Bernard Schmids Libyen-Berichte

Proteste in Europa und Afrika gegen Versklavung von Migranten in Libyen

12/2017

trend
onlinezeitung

Mali hat seinen Botschafter aus Libyen am vorletzten Sonntag, den 19. November 17 abgezogen und den libyschen Geschäftsträger in Bamako zum Protest einbestellt. Das Nachbarland Burkina Faso folgte am vorigen Montag, den 20.11.17 mit dem Abzug seines diplomatischen Vertreters in Tripolis, Abraham Traoré, „für Beratungen“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach seinerseits am vorigen Mittwoch, den 22. November 17 – in Gegenwart seines malischen Amtskollegen Ibrahim Boubacar Keïta („IBK“) - von „Verbrechen gegen die Menschheit“ in Libyen und forderte die Einberufung einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats.

(LETZTE MINUTE: Diese hat nun am Dienstag, den 28.11.2017 stattgefunden – und endete mit dem zynischen „Evakuierungsplan“, welcher auf eine freiwillige Rückführung von Geflüchteten in ihre ursprünglichen Herkunftsländer hinausläuft.)

Dies sind nur einige der offiziellen Reaktionen von staatlicher Seite, die infolge der Ausstrahlung einer Reportage der sudanesisch-britischen Journalistin Nima Elbagir über derzeit in Libyen praktizierte Sklaverei beim US-amerikanischen Sender CNN bekannt gegeben wurden. Die libysche „Einheitsregierung“ unter Faiez Sarraj – dessen Legitimität unter anderem mit der einer weiteren Regierung in Tobruk und ihres „starken Mannes“, des Marschalls Khalifa Haftar, konkurriert – ordnete am vorletzten Sonntag daraufhin eine offizielle „Untersuchung“ an.

Die Reportage der 1978 geborenen CNN-Journalistin war am 14. November d.J. ausgestrahlt worden. Sie erbrachte erstmals den konkreten Nachweis der Existenz von nicht nur sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen, sondern buchstäblich von Versklavung. Zu sehen war etwa der mit versteckter Kamera gefilmte Verkauf von zwei aus Nigeria stammenden Migranten für 1.200 libysche Dinar, umgerechnet rund 700 Euro, bei einer Art Auktion. Insgesamt zwölf aus Nigeria stammende Menschen seien auf diese Art unter ihren Augen verkauft worden, berichtete Elbagir. Bis dahin war zwar die Existenz von sklavereiförmigen Arbeitsbeziehungen für subsaharischen Migranten in Libyen vermutet worden, doch es waren keine definitiven Beweise dafür vorhanden.

Im zerfallenen Staat Libyen, wo lokale bewaffnete Milizen das vormalige staatliche Gewaltmonopol oft auf örtlicher Ebene an sich gerissen haben, eskaliert die brutale Behandlung von subsaharischen Afrikanern. Bis zu zwei Millionen von ihnen hielten sich bis zu seit 2013 eskalierenden Bürgerkrieg in dem nordafrikanischen Staat auf. Sowohl, weil Libyen selbst – mit Petrodollars ausgestattet – bereits seit der Gaddafi-Ära (unter dem Staats- respektive vorgeblichen „Revolutions“führer Mu’ammar Al-Qadhafi, an der Macht von 1969 bis 2011) migrantische Arbeitskräfte anzog und unbeliebte körperliche Arbeiten von ihnen verrichten ließ; als auch, weil das Land mitunter zugleich als Station bei der Weiterreise nach Europa und insbesondere Italien diente.

Bei der Eskalation im Umgang mit den Migranten in den letzten Jahren spielt der Staatszerfall und die dadurch freigesetzte Rassismus ebenso eine Rolle wie in der Mehrzahl der arabischen Gesellschaften vorhandene strukturelle Rassismus, der mit einer Art arabo-islamischer „Leitkultur“vorstellung einhergeht. Letzterer ist auch in anderen Transitländern in Richtung EU wie Marokko und Algerien anzutreffen – erst am vorigen Freitag, den 24. November 17 kam es zu gewaltförmigen Auseinandersetzungen zwischen jungen Marokkaner und subsaharischen Afrikanern in Casablanca. In Algerien wurden seit zwei Jahren mehreren Tausend von Migranten aus dem südöstlichen Nachbarstaat Niger festgenommen und mittels Kollektivabschiebungen zurückgeschickt, und der Druck auf Migranten ohne Aufenthaltspapiere wurde erheblich erhöht. Die circa seit einem halben Jahr bei sozialen Medien zirkulierende Behauptung, Algerien habe Schwarzen generell die Benutzung von Taxis und Bussen untersagt, erwies sich hingegen als Gerücht, das sich jedoch in mehreren Ländern hartnäckig hält.

Neben diesen ideologischen und politischen Faktoren spielt bei der Eskalation in Libyen aber auch eine ökonomische Gegebenheit eine Rolle. Infolge des seitens der EU-Mitgliedsstaaten ausgeübten Drucks auf Akteure in Libyen – die „Einheitsregierung“, aber auch Milizen, aus denen sich de facto die in jüngerer Zeit aufgestockte und aufgerüstete Küstenwache rekrutiert hat -, Migranten zurückzuhalten und von der Überfahrt des Mittelmeers abzubringen, wurde unter dem Deckmantel des „Kampfs gegen das Schlepperunwesen“ Geld in Umlauf gebracht. Dieses wird vor Ort dafür eingesetzt, Milizen dafür zu bezahlen, die Mobilität von Migranten zu verhindern. Letztere gingen faktisch dazu über, Menschen in Migrationssituation zu internieren. Gleichzeitig lernten diese aber, wie malische und nigrische Staatsangehörige in Videos mit Zeugenberichten aus Libyen berichten, die derzeit auf zahllosen westafrikanischen Facebookseiten zu sehen sind, die libyschen Wächter hätten ihrerseits ein neues finanzielles Knowhow von kriminellen Banden aus den Herkunftsländern erworben.

Diese, die im so genannten Schleppergewerbe tätig sind, weil die Abschottungspolitik der EU besondere Profite auf ebendiesem Feld verspricht, arbeiten mit den libyschen Akteuren mitunter Hand in Hand. Sie melden demnach die bevorstehende Ankunft von Landsleuten an libysche Miliz-Unternehmer, die vormals ihrerseits als „Schlepper“ aktiv waren, nunmehr aber eher bei der Zurückhaltung von Migranten tätig wurden. Von den subsaharischen kriminellen Unternehmern lernten diese, wie das internationale Geldtransfertgeschäft über Western Union, MoneyGram und andere Finanzunternehmen funktioniert, das bis vor kurzem in Libyen – das bis 2003 lange Jahre unter Embargo lag und danach dem „Westen“ nur begrenzt geöffnet war – eher unbekannt war. Dieses neu erworbene Wissen nutzten libysche Mafiaunternehmer nun, um von den Familien in den Herkunftsländern Geld abzupressen mit dem Argument, diese müssten bezahlten, um ihre Angehörigkeit nach einem Zeitraum wie etwa einem Jahr oder anderthalb Jahren wieder in Freiheit zu wissen. Dank des Knowhows, das sie von den eigenen Landsleuten der Opfer erlernt hatten. Nicht zuletzt deswegen argumentieren viele subsaharische Afrikaner nun: „Unsere Leute werden von den eigenen Brüdern verkauft, wie am Beginn der Kette des internationalen Sklavenhandels“ vor 200 bis 400 Jahren.

Durch alle subsaharischen Gesellschaften zieht sich eine breite Welle der Empörung. Zumal das Wissen über die aktuellen Geschehnisse in Libyen dort an das im kollektiven Gedächtnis sehr präsente, historische Verbrechen des Kontinente übergreifenden „Dreieckshandels“ mit Sklaven – welcher Afrika ökonomisch um Jahrhundert zurückwarf –anknüpft. Am vorigen Montag, den 20. Nov. 2017 waren etwa erste Demonstrationen in Mali angesetzt, denen die Staatsmacht durch ihre Reaktion gegenüber Libyen kurz zuvorkam.

Doch viele Blicke sind dabei auf europäische Metropolen gerichtet. Einerseits, weil dort eine in vielen afrikanischen Ländern fehlende Demonstrationsfreiheit herrscht – erstaunlicherweise hat die Diktatur Togo auf dem Kontinent eines der formal liberalsten Demonstrationsrechte, das dort dem Regime allerdings als „Ventil“ und offizieller „Demokratienachweis“ dienen soll. Auf der anderen Seite wissen viele Menschen in West- und Zentralafrika, dass viele Entscheidungen zum politischen und ökonomischen Schicksal ihrer Länder ohnehin in Paris und Brüssel getroffen werden, eher als in ihren Hauptstädten.

In Paris gründeten am vorigen Samstag, den 25. November 17 rund 150 Menschen, die im Gewerkschaftshaus nahe der place de la République versammelt waren, eine neue „Koordination gegen die Sklaverei in Libyen“ (CCEL). Im Saal waren rund 70 Prozent der Menschen afrikanischer Herkunft, aus so unterschiedlichen Ländern wie den Kapverdischen Inseln, der Elfenbeinküste, der Demokratischen Republik Kongo und Djibouti. Die neue Koordination strebt an, Proteste etwa am 02. und am 18. Dezember 17 – dem internationalen Tag gegen Sklaverei und jenem für Migrantenrechte – zu organisieren, und mittelfristig 100.000 Menschen auf die Straße zu bringen.

Bis dahin versammelte mehr oder minder spontane Proteste, zu denen bei Facebook und durch Prominente wie den Rapper „Rost“ aufgerufen worden war, kurzfristig bis zu 3.000 Menschen. Sie demonstrierten unangemeldet am vorletzten Samstag (18.11.2017), wobei ihr Vordringen auf den so genannten Prachtboulevard Champs-Elysées durch Polizeiknüppel und Tränengas unterbunden wurde, und angemeldet am vorigen Freitag Abend, den 24.11.17, in der Nähe des libyschen Konsulats im 15. Pariser Bezirk. In den Pariser Vorstädten Cachan und Fresnes protestierten am letzten Donnerstag (24. November 17) Oberschüler spontan zum selben Thema, blockierten ihre Schulgebäude und lieferten sich Reibereien mit der Polizei. Auf die Straße gingen Menschen zu dem Thema auch in London oder in Brüssel unweit der libyschen Botschaft, wobei es in der belgischen Hauptstadt am Samstag, den 25.11.17 zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Sechzig Menschen wurden Identitätsfeststellungen unterzogen und elf festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, im Laufe von Scharmützeln Autos oder Geschäfte beschädigt zu haben.

Neben der Einleitung diplomatischer Maßnahmen gegen libysche Stellen fordern die Protestierenden in der Regel auch ein Ende der restriktiven Politik der EU, die in ihren Augen erst dazu beiträgt, dass Menschen in Libyen blockiert werden oder im Mittelmeer zu Tode kommen. Unter dem Druck ihrer öffentlichen Meinung stehend, sehen sich viele Staatsoberhäupter in Afrika deswegen zu mindestens verbalen Protesten gezwungen.

In der marokkanischen Hauptstadt Rabat fanden zu Anfang der Woche (am Montag, den 27.11.17) ebenfalls Protestdemonstrationen von Angehoerigen marokkanischer Migranten statt, die meist aus relativ entlegenen Städten im Atlasgebirge stammen. Es gibt also arabische repektive arabisch-berberische Opfer des Sklavenhandels in Libyen.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten die Langfassung des Artikels vom Autor für diese Ausgabe zur Zweitveröffentlichung. Die kürzere Fassung erschien am Donnerstag, den 30. November 17 in der Berliner Wochenzeitung Jungle World.