Der
Widerstand gegen eine
lebensbedrohliche Klimapolitik hat
weltweit gewaltige Ausmasse
angenommen und begonnen, die
politische Agenda in vielen Ländern
tatsächlich zu verändern.
Interessanterweise regt sich gleichzeitig
gegen die Digitalisierung sämtlicher
Lebensbereiche so gut wie gar kein
Widerstand. Dabei sind die Zusammenhänge
zwischen beiden Bedrohungen augenfällig und
längst allgemein bekannt.
Da jedoch im Allgemeinen über einem
Bildschirm kein Schornstein qualmt und unter
der Schreibtischplatte kein stinkender
Dieselmotor knattert, ist es noch immer
erstaunlich leicht, vielen Menschen weis zu
machen, die Digitalisierung sei eine Antwort
auf die Klimakatastrophe, und nicht Teil des
Problems. So ist der jährliche CO²-Ausstoss
des Internets, verursacht durch die
notwendige Kühlung zahlloser Grossrechner
auf sogenannten Computerfarmen, inzwischen
genauso hoch wie der des Flugverkehrs – des
Flugverkehrs weltweit, wohlgemerkt. Zehn
Minuten im Internet zu surfen verbraucht in
etwa soviel Energie, wie sich eine Tasse
Kaffee zu kochen. Und seriöse Schätzungen
vermuten, dass, sollte die Entwicklung in
gleichem Tempo weitergehen, in absehbarer
Zeit ein Viertel (!) der weltweiten
Energiereserven für die Verwaltung von Daten
aufgewendet werden wird. Ein in der Tat
bedrohliches Szenario.
Aber selbst wenn man – unzulässigerweise –
die Gefährdung der natürlichen
Lebensgrundlage auf diesem Planeten einmal
aussen vor lassen wollte, bliebe noch immer
nichts, was einen angesichts der
Digitalisierung in Jubelschreie ausbrechen
lassen müsste. Denn wo auch immer die neue
technologische Infrastruktur eingeführt
wird, geht es, bei genauerem Hinsehen, um
die gleichen zwei Dinge: Überwachung und
Profit. Alles andere sind (meist marginale)
Zugewinne an Bequemlichkeit, bunte
Marketingversprechen – und Lügen.
Wer Studien wie „Das Zeitalter des
Überwachungskapitalismus“ der US-
Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff
liest (ein ansonsten durchaus klarsichtiges
und empfehlenswertes Buch übrigens), muss
zwangsläufig den Eindruck gewinnen, ein
idyllischer, sozial gerechter und
nachhaltiger Kapitalismus sei durch
böswillige Wühlarbeit von Firmen wie Google,
Facebook und Twitter in Gefahr gebracht
worden und müsse nun eilends verteidigt
werden. Dabei wollen längst auch
nationalstaatliche Regierungen von der
grossen Daten-Bonanza profitieren. In
Deutschland zeigt sich dies gegenwärtig an
Plänen des Gesundheitsministeriums, die
sogenannte Telematik-Infrastruktur (1)
zwangsweise im Gesundheitssektor
einzuführen.
Patientendaten gehörten bisher zu den
bestgeschützten persönlichen Informationen
dieses Landes. Die ärztliche
Schweigepflicht, die in gleichem Masse für
Sprechstundenhilfen, ja sogar für Putzkräfte
gilt, die in Praxen arbeiten, verhindert,
dass sie in falsche Hände geraten. Sollen
Patientendaten doch einmal weitergegeben
werden – etwa an andere behandelnde Ärzte –
muss dies vom Patienten ausdrücklich
genehmigt werden und unterliegt strengen
Auflagen. Verstösse werden nach dem
Strafgesetzbuch geahndet.
Das alles soll nach dem Willen von
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
nun offenbar anders werden: Er holt mit der
Telematik-Infrastruktur bei der
Digitalisierung des Gesundheitswesens zum
grossen Wurf auf. Zum grossen Wurf vor
leeren Rängen freilich, denn es ist mehr als
deutlich, dass sein Ministerium öffentliches
Interesse für das TI-Projekt nicht wünscht.
Aus seiner Motivation dagegen macht Spahn
keinen Hehl: Es geht ihm nicht um
Patientinnen und Patienten oder Ärztinnen
und Ärzte, sondern darum, dass Deutschland
bei der Digitalisierung „den Anschluss nicht
verpassen“ dürfe. Bundeskanzlerin Angela
Merkel wurde sogar noch deutlicher. Big
Data, also das massenhafte Sammeln und
Speichern sämtlicher personenbezogenen
Daten, derer man habhaft werden kann, sei
der gewinnbringendste Markt der Zukunft:
„Daran muss Deutschland teilhaben!“.
Alle Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen
und Psychotherapeuten, die Kassenpatienten
behandeln, werden durch den Gesetzgeber
unter Androhung von Geldstrafen gezwungen,
ihre Praxiscomputer, in denen Patientendaten
gespeichert sind, an das Internet
anzuschliessen. Perspektivisch soll die TI
alle Praxen, Krankenhäuser, ja sogar
Apotheken (!) des Landes miteinander
vernetzen und mit den Krankenkassen
verbinden. Die Geldstrafen sind durchaus
empfindlich: Ärztinnen und Ärzte sowie
Therapeutinnen und Therapeuten, die sich dem
Grossangriff auf das Arztgeheimnis
entgegenstellen, bekommen im ersten Jahr 1%
ihrer Einnahmen abgezogen. Zeigen sie sich
weiterhin uneinsichtig, werden es 2,5%
Prozent.
Auch die nötigen technischen Geräte sind
teuer: Um die Verbindung zur „Cloud“, in der
die Daten gespeichert werden sollen,
herzustellen, braucht es in jeder Praxis
einen sogenannten „Konnektor“, einen
Mini-Computer. Gerät und Installation kosten
3500.- Euro. Bezahlen tut dies die
Krankenkasse, die die Kosten mit ziemlicher
Sicherheit auf die eine oder andere Weise an
die Versicherten weiterreichen wird. Selbst
trübe Mathematikerinnen und Mathematiker
sollten dagegen in der Lage sein,
auszurechnen, was für Gewinne der IT-Branche
winken, die diese Konnektoren verkauft und
einbaut – bei ca. zwei Millionen
medizinischen Profis in Deutschland.
Es ist, als sollten die Betroffenen auch
noch selber zahlen dafür, dass man sie
ausspäht, überwacht und ihre Daten auf dem
Markt feilbieten könnte. Denn der Konnektor
hat Lese- und Schreibzugriff auf den
Kartenleser, kann eigenständig
Internetverbindungen aufbauen und Daten aus
der Praxis-EDV an den Server der TI
übertragen. Er wird dabei einzig und allein
von aussen konfiguriert und gewartet, kein
Arzt kann kontrollieren, welche Daten in die
TI weitergeleitet werden. In einem ersten
Schritt gleicht der Konnektor die Stammdaten
der Patientinnen und Patienten (also Name,
Adresse, Kartengültigkeit etc.) mit den
Servern der Krankenkassen ab, was
gleichbedeutend ist mit dem upload der Daten
in die Cloud. Wer diese Daten anschliessend
verwaltet, ist völlig unklar. Ebenso unklar
ist, wer faktisch Zugriff haben wird:
Krankenkassen? Andere Ärzte?
Patientenvereinigungen? Apotheken?
Arbeitgeber? Die Privatwirtschaft? Die
Polizei?
Fest steht, dass zumindest für
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Gesundheitswesens der Zugriff nahezu
unbegrenzt und völlig unkontrolliert sein
wird. Mittelfristig geht es um eine
dauerhafte, zentrale Speicherung der
Gesundheitsdaten aller gesetzlich
Versicherten, die Bundesgesundheitsminister
Spahn bis 2021 ebenfalls gesetzlich
vorschreiben will: die sogenannte
elektronische Gesundheitsakte. Es entbehrt
nicht einer gewissen Ironie, dass erst vor
kurzem der EDV-Riese Microsoft seine Pläne
für eine elektronische Gesundheitsakte für
gescheitert erklärt hat.
Deren Sicherheit vor Eingriffen von aussen
sei nicht zu gewährleisten. Craig Federighi,
Manager des Microsoft-Konkurrenten Apple,
erklärte ebenfalls öffentlich, die
Privatsphäre lasse sich nur schützen, wenn
Nutzerdaten gar nicht erst in einer „Cloud“
gesammelt würden. All das ficht Herrn Spahn
nicht an: Er phantasiert sogar davon, in
Zukunft hochsensible persönliche
Gesundheitsdaten mit Hilfe einer
Smart-Phone-App auf dem Handy abrufen zu
können. Er könnte sie auch gleich an die
Wände malen und von den Dächern
herunterschreien lassen.
In vielen Ländern, in denen ähnliche Systeme
eingeführt wurden, kam es bereits zu zum
Teil massiven Datenskandalen:
Gesundheitsdaten wurden gehackt und illegal
verbreitet, beispielsweise in den USA (dem
Mutterland von Big Data), Schweden,
Dänemark, Australien und Singapur. Ebenso
leicht vorstellbar ist, dass medizinische
Profis mit Zugriffsrecht dem Ruf des grossen
Geldes folgen und die Daten ebenfalls
illegal feilbieten. Es wäre ihnen,
angesichts des grossen
Kompetenz-Kuddel-Muddels rund um TI, kaum
nachzuweisen. Auch die erwähnte, von einigen
Krankenkassen bereits erprobte
Gesundheits-App erwies sich als
datenschutztechnische Katastrophe.
Wie anfällig grosse Datenmengen sind, wird
immer wieder deutlich. Erst vor wenigen
Monaten wurden erneut tausende von
Passwörtern gehackt und Daten illegal
abgerufen. Eines der Opfer war,
pikanterweise, Jens Spahn. Kosten und
Risiken der TI sind unkalkulierbar. Was
dagegen als sicher gelten darf, ist, dass
die Einführung der TI das faktische Ende der
Rechtssicherheit für persönliche
Gesundheitsdaten bedeutet. Diese werden,
eher früher als später, zur gängigen Münze
auf dem Markt der datenschutzrechtlichen
Unmöglichkeiten werden. Und das,
wohlgemerkt, nachdem mit viel Tamtam,
Lametta und blumigen Festreden ein neues
Datenschutzgesetz aufgelegt wurde – von eben
jener Regierung, die nun Schweigepflicht und
Arztgeheimnis auf den Müllhaufen der
Geschichte werfen will. Denn was wäre zum
Beispiel, wenn jemand sich bei einer
Krankenkasse versichern wollte, der schon
einmal – heutzutage eher die Regel als die
Ausnahme – an einer Depression gelitten hat?
Ein Blick in die „Cloud“, und der
Betreffende dürfte es schwer haben, einen
Versicherer zu finden. Denn psychische
Erkrankungen sind sowohl für Versicherungen
als auch für den Staat ein hohes Risiko:
Immer mehr Krankentage und Frühverrentungen
gehen auf ihr Konto. Auch gesellschaftlich
sind sie nach wie vor ein Stigma, und wenn
sie noch so sehr zur Volkskrankheit werden.
Für derart unsoziale Mauscheleien bräuchte
es gar keinen Hacker-Angriff. Sie sind, darf
man annehmen, der eigentliche Zweck der
Übung. Es ist offensichtlich, dass eine
zentrale Speicherung von Gesundheitsdaten
für Versicherungen, Kreditbanken,
Arbeitgeber, Handyprovider oder die Polizei
reizvoller und gewinnträchtiger ist als für
Ärztinnen und Ärzte oder Patientinnen und
Patienten.
Gegen die Einführung der TI organisiert sich
im Gesundheitssektor der Widerstand. Viele
Ärztinnen, Ärzte, Therapeutinnen und
Therapeuten nehmen die angedrohten
Geldbussen in Kauf, um ihr medizinische
Ethos zu verteidigen und ihre Patienten zu
schützen. Der Versuch des
Gesundheitsministeriums, die TI an der
Öffentlichkeit vorbei in einer Nacht- und
Nebelaktion einzuführen, ist bereits
gescheitert. Auch Patientinnen und Patienten
können sich zur Wehr setzen, zum Beispiel,
indem sie in ihren Arztpraxen fragen, ob
diese bereits an die TI angeschlossen sind,
und dann rechtsgültig verfügen, dass ihre
Daten nicht eingespeichert werden dürfen.
Noch besitzen sie in diesem Lande dieses
Recht.
Damit das auch so bleibt, muss der
Widerstand gegen TI unterstützt und müssen
dessen Hintergründe öffentlich gemacht
werden. Denn die Digitalisierung ist
keineswegs, um Edmund Stoiber (CSU) zu
paraphrasieren, „wie das Wetter“: Man kann
sie durchaus aufhalten.
Fussnoten:
[1] Der Begriff „Telematik“ ist eine
Kombination der Wörter „Telekommunikation“
und „Informatik“. Als Telematik wird die
Vernetzung verschiedener IT-Systeme und die
Möglichkeit bezeichnet, Informationen aus
unterschiedlichen Quellen miteinander zu
verknüpfen.
Quelle:
https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/digital/ueberwachung/patientendaten-krankenkassen-digitalisierung-5780.html
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