zum Thema, eines seiner bekannteren Werke zeigt etwa die Fahne der USA, ein Dollarzeichen und eine Schusswaffe sind in die Skulptur integriert.
Öffentlich in Erscheinung trat Sinké jedoch auch als Kandidat zu den Bezirksparlamentswahlen, die in ganz Frankreich Ende März 2015 stattfanden. Damals trat er für den Front National an, die Partei von Marine Le Pen, die inzwischen seit dem 1. Juni 2018 in Rassemblement National (RN, Nationale Sammlungsbewegung) umbenannt wurde. Ein Foto vom 14. März jenes Jahres, das vorige Woche durch die Regionalzeitung Sud Ouest publiziert wurde, zeigt Parteichefin Le Pen mit dem Kandidaten sowie weiteren Bewerbern. Eine weitere Mitgliedschaft im Kreisverband wurde Sinké dann allerdings verwehrt, weil offenkundig wurde, dass er zu oft zu unkontrollierten rassistischen oder auch homophoben Ausfällen tendierte – die der rechtsextremen Partei in dieser Form und diesem Ausmaß eher kontraproduktiv erschienen. Wes Geistes Kind der Mann war, konnte man jedoch bereits früher wissen, und zwar Monate vor der Wahl, bei der Sinké auf der Liste auftauchte. Im September 2014 publizierte dieser ein Buch unter dem Titel: „Frankreich mit offenem Herzen. Blicke auf das menschliche Elend“. Darin wimmelt es von Ausfällen gegen Muslime und gegen Homosexuelle.
Der betagte Rechtsextreme trat auch durch mehrseitige, teilweise wirre Schreiben an die Staatsanwaltschaft in Erscheinung. So schrieb er an die Behörde, er erstatte Strafanzeige gegen Staatspräsident Emmanuel Macron „wegen Verletzung der Menschenrechte“. Es folgten seitenlange Ergüsse über die soziale Situation, die Gelbwesten, die Ausländer. In der Nachbarschaft war auch bekannt, dass er Waffen besaß. Eine vierzig- bis fünfzigjährige Nachbarin erklärte in einer Nachrichtensendung des Privatfernsehsenders BFM TV spontan, seinetwegen habe sie sich eine Alarmanlage angeschafft.
Claude Sinké war wohl nicht vollständig klar im Kopf und handelte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Rahmen einer Organisationsstruktur. Wirklich isoliert war er jedoch nicht, jedenfalls nicht mit seinen Ideen oder was er dafür hielt. Der rechtsextreme Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, bestätigte etwa gegenüber dem Fernsehsender CNews (früher i-Télé) ausdrücklich, ein Post mit einer Information über das Attentat von Bayonne von seiner Facebookseite gelöscht zu haben, weil zu viele zustimmende und die Tat offen bejubelnde Kommentare gepostet worden seien. „Bravo, Opi“ hieß es dort etwa, oder „Das ruft doch Freude hervor“ und „Alle Moscheen müsste man hochgehen lassen“, wie Screenshots belegen. Auch die offizielle Webseite des RN oder rechtsextreme Medien wie Fdesouche sahen sich zu ähnlichen Schritten gezwungen wie Ménard.
Mutmaßlich befeuert wurde der Tatentschluss des alten Herrn auch dadurch, dass in den Wochen vor der Tat in vielen Medien eine Dauerberieselung zu Themen wie „Einwanderungsdebatte“, „Kopftuchdiskussion“ und nationaler oder kultureller Identität stattfanden. Sicherlich existieren in Teilbereichen der Gesellschaft ursprünglich nicht rassistisch motivierte, ja in universalistischen Vorstellungen fußende Einwände gegen gesellschaftliche Erscheinungsformen der muslimischen Religion. Real werden in der stattfindenden Debatte in mindestens 90 oder 95 Prozent der Beiträge - hinter dem Deckmantel der Problematisierung von Ausdrucksformen des Islam – faktisch Fragen verhandelt, bei denen es um die Legitimität der Anwesenheit von Einwanderern und/oder „fremdkulturellen Elementen“ geht. Erstmals wurde über Kopftuch tragende Schülerinnen in Frankreich im Herbst 1989 heftig debattiert. Damals verfügte ein Schuldirektor in Creil, fünfzig Kilometer nördlich von Paris, den Ausschluss mehrerer marokkanischstämmiger Schülerinnen vom Unterricht. Die politische Linke war daraufhin tief gespalten zwischen jenen, die auf Abstand zu religiösen Traditionen gingen und denjenigen, die vor rassistisch motivierter Ausgrenzung warnten. Der Direktor selbst, Ernst Chernière, war ein ausgewiesener konservativer Rechter – ein Mitglied und späterer Abgeordneter der rechtsbürgerlichen Partei RPR, einem Vorläufer der jetzigen Formation Les Républicains -, er trat jedoch 1997 als dezidierter Befürworter eines Bündnisses mit dem RN-Vorläufer Front National auf und traf im Umfeld der Parlamentswahlen von 1997 zu einem Abendessen mit dessen Chef Jean-Marie Le Pen zusammen1.
Der billige Einwand, das sei doch erlaubt, weil „der Islam keine Rasse“ sei (wie der rechte Agitator Henryk Modest Broder dazu formulierte, um Hetze gegen Muslime einer Kritik als rassistische Hetze zu entziehen), kann darüber keineswegs hinwegtäuschen. Auch das Judentum, beispielsweise, ist keine Rasse, zumal es keine menschlichen Rassen gibt.
Auf einem Privatfernsehsender CNews wurde am Tag nach der Tat stundenlang munter darüber debattiert, inwiefern „Multikulturalismus als Gewaltursache“ zu betrachten sei, und ob nicht die Einwanderungsgesellschaft Schuld daran trage, wenn es zu Konflikten und Gewalttaten komme. Eifrig als Mitdiskutantin wirkte dabei die junge rechtsextreme Journalistin Charlotte d’Ornellas, die für das Wochenmagazin Valeurs Actuelles – in ihrer Stellung im Medienspektrum ungefähr vergleichbar mit der Jungen Freiheit in Deutschland – tätig ist. D’Ornellas hatte kurz zuvor Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit erregt, indem sie in einer anderen Talkshow zum sehr aktuellen Thema Gewalt gegen Frauen folgenden Satz beisteuerte: „Katholiken prügeln ihre Frauen nicht.“ Was selbst den Moderator baff werden ließ, der daraufhin auf den Stellenwert des Themas im katholisch geprägten Spanien verwies.
Ungerührt gab Emmanuel Macron sein letztes wichtiges Interview am selben Tag, dem 25. Oktober 19, im Präsidentenflieger just dem Magazin Valeurs actuelles. Darin kündigt er unter anderem die am 06. November 19 offiziell beschlossenen Verschärfungen im Einwanderungsrecht an. So sollen Asylsuchende künftig während der ersten drei Monate von der Krankenversicherung ausgeschlossen bleiben.
1 Vgl. Pierre Tévanian und Sylvie Tessot: Mots à maux – Dictionnaire de la lepénisation des esprits, Paris 1998, Seite 202.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe. Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien am 14.11.19 in der Antifa-Rubrik der Wochenzeitung ,Jungle World‘