Eine weitere extraterritoriale Auslagerung der
Migrations- und Asylpolitik, weg von der
Europäischen Union möglichst weit in die
geographische Mitte Afrikas hinein: Das ist im
Kern, was der fünfte gemeinsame Gipfel von EU und
Afrikanischer Union (AU) vom Mittwoch und
Donnerstag voriger Woche (29. und 30. November 17)
in Abidjan ergab. Und dies unter pseudo-humanitärer
Berufung auf das „Drama“, das subsaharische
Migranten derzeit in Libyen durchleben, wo die
Versklavung von Migrationswilligen in den letzten
Wochen einen internationalen Skandal auslöste.
Genauer gesagt,
handelt es sich nicht um ein direktes Ergebnis des
Gipfeltreffens, bei dem – wie bei solchen
Showveranstaltungen mitunter üblich – eher wenig
Konkretes herauskam. Zwar waren auch dort Migration
sowie die Situation in Libyen, und zum Abschluss
des Treffens von 60 Staats- und Regierungschefs
sowie insgesamt 90 Delegationen wurde eine
Erklärung mit „vier Prioritäten“ verabschiedet.
Diese enthält jedoch nur Allgemeinplätze, wie sie
in ähnlichen Texten seit Jahren oder eher
Jahrzehnten auftauchen.
So
soll Migration eingedämmt werden, indem
Afrikaner/inne/n in ihren Herkunftsländern eine
Perspektive geboten wird, indem dort investiert
wird und Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen
werden. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
sprach in diesem Zusammenhang davon, die
Betreffenden und vor allem die afrikanische Jugend
könnten dann „ihr Glück in Afrika finden“.
Wunderschön klingende Lippenbekenntnisse, wie sie
in noch jeder Sonntagsrede zum Thema „Bekämpfung
von Fluchtursachen“ auftauchen und im Munde von
Politikern in EU-Staaten – von Horst Seehofer bis
hin, jedenfalls in jüngerer Zeit, zu Jean-Luc
Mélenchon – gerne gegen den Anspruch auf
internationale Bewegungsfreiheit in Stellung
gebracht werden.
Und natürlich sollen auch Frieden und Sicherheit
gewahrt respektive wiederhergestellt werden. In der
Sahelzone, wo es von djihadistischen Bewegungen
über separatistische Kräfte bis zu Drogen- und
anderen Handelskartellen eine Reihe von Problemen
gibt, soll dazu die militärische Streitkraft der
als „G5 Sahel“ bezeichneten, im Februar 2014
gegründeten Staatengruppe verstärkt werden. Über
Näheres entscheidet dann allerdings eine Konferenz,
die am 13. Dezember 17 in Paris stattfindet
(ANM.: mittlerweile stattgefunden hat). Was
einmal mehr die Rolle Frankreichs als faktische
Hegemonialmacht in der Region unterstreicht.
Wesentlich konkreter
fiel unterdessen die Repressionserfahrung aus,
welche die örtliche „Zivilgesellschaft“ – um einen
viel strapazierten, und ansonsten bei solchen
Gipfeln positiv besetzten Begriff zu benutzen – im
Zusammenhang mit dem Gipfel machen musste. Am
Dienstag vergangeNer Woche – 28.11.17 - sollte in
der Wirtschaftsmetropole der Côte d’Ivoire
(Elfenbeinküste), wo auch das offizielle
Gipfeltreffen stand, ein Gegengipfel „von unten“
mit eintägigem Vorsprung beginnen. Dieser wurde
allerdings durch starke Polizeikräfte verhindert,
die bereits ab fünf Uhr den Veranstaltungsort, das
Gewerkschaftshaus im Stadtteil Treichville,
okkupierten. Die Repressionskräfte des als ebenso
wirtschafts- wie frankreichfreundlich geltenden
Präsidenten Alassane Ouattara verboten den
ausländischen Delegationen den Zutritt,
beschlagnahmten die Mobiltelefone einiger
Teilnehmer/innen und zerschlugen technische Geräte,
die für die Konferenz genutzt werden sollten.
Unterdessen wurden die versammelten Staats- und
Regierungschefs bei einem eher informellen Treffen,
das am Rande des Gipfels stattfand, präziser im
Zusammenhang mit der Migrationsproblematik und den
Vorgängen in Libyen. Rund um den französischen
Staatspräsidenten Emmanuel Macron, die
EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, den
AU-Generalsekretär Moussa Faki Mahamat sowie
mehrere regionale Staatschefs – unter ihnen die
Oberhäupter der Republik Niger und des Tschad,
Mahamadou Issoufou und Idriss Déby – beschloss die
Runde, einen Vorstoß für die in Libyen bedrohten
Migranten zu starten. Auch die deutsche Kanzlerin
Angela Merkel wirkte bei dem Plan mit.
Im
Kern handelt es sich dabei schlicht um eine
Rückführungsinitiative: Von der Prämisse ausgehend,
es sei eine strikte Trennung zwischen „reinen
Wirtschaftsflüchtlingen“ und „politischen
Exilanten“ möglich und Erstgenannte machten
angeblich 80 Prozent der sich in Libyen
Aufhaltenden aus, soll diese Gruppe in ihre
Ursprungsländer zurückbefördert werden. Auf
freiwilliger Basis und zunächst für 15.000 von
ihnen. Dazu gibt es bescheidene „Rückkehrhilfen“
als finanziellen Anreiz. Eine Gruppe von vierzig
Staatsbürgern Nigerias wurde auf dieser Grundlage
Ende voriger Woche ausgeflogen. Jenes Fünftel der
in Libyen blockierten Migranten, das - dem Axiom
der Staatschefs zufolge - in ihren Herkunftsländern
als bedroht gelten muss, soll nicht dorthin
zurücktransportiert werden. Allerdings auch nicht
in die EU oder andere Länder des Nordens, sondern
in Auffanglager auf dem Territorium der Staaten
Niger und Tschad. Dort soll dann nach
Resettlement-Möglichkeiten für die
Betreffenden in einem der Länder des Nordens
gesucht werden.
Sonderlich originell ist der Plan mit den
Zwischenlagern im Tschad und in der Republik Niger
mittlerweile allerdings nicht mehr. Vielmehr
machten Emmanuel Macron im Sommer dieses Jahres in
Frankreich bereits einen identischen Vorschlag: Am
28. Juli 17 in Orléans sprach er sogar davon,
„Hot-spots“ ähnlich dem Durchgangslager auf der
griechischen Insel Lesbos auf libyschem Boden
einzurichten. Am 08. August 17 korrigierte sein
Innenminister Gérard Collomb ihn dann dahingehend,
in Libyen selbst sei dies aufgrund der
Sicherheitslage nicht möglich, man denke
„lediglich“ (sic) über Transitlager in den südlich
angrenzenden Anrainerstaaten nach, also eben Tschad
und Niger. Ende Oktober d.J. hat die französische
Agentur für Flüchtlinge OFPRA dort bereits mit
ersten Anhörungen begonnen, um unter insgesamt
3.000 dort eingetroffenen Migrationswilligen die
Spreu („Wirtschaftsflüchtlinge“) vom Weizen der
„echten politischen Flüchtlinge“ zu sortieren. Auch
wenn die deutsche Tageszeitung Die Welt
die Sache tendenziell als eine Idee Angela Merkels
oder ihres Umfelds auf dem Abidjan-Gipfel
darstellt, ist das Vorhaben also bereits ein paar
Monate älter.
Emmanuel Macron nutzte seine Reise zu diesem Gipfel
nebenbei zu seiner ersten offiziellen Visite in der
neokolonialen Einflusszone Frankreichs. An der
Universität in Ouagdadougou, der Hauptstadt Burkina
Fasos, hielt er am Dienstag, den 28. November 17
eine doch viel erwartete Rede. Dabei stellte er
sich ein wenig geschickter an als etwa sein
Amtsvorgänger Nicolas Sarkozys, dessen Antrittsrede
in Afrika – der discours de Dakar vom
26. Juli 2007 – zu einer äußerst peinlichen und
skandalumwitterten Veranstaltung geriet. Inmitten
der von modernem Leben geprägten senegalesischen
Hauptstadt dozierte Sarkozy damals an der dortigen
Universität: „Der afrikanische Mensch ist
nicht genügend in die Geschichte eingetreten“,
denn angeblich gebe es „für den afrikanischen
Bauern nur den zeitlosen Wechsel der
Jahreszeiten“, ohne jeglichen anderen
nicht-zyklischen Zeitbegriff. Sarkozys sonst durch
schwülstig-patriotische Ergüsse auffallender
Redenschreiber Henri Guaino war dabei von
Vorstellungen Georg Willhelm Friedrich Hegels
beeinflusst gewesen. Dieser Auftritt löste
zahlreiche Proteste aus.
Emmanuel Macrons Berater stellten es da wesentlich
geschickter an. Im Vorfeld veranstalteten sie ein
micro-trottoir, also eine Umfrage mit
offenen Fragestellungen, unter jungen
Einwohner/inne/n von Ouagadougou, um deren
Erwartungen auf den Zahn zu fühlen. Wie jeder
seiner drei Amtsvorgänger versprach Macron dann,
mit der Françafrique – also dem
französischen alten und neuen Imperialismus in
West- sowie Zentralafrika – werde es nun aber
wirklich ein Ende haben. Seit circa fünfzehn Jahren
tritt jeder französische Präsident mit dem
Versprechen an, die Françafrique habe
es gegeben, aber eben bis gestern, seit heute sei
nun wirklich Schluss damit. Emmanuel Macron nahm
dabei aber sogar ein Zitat des 1987 ermordeten,
revolutionär orientierten burkinabesischen
Präsidenten Thomas Sankara in den Mund, nämlich
dessen Slogan Oser l’avenir („Die
Zukunft wagen“). Was die Ermordung Sankaras und die
mutmaßliche französische Mitwirkung an ihr
betrifft, versprach Macron anders als seine
Vorgänger eine Öffnung der bislang verschlossenen
Archive. Kenner der Materie wie der französische
Buchautor zu Sankara, Bruno Jaffré, bleiben jedoch
skeptisch.
Vorwürfe des Neokolonialismus wehrte Macron ab,
indem er jene unter anwesenden 800 Studierenden,
die ihm Fragen stellten, kumpelhaft duzte und
hinzufügte, er wolle gar nicht für Alles in Afrika
verantwortlich sein. Als Studierende sich über die
mangelhafte Stromversorgung beklagten, nutzte
Macron die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dafür
fühle er sich nicht zuständig. Als sein
burkinabesischer Amtskollege Roch Marc Christian
Kaboré kurz den Saal verließ, wohl um zu
telefonieren, lästerte Macron: „Er ist wohl
die Klimaanlage reparieren gegangen!“ Dies
fasste er selbst als lockeren Umgang auf, trug ihm
jedoch bei manchen erst recht den Vorwurf
neokolonialer Arroganz ein, weil er seinen
Amtskollegen symbolisch zum Dienstboten
degradierte. Wesentlich ausweichender beantwortete
Macron unterdessen Fragen nach der wirtschaftlichen
Abhängigkeit der früheren Kolonien von Frankreich.
Nachdem mindestens zwei Fragesteller wissen
wollten, warum Staaten der franc CFA-Währungszone
in Afrika mindestens 50 Prozent ihrer
Devisenreserven dauerhaft bei der französischen
Zentralbank einlagern müssen, antwortete er
haarscharf an der Frage vorbei: „Ich habe die
Goldvorkommen Burkina Fasos nicht in Paris
versteckt, und sollten sie dort sein, dann verratet
mir wo!“
Tags zuvor war bei
seiner Ankunft in Ouagadougou am Montag Abend (27.
November 17) eine Granate auf Macrons Autokonvoi
geworfen worden, möglicherweise von Jihadisten,
während am Dienstag, den 28. Nov. bei Jugend- und
Studierendenprotesten Autoreifen verbrannt und
anti-neokoloniale Parolen gerufen wurden. Trotz
Macrons locker-flockigem Umgangston dürfte die
Kritik vor Ort nicht abgenommen haben.
Editorischer Hinweis
Überarbeitete Langfassung eines Beitrags, welcher
gekürzt am 07. Dezember 17 in der Berliner
Wochenzeitung ‘Jungle World’ publiziert wurde
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